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21.

Othello, der Mohr von Venedig

Der verhängnisvolle Tag war gekommen.

In dem Wohnzimmer des Rittmeister Schimmelmann sah es aus wie in einer Schneiderwerkstatt. Auf dem Sofa und den Stühlen lagen Stoffe, Kleider und bunter Flitter herum, und die drei jüngeren Schwestern saßen und stichelten mit einem Eifer, als wenn sie es für Geld täten. Alphonsine, die nur in den Zuschauerraum ging, wollte dasselbe Kleid anziehen, das sie auf Plustras Hochzeit getragen, deshalb hatte sie nichts zu tun, sondern schaute nur den anderen lächelnd zu, oder blickte auch wohl starr nach dem Fenster, als ob ihre Gedanken von etwas sehr Wichtigem in Anspruch genommen würden.

Die flinke, rührige Mama half hier und dort, und als Melusine eben ein Leibchen fertig hatte und sich im Unterröckchen vor den Spiegel stellte, um es anzuprobieren, da trat sie flugs hinter sie, um die Haken in die Ösen zu fügen.

»Mein Gott, wie eng du dir das wieder gemacht hast«, quälte sich die Mutter, daß ihr die kurzen, fleischigen Finger wehtaten; »das kannst du ja gar nicht aushalten, heute abend.«

Das Mädchen stemmte beide Hände auf die vollen Hüften und half auf diese Weise das Mieder zusammenpressen.

»Bitte, nochmal, Mama«, sagte sie; »so ... nun ... siehst du wohl, nun ist der unterste zu.«

In diesem Moment öffnete sich die Tür und das schmunzelnde Gesicht des Rittmeisters Schimmelmann blickte ins Zimmer.

»Nanu!« brummte er, »wie sieht denn das hier aus?« –

Kaum hatte aber die Mutter den rauhen Ton gehört, als sie Melusinen schnell ein Tuch über die bloßen Schultern warf und dann wie ein Pfeil auf ihren Gatten losschoß.

»Was hast du hier zu suchen, Alter?« stemmte sie ihre Arme gegen ihn, um ihn wieder hinauszudrängen; »gleich machst du die Augen zu ... das würde sich schicken ... nicht wahr?«

Und damit verhinderte sie wirklich sein weiteres Eindringen, schloß die Tür und schob den Riegel vor.

»Herrje!« brummte Schimmelmann, nach seinem Zimmer zurücktappsend; »was da nun wohl zu sehen ist ... ja, wenn ich ein Fähnrich wäre ...« –

Die verschiedenen Kutschen fuhren alle nach dem Gasthof zum »Deutschen Hause«, wo man sich ein Zimmer geben ließ, um die Toilette aufzufrischen und noch manches andere zu besorgen, und dann wurde, nach einer oder zwei Stunden, noch einmal angespannt und zu dem Speisehaus der Offiziere gefahren, wo die angekündigten Genüsse sie erwarteten.

Begeben wir uns jetzt ebenfalls dorthin.

Die Fenster der ersten Etage werfen bereits ein strahlendes Licht auf die Straße hinab, wo eine schwarze Masse Neugieriger sich versammelt, um wenigstens in möglichster Nähe des großen Ereignisses zu sein; auf dem alten, häßlichen Flur brennt eine große, schmierige Stallaterne, die Treppe ist ebenfalls hell erleuchtet und auf dem Ruheplatz stehen zwei Lohndiener, welche die Überkleider abnehmen; während ein Unteroffizier von den Dragonern jedem eintretenden Gast einen von Herrn Kajob sauber gedruckten Theaterzettel einhändigt.

Die Räumlichkeiten der oberen Etage sind uns ja wohl noch bekannt; in dem eigentlichen Speisesaal stehen die Stuhlreihen für die Zuschauer, die Flügeltür zu dem, in gleicher Front liegenden, großen Nebenzimmer ist ausgehoben und anstatt ihrer wallt ein etwas krummgetrockneter, von rotangestrichener Packleinwand gefertigter, Vorhang von der Decke herab und verhüllt dem neugierigen Blick noch die bunten Wunder der Bühne.

Neben derselben sind zwei enge Kämmerlein zu Garderoben für die beiden Geschlechter eingerichtet.

Zwischen der Bühne und dem Zuschauerraum bilden acht quergestellte Stühle und ein markierter Stehplatz die Niederlassung für das Orchester.

Es hat eben sechs Uhr geschlagen, und um halb sieben soll die Vorstellung beginnen.

Das Parkett beginnt sich zu füllen.

Die Herrschaften vom Lande sind die pünktlichsten, vielleicht gefiel es ihnen aber auch nicht länger in den kalten, kahlen und unheimlichen Gaststuben des »Deutschen Hauses«.

Als Möhrenstolzens kamen, blickte sich alles neugierig um und begaffte die etwas auffallenden Damen; dann erschien der Justizrat Schölplin nebst Frau und Fräulein Tochter; der Assessor Glutstein nebst Gemahlin, noch manche andere Familie, die uns nicht interessiert, die Offiziere, die nicht mitspielten, der alte Rittmeister Schimmelmann mit Gemahlin und Tochter Alphonsine; der Oberst Hollprägel, dem in der ersten Reihe ein Ehrenplatz angewiesen war, und überhaupt alles, was als Gast zum Fest geladen worden.

Der Buchdrucker Kajob saß mit verschränkten Armen und weisheitsschwangerer Miene auf seinem Rezensentenstuhl, wo er gut sehen und hören konnte, und sammelte sich auf den bevorstehenden Kunstgenuß, und fünf Minuten vor dem Anfang des Stückes erschienen auch die Trompeter mit ihren Instrumenten und in ihrer besten Uniform.

Werfen wir einmal einen schnellen Blick hinter den Vorhang.

