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15.

Das Zauberfest bei Rittmeister Schimmelmann

Zehn Minuten vor sieben Uhr stand also die Familie Schimmelmann empfangsbereit in der vordersten Stube.

Der Alte hatte seinen besten Leibrock mit furchtbar hohem Kragen und seine am wenigsten hellen Hosen an und sah so freundlich und glücklich aus, wie man ihn nur selten zu sehen bekam.

Die Mutter trug ein schwarzes, etwas aus der Mode gekommenes Seidenkleid und bewegte sich in demselben so munter und fröhlich, als wenn sie heute ihre Hochzeit mit dem alten Brummbär feierte, und die vier Mädchen, alle gleich und einfach angezogen, machten eben dadurch den wohltuendsten Eindruck.

Alphonsine sah etwas still und gedankenvoll aus, die anderen aber scherzten und kicherten miteinander und schienen ganz selig über das Zauberfest, dessen schönste Zierden sie selber bilden sollten.

»Was trippelt Ihr denn immer 'rum?« wandte sich Schimmelmann zu seiner weiblichen Nachkommenschaft; »stellt Euch hübsch ordentlich in ein Glied, wie sich's gehört ... nach der Größe ... Alphonsine auf dem rechten Flügel ... Melusine auf dem linken ... nun ausgerichtet ... Köpfe in die Höhe ... Brust 'raus ....«

»Aber, Alter, ich bitte dich .... « kopfschüttelte die Mama.

»Und du, Auguste, als etatsmäßiger Major vor die Front«, bekam sie ihr Gemahl beim Wickel, nachdem er die anderen zurechtgestellt und ausgerichtet; »so ... hier bleibst du stehen ... das macht doch einen besseren Eindruck, als wenn alles wie Kraut und Rüben durcheinander läuft .... Melusine, willst du wohl gleich die Hände zurücknehmen ....«

In demselben Moment tönte der erste Schlag der siebenten Stunde vom gelben Rathause, und eine Sekunde nachher trat mit übermilitärischer Pünktlichkeit der Premierleutnant von Kreidefleck ins Zimmer; denn Klingeln gab es damals noch nicht in Hasenbalg, und das Anmelden war nicht Sitte.

Der Mama Schimmelmann begannen sofort die Augen im Kopf zu glänzen und sie betrachtete jede seiner Bewegungen, jeden seiner Blicke ....

»Sollte er es sein ... diese Pünktlichkeit ... diese Ungeduld ...«

Der Premierleutnant von Kreidefleck, der ein Gesicht machte wie ein altgewordener kleiner Junge, der sich auf ein Bilderbuch freut, begrüßte zuerst den ihm entgegengehenden Schimmelmann.

»Gratuliere, Herr Rittmeister«, flüsterte er mit lieblichem Blick und warmem Händedruck.

»Nanu!« dachte der Alte; »der kann doch unmöglich schon wissen....«

»Mein gnädiges Frauchen«, wandte sich Kreidefleck nun an die als etatsmäßiger Major fungierende Wirtin; »ich bin so glücklich, so ... «

»Er ist es«, dachte die Mama, indem sie einen tiefen Knix machte.

»Ich nehme so innigen Anteil an dem frohen Ereignis«, süßlächelte der Premierleutnant weiter....«

»Anteil nimmt er... er ist es nicht«, machte die Hausfrau eine weniger tiefe Verbeugung; »aber, woher kann er denn erfahren haben? ... «

»Meine lieben, gnädigen Fräuleinchens ... allerliebste Toilette ... und die niedlichen Löckchen, die das kleine Melusinchen hat...« dienerte der Premierleutnant die Front herunter.

Der linke Flügelmann, durch die ihm zuteil gewordene Anrede beleidigt, warf den Kopf zurück und machte ein süßsäuerliches Gesichtchen.

Der alte Schimmelmann hatte schmunzelnd die ganze Szene mitangesehen und sich hauptsächlich über seine Frau amüsiert.

Da ging die Tür zum zweitenmal auf, und der Leutnant von Drenkenberg, mit der kleinen, blonden Perücke und dem großen Schnurrbart, trat ein.

»Meinen besten Glückwunsch, Herr Rittmeister«, drückte er, den Alten begrüßend, die Hand und wandte sich dann sofort an die Wirtin.

»Nanu... der auch?« wunderte sich Schimmelmann; »wie ist denn das aber nur möglich?«

»Untertäniger Diener, gnädige Frau«, fuhr Drenkenberg fort; »das war ja, was man sagt, vorauszusehen... habe auch niemals daran gezweifelt... das ganze Offizierskorps war überzeugt davon... ganz gehorsamer Diener, meine verehrten Fräuleins...«

Die vier Mädchen machten einen kalten Knix, weil sie den alten Schwätzer nicht leiden mochten.

»Der ist es auch nicht... Gott sei Dank«, reflektierte die Mama; »der Mensch sieht aus wie 'ne Milchsuppe mit 'nem Schnurrbart... alle Welt scheint aber zu wissen, während ich selbst im Dunkeln tappe... das finde ich wirklich...«

Damit warf sie ihrem noch immer schmunzelnden Gatten einen Blick zu, als wenn sie sagen wollte: »Warte nur, alter Ekel...«

Drenkenberg erzählte den jungen Damen eben eine lange Geschichte, als der Oberst Hollprägel eintrat.

Der Rittmeister ging ihm entgegen, als wenn er eine militärische Meldung machen wollte, die beiden Leutnants stellten sich sofort gerade und setzten Dienstgesichter auf, und selbst die Damen waren so vom soldatischen Geist durchhaucht, daß sie unwillkürlich die Schultern zurücknahmen und ernste, respektvolle Mienen machten.

»Guten abend, lieber Schimmelmann«, reichte Hollprägel seinem Rittmeister die Hand; »ich erscheine mit Vergnügen auf Ihrem Zauberfest... schönen guten Abend, verehrte Frau...«

»Der gratuliert nicht«, reflektierte Schimmelmann; »merkwürdig... ein Oberst soll doch eigentlich immer mehr wissen, als alle anderen... na, desto besser...«

»Fräulein Alphonsine... seien Sie doch nicht so spröde... weshalb wollen Sie mir denn Ihre liebe Hand nicht reichen?« schäkerte Hollprägel, seiner Gewohnheit nach, mit dem rechten Flügelmann der schönen Linie.

