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1.

Hasenbalg in der guten alten Zeit

Obgleich Hasenbalg erst im Jahre 1702 funkelnagelneu aufgebaut war, so hatte es in der Zeit, in welcher unsere Geschichte nun bald beginnen wird, doch schon wieder ein altes Gesicht.

Jedes einzelne Gebäude sah aus, als säße es schmerzvoll zusammengesunken und mit trübgeweinten, glasigen Augen auf dem Grabe seines Vorgängers, den es nimmer und nimmer vergessen könne. Während eines so langjährigen Seelenkummers geht natürlich die straffe Haltung des Körpers verloren, und so kam es denn auch, daß sämtliche Häuser von Hasenbalg sich müde eines auf das andere lehnten, wie eine Reihe eingeschlafener Menschen, die ihre Köpfe auf des Nachbars Schulter sinken lassen.

Bloß an dem großen viereckigen Markt trat diese Erscheinung weniger auffallend zutage, als in den langen, leicht gekrümmten Straßen mit den verbindenden Nebengäßchen. Die Häuser hatten hier vielleicht mehr Selbstbewußtsein und setzten einen gerechten Stolz darein, das Herz der Stadt zu bilden und den berühmten Marktplatz zu garnieren, der nicht allein durch Cannabich verewigt worden ist. Außerdem konnten sie sich nicht so ungestört dem träumerischen Brüten überlassen, wie die anderen Gebäude, denn die Rekrutenunteroffiziere der vier Eskadrons mit den dazugehörigen Gefreiten machten hier den ganzen Tag über einen solchen Höllenspektakel, daß Schwermut und Melancholie nicht dagegen aufkommen konnten.

Die Umgegend der Stadt bot auch durchaus keine landschaftlichen Reize. Sonst sieht man doch bei anderen Orten ein Wäldchen, das sich schweigsam ausdehnt, eine stille, blumige Wiese, über die morgens und abends geheimnisvoll die Nebel wallen; einen Hügel, von dem man in die weite Welt schauen kann, einen Bach, der schwatzend durch die Ebene läuft; von dem allen hatte Hasenbalgs Feldmark nichts aufzuweisen; nicht einmal des Kornes bewegte Wogen erblickte man im schönen Halbmond, sondern die weiten Ebenen waren nur mit des Tabaks und der Kartoffel narkotisch duftendem Gewächs bedeckt.

Wenn die Fremden nachher im »Deutschen Hause« ihren aufgeschwitzten Kalbsbraten verzehrten, äußerten sie sich gewaltig unzufrieden über den abscheulichen Geruch, der draußen auf der Gegend lag; die eingeborenen Hasenbalger aber lachten dazu und sagten, das wäre ein großer Segen für die Stadt; denn die ältesten Leute könnten sich nicht entsinnen, daß jemals ein hiesiger Bürger oder eine hiesige Bürgerin den Schnupfen oder eine sonstige Verstopfung gehabt habe, welche Krankheiten allein durch die heilsamen Kommunikationsbeförderungen des Tabaks im Keim erstickt würden.

Was den Charakter der Hasenbalger Bevölkerung anbetrifft, so harmonierte er mit dem Charakter der Gebäude, den morschen Gehäusen ihres kleinen Lebens.

Die Ackerbürger hatten nicht viel zu tun. Wenn im Herbst ihr Feld bestellt war, setzten sie sich in Schlafrock und Pantoffeln ans Fenster und starrten auf die Straße hinaus, und da diese die Phantasie nicht sonderlich anregte, so standen sie von Zeit zu Zeit auf, gingen an das kleine, dunkelbraune Wandspind und gossen sich ein Schnäpschen ein. Davon wurden sie allmählich warm, und wenn sie erst ein halbes Dutzend hinter die Binde gegossen hatten, dann bekamen sie eine rote Nase und wäßrig freundliche Augen. Wenn das aber manch Jährchen so fortgegangen war, kriegten sie das Zittern in den Händen und zuletzt klappten sie den Deckel ihrer Kanne zu, legten sich mit dem Gesicht nach der Wand und verließen diese Welt des Atmens.

Die Materialwarenhändler stehen schon auf einer höheren Stufe der gesellschaftlichen Bildung, einige von ihnen sind sogar ressourcenfähig, obgleich sie ihren Hauptverdienst aus dem Schnaps und der Wichse ziehen, die sie an die Soldaten verkaufen. Wie die kleinen Gastwirte, gehen sie den ganzen Tag in Pantoffeln und stehen bei gutem Wetter gelangweilt und verdrossen in der engen Tür ihres fettigen Ladens, und nur wenn ein Dragoner oder ein Dienstmädchen mit einem Sechser zwischen den zarten Fingern kommt, verzieht sich das Sauregurkengesicht des Krämers zu einer Art von Lächeln und er schlendert mit ladenschwenglicher Artigkeit hinter den Tisch und bedient seine Kunden. Wenn aber die Ressourcestunde schlägt, dann zieht er Stiefel und einen anderen Rock an, knüppert sich ein Paar steife Bäffchen um den Hals und geht mit dem Stolz eines spanischen Granden nach dem gelben Rathaus hinauf, in dessen oberen Räumen das Gesellschaftlokal sich befindet.

Dort mischen sich Offiziere und Bürger auf die glücklichste Art untereinander.

