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7.

Eine Hofgeschichte

Es war am nächsten Morgen, so zwischen acht und neun.

Der ständige Westwind, der die ganze letzte Zeit kalt über die Felder gestrichen war, schien sich noch nicht aus seinem Bett in der fernen Himmelsgegend erhoben zu haben. Das ewige Klappern, Knarren und Kreischen von den Dächern herab, an das die Hasenbalger so gewohnt waren, wie die Amsterdamer an ihr Glockengebimmel, war verstummt. Die Leute, welche die Straße entlang gingen, wunderten sich ordentlich, daß es so still war, und machten ängstliche Gesichter, ob das auch nicht ein Unglück zu bedeuten habe.

Je näher es gegen neun kam, desto größer wurden die blauen Flecken in den weißen Wolkenmänteln, und zuletzt schaute die liebe Sonne mit ihrem Strahlenantlitz hindurch, als wenn ihr warmes Herz Freude über die ganze Erde verbreiten wollte.

Auf dem Hofe des Brauers Branz, wo der Kessel vorne vor der Tür hängt, schien die Sonne auch schon recht warm und schön. Der Eigentümer selbst, in seinem groben Rock, das schwarze Käpsel schief auf dem linken Ohr, hatte eben alle Stalltüren geöffnet, damit das liebe Vieh auch etwas haben sollte vom warmen Sonnenschein, und die verschiedenen Tiere fingen auch gleich an, ihm dafür zu danken, in ihren verschiedenen Sprachen.

Nur der faule Polko hatte sich die wärmste Stelle auf dem Mist ausgesucht und lag nun auf der Seite, alle Viere von sich gestreckt, die Augen geschlossen, und im Schlaf ein dümmeres Gesicht machend als im Wachen.

Der Brauer Branz war wieder ins Haus gegangen, um nachzusehen, ob vielleicht jemand in der Wirtsstube sei, der einen kleinen Kümmel pfeifen wollte. Die dicke Magd saß breitbeinig auf einem Schemel hinter einer Kuh, die ihr manchmal mit dem Schwanze ins Gesicht schlug, und strullte ihr mit wunderbarer Geschicklichkeit die Milch aus dem vollen Euter. Gründling, der Bursche, stand hinter ihr und sah ihr lächelnd zu und tappschte ihr von Zeit zu Zeit mit seiner harten Hand auf die volle, dralle Schulter.

Drüben aber vor der Tür der Veste Knelling saß Joseph, der Hund, und zog die Nase und kniff und blinkte mit den Augen, weil ihm die Sonne ins Gesicht schien.

Er sah aus, als wenn er eigentlich an gar nichts dächte; denn seine häßlichen Züge waren leidenschaftslos und das rötlichgelbe Haar schmiegte sich so friedlich an seinen langen unschönen Leib, als wenn alle Leidenschaften in demselben erstorben wären.

Da kam aus dem Nachbarhause ein sauberes Kätzchen mit schiefgeschlitzten grauen Augen und krummem Schwanz und schlich mit seinen weichen Sammetpfoten lautlos über die Straße zum Brauer Branz hinüber.

Was den Hunden manchmal an Gehör abgeht, das haben sie dafür desto reichlicher im Geruch; namentlich Katzen wittern sie in ihrer durch nichts begründeten Todfeindschaft in weiter Ferne.

Schon als die schlaue Miez in nichtsahnender Gedankenversenkung aus der Tür des Nachbarhauses getreten war, hatte Josephs linker Nasenflügel eigentümlich gezuckt, als wenn er mit einem unsichtbaren elektrischen Draht in Verbindung stände; als seine Feindin auf der Mitte des Srraßendammes anlangte, geriet die ganze gespaltene Schnauze schon in fieberhafte Erregung, plötzlich aber öffneten sich die müdblinzelnden Augen, die Züge nahmen den Ausdruck tiefsten Hasses an, das rotgelbe Haar sträubte sich wie bei einem Igel empor, dann stürzte er in langen Sätzen und mit wildem, heiserem Wutgeschrei auf die Katze.

Diese hatte aber rechtzeitig und instinktiv die Nähe der Gefahr geahnt; denn kaum hörte sie den Schlachtruf ihres Feindes, als sich ihr ebenfalls das glatte Haar zu Berge sträubte und sie, schnell und lautlos, in dem weiten Torweg beim Brauer Branz verschwand.