Die Bühne war bereits erhellt; der Souffleur Rührbrägen saß mit der damals noch sehr neuen Schlegel-Tieckschen Übersetzung des Othello im Kasten, zu beiden Seiten ein Licht und zur Rechten eine Klingel; aber die Garderoben wollten noch immer nicht ihre Türen öffnen, um das darstellende Personal herauszulassen.

Nasewitz lief bereits in höchster Unruhe umher und klopfte jede halbe Minute an die von innen verschlossenen Pforten. Es war noch fünf Minuten bis halb sieben; eine Probe in Kostüm hatte leider nicht stattfinden können, well die Anzüge eben erst im letzten Moment abgeliefert wurden, und wie leicht war es möglich, daß Fehler oder Irrtümer sich eingeschlichen.

Nasewitz selbst sah vortrefflich aus; er trug ziemlich das historische Kostüm der venetianischen Offiziere damaliger Zeit; rotes goldgesticktes Wams, rote, weite, bis ans Knie reichende Beinkleider, und ein Paar Stulpenstiefel, die er früher zum Parforcereiten gebraucht, seinen krummen Dragonersabel in einer schwarzen, über die Schulter hängenden Schärpe, und einen runden Hut mit zwei langen, weißen Hahnenfedern aus dem Busch seines Dreimasters.

Sein mageres Antlitz war nicht geschminkt und erschien deshalb durch das grell darauf geworfene Lampenlicht äußerst blaß.

»Es schlägt halb, können wir anfangen?« fragte Rührbrägen aus seinem Kasten.

»Nein doch!« rief Nasewitz hinunter; »es steht ja noch kein Mensch hinter den Kulissen ... ich bin in Verzweiflung.«

»Sage 'mal ... ich komme ja wohl jetzt nicht gleich?« tönte da die Stimme des alten Grafen in seinem Rücken.

Nasewitz wandte sich um.

»Menschenkind, wie siehst du aus?« schlug er erstaunt die Hände zusammen.

»Na, wie soll ich denn aussehen?« fühlte sich Schwülenberg beinahe verletzt.

»Das kommt davon, daß ihr euch die Kostüme nicht früher besorgt habt, daß ich sie nicht mehr sehen konnte ... habe ich dir nicht gesagt, du müßtest einen langen roten Talar haben und eine Art von antikem Helm auf dem Kopf?«

»Ja; das hast du mir allerdings gesagt«, entgegnete der alte Graf; »aber wo soll man denn so etwas herbekommen ... das ist nicht so leicht, wie du dir das denkst.«

Sehen wir uns nun einmal den Dogen von Venedig an.

Er hatte sich einen gelbgefütterten Schlafrock umgedreht und mit einen grauen Korde um den Leib zusammengebunden, unter demselben trug er weiße leinene Beinkleider, auf den Füßen rote Pantoffeln, und auf dem sehr unegal gepuderten Kopf, mit einer grauen und einer schwarzen Schnurrbarthälfte einen alten Kürassierhelm mit hohem Haarbusch, wie sie früher waren, und den ihm sein Bruder einmal dagelassen hatte, als er den Abschied genommen.

»Weißt du, wie du aussiehst?« fragte Nasewitz.

»Na?« sah ihn Schwülenberg an.

»Wie dein Bruder, wenn er des Nachts wohin gehen will und sich in der Zerstreuung den Helm anstatt der Mütze aufgesetzt hat.«

»Weißt du, wenn du grob wirst, spiele ich gar nicht!« machte der alte Graf ein ganz böses Gesicht.

Nasewitz lenkte aber sofort wieder ein.

»Ach ... wer wird denn gleich alles übel nehmen«, klopfte er dem Dogen von Venedig freundlich auf die gelbe Schulter; »du bist ganz hübsch ... kannst du denn deine Rolle auch noch?«

»Ja, vorhin konnte ich sie noch ganz gut«, wollte sich Schwülenberg den Kopf kratzen.

»Du ... nicht kratzen«, verhinderte ihn Nasewitz; »du hast so nicht mehr viel Kreide in den Haaren.«

»Aber, wenn du einen immerzu ärgerst«, fuhr Schwülenberg fort; »dann kann einen leicht 'was entfallen ... sage 'mal ... komme ich nun eigentlich gleich ... oder wie ist die Geschichte?«

»Geh nur in die Garderobe zurück, ich werde dich rufen, wenn es Zeit ist«, schob ihn der Fähnrich Jago von der Bühne, welche im nämlichen Augenblick Rodrigo-Klaubert betrat.

»Gott sei Dank, daß Sie da sind, Doktor«, begrüßte ihn Nasewitz; »sind die anderen denn auch fertig?«

»Zu Befehl, Herr Leutnant ... nur Herr von Padderow macht sich noch schwarz«, lächelte der Doktor mit seinen großen, freundlichen Augen, die vorläufig sehr gut zum Geist seiner dämlich vertrauenden Rolle paßten.

»Sie sehen gut aus«, lobte Nasewitz den ähnlich wie er selbst gekleideten Klaubert; »ah, da ist ja auch Brabantio, Desdemonens Vater ... bravo, Sponeck; machst dich vortrefflich in deiner schwarzen Senatorentracht ... nun können wir übrigens anfangen, die erste auftretende Dame kommt ja noch lange nicht ... Rührbrägen ... klingeln!« rief er dann in den Souffleurkasten hinab.

Rührbrägen klingelte, als wenn er einen Toten aus dem Schlaf erwecken wollte, ein lautes Stimmengewirr drang aus der erwartungsvollen Hörerschaft hinter den Vorhang. Der Stabstrompeter klopfte auf sein Notenpult, und die Musik spielte die Ouvertüre zum Kalifen von Bagdad.