»Ich sinke in die Erde!« dachte die kleine Mama; »der Herr Oberst selbst ... auf den Gedanken wäre ich nicht gekommen ... und das dumme Mädchen ziert sich ...«

Damit machte sie, hinter Hollprägel stehend, ihrer ältesten Tochter Zeichen, daß sie vernünftig sein solle.

»Na, sehen Sie wohl, nun habe ich ja das Pätschchen«, streichelte es Hollprägel; »einem andern möchten Sie es natürlich lieber geben ... kann ich Ihnen nicht verdenken, liebes Kind ... aber wenn Sie einen Brautwerber brauchen ... dazu würden Sie mich wohl annehmen ... wie?«

Alphonsine senkte die Augen und errötete.

»Was soll denn das nun wieder bedeuten?« dachten die Schwestern.

»Er ist es nicht selber, aber er scheint ihn zu kennen«, seufzte in schmerzlicher Enttäuschung die kleine Mama.

»I, da schlage doch gleich der Teufel d'rein«, brummte Schimmelmann in Gedanken; »der Nasewitz muß geplaudert haben ... das ist ja ein ganz öffentliches Geheimnis.«

Dann kam der Premierleutnant von Ströllpitz, der sich die grauen Haare wieder sehr glatt gekämmt hatte und, sowie er des Obersten ansichtig wurde, sein gewöhnliches, wütendes Dienstgesicht machte.

Er stellte sich erst ganz gerade hin, bis Hollprägel ihm von weitem zunickte, dann drückte er Schimmelmann bedeutungsvoll, aber ohne zu sprechen, die Hand und verbeugte sich vor den Damen, die er aber, weil der Oberst bei ihnen stand, nicht anzureden wagte.

Die kleine Mama wurde schon ungeduldig, weil der Rechte so lange auf sich warten ließ, und Alphonsine machte auch ein etwas schwermütiges Gesicht.

Die nächsten waren der Justizrat Schölplin mit Frau und Tochter; er begrüßt alle mit knarrender Stimme und gesuchter Würde. Sie spielt die innig Freundschaftliche mit den Damen, und die kleine Ursula gibt den Mädchen die Hand und schlägt die Augen nieder, wenn ein Offizier sie anredet.

Die Familie hat für die Mama Rittmeisterin nur sehr geringes Interesse, ebenso wie die nun folgenden Glutsteins. Verheiratete Männer waren der guten kleinen Frau heute vollständige Nullen; Staffage und Bewunderer des zu erwartenden Triumphes, weiter nichts.

Nun kommen die beiden Fähnriche. Klötersdorf hat einen ganz roten Kopf vor Verlegenheit, und als der Oberst einen unwilligen Blick auf ihn wirft, den Ströllpitz und Kreidefleck pflichtschuldigst nachmachen, geht er unwillkürlich einen Schritt zurück und tritt Strammin auf den linken Fuß, daß dieser einen Schmerzensschrei nicht unterdrücken kann.

»Gott, der arme kleine Strammin«, denkt Cölestine; »er hat neulich so hübsch mit mir getanzt.«

Klötersdorf macht einen Schritt seitwärts, dann stellen sich beide wie ein Paar Statuen an die Wand und machen Gesichter, als wenn sie in der Kirche wären und den Pastor sprechen hörten.

Die beiden Doktoren sind auch geladen; der Rittmeister hat zwar eine Abneigung gegen sie; aber sie haben doch einmal Visite gemacht, und Melusine war ganz wütend geworden, als sie hörte, daß Doktor Klaubert ausgeschlossen werden sollte. Sie glaubte ihm dadurch eine kleine Genugtuung zu geben für die Kränkung, die ihm der Papa einmal zugefügt.

Als die Herren eintreten, machen sie der Gesellschaft ein linkisches Gesamtkompliment und stellen sich als Gegenstück zu den beiden Fähnrichen an die andere Seite der Tür.

Plinker und Rührbrägen kommen zusammen, machen keinen besonderen Eindruck und überzeugen die immer ungeduldiger werdende Mutter bald, daß keiner von ihnen der Rechte ist. Sie gratulieren beide dem Rittmeister.

»Wo der Padderow nur bleibt!« wundert sich Schimmelmann; »gewiß ist er wieder zu blöde, und Nasewitz kann ihn nicht herbekommen... das ist überhaupt ein Mensch ohne Energie ... plaudert die Geschichte in der ganzen Stadt aus und verdirbt mir die Freude ... oder sollte man den Padderow da drüben haben stehen sehen? – Unmöglich wär's auch nicht ... na ... so viel ist gewiß, länger durften wir nicht warten, es war die höchste Zeit ... wenigstens scheinen sie alle mit der Partie zufrieden zu sein ... das ist doch auch etwas Angenehmes ...«

Da geht die Tür auf und die beiden Freunde treten ein.

Mama Auguste, die eine Zeitlang schon das Interesse verloren hatte, bekommt wieder Leben und heftet ihre Blicke fest auf die neuen Gäste, während Alphonsine eine leise Bewegung der Freude macht.

Schimmelmann geht den beiden Offizieren entgegen und reicht Padderow mit großer Wärme die Hand.

»Seien Sie mir herzlich willkommen«, sagte er; »ich freue mich aufrichtig, Sie bei mir zu sehen ... guten Abend, lieber Nasewitz.«

»Der Herr Rittmeister sind zu gütig«, entgegnete der dicke Offizier mit sichtbarer Befangenheit, während Nasewitz die Begrüßung stumm erwidert.

»Hm ... hm«, denkt Schimmelmann; »nach einem solchen Entgegenkommen von meiner Seite könnte er allerdings etwas weniger blöde sein ... man muß ihm noch ein bißchen Mut machen, sonst verunglückt am Ende heute abend die ganze Geschichte.«

»Na, nur immer lustig!« klopft er Padderow auf die Schulter; »was man sich einmal vorgenommen hat, muß man auch ausführen ... frisch gewagt, ist halb gewonnen!«

»Er hat den ganzen Vormittag geübt, Herr Rittmeister«, lächelt Nasewitz, um seinem Freunde zu helfen.