In ihrer Eile hatte sie aber den schlafenden Polko nicht gesehen, sondern sprang über ihn hinweg und kitzelte dabei mit ihrem langen Schwanz das dünne Barthaar der gespaltenen Schnauze.

Kaum fühlte diese das feine Kitzeln und den verhaßten Geruch, als er sofort mit dem schiefen Gebiß zuschnappte, dann, als hätte ihn eine Tarantel gestochen, auf die Beine sprang, und der Katze nachraste in den Stall, wo Babieca stand.

Das dicke Tier bekam einen Schreck, stieß einen rülpsenden Ton aus und machte eine schwache Drehung mit dem Schwanz; und eine Sekunde später saß die Katze oben in der Raufe und blickte mit ihren unheimlich funkelnden grünen Augen hinab, und unten, rechts und links von dem breiten Hinterteil des faulen Babieca hockten Polko und Joseph und blickten wütend und zähnefletschend zu ihr empor.

Im ersten Augenblick hatte der eine Hund die Anwesenheit des andern nicht bemerkt; als sie sich aber gegenseitig gewahr wurden, schwoll Joseph förmlich an vor maßlosem Doppelhaß, und Polko zitterte auf der einen Seite vor Kampfeswut, der Katze gegenüber und vor dem Furchtgefühl, das ihm sein Erbfeind, der gelbe Joseph, einflößte.

Babieca stand zwischen den dreien und sah bald rechts und sah bald links und drehte verlegen mit dem kurzen Stummel.

Wenn zwei einander feindlich gesinnte Hunde einer Katze gegenüberstehen, so ist der Haß auf letztere dermaßen überwiegend, daß sie festgebannt sitzen, wie unter dem Einfluß des Basiliskenblickes, und solange dieser seine Wirkung übt, gegen sich selber nichts Feindliches unternehmen.

Die beiden Hunde saßen regungslos wie Statuen, höchstens vier Schritte voneinander entfernt, und blickten mit blutunterlaufenen Augen zu der Katze empor, und wenn diese ab und zu prutschte, dann stießen sie einen häßlichen, quietschenden Ton aus und Babieca drehte verlegen mit dem Stummel.

Da trat Herr von Padderow aus der Hintertür des Hauses.

Er war schon fertig angezogen und trug ein altes Röckchen mit verblichenen Farben, den ehemals steifen Kragen umgebogen und die Ärmel unten blank und fettig vom vielen Liegen auf dem Kneipentisch.

Sein würdiges Haupt bedeckte eine alte Feldmütze ohne Schirm, und das bärtige, dicke Gesicht lächelte so recht froh in den heiteren Morgen hinein.

Nachdem er sich ein Weilchen freundlich umgeblickt und den aromatischen Duft der offenen Ställe eingesogen hatte, setzte er langsam ein dickes Beinchen vor das andere und bewegte sich dem Stalle zu, wo seine Rosse standen.

Als er eintrat, wagte Babieca nicht wie sonst zu wiehern, sondern sah sich nur gekniffen um und drehte etwas mit dem kurzen Stummel.

Polko, der seinen Herrn ebenfalls erkannt hatte, äußerte seine Freude nur dadurch, daß er mit seinem kurzen Schwanzfragment die feuchten Dielen klopfte.

Joseph schnitt dem dicken Leutnant ein Gesicht.

»Was ist denn hier los?« brummte Padderow vor sich hin; »aha ... da sitzt 'ne Katze oben in der Raufe ... na wart', dich will ich ...«

Und damit nahm er den Stallbesen, ging zu Babieca in den Stand und stöckerte mit großer Anstrengung in den Sparren herum.

»He, Katz ... he, Katz!« rief er dabei, indem er ein ganz rotes Gesicht bekam.

Die beiden Hunde stießen einen gemeinschaftlichen Wutschrei aus und fletschten mit den Zähnen.

»Wollt Ihr wohl ruhig sein, Köters«, stöckerte Padderow, auf den Zehen stehend, weiter; »wie kommst du überhaupt hierher, Ungetüm von Joseph! ... He, Katz ... wirst du gleich!«

Jetzt hatte er das geängstigte Tier mit einem scharfen Besenreis empfindlich getroffen, denn es stieß einen wehmütigen Schmerzensschrei aus und lief die ganze Raufe entlang bis in das äußerste Ende des Stalles.