»Sage 'mal ... wo ist denn eigentlich mein Palast?« blickte sich der lange Sponeck um, »ich kann mich hier gar nicht ordentlich zurechtfinden.«

»Da links ... hinter der zweiten Kulisse steigst du auf den Stuhl und siehst aus dem Fenster, wenn ich dich aus dem Schlaf rufe ... du weißt doch dein Stichwort?«

»Na, wo werde ich denn mein Stichwort nicht wissen?« fühlte sich Sponeck beleidigt, und trat dann hinter die Kulissen.

»Kommen Sie, Doktor; wir treten zusammen auf!« nahm Nasewitz seinen Gimpel Rodrigo mit in den Hintergrund.

Die Ouvertüre schloß, Rührbrägen klingelte noch einmal, und der steifgetrocknete Vorhang ging mit großen Schwierigkeiten erst auf der einen und dann auf der anderen Seite in die Höhe.

»Ah!« machte das verehrte Publikum.

Die Bühne stellt eine Stadt dar, die ebensogut Hasenbalg wie Venedig sein konnte, aber die Häuser sahen ordentlich natürlich aus, bloß den Turm im Hintergrund hätte ein oberflächlicher Beobachter für einen Baum halten können.

Jago und Rodrigo traten mit wehenden Mänteln und fliegenden Hutfedern aus der hinteren Kulisse auf die halbdunkle Bühne, weil es nämlich im Anfang Nacht sein muß. Jago erzählt seinem Begleiter, daß er den Mohren, ohne rechte Begründung, hasse, daß er ihm nur diene, um ihm Unglück zu bereiten, und endlich, daß Othello in dieser nämlichen Nacht die holde Desdemona aus dem Hause ihres Vaters entführt und sich habe mit ihr trauen lassen.

Der Dialog ging ganz vortrefflich und schien auch den günstigsten Eindruck auf die aufmerksame Zuhörerschaft zu machen.

Mit einem Male hatte aber Rodrigo-Klaubert die holde Melusine erschaut, die hinter den Kulissen stand und ihn ansah, und weg waren, wie fortgeblasen, die Gedanken. Er blickte ängstlich nach dem Souffleurkasten, wo Rührbrägen, mit derselben Ängstlichkeit, nicht gleich die betreffende Stelle finden konnte.

Es entstand eine entsetzliche Pause.

Da öffnet sich geräuschvoll das Fenster in der zweiten Kulisse links, und Sponeck-Brabantio, der nicht recht hören konnte, was auf der Bühne vorging und dem außerdem die Zeit bedenklich lang wurde, ruft mit seinem trocken-blasierten Ton herunter:

»Was ist die Ursach dieses wilden Lärms?
Was gibt es hier?«

Natürlich sofortiger Ausbruch ungeheurer Heiterkeit im Publikum.

Aber Nasewitz benutzt mit schneller Geistesgegenwart die Situation und zu seiner Rolle übergehend, schreit er hinauf:

»Auf! Heraus!
Weckt die schlaftrunk'nen Bürger mit der Glocke,
Sonst macht der Teufel Euch zum Großpapa
Auf, sag' ich, auf!«

Doch Sponeck, den die Überspringung mehrerer Zwischenreden aus dem Zusammenhange gebracht hat, macht eine zweite Pause, um sich erst wieder in seine Rolle zu finden.

Da tritt plötzlich der alte Graf Schwülenberg in seinem gelben Schlafrock und hohem Kürassierhelm aus der Seitenkulisse, zupft Nasewitz von hinten an der Schärpe, und sagt ziemlich laut:

»Hör' 'mal, du wolltest mich ja rufen, wenn es Zeit wäre ... du hast es doch wohl vergessen?«

Abermaliger Ausbruch von Heiterkeit.

»Willst du wohl gleich weg!« flüstert ihm Jago mit dräuender Miene zu; »augenblicklich machst du, daß du fortkommst.«

»Nanu!« sagte der alte Graf ganz laut und böse; »wenn du immer so grob bist, spiele ich gar nicht mehr mit.«

Eine wiehernde Frohsinnsäußerung begleitet den Dogen von Venedig auf seinem Abgange hinter die Kulisse.

»Dies ist Venedig,
Mein Palast keine Scheuer!«

spricht Sponeck-Brabantio von oben herab.

Allmählich kommt der Dialog aber wieder in Gang und die Ruhe wird hergestellt.

Das Publikum erfährt, daß Rodrigo früher die Hand der Desdemona begehrt habe, aber von dem Papa Brabantio abgewiesen sei. Schließlich bequemt sich letzterer auch, nachzusehen, ob seine Tochter wirklich geraubt, stürzt dann mit lautem Weheklagen auf die Bühne, schimpft und flucht, tut seinen Gefühlen so wenig wie möglich Zwang an, schreit nach Fackeln und Vettern, läßt sich ein Schwert oder vielmehr einen Dragonersäbel bringen, erzählt noch, daß das grause Ereignis mit seinem nächt'gen Traum zusammenstimme, bedauert, seine Tochter nicht Rodrigo gegeben zu haben, und eilt dann wütend ab, um den räuberischen Mohren und die pflichtvergessene Desdemona aufzusuchen.

Klaubert weiß aber sehr gut, wo sie steht, und bei Brabantios Worten:

»Wär' sie Euer doch!«

treffen sich unwillkürlich ihre Blicke, dann geht Rodrigo furchtbar freundlich ab.

In Ermangelung einer anderen Straßendekoration bleibt die erste stehen, und Othello tritt mit dem schon früher verschwundenen Jago und Gefolge auf.

Das Erscheinen Padderows als Mohr zwingt die kunsthungrigen Hörer zur erstaunlichen Beachtung und zum Bangemachen. Der alte Schimmelmann wirft einen beobachtenden Seitenblick auf Alphonsine, was sie wohl für ein Gesicht dazu macht.

