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11.

Irdische Seligkeit

Wir überspringen einen Zeitraum von drei Wochen. –

Das einzige Bemerkenswerte, was sich in dieser Zeit zugetragen, war eigentlich, daß der Ruf des armen Klötersdorf wirklich einen empfindlichen Knax bekommen und daß Herr von Padderow bedeutende Fortschritte auf der Baßtuba gemacht hatte.

Da der unglückliche Fähnrich nicht zu den Möhrenstolzens hinging, so waren diese allmählich aus der Defensive in die Offensive übergegangen, hatten von der sonderbaren Annäherung des jungen Mannes gesprochen und dadurch unvorteilhafte Streiflichter auf ihn geworfen, die durch Wiedererzählen einen immer gehässigeren Charakter annahmen.

Der arme Klötersdorf war darüber in stiller Verzweiflung und sein Freund Strammin war vom Neide zum Mitleid für ihn übergegangen.

Was seine eigenen Angelegenheiten betrifft, so hatte Nasewitz durch einen abermaligen sehr geschickt geschriebenen Brief die nächtlichen Stelldichein verlängert, ohne daß Strammin Mißtrauen bekommen hätte oder in seiner erwartungsvollen Glut erkaltet wäre.

Der alte Rittmeister Schimmelmann, nachdem er sich zur Genüge von dem nächtlichen Schildwachstehen überzeugt, hatte die ferneren Inspizierungen schließlich aufgegeben und sich, wie früher, um zehn aufs Ohr gelegt, jedoch mit dem festen und richtigen Bewußtsein, daß der Posten niemals fehle.

Padderow hatte, wie bereits gesagt, sehr erfreuliche Fortschritte im Tubablasen gemacht; denn der Ton schnappte ihm nur noch höchst selten und hauptsächlich dann über, wenn er ein bißchen zuviel getrunken und die Lippe dadurch ihre Kraft verloren hatte.

Wenn er gut aufgelegt war, konnte er »Heil dir im Siegerkranz« schon so blasen, daß es für ein musikgeübtes Ohr allenfalls zu erkennen war; Nasewitz meinte zwar immer, es wäre »Ach, du lieber Augustin«, weil Padderow nicht die entfernteste Ahnung von Takt und auch beinahe gar kein Gehör hatte, sondern die verschiedenen Töne, so rein und so unrein wie es gerade kam, der Reihenfolge nach hintereinander weg blies. Das Schwerste waren für ihn die hohen Töne. Was über c im dritten Zwischenraum ging, machte ihm schon Schwierigkeiten, und wenn d oder gar e kamen, dann schnappte ihm gewöhnlich der Ton über, oder die Luft ging auch bloß durch, ohne das Metall in die geringste Schwingung zu versetzen.

Er selbst beurteilte sich natürlich äußerst günstig und hielt sich allen Ernstes für einen Virtuosen auf seinem Instrument.

Mit seinen Kunstleistungen wuchs auch die Liebe zur Musik im allgemeinen und zur Tuba insbesondere, und er konnte schon keinen Abend mehr zu Bette gehen, ohne vorher noch einmal hineingepustet zu haben.

Wenn es dann einen recht tiefen Ton gab, dann freute er sich und sagte »das war ein reizendes fis«.

Was nun Gründling und Polko anbetraf, so hatten sie sich auch allmählich an das Unvermeidliche gewöhnt.

Der Bursche war zu der Überzeugung gekommen, daß sein Herr an Darmkolik leide, die aber nicht gefährlich sei, und Polko schnitt gar nicht mehr so verzweifelte Gesichter wie früher, sondern kam seiner musikalischen Aufgabe schon näher, indem er sich bemühte, die ihm vorgeblasenen Töne in annähernder Richtung nachzuheulen.

Nun bleibt uns nur noch anzuführen, daß die dicke Trompete von Fräulein Alphonsine Schimmelmann wieder dünn geworden und in ihre früheren Schönheitsgrenzen zurückgetreten war.

Der alte Rittmeister hatte das allmähliche Schwinden des Riechwerkzeuges mit großem Interesse verfolgt, und als keine Spur von der Geschwulst mehr zu sehen war, blickte er seine Tochter oft so lange und freundlich an, wie er dies in seinem ganzen Leben sonst noch nicht getan.

Wenn Alphonsine ihn dann manchmal fragte: »Väterchen, weshalb siehst du mich denn so freundlich an?« dann wurde der Alte förmlich verlegen und machte gleich wieder sein brummiges Gesicht und verließ das Zimmer.

Aber vorgehen tut etwas in ihm; man konnte nur noch nicht recht wissen, was. -

Es war jetzt Anfang Dezember, und ein früher Winter hatte sich über die Fluren gebreitet. Von den Bäumen waren jetzt auch die letzten, hartnäckigen Blätter abgerissen, und eine weiße, glänzende Decke breitete sich über die schmutzigen Felder. Die häßlichen Tabakstrünke waren teils schon verrottet, teils guckten sie schwarz aus dem zarten Schnee hervor; die nackten Bäume und Sträucher sahen alle aus, als wenn der Konditor Schlichter sie überzuckert hätte; die Pumpen und die Pfähle am Reitplatz hatten alle saubere, weiße Käppchen auf, und von den Dächern liefen, wenn die Mittagssonne schien, eine Menge heller, glänzender Tropfen, die beim Niederfallen kleine runde, schwarze Röhren in den hohen Schnee machten.

Von dem Dach des schmalen Giebelhauses neben dem gelben Rathause tropfte es auch hernieder, beinahe wie Tränen, obgleich heute durchaus keine Veranlassung zum Weinen war, im Gegenteil, denn heute abend sollte der Polterabend gefeiert werden vom Grafen Agathon Plustra und Fräulein Georgina Reiher.

Was war denn darüber zu weinen?

Daß es ihr letzter Tag als Mädchen war, und daß sie morgen eine Frau werden sollte, und noch obendrein eine Gräfin.

Darüber trauert doch kein Mädchen.

Oder daß sie jetzt vor der Tür des Glückes stand, nach welchem ihr ganzes Wesen sich so lange gesehnt?

Oder dachte sie vielleicht darüber nach, was das Glück wohl eigentlich sei, und ob es überhaupt auf dieser Erde wohne und feste Gestalt annähme, auf daß der Mensch danach greifen und es an sich ziehen könne?

Heute abend sollte also der Polterabend gefeiert werden vom Grafen Plustra und Fräulein Georgina Reiher.