Die beiden Hunde wie ein Wetter hinterher; dann Padderow, allmählich in Schweiß geratend, mit seinem Besen.

»He, Katz ... husch, Katz!«

Und damit kletterte er auf den Futterkasten, um seinen Angriff aus näherer Entfernung kräftiger wirken lassen zu können.

Jetzt wußte das geängstigte hart bedrohte Tier nicht mehr ein noch aus, und wagte einen kühnen, langen Sprung dicht über des dicken Leutnants Kopf hinweg, bis mitten in den Stall hinein.

»Daß dich der Teufel!« fluchte Padderow.

Die Hunde machten beide zu gleicher Zeit kehrt und rasten der Katze nach; auf dem Mist aber rannten sie zusammen und da jeder in seinem wutblinden Eifer den andern für die Katze halten mochte, so fielen sie wie die Rasenden übereinander her und bissen und zausten sich, daß die Haare nur so flogen.

»Ihr verfluchte Bande!« schimpfte Padderow, als er aus dem Stall trat; »wollt Ihr gleich auseinander ...!«

Und damit ergriff er den wutschäumenden Joseph am Schwanz und zog und zog, aber wer nicht losließ, das war eben Joseph.

»Warte, du Bestie, ich werde dich schon kriegen!« prügelte der Leutnant mit dem Besenstiel auf des Hundes Rücken; »willst du gleich ... willst du noch nicht ... ih, dir soll ja die Pestilenz in deinen Kadaver fahren!«

Padderow schlug jetzt so stark, daß es dem dickfelligen Köter doch endlich zuviel wurde; denn er ließ plötzlich seinen Gegner los, kniff den Leutnant mit seinem schiefen Gebiß ziemlich derb in die fleischige Wade und ergriff dann mit eingeklemmtem Schwanz die Flucht.

Polko trottete wie ein betrübter Lohgerber dem Kuhstall zu, um dort seine Wunden zu lecken; Padderow aber, den der Biß schmerzte, humpelte mit hochgeschwungenem Besen seinem Widersacher nach.

»Buh!« machten die Kühe, die verwundert dem Kampfe zugeschaut.

»Böh!« machten die dummen Hammel und die Schafe.

Der Hahn lief mit langen Schritten einer schüchternen Henne nach, und die verjagten Sperlinge flogen auf den Mist zurück und äußerten sich in wunderbarer Zungenfertigkeit über das störende Zwischenspiel.

Als Joseph aus dem Torweg floh, lief er gerade der steifen Käthe zwischen die Beine, auf welcher Schimmelmann eben auf dem Wege nach der offenen Reitbahn war.

Der Rittmeister, der eben freundlich nach Nasewitzens Fenstern emporgesehen hatte, kam durch den ungeschickten Seitensprung des alten Gauls aus dem Sitz, verlor einen Bügel und griff schnell mit der linken Hand nach der Mähne.

In diesem Moment kam Padderow, die Feldmütze tief im Genick, das Antlitz rot und schweißig, mit hochgeschwungenem Besen aus dem Torweg gerade auf Schimmelmann zugerast.

»Nanu ... was fällt Ihnen denn ein?« schrie dieser, mit dem rechten Fuß nach dem verlorenen Bügel angelnd; »wo wollen Sie denn hin? – Halt doch! – Die Käthe überschlägt sich ja!«

Aber Padderow hörte und sah nicht, sondern eilte an seinem Schwadronschef vorüber und verschwand dann in der engen Haustür der Veste Knelling.

»Gott sei mir gnädig!« grunzte Schimmelmann vor sich hin, als er wieder sicher im Sattel saß; »der schnappt wirklich noch über vor Liebe... na, wenn das die Alphonsine wüßte... Herr du meines Lebens!«

Dann klopfte er der dicken faulen Käthe beruhigend den quabbligen Speckhals und setzte seinen Weg nach der Reitbahn fort. –

Nasewitz, der am Fenster gestanden hatte, machte ein ganz verwundertes Gesicht über die Szene, die in der Schnelligkeit ihres Vorübergehens wie aus der Erde hervorgezaubert schien.