Als Alphonsine lächelt, lächelt Schimmelmann auch.

Othello sah aber auch wirklich prachtvoll aus.

Sein Gesicht ist schwarz wie Ruß und das Weiße der Augen glänzt unheimlich aus dem dunklen Kopf. Von den breiten Schultern wallt ein weißes Bettlaken herab, das auf die Erde schleppt, unter demselben gewahrt man einen blinkenden Küraß von dem Bruder des alten Grafen Schwülenberg, enge weiße Lederhosen und hohe Kanonenstiefel mit mächtigen Anschnallsporen, obgleich Othello kein Kavallerist, sondern ein Seeheld ist. – Auf dem Haupte sitzt ein Dragonertschako, von welchem Hahnenfedern wallen, und an der linken Seite ist der Säbel so so tief an seiner Koppel herabgelassen, daß der Griff beinahe auf die Dielen klopft. Unter dem Küraß trägt er ein kurzes rotes Wams von Futterkattun mit dicken Streifen von Goldpapier besetzt.

Da Othello und Jago ihre Rollen vortrefflich können, geht die Szene ohne Anstoß, Leutnant Cassio-Strammin mit einem anderen Trupp gesellt sich zu ihm, und zuletzt erscheint der wütende Brabantio mit seinen Leuten, der den Mohren merkwürdigerweise auf der Straße und nicht in seiner Wohnung sucht.

Othello treibt sich aber, noch weit merkwürdigerweise, zwei Stunden nach seiner Vermählung, in seiner Hochzeitsnacht auf dem Markusplatz herum, wo er entschieden gar nichts zu suchen hat, und noch obenein im Küraß und vollem kriegerischen Schmuck.

»Es ist Brabantio – faßt Euch, General! –
Er sinnt auf Böses!«

sagt ihm Fähnrich Jago.

»Holla! Stellt Euch hier!«

schreit Padderow, daß alle Damen im Parkett aufkreischen; dann fordert Desdemonens Vater seine Begleiter auf, den Mohren niederzuhauen.

Doch Othello bückt sich tief zur Erde hinab, um seinen Säbel zu fassen, reißt ihn mit einer wilden Bewegung aus der Scheide und beginnt dann Rad damit zu schlagen, wie es den Dragonern gelehrt wird, um einen verfolgenden Feind abzuhalten.

Wie der Wind stäuben Brabantios und auch Othellos eigene Leute vor der schwingenden Waffe zurück, und als dem Sieger endlich vom langen Drehen die Finger wehtun, steckt er den Säbel wieder ein und hört seines unfreiwilligen Schwiegervaters grause Schimpferei mit einer Ruhe und Würde an, die ihm Schimmelmanns vollste Bewunderung einträgt.

»Das ist ein Mann, Alphonsine ... wie?« flüsterte er seiner Tochter zu.

Und als diese lächelt, lächelt er auch.

Endlich Hort Brabantio auf zu schimpfen und eilt nach dem Dogenpalast, um Othello zu verklagen, der ihm mit höchstem Anstand dahin folgt.

Da keine Maschinerien zur Verwandlung da sind, fällt der Vorhang, bis die neue Dekoration zurechtgeschoben ist.

Als die Gardine sich wieder mühsam emporquält, erblickt das erstaunte Publikum den Dogen mit den Senatoren an einer langen Tafel, im großen Saale des Palastes.

Der alte Graf präsidiert der Sitzung in dem beschriebenen Kostüm und den hohen Kürassierhelm auf dem Kopf.

Zuerst kommt eine sehr zusammengestrichene Szene, die recht gut geht, und dann treten Othello, Brabantio, Jago, Rodrigo und Gerichtsdiener auf.

Sowie Schwülenberg-Doge seines Feldherrn ansichtig wird, begrüßt er ihn höflich in gewandter Rede folgendermaßen:

»Tapferer Othello, Ihr müßt gleich in's Feld
Wider den allgemeinen Feind, den ...«

Hier stockt der alte Graf und besinnt sich.

»Den Türken!« schreit Rührbrägen aus dem Souffleurkasten.

Der alte Graf besinnt sich noch immer.

»Den Türken!« ruft Rührbrägen so laut, daß es alle Zuschauer hören.

»Ist nicht wahr!« wird Schwülenberg böse; »vorher hießen die Kerls anders ... Otto ... Otto ...«

»Manen!« flüstert ihm Nasewitz zu, um die Sache wieder ins rechte Gleis zu bringen.

»Na, siehst du wohl ... Ottomanen«, wendet sich der Doge mit ernstem Vorwurf an den Souffleur ... »Du willst mich wohl irr machen?«

Das Publikum vergnügt sich wundervoll.

Dann nimmt Schwülenberg seine Rede wieder auf, heißt den Senator Brabantio willkommen und sagt ihm, sein Rat und Beistand hätten ihm gefehlt, obgleich er ihn bloß brauchte rufen zu lassen, um ihn zuhaben, wenn anders es nicht Brabantios Senatorenpflicht war, von selbst zu erscheinen.

Trotz der höflichen Anrede des Dogen läßt Desdemonens Vater aber Staatsgeschäfte Staatsgeschäfte sein, bekümmert sich den Teufel um den auf den Nägeln brennenden Türkenkrieg, vergißt, daß die venetianische Flotte noch in dieser Nacht nach Cypern segeln soll, sondern fängt sofort an, dem Dogen sein Familienunglück vorzujammern und um Bestrafung des Mohren zu bitten.