»Nun sehen Sie mal an«, fragte sich der Alte; »wollen Sie's denn so lang machen? – Bündige Kürze ist immer das beste.«

»Es dauert vielleicht zwei bis drei Minuten«, redet Nasewitz dazwischen.

»Schwerenot!« denkt Schimmelmann; »das wird ja 'ne lange Rede werden ... na, mir kann's egal sein ...«

»Werden Sie auch nicht stecken bleiben?« wendet er sich dann wieder laut an Padderow.

»Ich denke nicht, Herr Rittmeister«, entgegnete der kleine Dicke; »wenn Ihr Fräulein Tochter mir nur ein bißchen behilflich ist ...«

»Na, der macht sich's ja recht bequem«, denkt Schimmelmann; »sie soll ihm vielleicht weiterhelfen, wenn er stecken bleibt ... was zu toll ist, ist zu toll ...«

»Sie wissen ... es ist wegen des Taktgefühls«, lächelt Nasewitz.

»Ach so«, wird der Alte wieder freundlich ... »na, vor allen Dingen den richtigen Moment wahrgenommen und dann frei von der Leber weg ... haben Sie keine Angst, es wird schon gehen.«

»Wenn der Herr Rittmeister und Fräulein Tochter mit meinen schwachen Leistungen zufrieden sein wollen«, lächelt Padderow mit schöner Bescheidenheit.

Schimmelmann stutzt und macht ein verwundertes Gesicht.

»Nanu!« denkt er; »der Mensch ist allerdings sehr ehrlich ... aber von so etwas spricht man doch eigentlich nicht ... na ... man muß die Menschen nehmen, wie sie sind ...«

»Ohne Sorge, lieber Freund«, klopft er ihm dann noch einmal auf die Schulter; »ein Hundsfott macht's besser, als er kann.«

»Was die nur da so lange miteinander zu tuscheln haben«, denkt die kleine Mama; »es ist unter allen Umständen Herr von Padderow ... hm ... ein anderer wäre mir eigentlich lieber gewesen.«

Schimmelmann blickt sich mit einer gewissen Besorgnis um.

»Merkwürdig«, denkt er; »erst gratulieren sie alle und nun ich fünf Minuten mich mit ihm unterhalte, nimmt kein Mensch Notiz davon.«

Dann nickt er seinem kleinen Günstling noch einmal freundlich zu und geht dem gräflich Plustraschen Ehepaar entgegen, das eben eintritt.

»Mehr Zuvorkommenheit kannst du nicht verlangen«, sagt Nasewitz, als der Rittmeister sich entfernt hat.

»Es ist mir ja eben zu viel«, flüstert Padderow zurück; »vor all den Leuten kriege ich's gewiß und wahrhaftig nicht fertig.«

»Unsinn!« ... wenn sie dir nur keiner draußen umstößt ...«

»Ich habe sie ganz in eine dunkle Ecke gestellt, wo sie niemand sieht ...«

»Hast du sie auch ordentlich blank putzen lassen?«

»Gründling hat den ganzen Nachmittag daran gerieben ...«

»Nun komm nur zu den Damen; die Frau Rittmeisterin sieht uns schon mit großen Augen an.«

Damit traten sie zu der Wirtin heran und machten derselben ihr Kompliment, das mit der größten Freundlichkeit erwidert wurde.

Dann wandte sich Padderow zu der kleinen Melusine, während Nasewitz mit Alphonsine sprach.

Die Mama beobachtete verwundert beide Paare, was Schimmelmann nicht konnte, weil der Oberst ihn in ein Gespräch über das Packen des Mantelsacks verwickelt hatte.

Der Leutnant von Schädell kam und begrüßte in seiner gewohnten, wortkargen Form, ohne recht bemerkt zu werden.

Die rührige Wirtin begann schon ungeduldig zu werden, weil ihr noch zwei Gäste fehlten und sie doch nicht gern vor deren Ankunft die Bouillon herumreichen lassen wollte, als der lange blasierte Sponeck, eine halbe Stunde zu spät, ins Zimmer trat.

»Bitte um Entschuldigung, Herr Rittmeister«, sagte er mit seiner langweilig näselnden Stimme; »ich dachte, Sie hätten um acht geschrieben ... guten Abend, gnädige Frau ... glaubte eigentlich, ich würde zu früh kommen ... guten Abend, meine Damen ... wirklich sehr unangenehm ...«

Dann stellte er sich in eine Fensternische und bekümmerte sich um weiter nichts.

Einige Offiziere sahen schon verstohlen nach der Uhr, weil sie sich nach etwas Warmem sehnten, als endlich um dreiviertel vor acht der alte Graf Schwülenberg erschien.

Er sah halb aufgeregt und halb verlegen aus, musterte erst die Gesellschaft eine ganze Weile mit den Blicken und suchte sich schließlich den Wirt heraus, der seinen Eintritt nicht bemerkt hatte.

»Es ist wirklich 'ne tolle Geschichte«, begann er seine Entschuldigung; »ich dachte eigentlich, die Bowle wäre heute bei mir ... es steht alles auf meinem Tisch bereit ... aber ich warte und warte und niemand kommt ... da lese ich nochmal Ihren Brief und sehe ... ich muß das total verwechselt haben ... begreife gar nicht, wie so 'was möglich ist ... werde mir also ein andermal die Ehre ...«

Dann kratzte er sich den Kopf und vergaß vollständig den Damen sein Kompliment zu machen.

Als die Wirtin sah, daß sie auf keine Begrüßung von seiner Seite zu rechnen hatte, ging sie hinaus, um die Bouillon und den kleinen Kuchen zu bestellen.

Es dauerte gar nicht lange, so erschien der dicke Pätel mit den Tassen auf dem Präsentierbrett, während Dörte, in kurzen Ärmeln, mit den Kuchentellern hinter ihm herging.