Einladungen waren nicht ergangen, sondern man hatte es den Teilnehmenden überlassen zu kommen oder nicht zu kommen. Die alten, schiefen Dielen im Offizierspeisesaal waren so klar gescheuert worden, wie man sie bekommen konnte, die Decke war abgefegt, die Spinnweben mit dem Staubbesen aus den Ecken und hinter dem Ofen hervorgenommen, kurz, es war alles geschehen, um dem alten, angeschwärzten Raum ein möglichst freundliches und festliches Ansehen zu geben.

Frauen und Fräulein, die heute abend das Paar beglückwünschen wollten, saßen in den Hinterzimmern und nähten und stichelten sich die leichten Roben zurecht, Freunde und Freundinnen gingen in den Läden umher und suchten nach Geschenken, die billig waren und doch ein bißchen Parade machten; die Offiziere befahlen ihren Burschen, die besten Sachen zurechtzulegen. In der Küche bei Strümpels dampfte und zischte es, daß der Rauch dick auf die Straße hinausquoll und einige Jungen herbeilockte, die mit offenen Nüstern die ungewohnten Düfte einsogen, und die Braut saß still zu Hause und besah ihr schönes, neues Kleid und den grünen Myrtenkranz, den sie morgen zur Trauung auf die blonden Locken drücken wollte.

Der Abend kam und eine zahlreich bunte Menge durchwogte den Offizierspeisesaal und die angrenzenden Räume. Es war fast alles erschienen, was in Hasenbalg auf den Namen Honoratioren Anspruch machen konnte, nur die Möhrenstolzens fehlten, denn wenn sie auch auf öffentlichen Bällen geduldet wurden, so durften sie doch in Privatzirkel sich nicht eindrängen, namentlich in diesen nicht, da sie niemals mit der Familie der Braut in freundlichem Verkehr gestanden hatten.

Nachdem die Glückwünsche entgegengenommen waren, nahm das junge Paar den Ehrenplatz ein und es wurden die üblichen Gedichte, gute und schlechte, passende und unpassende, vorgetragen.

Padderow hatte eigentlich »Heil dir im Siegerkranz« auf der Baßtuba blasen wollen; aber Nasewitz hatte es ihm ausgeredet, weil es für die Situation nicht recht passend sei.

Der alte Schimmelmann war ohne seine fünf Frauenzimmer gekommen, aus dem einfachen Grunde, weil das für jede zwei Toiletten gekostet hätte, und das war ihm denn doch zu starker Tabak. Morgen zum Hochzeitsdiner sollten sie gehen, dazu hatten sie noch Kleider, die wieder frisch aufgearbeitet und mit neuen Schleifen besetzt waren, und wenn nur eines sein sollte, war das Diner doch jedenfalls praktischer.

Da wir morgen ebenfalls das Hochzeitsdiner und das nachfolgende Tänzchen mitzumachen haben, wollen wir uns auch den Beschwerden und Ermüdungen des Polterabends entziehen und das frohe Völkchen sich ohne uns amüsieren lassen. Es ist immer gut, wenn man sich zur Hochzeit die besten Kräfte spart.

Als Plustra Braut und Schwiegermutter nach Hause gebracht hatte und nun über den Markt seinen Rückweg antrat, befand er sich in einer außerordentlich poetischen Stimmung.

Punsch und Liebe hatten ihm Körper und Seele angenehm erwärmt, und die Phantasie flog mit leichtem Flügel durch den Raum und ließ ihm alles im glänzendsten Lichte erscheinen.

Der auf der einen Seite abgeschabte Mond schien ihm die strahlende Sonne seines irdischen Glücks; die Milliarden Sterne blickten ihn freundlich grüßend an mit ihren flimmernden Kinderaugen, die alten schiefen Häuser schienen sich geisterhaft zu regen und täppische Bewegungen zu machen, als wenn sie sich freuten, und mit den müden, trüben Augen zu blinken, als wenn sie irgend etwas Pfiffiges hervorbringen wollten.

Als Plustra in seine Wohnung kam, in die große, kahle Stube, mit dem öden Kabinett daneben, wo er so lange gelebt und wo er heut' zum letzten Male schlafen gehen sollte, überkam ibn ein eigentümliches Gefühl; halb erfüllte es ihn mit Wehmut, daß er Abschied nehmen sollte von den alten Wänden und dem alten Gerumpel, und

auf der andern Seite jauchzte seine Seele wieder auf bei dem Gedanken, daß er morgen in sein schönes, neu eingerichtetes Quartier ziehen werde... mit ihr...

Der trübe Schein des Talglichts goß ein fahles Licht durch das große Gemach, als wollte er ihm einen matten Abschiedskuß geben; dann neigte der Docht sich müd' auf eine Seite, wie wenn er einschlummern möchte für immer.

Plustra nahm das Licht mit, die treffende Ironie auf den flammenhellen Diener, und setzte es auf den alten Stuhl vor seinem Bett, wo sonst noch Börse, Hausschlüssel und Uhr lagen und streckte seinen Körper zum letztenmal auf dem Junggesellenlager.

An einem glücklichen Tage schläft man nicht lange, ebensowenig wie an einem traurigen; ich möchte beinahe sagen, man könnte beides nicht erwarten, sondern eilte ihm mit Ungeduld entgegen.

Um zwölf Uhr beginnen die Glocken im Turm der Oberkirche ihr ernstes Lied zu singen und allmählich versammelt sich eine Schar Neugieriger vor dem Portal, größtenteils Frauen und Kinder.

Um ein Uhr sieht man den Herrn Pastor in die Kirche gehen, dann naht bald der lange Wagenzug, denen sich noch viele Zuschauer zu Fuß anschließen.

In der ersten Kutsche sitzt Graf Plustra neben Georgina; sie haben sich beide die Hände gegeben und blicken schweigend vor sich hin.

Die Kirche ist voll zum Brechen, auf dem Altar brennen zwei dicke Kerzen, und der Pastor steht salbungsvoll davor und erwartet das junge Paar, das langsam herantritt. Rechts und links stehen die wenigen Verwandten und Trauzeugen; sie machen ernste, feierliche Gesichter, und die Damen haben weiße Taschentücher in den Händen, die oft zu den tropfenden Augen geführt werden.

Die goldenen Ringe sind gewechselt, der Segen ist erteilt, der Bund ist geschlossen.