»Nanu!« lächelte er dann; »was soll denn das bedeuten? – Der Padderow wird mir doch nicht mit dem Besen zu Leibe wollen, weil er vielleicht meinen Plan entdeckt hat!?« –

Jetzt hörte er aber seinen Busenfreund mit dröhnenden Tritten über die hohlen Dielen des Hausflurs eilen.

»Aha!« dachte Nasewitz; »er läuft nach dem Hof... was will er da? – Muß doch mal ans Hinterfenster treten.«

Padderow hatte unterdes den unglücklichen Joseph bis in den Stall verfolgt, ihn dort in eine Ecke gedrückt und so lange geprügelt, wie er den Arm rühren konnte.

Joseph schrie, als wenn er am Speer steckte, und Nasewitzens langer Schimmel, der ein bißchen nervös war, blickte sich unwillig nach dem unwillkommenen Ruhestörer um.

»Puh!« machte der dicke Padderow, indem er sich schweißtriefend mit seinem Besen in die Stalltür stellte; dem habe ich es gut gegeben... der wird eine Weile an mich denken!«

Diesen glücklichen Moment, wo der Leutnant, ihm den Rücken kehrend, gerade hinter ihm stand, benutzte aber der nervöse Schimmel und schlug, um sich zu rächen, mit beiden Hinterbeinen so geschickt aus, daß er seinen Feind auf dessen weichste Stelle traf, so daß dieser mit weit vorgestreckten Händen von der Schwelle der Stalltür bis mitten auf den Mist flog, wo er auf den Bauch fiel und wie eine tote Padde liegen blieb.

Auf Josephs häßlichem Gesicht glänzte eine teuflische Freude und er leckte nachher dem Schimmel aus Dankbarkeit die Vorderhufe.

»Guten Morgen, erlauchter Herr!« rief jetzt Nasewitz freundlich aus dem geöffneten Hinterfenster.

Padderow antwortete nicht.

»Weshalb machtet Ihr denn eben den Hechtsprung aus meinem Stall heraus?«

»Unsinn!« knurrte Padderow so leise, daß der andere es nicht hören konnte.

»Sollte Euch in Euren jungen Jahren schon der Schlag gerührt haben?« fragte Nasewitz weiter; »da muß man sofort Wiederbelebungsversuche anstellen.«

»Verrückt!« brummte Padderow, dem alle Knochen dröhnten von dem Schlag.

Nach einer Minute kam Nasewitz mit einer vollen Wasserkaraffe ans Fenster zurück, faßte dieselbe mit beiden Händen, zielte lange und bedächtig, und schleuderte dann den Wasserinhalt in hohem Bogen so geschickt, daß derselbe auf Padderows Kopf niederklatschte.

»Donnerwetter! Wer ist das gewesen?« sprang jetzt der Leutnant auf die Beine.

»Ich!« nickte Nasewitz freundlich; »der Himmel sei gepriesen, daß Ihr lebt.«

»Dafür ziehe ich Euch zur Rechenschaft, verräterischer Waffenbruder!« hob Padderow drohend seinen Stallbesen.

»Wofür? – Daß ich Euch das Leben rettete?« fragte der andere mit sanftem Ton.

»Unsinn! – Ich war ja gar nicht tot!«

»Ja ... das hättet Ihr mir doch früher sagen sollen, anstatt mir jetzt Vorwürfe zu machen für meine gute Absicht.«

Padderow machte schon wieder ein gutmütiges Gesicht.

»Kommt herauf zu mir«, sagte Nasewitz; »im trockene Euch ab und dann trinken wir einen Bittern zusammen.«

Padderow lächelte.

»Und dann erzählt Ihr mir, weshalb Ihr aus meiner Stalltür den Hechtsprung gemacht habt.«

»Meinetwegen!«

Und als er nach einer guten Stunde Padderow den Nasewitz verließ, trennten sie sich wie immer als die besten Freunde der Welt.

»Gute, ehrliche Seele!« dachte der dicke Leutnant beim Nachhausegehen; »der ging für mich durchs Feuer ... und ich für ihn.«

»Der alte Schimmelmann sah so freundlich herauf«, schmunzelte Nasewitz, als er allein war; »er hatte also nichts gemerkt von dem untergeschobenen Anbeter ... er ist diese Nacht zufrieden gewesen. – Gott gebe ein ferneres gutes Gedeihen!«


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