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23.

Nachklänge

Nun kam eine recht glückliche Zeit für die Familie Schimmelmann und deren neuen Zuwachs.

Der Alte hatte ein ganz anderes Gesicht bekommen, und es war ihm unmöglich, im Dienst grob zu werden. Manchmal gab er sich förmlich Mühe dazu, aber es gelang ihm nicht mehr, denn wenn er wirklich für einen Augenblick den dicken Schnurrbart wütend unter die Nase geschoben hatte, dann ließ er ihn sofort wieder sinken und lächelte den Dragoner an, den er herunterreißen wollte. Auf der Straße nickte er auch jedem freundlich zu, und wenn er ein kleines Kind sah, dann stackerte er darauf los und klopfte ihm die Backen und fragte, wie es hieße und dergleichen.

Manchmal wurde er aber des Abends plötzlich traurig und meinte, er wäre nun gar kein ordentlicher Soldat mehr, sondern bereitete sich zur Kinderfrau vor, und sein Gedächtnis müßte doch auch bedenklich gelitten haben, indem er nicht bemerkt hätte, daß die vier Herren vier verschiedene Töchter haben wollten. Nasewitz tröstete ihn dann aber damit und meinte, das wäre ja gerade ein Beweis von seiner kernigen soldatischen Natur, daß er gar nichts anderes hätte denken können, als daß die älteste Tochter zuerst verlobt werden müsse.

Der Wachtmeister Klinke, der früher seinen Chef immer in der Wut kopiert hatte, tat es jetzt natürlich auch in der Liebe, obgleich es ihm im Anfang recht schwer wurde. Zuletzt machte es sich aber schon recht niedlich, und wenn der Alte schmunzelnd voranging, dann schmunzelte er mit demselben Stillvergnügtsein hinterher.

»Herr; was grienen Sie denn immerzu!« fuhr ihn der Alte manchmal an.

»Ach, der Herr Rittmeister grie... lachen ja auch!« sagte dann der Wachtmeister.

Und dann wurden sie beide noch bedeutend lustiger. –

Die Hochzeiten von Nasewitz, Klötersdorf und Strammin fanden in möglichst abgekürzter Frist an einem Tage statt, weil die Väter einesteils ihre Einwilligung nicht versagten und sie andernteils so wohlhabend waren, daß sie den nötigen Zuschuß ohne Schwierigkeit leisten konnten.

Das Festdiner fand natürlich im Speisesaal der Offiziere statt; nachher reisten aber die drei jungen Paare auf vierzehn Tage zu ihren Eltern aufs Land, weil sie die nächtlichen Konzerte, namentlich aber Solis auf der Baßtuba und Flöte nicht liebten.

Die kleine flinke Melusine, die gerade am wenigsten Talent zum Warten hatte, mußte sich volle drei Jahre gedulden, bis der kleine Klaubert als Bataillonsarzt nach einer anderen Stadt versetzt wurde; dann machte es ihr aber auch ein dreifaches Vergnügen, und sie erzählte jedem Menschen, wie glücklich sie wäre.

Nasewitz und die beiden Fähnriche, die bald nachher Offiziere wurden, dienten noch ein paar Jährchen, nahmen dann den Abschied und gingen mit ihren jungen Frauen auf die Hufe, wo ihre Ehen und ihre Felder reichlich gesegnet wurden.

Joseph ging auch mit und machte es zu seiner Hauptbeschäftigung, die Puten und Hühner aus dem Korn zu jagen. Als er älter und kurzsichtiger wurde, banden ihm Nasewitzens kleine Kinder ein rotes Bändchen um den Hals und spielten Pferd mit ihm.

Der alte Rittmeister Schimmelmann wurde natürlich niemals Major; dazu war er selbst für damalige Zeit zu alt und klapprig geworden.

Eines guten Morgens brachte ihm der Postbote einen blauen Brief, und da wußte er schon, was die Glocke geschlagen hatte.

Er war in Gnaden verabschiedet, mit einer kleinen Pension, Regimentsuniform, dem Titel als Major und dem Roten Adlerorden vierter Klasse.

Wenn nun der gute Nasewitz nicht seine vier Töchter verheiratet hätte, würde es allerdings jetzt übel ausgesehen haben; so aber war es nicht so schlimm.