Wer durch seine gesellschaftliche Stellung und unbescholtenen Ruf das Recht erworben hat, diese heiligen Hallen zu betreten, der ist den anderen vollkommen ebenbürtig, ein Mensch den Menschen gegenüber, ein Honoratior den Honoratioren.

Zu diesem freundlichen, gegenseitigen Umgange trug natürlich die Länge des Zusammenlebens in so engem Rahmen nicht unwesentlich bei. Man sah sich täglich auf der Straße, man wohnte miteinander in denselben Häusern, die Offiziere heirateten nicht selten Bürgertöchter, manchmal aus Liebe, manchmal aus Langeweile, manchmal auch aus pekuniären Rücksichten. Denn das Offizierkorps war nicht reich; die meisten hatten nur eine bescheidene Zulage, einzelne sogar nicht einen Groschen. Von Luxus war da gar keine Rede; man trug für gewöhnlich Röcke mit so verblichenen Farben, wie sie heute gar nicht mehr denkbar sind; man wohnte in den allereinfachsten Räumen; bei Tische wurde niemals Wein getrunken, nur bei Gelegenheiten; dann aber ordentlich. Auf der Ressource aßen die Unverheirateten Abendbrot, und das Getränk bestand aus Bier und Grog.

Außerdem gab es eigentlich keine Vergnügungslokale; man müßte denn die kleine Weinstube von Schleckmann dazu rechnen, welche der alte Oberst von Hollprägel nie anders nannte, wie die Giftbude, und dann das Lokal des Konditor Schlichter, an der Ecke vom Markt, wo einzelne verspätete Leutnants und Fähnrichs den sogenannten »Nachtklub« zelebrierten.

Damit hatte aber die Geschichte auch vollständig ein Ende; andere Orte, um Geld auszugeben, gab es neben den laufenden Bedürfnissen nicht.

Trotz dieses einfach veranlagten Lebens hatten doch die meisten Offiziere Schulden; der eine mehr, der andere weniger, erhebliche Summen aber niemand. Gehalt und Zulage reichten aber nur für das Allernotwendigste hin, und wenn von den monatlichen zwanzig Talern die verschiedenen Beträge für Kleider-, Witwen-, Musik- und noch andere Kassen in Abzug gebracht wurden, dann blieb für jeden Tag nur herzlich wenig übrig.

Im Winter war das Leben allerdings ein wenig teurer als im Sommer; da kamen Schauspieler nach Hasenbalg, bei denen man für fünf Silbergroschen den Abend abonnieren konnte, und dann die Bälle; das kostete allerdings auch immer etwas, obgleich es jeder in der Hand hatte, wieviel er dranwenden wollte.

Also ein kleines Leben im engen Rahmen; vom Dienst in die Kneipe, und von der Kneipe wieder in den Dienst; auf dem Markt trampeln fortwährend die Rekruten und in der offenen und geschlossenen Reitbahn geht es den ganzen Tag immer rundum, immer rundum, daß einem ganz dumm und dämlich dabei zumute wird. Und in den Zwischenpausen geht man einmal zu Hause mit heran, holt sich den Schlüssel, bürstet sich vor dem halbblinden Spiegel die Haare, watet über den elastischen Dunghaufen, geht in den Stall zu den schnuppernden Pferden, hebt ihnen die Decken auf, klopft die festen Hinterbacken und macht sich dann sachte wieder auf den Weg zum Dienst oder in die Ressource.

Manchmal besucht auch wohl einer den andern, dann wird eine Pfeife oder eine Zigarre angeboten und die gewöhnliche Unterhaltung geführt, manchmal auch gar keine; sondern wenn der Gast seine Pfeife ausgeraucht hat, stellt er sie in eine Ecke, setzt sich die Mütze auf und sagt: »Na, atje!« – »Na, atje!« wiederholt der andere, »komme nicht zu spät auf die Ressource!« –

Diese Unterhaltung kam namentlich beim »alten Grafen« vor, der nicht viel sprach, aber der einzige Offizier war, der eine Zeitung hielt, an der er den ganzen Vormittag mit der gespanntesten Aufmerksamkeit studierte. Wenn man ihn nachher fragte, was drinstände, wußte er es allerdings nie, oder er wollte es nicht sagen, was auch eine Möglichkeit ist. –

Der Leutnant von Nasewitz wollte zwar gesehen haben, daß der alte Graf oft das Zeitungsblatt verkehrt halte; aber dem konnte man nicht unbedingten Glauben schenken, das war ein arger Spötter, davon konnte der arme Padderow ein Liedchen singen, obgleich er eigentlich sein bester, ja unzertennlicher Freund war. – Herr von Nasewitz meinte es auch durchaues nicht schlecht mit ihm, im Gegenteil, er liebte ihn und konnte nicht ohne ihn leben; aber ebensowenig konnte er es unterlassen, ihn zu necken und ihm oft die schlimmsten Streiche zu spielen; daran fand er nun einmal sein Vergnügen; sowie er den Padderow sah, ging es los, und wenn er ihn nicht sah, dann zerarbeitete er sich den Verstand, um eine neue Marter für seinen Freund zu erfinden. –

Wenn Hasenbalg keine Garnison gehabt hätte, würde es das trostloseste Nest gewesen sein, das je die Sonne beschienen; aber die Dragoner brachten doch etwas Leben und Bewegung hinein. –


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