Pätel machte eine unglückliche Figur. Die aus dem alten Leibrock des Rittmeisters geänderte Livreejacke war ihm viel zu eng, so daß er aussah, als wenn er gewürgt werden sollte, und dazu trug er ein paar weiße, leinene Hosen, die fortwährend das vergebene Bestreben zeigten, die Stiefelschäfte zu erreichen.

Er ging, seiner Instruktion gemäß, zuerst zum Obersten, stellte sich ungeschickt und breitbeinig vor ihn und präsentierte ihm eine Tasse zur gefälligen Auswahl, während die dicke Dörte mit ihren Kuchen ein verschämtes Gesicht machte und mit ihrer weißen Schürze kokettierte.

Hollprägel bedeutete dem Burschen mit einer galanten Handbewegung, daß er zuerst zur Gräfin Plustra gehen solle.

Pätel wurde blau im Gesicht, weil er die Geste nicht verstand.

»Zur Gräfin gehen!« raunte ihm der Oberst zu.

»Wollen Sie auch keinen Kuchen?« fragte ihn die dicke Dörte, sie sind ganz frisch.«

Hollprägel winkte ihr, daß sie dem Burschen folgen sollte, der nun die Gräfin Plustra herausgefunden hatte und ihr den Präsentierteller dicht an den Körper hielt.

Die junge Frau nahm eine Tasse und rührte mit dem Löffel darin herum; aber Pätel blieb vor ihr stehen, als wenn er angewachsen wäre.

»Es ist gut?« nickte sie ihm freundlich zu; »präsentieren Sie weiter.«

Aber Pätel hob den blauen Kopf zu ihr empor, blickte sie mit den hervorquellenden Augen gutmütig an und sagte, als wenn er es ihr von Herzen gönnte:

»Sie können sich noch eine nehmen ... der Herr Oberst schenkt Ihnen seine.«

»Gehen Sie doch weiter, Sie machen ja Unsinn«, tuschelte ihm Dörte von hinten zu, worauf der Bursche weiter tapste und das Mädchen der Gräfin mit freundlichem Gesicht ihre Kuchen anbot.

Die Frau Rittmeisterin verfolgte jede Bewegung mit aufmerksamen Blicken und sah dann auch zwischendurch immer einmal nach ihren Töchtern.

Nasewitz sprach noch immer mit Alphonsine, Padderow hatte sich an Cölestine gewandt, und die kleine Melusine war durch einen geschickten Linksabmarsch in eine Stellung gekommen, in welcher der Doktor Klaubert es unmöglich unterlassen konnte, sie anzureden, was natürlich zu einem längeren Gespräch führte.

»Na, das ist ja aber merkwürdig«, dachte die Frau Rittmeisterin; »erst spricht Padderow mit Melusine und dann mit Cölestine und um die Alphonsine kümmert er sich gar nicht ... sollte er wirklich so schüchtern sein ... aha ... nun redet er Euphrosine an ... er schlängelt sich so langsam näher ...«

In diesem Moment machte Nasewitz der Alphonsine ein artiges Abschiedskompliment, was diese schmerzlich zu empfinden schien; denn sie erblaßte leicht und der bisherige Glanz in ihren dunklen Augen erlosch.

Drenkenberg trat zu Euphrosine und fing an, ihr eine lange Jagdgeschichte zu erzählen; da dies aber Padderow nicht interessierte, so verabschiedete er sich und es blieb ihm nun nichts anderes übrig, als einige Worte mit Alphonsine zu wechseln, die wenige Schritte davon stand.

Die älteste Tochter antwortete auf seine schwungvolle Anrede aber sehr kalt und einsilbig, so daß die Unterhaltung gar nicht fortwollte.

»Nun ist er bei ihr!« freute sich die kleine Mama; »Gott sei gelobt; das hat ja eine Ewigkeit gedauert.«

Es hatte nun jeder seine Tasse Bouillon bekommen, und die beiden Bediensteten gingen mit ihren leeren Servierbrettern hinaus.

Die Unterhaltung war jetzt schon ziemlich lebendig. Die verheirateten Damen hatten die Sofaplätze eingenommen; einige Herren, unter denen natürlich der Premierleutnant von Kreidesteck, saßen in galanter Unterhaltung bei ihnen, die Schimmelmannschen Mädchen blieben in ihrer Bescheidenheit aufrecht, der alte Graf hatte sich in eine Ecke gesetzt und die Augen zugemacht. Der lange Sponeck schien seine ganze Umgebung vergessen zu haben und gähnte immer einmal über das andere, und die rührige Frau Wirtin ging hinaus, um Pätel zu sagen, daß er die Bowle einschenken und herumreichen und daß Dörte zuerst mit dem Fischsalat, dann mit dem Kalbsbraten und Preiselbeeren folgen sollte.

»Gott, wie langweilig die beiden nebeneinander aussehen«, ärgerte sie sich, indem sie beim Zurückkommen einen Blick auf Padderow und ihre Alphonsine warf; »in dem Menschen ist ja gar kein Feuer ... ich möchte ihn immer ein bißchen kneifen, damit er lebendiger wird ... und das Mädchen sieht auch aus, als wenn sie einschlafen wollte ... Herr Gott, es kribbelt mir überall vor Ungeduld!«

»Na ... da hat er sie ja vor«, schmunzelte der alte Schimmelmann, den der Oberst eben freigegeben hatte; »aber er scheint nicht recht in Zug zu kommen ... nun geht er richtig von ihr weg ... Himmeldonnerwetter, ist das ein schüchterner Joseph!«

Jetzt erregte das Eintreten Pätels mit den schwippervoll geschenkten Weingläsern und Dörtes mit dem Fischsalat und einem Stapel kleiner Teller nebst Messern und Gabeln die allgemeine Aufmerksamkeit.

Es ging beinahe ein Geräusch durch die Versammlung, als wenn im Theater der Vorhang aufgezogen wird.

Aus der schlabbrigen Bouillon machte sich der Leutnant nicht viel; aber ein Glas gute Bowle, das läuft ihm angenehmer durch die ewig durstige Kehle.