Im langsamen Schritt waren die Kutschen gekommen, im lustigen Trabe fahren sie wieder fort; in diesen wohltätigen Gegensätzen liegt gleichzeitig die tiefste Philosophie und der größte Leichtsinn der menschlichen Seele. -

In dem Speisesaale der Offiziere ist eine lange Tafel gedeckt... Der Raum ist angenehm erwärmt, und durch die zurückgebliebene Erinnerung einer Essigräucherung ziehen sich, wie trübe Gedanken, aus dem weißen Tischtuch aufsteigende Strömungen von schwarzer Seife. Die Servietten sind kunstvoll zusammengelegt, in der Mitte versteckt sich neckisch ein kleines Milchbrot, vor dem Kuvert stehen verschiedene durstige Gläser, und auf der Platte erheben sich verschiedene vergoldete Vasen mit natürlichen Blumen. Zwei schäbig aussehende Lohndiener stehen in verwitterten Fracks an den Türen und erwarten die Gäste.

Das junge Paar tritt zuerst ein, um die Honneurs zu machen, die Mutter ist gleich von der Kirche nach Hause gefahren.

Mit militärischer Pünktlichkeit und allen mit gutem Beispiel vorangehend kommt zuerst der alte Oberst von Hollprägel. Er hat sich heute zu der feierlichen Gelegenheit das spärlich schneeweiße Haar mit ganz besonderer Sorgfalt glattgekämmt und sieht so glau und niedlich aus, daß man ihm einen Kuß geben könnte. Wer weiß, ob er das auch nicht beabsichtigt, wenn der Wein erst die Gemüter erheitert hat; denn er ist eigentlich ein alter Genießer, der den Damen gern ein Küßchen stiehlt, oder sich freiwillig eins geben läßt.

Er beglückwünscht das junge Paar und läßt sich dann mit der jungen Frau in eine längere Unterhaltung ein.

Da öffnet sich abermals die Tür und mit einer Strömung von Küchengeruch kommt der alte Rittmeister Schimmelmann an der Spitze seiner ganzen Weiblichkeit.

Nachdem er sich umgesehen, ob auch alle d'rin sind, stackert er um die Tafel herum, wo die anderen in der Fensternische stehen.

»Na, Herr Oberst, nun bringe ich sie alle an... gnädige Frau.. lieber Graf, meinen besten Glückwunsch... na, wo seid Ihr denn, kommt doch 'ran!«

»Ihr ältestes Fräulein Tochter ist längere Zeit unwohl gewesen?« fragt Hollprägel, während die fünf Damen der jungen Gräfin die Hand drücken und einen Knix über den andern dabei machen.

»Na, Herr Oberst, sie hatte solche Trompete«, antwortet Schimmelmann, indem er zur nächsten Erläuterung die Faust auf seine Nase legt.

»Aber, Alter!« zupfte ihn die kleine dicke Mutter am spitzen Leibrockschoß; »wer wird denn so etwas sagen?«

»Ein reizendes Kleid, liebe Gräfin«, sagte die schlanke Alphonsine, um von dem Thema abzubringen, »und wie schön es Ihnen steht.«

»Jaja«, meinte die freundliche Mama; »eine Braut sieht immer hübsch aus.«

Schimmelmann warf einen Blick auf seine älteste Tochter, als wenn er etwas sagen wollte, aber er sagte nichts.

Dann erschienen Padderow und Nasewitz.

Der dicke Ritter, der schon in der Kirche gratuliert hatte, wie die meisten anderen, begrüßte den Obersten und dann mit besonderer Freundlichkeit seinen Rittmeister und dessen Damen.

»Guten Tag, lieber Padderow!« reichte ihm Schimmelmann ermunternd die Hand, welche Ehre auch Nasewitz zuteil ward.

Dann trat der dicke Leutnant zu Melusine, die ihm gerade am nächsten war, und sagte ihr einige orientalische Schmeicheleien.

Der Rittmeister wackelte verwundert mit dem Schnurrbart, und Nasewitz wurde es ein bißchen unangenehm um den Magen herum, doch mit schneller Geistesgegenwart gibt er seinem Freunde unbemerkt einen Schupps, daß er mit einem Schlenkrich zu der entferntesten Alphonsine fliegt.

»O, Herr von Padderow, fallen Sie nicht«, lächelte diese, ein klein wenig zurückweichend.

»Wo wäre es schöner als zu Ihren Füßen!« läßt der dicke Leutnant eine seiner gewöhnlichen Phrasen los.

Der Rittmeister.Schimmelmann macht ein freundliches Gesicht und stößt Nasewitz an, und Nasewitz macht ebenfalls ein freundliches Gesicht, als wenn er die Bedeutung des Puffs verstanden hätte.

Der Saal füllt sich mehr und mehr; der Herr Prediger kommt; der Justizrat Schölplin mit Frau und Tochter, der Assessor Glutstein nebst Gemahlin, der Herr Bürgermeister und der jungen und alten Offiziere bunte Schar.

Der Premierleutnant von Kreidefleck postiert sich neben dem Obersten, macht sein freundliches Dienstgesichtchen und paßt auf, wie ein Schoßhund, ob der Alte nicht einen Witz loslassen wird.

Die beiden Fähnriche stehen wie gewöhnlich bescheiden in der Ecke, und Klötersdorf errötet immer einmal über das andere, wenn der alte Hollprägel seinen Blick auf ihm ruhen läßt.

Die Eskadronschirurgen haben Uniform angelegt und fühlen sich weder behaglich in dieser, noch in der Gesellschaft, die ihnen fortwährende Demütigungen auferlegt.

Als alles vollzählig ist, wird Platz genommen.

Die Stühle rücken; das junge Paar sitzt in der Mitte der Tafel beieinander: sie sind ziemlich schweigsam, essen wenig, trinken wenig, schauen sich aber in die Augen und drücken sich verstohlen unter dem Tisch die Hände.

Auf der andern Seite der jungen Frau sitzt der Oberst, neben Plustra der Herr Pastor. Alphonsine ist zwischen Nasewitz und Padderow plaziert, Euphrosine sitzt neben dem unglücklichen Klötersdorf, Cölestine dem Fähnrich von Strammin gegenüber, und Melusine schrägüber vom kleinen, freundlichen Doktor Klaubert.

Wie die anderen sich plazieren, interessiert uns weniger.

Bei der Suppe wird noch nicht viel gesprochen; man hört nur das Klappern der Löffel und das Schlürfen der warmen Flüssigkeit.

Beim Rindfleisch wird es schon lebendiger, die Gläser der Herren füllen sich mit rotem und weißem Wein, während die Damen ihre Handschuhe hineinlegen; beiläufig gesagt, eine abscheuliche Sitte.