Der gutmütige Regent der Republik läßt ebenfalls die Staatsgeschäfte liegen, hört Brabantios Schimpferei geduldig an, schickt nach Desdemona, und fordert Othello auf, sich von der Beschuldigung zu reinigen, daß er die schöne Senatorentochter durch Teufelskunst und Zauberei gewonnen.

So einfältig abergläubisch konnte nur das naive Mittelalter sprechen; Othello aber, der seiner Zeit voraus war, hält eine wundervolle Verteidigungsrede:

»Sie liebte mich, weil ich Gefahr bestand;
Ich liebte sie um ihres Mitleids willen;
Das ist der ganze Zauber, den ich brauchte.«

Die Liebe wird nicht erweckt durch einen Trunk, der in den Magen fließt, sondern durch das süße Wort, das ins Herz dringt.

Gerade in dem Moment, wo Othello fertig ist, kommt Desdemona wunderbarerweise im langen bräutlichen Gewände.

Wo sie ein solches in der Eile herbekommen, als Othello sie bei nächt'ger Weil' entführt, ist schwer zu finden; denn vorrätig hat man doch solche Sachen nicht. Wenn sie aber wirklich einen Juden in der Merceria herausgetrommelt und das fertige Kleid von ihm erstanden, so ist es noch unbegreiflicher, daß sie den bräutlichen Schmuck noch nicht abgelegt. Man mußte sie sich doch im Bett denken, als sie gerufen ward, oder in weißem Nachtgewand, des Gatten wartend. – Höchst wunderbare Hochzeitsnacht! – Othello läuft in kriegerischer Rüstung auf dem Markt spazieren, obgleich er noch keine Ahnung vom Türkenfeldzug hat, und Desdemona läßt sich von ihren Frauen nicht entkleiden, sondern bleibt ebenfalls in der Hochzeitsuniform. –

Daraus konnte ja gar nichts Vernünftiges werden, und deshalb ward auch nichts daraus. Desdemona-Melusine bestätigt mit der ihr angeborenen Heiterkeit Othellos Aussage, der Vater gibt das Paar notgedrungen zusammen, Rodrigo-Klaubert tritt unwillkürlich einen Schritt hervor, um es zu verhindern, wofür ein schneller Blick ihm lohnt, die Staatsgeschäfte werden endlich wieder aufgenommen und Othello der Befehl erteilt, noch diese Nacht zu segeln.

»Heut nacht, mein Fürst?«

fragt Desdemona schüchtern.

Das Wort erinnert den kriegerischen Othello daran, daß er verheiratet sei und er führt sein junges Weib ab, indem er ihr sagt, daß nur ein Stündchen für die Liebe und anderen häuslichen Geschäfte bliebe; sie müßte also ihre Zeit benutzen.

Rodrigo-Klauberts Augen glühen, als der Mohr Desdemonen bei ihm vorbeiführt, und er macht einige Schritte, um ihnen zu folgen; aber Nasewitz-Jago, der einen großen Auftritt mit ihm hat, holt ihn zurück, hört dann Rodrigos Geständnis an, daß er Desdemona liebe, gibt ihm den Rat, alles zu Geld zu machen, als venetianischer Offizier sich dem Zuge nach Cypern anzuschließen und dort in stiller ländlicher Einsamkeit Desdemonens Liebe zu gewinnen.

Als Rodrigo wieder hinter die Kulissen tritt, belohnt ihn abermals ein holder Blick für seine Liebe, um derentwillen er nahe daran war, sich zu ersäufen, was man in Venedig so bequem haben kann.

Jago bleibt allein auf der Szene, erzählt in hübschen Jamben dem Publikum, daß er ein nichtsnutziger Bube ist, und geht dann unter rauschendem Beifall ab.

»Nicht wahr, Herr von Padderow sah prächtig aus!« wendet sich der alte Schimmelmann an seine Tochter.

Alphonsine lächelt, und der Rittmeister lächelt ebenfalls.

»Pfui; der Herr von Nasewitz ist ja ein ganz abscheulicher Mensch!« sagte die kleine natürliche Mama.

Der erste Auftritt ist zu Ende. –

»Er meint es nicht so«, wendet sich Alphonsine zu ihr.

Den zweiten Akt können wir kurz fassen.

Er beginnt am Hafen von Cypern. Der würdige Statthalter Montano-Strollpitz wartet mit mehreren Edelleuten auf die Ankunft der siegreichen venetianischen Flotte.

Dann kommt Cassio-Strammin, den ein Sturm vom Mohren getrennt hat, und gleich darauf Desdemona, Emilia-Euphrosine, Jago und Rodrigo.

Cassio ist äußerst höflich gegen die Frau seines Generals und küßt ihr mehrmals die Hand. Jago bemerkt es und beschließt, Othello tödliche Eifersucht ins Ohr zu gießen. Rodrigo-Klaubert empfindet sie bereits infolge eigener Anschauung. Desdemona-Melusine bemerkt es sehr wohl und lächelt schelmisch.

Dann kommt Othello auf die Bühne gestürzt, freut sich furchtbar, sein junges Weib wiederzusehen und schickt dann seinen Fähnrich Jago nach der Bucht, um die Bagage ans Land zu schaffen. –

Wenn Jagos Liebe zum Mohren dadurch nicht vermehrt wird, kann man es ihm eigentlich so übel nicht nehmen. In Venedig benutzt ihn Othello als Laufburschen, fordert seine Frau Emilia zu Desdemonens Bedienung, und jetzt schickt er ihn als Hausknecht zur Bucht, um das Gepäck zu besorgen.

Das hätte auch einen weniger galligen Menschen geärgert, als Jago einer war.

Alsdann veranstaltet der Fähnrich die Trinkszene, um Cassio bei Othello unbeliebt zu machen und an seine Stelle zu kommen.