Als der Rittmeister Schimmelmann seinen Burschen eintreten sah und seine Augen über den Präsentierteller gleiten ließ, machte er plötzlich ein wütendes Gesicht.

In einem der Gläser schwamm nämlich eine große abgeschälte Pomeranze, die man doch bekanntlich nicht einmal in der Bowle liegen läßt, geschweige denn mit in die Gläser füllt.

»Verfluchter dämlicher Ruppsack!« trat Schimmelmann schnell zu seinem Pagen heran; »weshalb hat Er denn die Pomeranze in das Glas getan ... was sollen denn die Herren von mir denken!?«

Der Bursche war im ersten Augenblick so verdutzt, daß ihm der Rede Sinn nicht ganz klar ward und er deshalb seinen Gebieter mit seinen immer weiter vorquellenden Augen fragend anklotzte.

»Raus!« grunzte Schimmelmann, in der Absicht, der Bursche solle das Zimmer verlassen und in der Küche das Versehen wieder gutmachen.

Pätel aber, in seiner schrecklichen Verwirrung, faßte die Sache anders und eiliger auf, indem er blitzschnell mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand die Pomeranze aus dem Glase fischte, sich einen Moment besann, wo er das Ding lassen solle, und es dann mit bewundernswerter Geistesgegenwart in der enormen Öffnung seines Mundes verschwinden ließ.

Schimmelmanns Pockennarben wurden dunkelkarmesinrot und er warf einen ängstlichen Blick um sich, ob es jemand gesehen; aber zum Glück schien es wirklich niemand bemerkt zu haben.

»Zuerst zur Gräfin Plustra, dann zum Herrn Obersten«, brummte der Rittmeister; »dummer Dorfteufel du!«

Die junge Frau dankte für den Wein, obgleich es schöne süße Bowle war, nahm aber etwas von dem Fischsalat, über den sie der Wirtin sogleich ein Kompliment machte, das diese mit einem verbindlichen Lächeln hinnahm.

Schimmelmann knickerte hinter Pätel her, um neue Dummheiten desselben womöglich schon im Keim zu ersticken.

Der größte Teil der Gesellschaft hatte nun, in Erwartung von Speise und Trank, Platz genommen, wo es gerade war, um Teller und Glas neben oder vor sich hinzustellen.

Der alte Hollprägel nahm ein Glas und fragte den Burschen, ob es reiner Wein oder Bowle sei.

Dieser, der die große Pomeranze in der Höhlung seines Mundes verbarg, machte eine verzweifelte Anstrengung, um eine Antwort zu geben; aber er brachte es nur zu einem unverständlichen Ton ohne Mitwirkung der Zunge, ähnlich den peinlichen Kehltönen, wie sie die Taubstummen auszustoßen pflegen, wenn sie in großen Eifer geraten.

»Oh!« machte der alte Hollprägel ein verwundertes Gesicht; »was ist denn das ... der Kerl spricht ja wie ein Bauchredner ... will Er mir wohl gleich ordentlich Bescheid sagen.«

Pätel, dem der Angstschweiß schon vor der Stirn stand, warf mit einer verzweifelten Anstrengung die Pomeranze aus der Mundhöhle in die linke Backe, so daß diese plötzlich furchtbar dick anschwoll; dann bemühte er sich abermals zu antworten, aber es kam wiederum etwas heraus, das nur geringe Ähnlichkeit mit menschlichen Tönen hatte.

»Gott geb' Gnade!« krähte Hollprägel; »was ist denn dem Kerl ... der wird doch nicht Krämpfe bekommen?«

Der Rittmeister, der, hinter dem Burschen stehend, die ganze Szene mit angehört hatte, bekam schon Zittern in den nicht allzufesten Knien. »Will Er wohl gleich ordentlich sprechen, Himmelhund, verdammter!« pruschte er ihn von hinten an; »der Teufel soll auf Ihm spazierenreiten, Er Sackermenter, Er!«

Pätel, zwischen zwei Feuer gebracht und in tödlicher Angst, ließ die Pomeranze, die er für einen Apfel hielt, aus der linken Backe wieder in die Mundhöhle gleiten, zerkaute sie in rasender Hast, würgte sie hinunter und riß dann den Mund auf, als wenn er Feuer gegessen hätte.

»Der Kerl schneidet ja Gesichter wie ein Nußknacker«, heulte Hollprägel mit seinem hohen Organ; »kommen Sie her Rittmeister, lassen Sie uns jeder ein Glas nehmen, damit er weiter kommt, sonst beißt er mich am Ende noch.«

Schimmelmann trat mit plötzlich freundlicher Miene hinter seinem Burschen hervor, ergriff nach seinem Kommandeur ein Glas und warf dann noch einen verstohlenen Wutblick auf Pätel, der ein Gesicht machte, als wenn der Esel Disteln gekaut hat.

»Prost, Schimmelmann, stoßen Sie mit mir an, Ihre verehrte Frau Gemahlin soll leben!« hielt Hollprägel ihm das Glas hin.

»Zu gütig, Herr Oberst«, ließ der Rittmeister das seine leis dagegenklingen.

Dann nickten sich beide noch einmal zu und taten einen ziemlich tiefen Zug.

Plötzlich setzten sie aber gleichzeitig die Gläser ab und sahen einander mit einem gewissen Entsetzen an.

»Was ist das?« ermannte sich endlich Hollprägel zu einer Frage.

Schimmelmann geriet in eine furchtbare Verlegenheit und wußte nicht, was er darauf erwidern sollte.

»Das schmeckt ja wie Glaubersalz«, verzog der Kommandeur das Gesicht.

»Ich begreife in der Tat nicht, Herr Oberst«, wurde Schimmelmann immer betretener.