Der Oberst spricht noch immer mit der jungen Frau. Der Herr Pastor liebäugelt mit seinem Wein. Der alte Schimmelmann schmunzelt von Zeit zu Zeit nach Padderow hin und seiner Alphonsine. Die dicke Frau Rittmeister läßt sich von Herrn von Kreidesteck Schmeicheleien sagen. Der Premierleutnant von Ströllpitz sieht furchtbar rot und diensteifrig aus. Alphonsine spricht mehr mit Nasewitz als mit Padderow. Klötersdorf denkt darüber nach, auf welche Weise er mit Euphrosine die Unterhaltung in Gang bringen will. Der Justizrat Schölplin sieht aus, als wenn er eben den Schwarzen Adlerorden bekommen hätte. Herr von Drenkenberg erzählt der Frau Assessorin Glutstein eine Jagdgeschichte. Der blasierte Sponeck hat vergessen, daß er zum Diner geladen ist, und bestellt sich eine Flasche Sekt. Der alte Graf trägt dem Fräulein Schölplin einen verwickelten Fall vor, verheddert sich aber darin und vergißt erst die Pointe und dann überhaupt, was er eigentlich hat erzählen wollen. Der dicke Rührbrägen spricht wenig, amüsiert sich aber über alles, und was die anderen machen, interessiert uns weniger.

Zuletzt redet und schwirrt alles durcheinander. Die Köpfe der Herren werden röter; die Augen der Damen heller und lebendiger.

Gleichzeitig mit dem Braten kommt der Champagner, damals noch eine große Seltenheit auf der Tafel der Offiziere.

Die Damen lassen sich nun auch die spitzen Gläser füllen und nippen an dem prickelnden Schaum und lachen und kichern dabei, als wenn sie jemand kitzelte.

Der Herr Pastor, der ganz unbemerkt sein Fläschchen Rotwein ausgelutscht und schon eine Vorahnung der Seligkeit zur Schau trägt, deren Süßigkeiten er so oft predigt, hält die erste freundliche salbungsvolle Rede an das junge Paar.

Dann spricht der Oberst mit seiner hohen, hellen Stimme, und dann dieser und dann der, und es ist ein ewiges Aufstehen und Wandern und Küssen und Händedrücken.

Padderow trinkt tüchtig, und Nasewitz hütet sich wohl, ihn zu necken, damit er ja auf Alphonsine und deren Vater einen günstigen Eindruck mache.

Man sitzt weit länger bei Tisch, als es nötig ist, zwischen vier und fünf Stunden. Zuletzt werden Lichter auf die Tafel gestellt und noch immer weiter gezecht, als wenn sie den armen Plustra bankerott trinken wollten.

Endlich hebt der Oberst die Tafel auf, mit zauberischer Geschwindigkeit verschwindet der Tisch und die Stühle, und ein Walzerpräludium auf Saiteninstrumenten fährt dem tanzlustigen Völkchen in das Herz und in die Beine.

Die Kron- und Wandleuchter erhellen den Saal, die Herren ziehen weiße Handschuhe an und machen ihre Engagements.

Dem armen Klötersdorf, der nicht tanzen kann, bricht der helle Angstschweiß aus.

Der alte Oberst macht freundlich die Runde und läßt sich hier und da von schönem Mund ein Küßchen geben; die einen tun es offen und ehrlich, um schneller abzukommen; die anderen zieren und sträuben sich und machen ein Aufsehen, und wenn es endlich doch geschehen, dann halten sie die weißen Händchen vor die dunklen Augen und haben sich, als wollten sie sich das Seelchen aus dem Leibe schämen. –

Es ist aber nicht so schlimm; sie tun bloß so. –

Plustra eröffnet den kleinen Ball mit seiner jungen Frau. Er hält sie im Arm und führt sie graziös und schaut selig auf sie nieder.

Dann folgen die anderen Paare.

Der alte Graf Schwülenberg rast in fanatischem Eifer mit der kleinen Schölplin durch den Saal, daß sein langer Schnurrbart nur so stiegt; sie schwebt neben ihm her, leicht wie eine Sylphide, das Köpfchen fast an seine Schulter gelehnt, das Gesichtchen mit seinem eigenen Spiegelbilde kokettierend, das ihr aus jedem blanken Knopf entgegenblickt; das Herzchen pochend, der Busen wogend, die Wange glühend.

Sie sieht allerliebst aus, die Kleine, und der Papa Justizrat macht ein Gesicht, als wenn er sie eben an einen Fürsten verheiratet hätte, und die Mama sitzt an der Wand, wie eine herbstliche Aster, und lächelt still vor sich hin und sieht in dem Kinde ihr eigen Ich, und träumt von der schönen Zeit, wo sie auch noch schön und jung war und so leicht dahinflog am Arme eines schmucken Tänzers.

Der zerstreute Sponeck, der vergessen, daß er auf einem Ball ist, sitzt im Nebenzimmer und hat sich ganz gemütlich eine Zigarre angezündet. Rührbrägen hat bereits in der ersten Viertelstunde mit sämtlichen Damen getanzt; der dicke Padderow hüpft mit seinen kurzen Beinchen um die hochgewachsene Alphonsine herum, daß er kaum mit ihr von der Stelle kommt; Papa Schimmelmann verliert beide nicht aus den Augen und ärgert sich, daß sein ältestes Kind nachher auch mit Nasewitz ein Tänzchen macht, obgleich das viel besser vorwärts geht; der kleine Doktor Klaubert wird von der munteren Melusine zu einer Nullpolka aufgefordert. Der alte, steife Ströllpitz, der ordentlich ein Glas Wein getrunken, hat sich die Frau Assessor Glutstein geholt und opfert ihr seine letzten künstlerischen Leistungen. Er ist rot im Gesicht wie ein Puthahn, und quält sich furchtbar ab, das graue Haar wird ihm feucht auf dem Schädel, und die schmalen Frackschöße stehen hinten weit auseinander, weil das, was sie bedecken sollen, zu breit ist; aber die Frau Assessor Glutstein merkt das alles nicht, sie lächelt wie ein Kind an seinem Arm, und biegt sich und wiegt sich, als wenn sie ihren ersten Ball mitmachte.

Strammin tanzt mit Cölestine und anderen, und Klötersdorf versteckt sich unter den alten Herren und schwitzt wie ein armer Sünder, der jeden Augenblick zum Galgen geführt werden kann.

Der Premierleutnant von Kreidefleck endlich tanzt wie ein Fähnrich und ziert sich und verdreht lieblich die Augen und macht sich unangenehm, indem er den Angenehmen spielt.