Cassio-Strammin wird mit wunderbarer Schnelligkeit so rasend betrunken, daß er mit Rodrigo-Klaubert Zank anfängt und ihn mit gezogenem Säbel auf die Bühne treibt.

Der würdige Montano-Ströllpitz tritt dazwischen und will Cassio besänftigen; dieser dringt, seiner Rolle gemäß, auf ihn ein, da er jedoch im Leben Fähnrich und Ströllpitz Premierleutnant ist, so sind seine Angriffe schüchtern lau und so respektvoll, daß eine Verwundung des Statthalters Montano kaum denkbar erscheint.

Ströllpitzens kriegerische Natur sträubt sich überhaupt gegen das Gefühl, von Cassio-Strammin besiegt zu werden, sondern haut so wütend auf ihn ein, daß dieser ganz ängstlich hinter die Kulissen flüchtet.

Unterdes kommt Othello, durch die Sturmglocke geschreckt, auf die Bühne und erkundigt sich, was los ist.

Montano-Ströllpitz antwortet nicht, sondern macht nur ein furchtbar wütendes Gesicht.

»Er blutet«, hilft der mit allen Rollen vertraute Nasewitz; »er traf ihn tödlich.«

»Pah! – Fällt mir gar nicht ein!« ruft der mannhafte Montano; »im Gegenteil, ich habe ihm eins über den Knebel gegeben.«

Jago schiebt den würdigen Statthalter hinter die Kulissen, damit er nicht noch mehr Unsinn mache und erzählt den Hergang, wie er wirklich sein soll; Othello wird wütend und degradiert Cassio von seiner Leutnantsstelle; dann geht er wieder zu Bett, und Jago bleibt, wie gewöhnlich, zurück, dem Publikum zu erzählen, was er ferner für Bübereien ausführen wollte.

Damit endet der zweite Akt.

Im dritten Aufzug kommt nun die große Szene, in welcher Jago dem Othello das entsetzliche Gift der Eifersucht ins Ohr träufelt.

Als der Mohr mit seinem Fähnrich auftritt, verläßt Cassio eben die Desdemona, bei welcher er um Wiedererlangung seiner Leutnantsstelle vorstellig wird, und Jago äußert, daß ihm das nicht gefalle.

Gleich darauf bittet Desdemona ihren Gemahl in förmlich aufdringlicher Weise für Cassio, und Othello verspricht ihr auch zuletzt, um sie los zu werden, dem Cassio Gnade und Verzeihung wieder zuzuwenden.

Jago bleibt nun mit Othello allein und die berühmte Eifersuchtsszene beginnt.

Padderow hatte bis jetzt so vortrefflich gespielt, daß Nasewitz nicht die geringste Besorgnis mehr für ihn empfand und sich darauf freute, gerade diesen Schwerpunkt des Stückes recht schön zur Geltung zu bringen.

Jago spielt ausgezeichnet; langsam ... Tropfen für Tropfen gießt er dem Mohren das zerstörende Gift durch das Ohr in die Seele, und nach jedem Tropfen beobachtet er mit schadenfrohem Blick die Wirkung.

Othello fängt erst leise an zu zittern; als jedoch Jagos Gründe stärker werden, unterläuft sein Auge mit Blut, und der ganze Körper zuckt zusammen, wie unter den Bissen eines Skorpions.

»Den Vater trog sie, da sie Euch geehlicht!« sagte Jago mit leiser, scharfer Stimme.

»Ja wohl ... das tat sie!«

schlägt sich Padderow mit dem schwarzen Handschuh vor die Stirn und wischt die Farbe ab.

»Nun folglich:
Sie, die so jung, sich so verstellen konnte,
Daß sie des Vaters Blick mit Nacht umhüllte,
Daß er's für Zauber hielt – doch scheltet mich –
In Demut bitt' ich Euch, Ihr wollt verzeihen,
Wenn ich zu sehr Euch liebe.«

Aber Padderow, der bis jetzt so vortrefflich spielte, antwortet nicht, sondern blickt starr auf einen Punkt im Publikum.

»Ich bin dir ewig dankbar!«

ruft Rührbrägen aus dem Souffleurkasten hinauf.

Aber Padderow spricht es nicht nach, sondern fährt fort, auf einen Punkt zu starren.

»Sprecht doch weiter!« flüstert Nasewitz ihm zu.

Kein Ton ... im Zuschauerraum beginnt es unruhig zu werden.

Jago versucht seinen Feldherrn zu kitzeln, aber der Küraß macht ihn unempfindlich dagegen.

»Ich seh', dies bracht' Euch aus der Fassung.«

spricht Nasewitz sein nächstes Stichwort weiter.

»Ja ... furchtbar!« stöhnt Othello; »ich kann kein Wort mehr reden.«

Rührbrägen wird ganz wild unten in seinem Kasten.

»Das ist ja falsch!« ruft er hinauf.

»O gar nicht! gar nicht!«

muß es heißen.

Padderow läßt sich nicht im mindesten darauf ein.

Ein allgemeines Summen geht schon durch den Saal.

»Ich glaube, er sieht dich an«, tuschelt Schimmelmann seiner Tochter ins Ohr; »hinter uns sitzt Plinker; sollte er auf den eifersüchtig sein?«

Alphonsine lächelt.

»Ah!« lächelt auch der Rittmeister still in sich hinein; »der Padderow hat nichts zu befürchten ... die ist ihm treu wie Gold.«

»Feldherr!« schreit Nasewitz den Mohren an; indem er ihn höchst unsanft auf das linke Elsterauge tritt.