»Wer hat denn die Bowle eigentlich gemacht?«

»Ich selbst, Herr Oberst, und ich kann in der Tat nicht verstehen ... wollen der Herr Oberst mir gütigst Ihr Glas erlauben ...«

»Was wollen Sie denn damit machen ...«

»Ich will es fortsetzen, Herr Oberst ...«

»Ach so ... ich dachte, Sie wollten es austrinken ... sehen Sie mal nach, ob die anderen Herrschaften denselben Wein bekommen haben ... Donnerwetter, wenn einem danach nur nicht schlimm wird.«

»Ich werde sofort die Sache untersuchen«, entfernte sich Schimmelmann, in jeder Hand ein halbvolles Glas tragend. Er hatte aber noch nicht die Ausgangstür erreicht, als ihm Graf Schwülenberg mit einer Leidensmiene und einem ebenfalls halbvollen Glase entgegentrat.

»Ich bitte tausendmal um Entschuldigung, Herr Rittmeister«, sagte er, weil er sich wieder einbildete, daß die Gesellschaft bei ihm wäre; »die Bowle ist gar nicht zu genießen ... ich begreife gar nicht, woher das kommen kann ... es muß 'ne Katze in der Stube gewesen sein ...

»Kellner!« rief der lange Sponeck aus seiner Fensternische; »das Zeug ist gar nicht zu trinken ... bringen Sie mir ein anderes Glas Grog!«

Die übrigen Herren hatten natürlich sämtlich den entsetzlichen Eindruck auf ihre Geschmacksnerven ebenfalls empfunden; aber ihr Staunen oder ihr Unwille hatte sich in weniger deutlicher Art geäußert.

Die einen hatten schweigend und mit befremdeter Miene ihr Glas fortgesetzt, die anderen ironisch lächelnd den Mund verzogen, die dritten sich geschüttelt, als wenn der Tod sie berührt hätte mit seinem kalten Knochenfinger.

Bloß als Melusine den kleinen Doktor Klaubert gefragt: »Mein Gott, schmeckt Ihnen der Wein nicht?« hatte dieser schnell noch einen Schluck genommen und ganz freundlich erwidert:

»O, ganz ausgezeichnet, mein Fräulein.«

Padderow hatte geäußert: so dächte er sich den Morgenkaffee der Verdammten in der Holle, und Nasewitz, der heute abend überhaupt bei brillanter Laune war, beobachtete mit seinem höhnischen Lächeln die verschiedenen Gesichter und hatte seine stille Freude über dieselben.

»Ein reizender Abend«, dachte er; »er verbindet auf eine höchst wohltuende Art das Nützliche mit dem Angenehmen ... habe mich lange nicht so gut amüsiert ... und das Beste kommt nun erst, wenn Padderow sein Konzert auf der Baßtuba pustet ... der Fischsalat ist gar nicht so übel ... er bringt einem den verdammten Bowlengeschmack aus dem Munde.« -

»Heinrich, ich bitte dich um Gottes willen, was ist geschehen«, sagte die Frau Rittmeisterin mit atemloser Stimme zu ihrem Gemahl; »die Bowle schmeckt ja furchtbar ... wie ist denn das Salz da hineingekommen?«

»Ich habe 'reingemacht, was du mir geschickt hast«, entgegnete Schimmelmann, ebenfalls ganz verstört vor Aufregung; »der Pätel hat ja die Tüte selbst geholt ... wo ist denn der infame Hundsfott, der die Pomeranzen in die Gläser gefüllt hat? ...«

»Hier, Herr Rittmeister«, meldete sich eine schwache, jämmerliche Stimme aus einer Ecke her.

Die beiden Gatten sahen sich um, und da saß Pätel mit leichenblassem Gesicht auf dem Torfkasten, drückte sich mit beiden Händen die Magengegend und machte ab und zu den Mund auf, als wenn er eine recht häßliche Empfindung darin hätte.

»Was hast du aus der Küche geholt, du Schwerenöter?« fuhr ihn Schimmelmann an.

»Ich habe Zucker von der gnädigen Frau verlangt«, wiegte Pätel den Oberkörper hin und her; »und da hat die gnädige Frau gesagt, ich soll die blaue Tüte nehmen, die auf dem Tisch stände.«

»Himmlischer Vater, das war ja Salz!« blickte die kleine Wirtin mit gefalteten Händen zum Himmel; »himmlischer Vater, das war ja Salz ... deshalb wunderte ich mich ja auch, wo es geblieben war ... und daß so wenig vom Zucker fehlte ... himmlischer Vater, das war Salz!«

»Na ... das haben wir nun schon oft genug gehört«, brummte der Rittmeister; »deshalb fühlte es sich auch so grobkörnig und so feucht an ... da haben wir uns furchtbar blamiert, weißt du das? - Ich könnte rein aus der Haut fahren ... nun ist die ganze Stimmung verdorben ... der dicke Padderow hat so keine rechte Lust zum Anbeißen ... die Alphonsine ist kalt, wie ein Eiszapfen ... Himmelkreuzbombendonnerwetter und kein Ende!«

»Ach was!« ging die kleine, rührige Frau plötzlich von der Verzweiflung wieder zur Heiterkeit über; »das kann vorkommen, dadurch muß man sich nicht die Laune verderben lassen; jetzt kommt es vor allen Dingen darauf an, die Mißstimmung zu verscheuchen und in eine freudige umzuwandeln ... spüle die Gläser aus, Dörte, schnell ...«

Das dicke Mädchen machte sich flink an die Arbeit, und im Umsehen standen die Gläser wieder blink und blank da.

»Nun den Rotwein eingeschenkt«, kommandierte die Hausfrau.

Schimmelmann nahm stöhnend eine Flasche nach der andern von der Erde und goß, diesmal höchst eigenhändig, jedes Glas dreiviertel voll.

»So, Pätel; nun nehmen Sie das Brett und gehen Sie in die Zimmer zurück; du, Dörte, folgst mit dem Kalbsbraten und den Preiselbeeren!«

»Schon, gnädige Frau«, ging das dralle Mädchen sofort ans Werk; »Herr Rittmeister, stehen Sie mir doch nicht immer im Wege!« schuppste sie den Alten etwas unsanft beiseite. »Nanu! dämliches Frauenzimmer!« pruschte sie Schimmelmann an.

Doch ehe er seine schmeichelhafte Anrede fortsetzen konnte, hatte ihn seine Frau beim Kopf und küßte ihn ab, daß ihm der Atem verging.