Die erste Mitternachtsstunde hat schon vom Rathaus und den beiden Kirchen geschlagen; aber die muntere Gesellschaft tanzt und trinkt weiter, als fürchteten sie sich gar nicht vor der Gespensterstunde.

Graf Plustra schien auch einen gewissen Respekt vor der Geisterstunde zu haben, obgleich er sonst ein Mann von unerschütterlichem Mute war, denn als die zwölf ernsten Klänge von den Türmen hallten, warf er einen eigentümlichen Blick auf sein junges Weib, als wenn er besorgt um etwas wäre.

Da trat die dicke Rieke in den Saal, die bei Tisch den Offizieren aufwartet und die heute ordentlich niedlich aussah. Mit verlegenen Blicken und linkischen Bewegungen geht sie zu der jungen Frau und flüstert ihr einige leise Worte ins Ohr.

In die bleiche Wange des jungen Weibes tritt ein leichtes, fiüchtiges Rot; sie wirft einen schnellen Blick auf ihren Gemahl, und als sie sich von ihm beobachtet sieht, erglüht sie noch tiefer und verläßt den Saal.

Die meisten haben es kaum bemerkt in ihrem munteren Vergnügungstaumel. Wenige Minuten darauf ertönt das Geräusch eines fortrollenden Wagens. Die alte Mutter hat ihre Tochter abgeholt, um sie in die neue Wohnung zu geleiten und dann die erste Nacht allein zu sein in ihrer kleinen Klause.

Als der Wagen fortfährt, sieht Graf Plustra nach der Uhr.

Bald nachher geht auch der alte Schimmelmann mit seinen Damen, dann folgt dieser und jener; es beginnt leer zu werden.

Graf Plustra drückt sich ebenfalls unbemerkt aus dem Saal, obgleich es wohl noch nicht ganz Zeit ist; aber er fühlt das Bedürfnis, noch ein Viertelstündchen mit sich allein zu sein und seine heißen Schläfen kühlen zu lassen von dem Hauch der stillen Winternacht.

Ihm ist das Herz so voll von Freude, daß er eine gute Tat tun möchte, oder jemand so recht von Herzen lieb haben.

Auf der Treppe gibt er dem ganz erstaunten Justizrat Schölplin einen Kuß und scheint nicht abgeneigt, dessen Frau dieselbe Liebkosung angedeihen zu lassen, als es ihm glücklicherweise noch rechtzeitig einfällt, daß das doch wohl nicht recht passend sei.

Ach, wie schon weht ihn der kalte, klare Hauch des Winters an.

Er schlendert die öde, dunkle Straße hinab bis zum Reitplatz, und als er die dunkle Fläche vor sich liegen sieht, durchschauert es ihn plötzlich, wie ein unangenehmes Vorgefühl oder eine häßliche Prophezeiung.

Er wendet sich wieder um, geht noch ein Stückchen wieder die Straße hinauf und wählt dann eines der kurzen Nebengäßchen, um auf den Markt zu gelangen, in dessen Nähe seine neue Wohnung liegt; denn nun wird's Zeit... eine gute halbe Stunde ist verflossen und länger wartet man doch nicht.

Als er bei dem schmalen Giebelhäuschen neben dem Rathaus vorbeikommt, blickt er hinauf; oben brennt Licht, die alte Mutter ist schon wieder zu Hause... ja, ja... es ist Zeit. -

Er fühlt sich mächtig angezogen, und dennoch zögert er, als wollte er noch ein Weilchen in traumhaften Vorgefühlen schwelgen.

Doch plötzlich siegt das erstere Gefühl und er schreitet mit beschleunigten Schritten an dem Wachtposten vorbei.

Da dringen laute, fröhliche Stimmen an sein Ohr und er sieht mehrere dunkle Gestalten über den Marktplatz kommen.

»Sie gehen auch nach Hause«, lächelt der Graf; »ich will den lieben Menschen noch Gutenacht sagen.«

Der Trupp ist jetzt bis auf wenige Schritte zu ihm heran.

»Ah Plustra!« ruft der durch den Wein noch redseliger gemachte Drenkenberg: »da seid Ihr ja noch... was treibt Ihr Euch denn allein in der Nacht herum?«

»Ich wollte Euch noch die Hände drücken zum Abschied«, sagt der Graf; »und Euch danken für alle Liebe und freundliche Teilnahme, die Ihr mir heute bewiesen habt.«

Der kleine Rührbrägen wird in seiner Weinlaune so gerührt darüber, daß er Plustra um den Hals fällt und ihn herzlich küßt.

»Nun aber gute Nacht, Kinder!« macht der junge Ehemann sich los; »ich will nach Hause gehen... schlaft alle wohl!«

»Das war ein wundervoller Tag!« schwelgt der sonst nicht redselige Rührbrägen; »leider kommt er niemals wieder... wir müssen Abschied von ihm nehmen auf ewig!«

»Das brauchen wir ja nicht«, ruft Padderow; »wenn er uns gefällt, dann bleiben wir noch etwas mit ihm zusammen...«

»Bravo, bravo!« schreit Drenkenberg; »wir klopfen Zieme heraus und trinken noch ein Glas Wein!«

»Aber, Kinder«, sagt Nasewitz; »ich dächte, wir hätten alle genug; laßt uns von Plustra Abschied nehmen und nach Hause gehen, das ist das Vernünftigste.«

»Nein«, beginnt der selige Rührbrägen zu weinen; »so können wir unsern guten Plustra nicht gehen lassen... das wäre eine Rücksichtslosigkeit von uns, die wir uns nie vergeben könnten... sein letzter Abend als Junggeselle... der letzte Abend, wo er uns noch ganz gehörte...«

»Rührbrägen hat recht«, zabbert Drenkenberg; »wir müssen noch einen Abschiedshumpen mit ihm trinken; das ist alte, ritterliche Sitte!«

Dem armen Plustra wird ganz warm dabei, trotz der kalten Winterluft.

»Bitte, laßt mich gehen«, sagte er sanft; »ein andermal... heute ist es wohl zu spät...«

»Na; wenn's noch nicht zu spät ist«, meint der alte Graf, der wie gewöhnlich falsch verstanden hat; »dann könnten wir wirklich noch 'nen Beruhigungsschoppen trinken.«

»Ich gehe nicht mit, adieu!« erwidert Plustra schon ein wenig energischer; »laßt's Euch gut schmecken, Kinder!«

»Was... du weigerst dich, uns Bescheid zu tun, wenn wir das Wohl deiner Herzenskönigin trinken wollen?« ruft der dicke Padderow; »das hätten deine griechisch-italienischen Vorfahren nimmer getan, entarteter Plustra.«

»Ich beschwöre Euch, Kinder...«

»Nur einen Humpen, dann habt Ihr minniglicher Sitte genug getan und könnt nach Hause gahn!«

»Gut...« gibt der junge Gatte, wohl oder übel, nach; »aber gewiß und wahrhaftig nur ein Glas.«

»Gewiß und wahrhaftig nur ein Glas!« wiederholt der ganze Chor, und Nasewitz, der einsieht, daß sich nichts ändern läßt, schließt sich dem neuen Unternehmen an.