»Ich seh', Ihr seid bewegt!«

»Ja!« schreit nun auch Othello los; »ich sag' Euch, furchtbar ... die Pest auf den verdammten Kerl!«

»Oh weh!« denkt Nasewitz; »er fällt ja ganz und gar aus der Rolle ... er bringt den ganzen Charakter um ... es scheint, als ob ich ihn verwirre ... ich glaube, es ist am besten, ich kürze die Szene ab und gehe:

»Lebt wohl, mein gnäd'ger Herr!«

Kaum hat jedoch Jago einen Schritt von ihm gemacht, als Padderow sich ängstlich an seinen Arm klammert.

»Um Gotteswillen, nehmt mich mit, Edler von Knelling«, flüstert er ihm zu; »laßt mich nicht hier allein ... ich kann das Gesicht von dem verdammten Kerl nicht vertragen.«

»Aber, was fällt Euch denn ein, Padderow«, will Nasewitz ihn zum Bleiben bewegen; »Ihr habt ja noch die große Szene mit Desdemona ... wenn Ihr Euren Abgang gut macht, werdet Ihr unzweifelhaft gerufen.«

»Ich will aber gar nicht gerufen werden«, hält sich Othello dicht an seiner Seite; »wenn der Kerl nicht weggeht, betrete ich die Bühne überhaupt nicht mehr.«

»Aber von was für einem Kerl redet Ihr denn immer ... ich verstehe Euch gar nicht.«

»Der verdammte Jude, der Mosis Mosner steht da hinten im Parkett ... ich bin ihm zweihundert Taler schuldig ... er ist imstande, mir das zuzurufen und mich öffentlich zu blamieren.«

»Tut mir den Gefallen und bleibt, Padderow«, steht Nasewitz; »das Stück ist bis jetzt so gut gegangen, laßt es uns doch noch gut zu Ende bringen ... und dann bedenkt, was alles davon abhängt ... welche Hoffnungen wir auf das Gelingen gebaut haben ...«

»Sieh' 'mal, wie sie zusammen tuscheln«, sagt die kleine Mama zu ihrer Tochter; »nun verleumdet der alte Nasewitz die Melusine noch einmal ... weißt du, das finde ich gar nicht hübsch von ihm.«

»Padderow; ich beschwöre Euch beim Bart Eures Großvaters«, drang Jago weiter in ihn; »bleibt, und ich verpflichte mich, den Juden sofort zu entfernen.«

»Wollt Ihr das wirklich, Nasewitzer?«

»Ich verpfände Euch mein Haupt, erlauchter Herr!«

Das schien dem tapferen Othello zu genügen; denn er wandte sich wieder der Bühne zu.

»Denkt nur, ich war zu emsig in der Furcht,
Und haltet sie für treu, mein edler Feldherr«,
nimmt Jago seine Rolle wieder auf.

»Sorg' nicht um meine Fassung!«

sagt Othello.

»Noch einmal nehm' ich Abschied.«

Damit entfernte sich Nasewitz mit wallender Feder, und der Mohr blieb allein auf der Bühne.

Obgleich er aber zu Jago gesagt hatte: »Sorg' nicht um meine Fassung«, so war es mit derselben doch noch ziemlich schwach bestellt.

Er trat zwar vorn an die Lampen, aber anstatt seine große Rede zu sprechen, wandte er keinen Blick von Mosis Mosner, als wenn dieser ihn gebannt hätte.

Jetzt sah er Nasewitz im vollen Kostüm unbemerkt hinter das Auditorium schleichen und zu dem unbewußten Störenfried herantreten. Von dem Grundsatz ausgehend, daß man gegen eine gewisse Klasse von Juden nur rücksichtslose Grobheit anwenden dürfe, machte er ihm mit leiser Stimme, aber in sehr verständlichen Ausdrücken, Vorwürfe, daß er es wage, seinen Schuldner bis in die Gesellschaft hinein zu verfolgen.

Padderow atmete auf, aber er redete noch nicht; das Publikum hielt sein langes Schweigen für Seelenkampf.

Nasewitzens Bewegungen wurden heftiger, und der Jude schien ebenso aufgeregt dagegen zu sprechen; endlich, endlich, bequemte er sich, nachzugeben und den Saal zu verlassen.

Padderow atmete tief und erleichtert auf, und in demselben Augenblick kehrte er auch wieder zu seiner Rolle zurück und ereiferte sich mit weithallender Stimme:

»Das ist ein Mensch von höchster Redlichkeit
Und kennt mit wohlerfahr'nem Sinn das Treiben
Des Weltlaufs.«

Kaum hatte er jedoch die Worte gesprochen, als Mosis Mosner auf der Türschwelle sich noch einmal umkehrte und im schönsten Mauschelton ausrief:

»Sehen Se woll, Herr Leitnant, was hat gesagt der Herr von Padderow ... ich bin ein Mensch von höchster Redlichkeit ... werde ich doch nicht kommen hierher, um ...«

Die letzten Worte verhallten aber bereits ungehört, weil ihm Nasewitz einen so mächtigen Schupps gegeben hatte, daß er bis mitten ins Nebenzimmer flog, und als das erstaunte Publikum sich umwandte, war auch Nasewitz bereits verschwunden und niemand wußte eigentlich, was losgewesen war.

Nach zwei Minuten war die Ruhe wiederhergestellt, namentlich weil der erleichterte Padderow seinen großen Monolog mit wunderbarer Verve zu Ende brachte.

Dann folgt die Schnupftuchsszene mit Desdemona, darauf eine neue große Szene zwischen Othello und Jago, in welcher Padderow seinen Freund Nasewitz beinahe erwürgt hätte, dann fordert der Mohr das Taschentuch von seiner Frau, und, weil sie es nicht hat, bricht die Eifersucht in hellen Flammen aus.

Zum Schluß des dritten Aufzuges kommt dann das Getändel zwischen Cassio-Strammin und Bianca-Cölestine, das beiden Gelegenheit gibt, sich mehr als einmal freundlich anzuschauen.