»Ach, nun nicht mehr gebrummt, Alter«, sagte sie; »ein freundliches Gesicht aufgesetzt, die Sache von der heitern Seite genommen ... wirst du nun gleich mal lachen«, kitzelte sie ihm mit dem rechten Zeigefinger in die Rippen.

»Aber, Auguste ... i ... Donnerwetter, was machst du denn ...« stemmte sich der Alte nach einer Weile ... »laß mich doch ... hahaha ... na ja ... ich bin ja schon lustig ...«

»Na ... so ist's recht, so gefällst du mir wieder ...« streichelte ihm Auguste die bärtigen Backen; »nun gehe nach vorn und sei die Liebenswürdigkeit selbst.«

»Schön, Herr Oberstwachtmeister!« scherzte Schimmelmann, und dann ging er schmunzelnd und ganz guter Laune zu seiner Gesellschaft zurück.

»Na ... Pätel ... wird's bald ... aufgestanden ...« kommandierte die kleine Frau weiter.

»Ich kann wirklich nicht«, stöhnte der Bursche mit einem Leichengesicht ... »wenn Sie wüßten, was ich für Leibschmerzen habe ... mit mir ist's aus ... ich erlebe den morgenden Tag nicht mehr ...«

»Ach was ... schwibbel schwabbel«, wuchtete Dörte ihn, unter beide Arme fassend, empor; »so ... nun festgestanden ... nicht umgefallen ... will Er wohl ... da! Nun den Präsentierteller genommen ... so schön ... vorwärts ... nicht so wackeln ... sehen Sie, daß es geht ...«

Mit diesen Worten hatte sie Pätel richtig in die vorderen Zimmer geschoben und folgte ihm nun schnell mit dem Kalbsbraten und den Preiselbeeren, während die Frau Rittmeisterin auf einem anderen Wege zur Gesellschaft zurückkehrte.

Bei dem Eintritt Pätels mit rotem Getränk lief wieder das eigentümliche Geräusch einer gewissen Aufregung durch die festlichen Räume.

Wirt und Wirtin erschöpften sich in Liebenswürdigkeit. Sie erzählten mit Humor die Geschichte, wie sie sich wirklich zugetragen, der alte Oberst lachte laut auf, die anderen folgten seinem Beispiel Und in weniger als einer Viertelstunde war die Gesellschaft heiterer, als sie es vorher gewesen.

Wenn der Rotwein auch nicht vom besten war, so ließ er sich doch trinken, und seine zusammenziehende Herbe wirkte sehr wohltuend auf die durch das vorige Getränk tief beleidigten Geschmacksnerven.

Kalbsbraten und Preiselbeeren mundeten außerdem so vortrefflich, daß man eine ganze Zeitlang nichts hörte als das Klappern der Messer und Gabeln.

Pätel trug übrigens auch nicht wenig zur allgemeinen Belustigung bei. Der arme Mensch sah so blaß und leichenhaft aus, als wenn er gestorben und nun bei des Mondes Dämmerschein zurückgekommen wäre, die Nacht zu entstellen.

Sein Gang war schwankend und unsicher, wie der eines Matrosen, der nach langer Seereise einmal wieder das feste Land betritt. Die bleiche Miene drückte das tiefste Leiden aus, und manchmal zog er, wie von schmerzlichem Krampf ergriffen, das rechte Bein zum Unterleib empor, wie ein Kranich, der am Hahnentritt leidet.

Die dicke Dörte, die hinter ihm ging, lächelte fortwährend darüber und blickte dann mit einer gewissen Verschämtheit auf den saftigen Kalbsbraten, der lieblich zu ihr emporduftete.

Den alten Schimmelmann hatte noch kein Mensch in so rosenfarbener Laune gesehen; der dicke, buschige Schnurrbart wackelte ihm fortwährend vor Vergnügen, und indem er von einem zum andern ging, richtete er sogar ein paar Worte an den kleinen Doktor Klaubert, der darüber so lustig wurde, daß er aussah, wie eine glaue Schwalbe, die eben ihre ersten Eier ausgebrütet.

Die Herren wurden wärmer und schäkerten und lachten mit den Damen. Die kleine Ursula Schölplin errötete immer einmal über das andere, die drei jüngsten Töchter des Gastgebers amüsierten sich wundervoll, nur Alphonsine war ein bißchen still und nachdenklich geworden und warf manchmal einen verstohlenen Blick auf Nasewitz, der wie Mephistopheles in seiner Fensternische stand und das Treiben des kleinen Erdenvölkchens ironisch belächelte.

Der dicke Padderow hatte wie gewöhnlich der Flasche tüchtig zugesprochen und sah so rot und glänzend aus, als wenn der Mond die Gesichtsrose bekommen hat; dabei plauderte und renommierte er, als hätte er die wichtige Aufgabe ganz vergessen, deren Erfüllung ihm heute abend noch oblag.

Die einzigen beiden Gäste, die gänzlich von der allgemeinen Heiterkeit unberührt blieben, waren der lange Sponeck und der alte Graf.

Ersterer schien an gar nichts zu denken, und letzterer hatte sich aus Versehen mehr Preiselbeeren als Kalbsbraten genommen und schien jetzt in Zweifel darüber, ob er den Braten zu den Beeren, oder die Beeren zum Braten essen sollte.

Obgleich nun aber Wirt und Wirtin so rosenfarbene Laune angenommen hatten, so warfen sie doch von Zeit zu Zeit besorgte und ungeduldige Blicke auf den dicken, roten Padderow, der immer eine Prahlerei über die andere zutage förderte, und auf ihr ältestes Kind, das immer stiller und trauriger wurde.