Der junge Zieme wird herausgeklopft und bald nachher stehen die Weinflaschen auf dem Tisch.

Der arme Plustra sitzt wie auf Kohlen, nachdem er das Glas auf seiner Gattin Wohl geleert, will er gehen; aber sie lassen ihn nicht trotz der inständigsten Bitten. – Seine Gedanken wandern und er lächelt wie im Traum, wenn er mit ihnen anstößt.

Aus dem einen Glas wird eine Flasche, aus den fünf Minuten wird eine halbe Stunde. Endlich, endlich fühlen sie Mitleid, und nachdem sie ihn noch alle abgeküßt, darf er sich entfernen.

»Ah!« holt er tief und erleichtert Atem, als er abermals in die frische Nachtluft hinaustritt. »Gott sei gelobt... nun ist es überstanden!«

Und er schreitet die von dem Markt ausgehende Straße hinunter, an deren Ecke seine Wohnung liegt.

Folgen wir ihm nicht von der Erde in den Himmel, sondern gönnen wir ihm die schwer erkaufte Ruhe und kehren zu den fröhlichen Gesellen zurück, die unten bei Zieme um den runden Tisch sitzen.

»Kinder!« schüttelt der blasierte Sponeck mißbilligend den Kopf; »so kann die Geschichte unmöglich gehen...«

»Was denn? Was meinst du?« fragen die anderen durcheinander.

»Der Plustra hat uns ein wundervolles Diner mit Ball gegeben«, doziert Sponeck mit sehr ernster Miene weiter, »und wir tun gar nichts, wir essen und trinken, und wenn wir nicht mehr können, dann gehen wir nach Hause und bekümmern uns um unsern lieben und vortrefflichen Kameraden gar nicht mehr... das will mir nicht gefallen, meine Herren... das ist nicht so, wie es sich gehört...«

»Ganz gut; aber was sollten wir denn noch tun?« fragen die anderen.

»Und morgen um zwölf Uhr hat er uns auch noch zum Frühstück eingeladen, wie es allerdings alte Sitte ist«, fährt Sponeck, ohne sich unterbrechen zu lassen, fort; »das ist kein feiner Takt, meine Herren...«

»Nein, das finde ich eigentlich auch nicht«, kratzt sich der alte Graf den Kopf; obgleich er keine Ahnung hat, um was es sich handelt.

»Ja, aber dann machen Sie doch einen Vorschlag«, meinte Drenkenberg.

»Wir geben ihm morgen ein Diner!« schreit Padderow.

»Es ist ein zu netter Mensch!« weint Rührbrägen.

»Nein, meine Herren«, predigt Sponeck mit wichtiger Miene weiter; »ein Diner ist zu materiell; wir müssen etwas Zartes und Poetisches wählen... etwas, was für die Situation paßt... wodurch wir das junge Paar auf eine angenehme und wohltuende Weise berühren...«

»Und das ist? - Schieße doch endlich los!?« fragt es durcheinander.

»Wir müssen die Trompeter wecken und ihm eine Nachtmusik bringen, meine Herren; das nenne ich eine zarte Aufmerksamkeit.«

Um Nasewitzens Lippen spielte ein eigentümliches Lächeln.

Der Vorschlag wurde aber mit lauter Zustimmung angenommen. Man schritt auch sofort zur Ausführung, indem man sich teilte, um die Trompeter herauszutrommeln und dann an der Ecke vom Markt wieder zusammenzutreffen.

Nach Verlauf einer kleinen halben Stunde war alles zusammen und ein Zug dunkler Gestalten bewegte sich nach der Wohnung des Grafen Plustra und bildete unter dem Schlafzimmer desselben einen Kreis.

Die Instrumente wurden unter den weiten Mänteln hervorgenommen und glänzten im Mondenschein; dann ertönte die leise, poetische, sehnsüchtige Melodie des damals sehr beliebten Liedes vom »Bild der Rose«.

Kaum war der letzte zitternde Ton verklungen, als oben leise das Fenster geöffnet und eine weiße Gestalt in demselben sichtbar wurde.

»Ich spreche Ihnen den herzlichsten Dank aus, meine Herren«, sagte Graf Plustra mit seiner weichen, einnehmenden Stimme; »ich bin tief gerührt von Ihrer Aufmerksamkeit.«

Dann zog er sich wieder zurück; denn die Luft war doch zu kalt für ein so leichtes Kostüm.

»Seht Ihr wohl«, meinte Sponeck; »habe ich es nicht gleich gesagt; das paßte für die Situation... das hat ihnen wohlgetan.«

Nasewitz erwiderte nichts; aber er schien seine Gedanken dabei zu haben.

Die Offiziere entfernten sich mit den Trompetern; denn die gewöhnlichen drei Stücke wären unter den obwaltenden Umständen zuviel gewesen. Da die Musik nun aber doch einmal beisammen war, brachte man noch der Frau Assessor Glutstein ein Ständchen, was in der Regel geschah, wenn man keine andere Verwendung hatte.

Die beiden Gatten waren bereits nebeneinander eingeschlafen, als sie durch die nächtliche Serenade geweckt wurden.

»Sie bringen mir wieder ein Ständchen, Fritz«, faßte die Frau nach ihrem Mann.

»Laß sie bringen«, versuchte der Assessor wieder einzuschlafen; »das hat ja weiter keinen Zweck.« -

Die Frau fühlte sich aber dennoch geschmeichelt und lauschte jedem Ton mit Vergnügen, bis der letzte verhallte.

»Nun ist es richtig mit dem Schlaf vorbei«, sagte der Mann; »was macht man nun?«

»Zähle bis hundert, lieber Mann!«

»Nein, da gibt es doch noch bessere Mittel, um einzuschlafen...«–

Manchmal sind die Wirkungen der Musik recht verschieden.

Die Trompeter wurden entlassen, und die Offiziere kehrten in die Weinstube vom jungen Zieme zurück und zechten lustig weiter.