Er zog mit der kleinen dicken Mama zu seinem ältesten Schwiegersohn aufs Gut und schmunzelte dort bis zu seinem sanftseligen Tode.

Als er aber in Zivilkleidern in der alten gelben Postkutsche aus Hasenbalg herausfuhr, da machte er doch ein trauriges Gesicht, wenn ein altes schiefes Haus nach dem anderen an ihm vorbeihuschte und ihn zum letztenmal ansah aus seinen halbblinden Augen.

Und die Leute, die vor den Türen standen, nickten ihm alle freundlich zu, und die Dragoner wußten nicht, ob sie ihn noch militärisch grüßen oder ebenfalls nicken sollten, und zuletzt wurden dem alten Schimmelmann die Augen ebenso trüb und blind wie den alten Häusern, und er mußte sich von seiner Frau abwenden, damit die nicht sah, daß er weinte.

Damit hatte es aber keine Not; denn die kleine Mama blickte schon eine ganze Weile nach der anderen Seite und wischte sich fortwährend das Gesicht ab, mit demselben Eifer, als wenn sie zu Hause einen Spiegel polierte.

Das war aber das letzte Mal, wo sie weinten. –

Der ritterliche Padderow hatte auch nicht mehr lange unter dem Druck seiner Schulden zu leiden. Ungefähr ein Jahr nach Nasewitzens Hochzeit starb seine Tante und hinterließ ihm ein rundes Sümmchen von fünfzigtausend Talern.

Damit bezahlte er seine Gläubiger bis auf den letzten Pfennig, und als sein Freund Nasewitz den Abschied nahm, folgte er seinem Beispiel und zog nach Berlin. In den heißen Sommermonaten aber besuchte er regelmäßig den Burgherrn von Knelling und plauderte bei einem Gläschen von der guten alten Zeit in Hasenbalg.

In einem modernen Buche soll allerdings gestanden haben, daß Padderow späterhin in einer kleinen Residenz, Schwippe, eine Wurzelberger geheiratet habe; das halten wir aber für eine Erfindung.

Das Schicksal der übrigen Personen, mit denen wir so lange verkehrten, wird von geringem Interesse sein.

Der alte Oberst von Hollprägel bekam trotz seines Alters dennoch eine Division, und als ihm doch zuletzt der alte weiße Kopf zu sehr wackelte, nahm er den Abschied und zog nach dem stillen Hasenbalg, wo er seine letzten Tage verlebte.

Zuletzt trugen sie ihn auf den Kirchhof hinaus, wo auch die Gräfin Plustra ruhte. –

Die arme Frau! Sie genoß nicht lange das Glück, Gräfin zu sein, weil sie den Tod schon im Herzen trug. Als sie geheiratet hatte, wurde sie immer bleicher und bleicher, bis sie zuletzt die Augen zumachte, um sie nicht wieder zu öffnen.

Ihr Gemahl hat nachher noch ein buntes Leben geführt; wie er geendet, wissen wir nicht.

Die Baronin Möhrenstolz zog mit ihren beiden Töchtern nach Berlin und errichtete ein Bureau de Placement – sie soll gute Geschäfte gemacht haben. –

Der alte Graf Schwülenberg wurde zuletzt so zerstreut, daß er doch nicht länger im Dienst bleiben konnte; er nahm deshalb den Abschied und zog zu seinem alten Vater aufs Gut, wo er bald nachher gestorben ist. –

Alles tot, was damals in Hasenbalg lebte.

Aber die alte schiefe Stadt steht noch immer; wenn man mit der Eisenbahn nach Plettin hinauffährt, kann man sie deutlich sehen; den hohen Kirchturm, der unten schwarz und oben rot ist ... das gelbe Rathaus mit der grünen Mütze ... da ... an der Ecke wohnte der Konditor Schlichter ... derselbe Rahmen noch, nur andere Menschen drin, die von den Leutchen unserer Geschichte wohl nur noch wenig wissen. –

Noch fünfzig Jahre weiter, und die Erinnerung ist auch gestorben; alles hinweggespült vom schnellen Strom der Zeit.

Deshalb freut es uns, daß wir noch ein Bild festgehalten haben aus jener alten guten Zeit, und wer unser harmloses Büchlein liest, der schmunzelt vielleicht noch in späteren Jahren über den alten Rittmeister Schimmelmann, der gar nicht so bärbeißig war wie er aussah.


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