»Aber, wie kann man nur so sein!« tadelt die kleine Mama Schimmelmann mit verschämtem Blick.

Über den vierten Akt können wir schnell hinweggehen.

Othellos Eifersucht nimmt immer mehr überhand, und er beschließt, Desdemona zu töten.

Ludovico-Klötersdorf kommt als Gesandter des Senats aus Venedig und bringt dem Mohren einen Brief, laut welchem er ohne allen Grund, trotz des glänzenden Seesieges über die Türken, seines Amtes entsetzt, und Cassio zu seinem Stellvertreter ernannt wird.

Dann kommt die von Nasewitz gedichtete und eingelegte Szene zwischen Ludovico-Klötersdorf und Emilia-Euphrosine, die beide in eine freundschaftliche Beziehung zueinander bringt.

Es ging alles so vortrefflich, daß der geplagte Regisseur in Wonne schwamm und sich den schönsten Hoffnungen für die Zukunft hingab.

Manche Rollen waren zwar nicht richtig aufgefaßt, aber das Publikum verstand es nicht besser und zeigte sich deshalb dankbar und zufrieden.

Namentlich Desdemona-Melusine war durchaus nicht vom Geist ihrer Aufgabe durchdrungen. Im Anfang kleidete sie allerdings die Heiterkeit ganz gut; späterhin aber, als sie Othellos Eifersucht erwachen, als sie sich beleidigend und schlecht von ihm behandelt sieht, verändert sie sich nicht im mindesten, sondern wo sie den verliebten Rodrigo-Klaubert nur irgend erschauen kann, blickt sie verstohlen nach ihm hin, und ihr Gesichtchen spiegelt die Herzensfreude wider, die sie empfindet. Dadurch büßte sie natürlich ihre Sympathien ein, und Othello gewann, was sie verlor.

Rodrigo-Klaubert war nun vollends aus dem Häuschen, so daß er kaum mehr wußte, was er tat, und immer auf die Bühne gelaufen kam, wenn er gar nicht hingehörte.

Der fünfte Akt beginnt.

Desdemona, nachdem sie sich im vorletzten Akt von Emilia hat entkleiden lassen, liegt im Hintergrunde in einem halbverhangenen Bett.

Die kleine Mama kann seit der Entkleidungsszene gar nicht mehr die Augen aufschlagen, und Schimmelmann meint ebenfalls, daß so etwas nicht schicklich sei.

Das übrige Publikum findet es reizend und macht lange Hälse, um noch mehr zu sehen.

Da tritt Othello auf, im weißen Mantel, diesmal ohne Küraß, ein Wachslicht in der Hand.

»Tu' aus das Licht, und dann – tu aus das Licht!«

Nachdem er die Kerze gelöscht, tritt er an das Bett der schlafenden Desdemona.

»Pflück' ich deine Rose,
Nie kann ich ihr den Lebenswuchs erneu'n,
Sie muß, muß welken! dufte mir vom Stamm.«

Damit beugt er sich über sie und küßt sie scheinbar.

»Ach, bitte, Herr von Padderow, nicht schwarz machen!« kichert die kleine Melusine.

»Nein, das ist aber doch zu toll«, errötete die kleine Mama; »solche Sachen...«

»Ja, wenn's noch Alphonsine wäre«, denkt Schimmelmann; »aber so...«

»O, würz'ger Hauch, der selbst Gerechtigkeit
Ihr Schwert zu brechen zwingt! - Noch einen! einen!«

Rodrigo-Klaubert, der zusieht, will vor Eifersucht aus der Haut fahren.

»Alter, das geht nicht... da mußt du dich ins Mittel legen«, kneift die Mama ihren Gatten in den Arm.

Desdemona erwacht, Othello verkündet ihr, daß sie sterben müsse; der Mord geschieht, ein Angstschrei dringt durch den ganzen Zuschauerraum; Emilia kommt zeterschreiend ins Zimmer... der Mohr ersticht sich selbst... noch einige Worte und das Stück ist aus.

»Gnädiges Fräulein... hat er Ihnen auch nichts zuleide getan?« tritt Klaubert, nachdem der Vorhang gefallen, zu Desdemona.

Dann sprachen sie einige Minuten sehr freundlich miteinander. –

Die Schauspieler kleiden sich um, schminken sich ab und mischen sich dann wieder unter das Publikum, von dem sie die Anerkennung für ihre künstlerischen Leistungen entgegennehmen.

Nachdem ein Abendessen eingenommen, brechen die Herrschaften vom Lande auf und die Städter folgen bald ihrem Beispiel.

»Na, hast du dich gut unterhalten, Alphonsine?« fragte Schimmelmann beim Nachhausegehen.

»Sehr gut, lieber Papa.«

»Nicht wahr, der Padderow war reizend?«

»Ganz reizend, lieber Papa.«

»Die Sache ist richtig«, schmunzelte der Alte in Gedanken; »sie ist bis über die Ohren verliebt in ihn... na, nun wird er wohl auch Courage bekommen haben... hm... wenn man solche Rollen geben kann... die Alphonsine hätte nur die Desdemona spielen müssen... na, vielleicht ist's so besser... die beiden Fähnriche können hingehen, wo der Pfeffer wächst... meine Alphonsine... haha... wenn die jemals etwas liebt, das unter ihrer Würde ist, dann heiße ich Hans ... da sollte einer meiner Alphonsine kommen, die würde ihm gut...«

Als die vier Schwestern in ihre weißen Betten stiegen, wurde noch viel gescherzt und gelacht, dann aber nahmen sie die bunten Bilder ihrer Anbeter mit hinüber in den nächt'gen Traum.

Wenn Nasewitz das gewußt hätte, würde er noch weit zufriedener eingeschlafen sein, als er es schon tat.


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