Die Unterhaltung drehte sich hauptsächlich um die Hochzeit des Grafen Plustra.

Der alte Graf hatte die Augen zugemacht, Rührbrägen sprach viel und hatte fortwährend Tränen in den Augen, Padderow erging sich in Salbadereien, Nasewitz stichelte, Drenkenberg schwatzte, und der zerstreute und blasierte Sponeck schien in tiefen Gedanken zu sein.

»Das hat mir wieder nicht gefallen, meine Herren«, begann er endlich mit seiner langweiligen Stimme; »das kann ich durchaus nicht taktvoll nennen...«

»Nein ... sehr taktvoll war's auch nicht«, machte der alte Graf einen Moment die Augen auf.

»Das freut mich, daß du meiner Ansicht bist«, legte ihm Sponeck die Hand aufs Bein; »bitte, sage mir einmal deine Gründe.«

»Bitte... sage mir einmal Deine Gründe«, wiederholte der alte Graf und schlief wieder ein.

Sponeck wartete ein Weilchen, ob noch etwas kommen würde; da aber nichts mehr kam, folgte er seinem eigenen Gedankengange.

»Dadurch muß er sich geradezu verletzt fühlen«, redete er weiter; »ich begreife nicht, daß den Herren das nicht aufgefallen ist.«

»Das wäre schrecklich, wenn der gute Plustra sich verletzt fühlte«, meinte Rührbrägen, der schon ganz rote Augen hatte.

»Was haben wir ihm denn aber getan?« fragte Nasewitz.

»Wir haben der alten Glutstein ebenfalls eine Nachtmusik gebracht«, schwätzte Sponeck; »das war taktlos, denn dadurch verlor Plustras Serenade an poetischem Wert.«

»Eigentlich hat er recht«, meinte Drenkenberg.

»Können wir denn das nicht wieder gutmachen?« sagte Padderow, nachdem er einen machtigen Zug genommen.

»Das müssen wir sogar wieder gutmachen«, wurde Sponeck ordentlich eifrig; »das ist unsere Pflicht...«

»Lassen wir also die Trompeter zurückholen«, nickte Drenkenberg.

»Nein«, entgegnete Sponeck; »eine Wiederholung wäre ungeschickt ... es muß etwas Neues... Zarteres ersonnen werden... was für die Situation paßt und angenehm berührt... wie wäre es, Rührbrägen, wenn du etwas auf der Flöte bliesest?«

»Ja!« fiel ihm der immer weicher werdende Leutnant um den Hals; das will ich tun; ich hole meine Flöte und bin in zehn Minuten wieder hier.«

Und das war er denn auch.

Nachdem noch ein volles Glas geleert, brach man abermals auf und bildete eine anmutige Gruppe unter Plustras Schlafgemach.

Um halb zwei war der glückliche Graf zu Bett gegangen, um zwei hatte man ihm das Ständchen gebracht; jetzt schlug es halb drei vom grünen Rathausturm, und gleich darauf setzte Rührbrägen die Flöte an und spielte mit tiefem Gefühlsausdruck die schöne Melodie: Guter Mond, du gehst so stille, durch die Wolkenflur dahin.

Kaum war der letzte wehmütige Ton in der stillen Winternacht verhallt, als oben leise das Fenster klang und eine weiße Gestalt in demselben sichtbar wurde.

»Herzlichen Dank, meine Herren«, sprach die weiche, einnehmende Stimme des Grafen Plustra; »ich bin tief gerührt von Ihrer Aufmerksamkeit.«

Dann zog er sich wieder zurück und hüstelte etwas.

»Seht Ihr wohl«, meinte Sponeck; »das war wieder gut getroffen ... das hat ihm wohlgetan... man merkte es deutlich am Ton seiner Stimme.«

Nasewitz antwortete wieder nichts; aber er lächelte, wie es seine Art war.

Dann kehrten sie abermals zurück in die Weinstube vom jungen Zieme und pichelten, als wenn sie eben erst angefangen hätten.

Die Unterhaltung drehte sich natürlich wieder um die Hochzeit.

»Meine Herren«, begann Padderow, der furchtbar dem Glase zugesprochen hatte; »ich weiß gar nicht, wie mir heute abend zumute ist...«

»Du bist betrunken«, sagte Nasewitz trocken.

Der dicke Offizier warf ihm einen verschwommenen Blick zu, der eigentlich vernichtend sein sollte, und fuhr dann fort:

»Meine Herren... ich kann wohl sagen, daß ich zu den intimsten Freunden unseres vortrefflichen Plustra zähle... daß sein heutiger Hochzeitstag mich mit... mich mit...«

»Bravo, bravo!« rief Rührbrägen, dem die Sinne auch schon zu schwinden begannen.

»Bravo, bravo!« murmelte der alte Graf, wie ein dumpfes, fernes Echo, indem er ein klein wenig die müden Augen öffnete.

Padderow blickte mit Unwillen im Kreise umher.

»Ich bitte die Herren, mich nicht zu unterbrechen«, sagte er dann streng; »wo war ich stehen geblieben?«

»Daß sein Hochzeitstag mich mit...« half ihm Drenkenberg.

»Haha!« machte Padderow; »daß sein Hochzeitstag mich mit.. mich mit...«

»Mit süßem Wein erfüllt hat«, ergänzte Nasewitz.

»Burgherr von Knelling«, wandte sich der Dicke an seinen Freund; »wenn Ihr Euch noch eine derartige Bemerkung erlaubt, stoße ich Euch mein Schwert durch die Gurgel und mache Euch stumm!«

»Ich schweige und zittere, gestrenger Herr!« verneigte sich Nasewitz in Demut.

Padderow fühlte sich befriedigt, dachte eine Weile nach und fuhr dann fort:

»Ich weiß nicht mehr genau, wie ich meine Rede begonnen habe ... darauf kommt es auch eigentlich nicht an... ich wollte nur zu dem Schlußgedanken hinleiten... daß ich... den heutigen Freudentag unmöglich beschließen kann... ohne dem braven Plustra ... eine persönliche Huldigung dargebracht zu haben... ich bin überzeugt, daß ihn das aufs innigste rühren wird...«

»Na, was willst du denn machen?« fragte Drenkenberg.

»Singe doch dein Lieblingslied: Ein dicker Mohr, mit Namen Peter«, scherzte Sponeck.

»In dem kein einziger Ton richtig herauskommt«, meinte Drenkenberg.

»Die Herren befinden sich im Irrtum«, blickte Padderow wiederum entrüstet im Kreise umher; »meine Huldigung wird den Ihrigen nicht nachstehen in bezug auf Zartheit und Poesie... ich werde ihm auf der Baßtuba »Heil dir im Siegerkranz« vorblasen, das spricht zum Herzen und ist außerdem noch patriotisch.«

»Hahahaha!« lachte die Gesellschaft auf.

»Ha... ha!« kam der alte Graf wie ein eingeschlafenes Echo hinterher.

»Worüber lachen die Herren?« fragte Padderow mit einem so aufgedunsenen Gesicht, daß eine Mimik gar nicht mehr möglich war.

»Du willst dir wohl einen Scherz mit uns machen?«

»Wie kommst du denn zur Bußtuba?«

»Padderow und musikalisch ... hahaha!«

»Herr Zieme... bitte schicken Sie zum Trompeter Stolzenburg und lassen Sie die Tuba holen!« sprach der dicke Leutnant; »ich werde die Zweifel dieser Herren durch das Faktum niederschmettern.«

Herr Zieme gehorchte und nach Verlauf einer Viertelstunde langte das Instrument an.

»Ich bitte die Herren, mir zu folgen«, stand Padderow, es unter den Arm nehmend, auf.

»Wird es denn auch gehen?« fragte Nasewitz leise.

Aber Padderow, im Gefühl seiner Unfehlbarkeit, sah ihn nur mit einem Blick voll unendlicher Hoheit an und schritt dann den anderen voraus aus der Weinstube.

»Komm, alter Graf«, rüttelte Rührbrägen den fest Schlafenden empor.

»Ist es denn schon sieben?« fragte dieser, sich mühsam auf die Beine stellend.

»Freilich... du mußt in den Dienst.«

Dann führte ihn Rührbrägen, wie einen blinden Mann, den Vorangehenden nach.

Nach wenigen Minuten stand man wieder unter Plustras Schlafgemach und bildete eine anmutige Gruppe.

Um halb zwei war der glückliche Graf zu Bett gegangen, um zwei hatte man ihm das Ständchen gebracht, um halb drei war Rührbrägens Flötensolo sanft erklungen, und jetzt war es einviertel auf vier.

Padderow, im Bewußtsein seiner Würde und Sicherheit, klemmte die Tuba zwischen die Knie, bog seine Lippen zum Mundstück etwas hinab und suchte das Embouché.

»Eins... zwei... drei... vier!« taktierte Rührbrägen. Padderow pustete, aber es gab keinen Ton.

»Weshalb pausierst du denn so lange?« fragte Nasewitz.

Padderow pustete noch einmal, aber es gab wieder keinen Ton.

»Oho... fall' nur nicht um!« hielt Rührbrägen den alten Grafen fest; »eins... zwei... drei... vier!«

»Du spielst zu leise«, sagte Drenkenberg; »man hört ja gar nichts ... das dicke Ding muß doch lauter gehen.«

Padderow ärgerte sich, pustete zum drittenmal und brachte jetzt richtig einen Ton heraus, der ungefähr klang, als wenn ein Hund eine Katze sieht.

»Donnerwetter!« schüttelte sich Drenkenberg, als hätte jemand mit nassem Finger an die Scheiben gequietscht.

Der alte Graf stieß in seinem Dusel mit dem rechten Fuß, als wollte er etwas fortjagen.

Padderow hatte jetzt seine ganze Kraft zusammengenommen und brachte fünf bis sechs klägliche, ineinander verschwommene Töne zum Vorschein.

»Au«, sagte der alte Graf, der Leibschmerzen davon bekam.

»Das scheint ein Misere« zu werden«, meinte der musikalische Rührbrägen.

»Aber was macht Ihr denn, großer Künstler?« lächelte Nasewitz.

Padderows Ehrgefühl wurde wieder angeregt und er pustete zum viertenmal, was die Lunge hergeben wollte.

Kaum hatte er aber das neue Tongemälde heraus, als oben das Fenster klang und eine weiße Gestalt in demselben sichtbar wurde.

»Wollen die verdammten Köters wohl weg!« schalt Graf Plustra mit schon bedeutend heiserer Stimme; »ich habe noch kein Auge zugetan bis jetzt!«

Dann goß er als Abschreckungsmittel ein Glas Wasser heraus, das der alte Graf gerade ins Gesicht bekam, und zog sich aus dem Fenster zurück.

»Schwerenot, das regnet ja!« schreckte Schwülenberg aus seinem Schlaf empor.

»Ihr habt Eure Sache vortrefflich gemacht«, spottete Drenkenberg; »es gehört doch ein bedeutendes Talent dazu, so täuschend einen Hund nachzuahmen.«

»Aber eine Katzenmusik hättest du ihm doch nicht bringen sollen«, tadelte der lange Sponeck.

»Seht Ihr wohl; das habt Ihr davon!« tuschelte Nasewitz; »weshalb blast Ihr auch das Miserere und nicht ›Heil dir im Siegerkranz‹, das Ihr weit länger geübt habt?«

»Ach... das sollte ja ›Heil dir im Siegerkranz‹ sein«, schämte sich Padderow; »ich kann nur nicht im Stehen... und dann war das alte Ding auch so kalt geworden... dann spricht es immer nicht so gut an.«

Nach dieser letzten Ovation für den jungen Ehemann kehrte man nicht mehr in die Weinstube des jungen Herrn Zieme zurück, sondern jeder begab sich nach Hause, um auszuschlafen. –

Am andern Morgen um dreiviertel auf sechs sah man eine dunkle, in einen Mantel gehüllte Gestalt durch die dunklen, schweigenden Straßen schreiten.

Die Figur war etwas vornübergebeugt und mit dem einen Fuß ging er, als wenn der Stiefel ihn drückte.

»I, wer mag denn das sein?« blickte ihm der Mond neugierig ins Gesicht; »was muß ich sehen... Graf Plustra... wie kommt denn der hierher?« –

Der arme Graf hatte in seinem Rausch des Glücks total vergessen, daß er um sechs Uhr früh in die Bahn müsse; sonst hätte es ihn ein einziges Wort gekostet, um von seinem Rittmeister Urlaub zu bekommen.

Nun aber hatte der Bursche um fünf geklopft und er mußte ohne Erbarmen hinaus in die kalte Winternacht und die feuchte Reitbahn.

Deshalb hatte er auch gestern abend den prophetischen Schauer empfunden, als er an die Stelle kam.

Jetzt dachte er daran, als er an dem öden Platz vorbeiging; aber nun war es zu spät; eine schlechtere Reitstunde hatte es in seinem ganzen Leben nicht gegeben. –


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