»Der Nasewitz mag sagen, was er will«, reflektierte Schimmelmann mit lächelnder Lippe und trübem Sinn; »aber schüchtern und verlegen sieht der doch nicht aus ... bei Damen mag er freilich anders sein ... die Hauptsache ist aber, er macht sich nicht ran' ... wenn er wenigstens eine Volte um sie herum beschriebe ... das zeigte doch eine Sehnsucht nach dem Zentrum ... aber nichts ... keinen Blick ... keine Wendung nach ihr ... wenn da nicht kräftig nachgeholfen wird, habe ich meine ganze teure Abendgesellschaft umsonst gegeben und dann stellt er sich wieder unters Fenster und verhimmelt, was gar keinen praktischen Nutzen hat ... wenn ich nur wüßte, wie ich ihm eine kleine Hilfe geben könnte, ohne daß es zu auffallend wäre ...«

»Will uns denn Fräulein Alphonsinchen heute nichts vorspielen«, wandte sich Justizrätin Schölplin mit lieblichem Lächeln an die Hausfrau ... »sie hat einen so reizenden Vortrag ...«

»Ach, ja, bitte«, drehte nun auch die Frau Assessor Glutstein mit dem aufgeputzten Kopf.

»Ein hübsches Märschchen vielleicht«, lächelte das alte Gesicht des Premierleutnants von Kreiderfleck mit der Miene eines kleinen Knaben.

»Alphonsine«, wandte sich die Mutter mit ziemlich lauter Stimme zu ihrem ältesten Kinde; »die Herrschaften möchten gern, daß du etwas spieltest ... willst du dich nicht ans Klavier setzen?«

Das Mädchen gehorchte, öffnete das Instrument und suchte unter den Noten herum.

»Aha! Nun kommt Musik«, flüsterte Drenkenberg dem dicken Ströllpitz zu; »jetzt wird wohl der Oberst die Beförderung bekanntgeben.«

»Donnerwetter!« dachte Schimmelmann; »das war ein Fehler meiner Frau; wenn die Alphonsine erst ins Klimpern kommt, hört sie die ersten zwei Stunden nicht wieder auf ... das muß auf jeden Fall verhindert werden ...«

Dann trat er, einen schnellen Entschluß fassend, von hinten an Padderow heran und legte ihm sanft seine Hand auf die Schulter.

Der dicke Leutnant sah sich um, und als er den Rittmeister erkannte, erhob er sich von seinem Platz.

»Wollen Sie nicht noch ein Glas Wein trinken, lieber Padderow?« lockte ihn Schimmelmann ein wenig beiseite.

»Der Herr Rittmeister sind zu gütig«, lächelte der Offizier.

Der Gastgeber winkte zum Schein den schlottrig-geisterhaften Pätel herbei, und beide nahmen ein Glas.

»Auf Ihr Wohl, Herr Rittmeister!« tat Padderow einen tiefen Zug.

»Aha!« dachte Schimmelmann; »das Feuer ist doch noch nicht erloschen ... er hat eben auf ihr Wohl getrunken ... jetzt muß die Flamme geschürt werden, ehe sie wieder schwächlich zusammensinkt.«

»Ich danke«, stieß er dann noch einmal mit dem feisten Leutnant an ... »aber ... nun wäre es wohl eigentlich Zeit ...«

Padderow, der sein ganzes Gesicht in süßem Wein ertränkt hatte, blickte ihn fragend an.

Schimmelmann winkte mit dem Kopf nach Alphonsine hin.

Der Offizier folgte seinen Blicken und sah das Mädchen am Instrument sitzen.

»Gott steh mir bei!« fiel ihm mit einemmal sein ganzer blühender Mut in die Stiefel.

»Aha!« dachte Schimmelmann; »das hat ihn gepackt ... er ist ganz blaß geworden ...«

»Aha!« dachte Nasewitz in seiner Fensternische; »nun fängt es an ... das wird eine köstliche Komödie ...«

»Die ganze Gesellschaft wartet und freut sich darauf«, tuschelte der Rittmeister, in seiner Weinlaune beinahe über die Grenzen der Schicklichkeit hinausgehend; »sie haben ja alle gemerkt, weshalb ich eigentlich die Gesellschaft gegeben, und gratulierten, in allerdings nicht ganz passender Weise, schon vorher ...«

»Ich weiß«, sagte Padderow; »man erwartete heute abend die Bekanntmachung ... des freudigen Ereignisses ...«

»Ganz recht«, nickte der Rittmeister; »wenn Sie das selbst aber wußten, begreife ich nicht, weshalb Sie so lange zögern, Ihren Anteil daran zu erfüllen ...«

»Er hat die verfluchte Musikgeschichte richtig nicht vergessen, ich soll also eigentlich bloß blasen, um das Fest seiner Rangerhöhung zu verschönern ... allerdings werden zu den Hoffesten in Berlin auch gewöhnlich große Künstler herangezogen, um durch ihr Talent die Stimmung zu veredeln...«

Alphonsine begann jetzt zu präludieren.

»Sehen Sie ... da geht's schon los«, drängte Schimmelmann; »nun ist kein Augenblick Zeit zu verlieren.« Padderow holte tief und ängstlich Atem.

»Sie meinen also wirklich, daß ich mit Ihrer Fräulein Tochter ...?« fragte er verzagt.

»Nun natürlich!« nickte Schimmelmann.

Padderow seufzte noch einmal.

»Mut doch, junger Mann ... verständigen Sie sich mit ihr ...«

»Wie Sie befehlen, Herr Rittmeister!« raffte sich der dicke Leutnant auf und schritt dann mit seinem unvergleichlich stolzen Anstande der noch immer präludierenden Alphonsine zu.

»Gott sei gelobt!« pustete Schimmelmann erleichtert.

»Na, endlich!« dachte die kleine Mama.

Die ganze Gesellschaft saß in andächtigem Schweigen, hatte die Blicke auf die junge Pianistin gerichtet und wartete des Tonstückes, das sie vor ihren Ohren entfalten würde.

»Mein Fräulein, dürfte ich Sie um eine Gunst bitten ...« hauchte Padderow jetzt über des Mädchens Schulter hinweg.

»Nun legt er los!« schmunzelte Schimmelmann.

»Er scheint es sehr zart zu machen«, zitterte die kleine Mama vor Aufregung.

»Was will denn der Herr von Padderow?« dachten die anderen; »das paßt sich doch eigentlich nicht, in diesem Moment das Fräulein zu stören ...«

Nasewitz war noch um einige Zoll länger geworden und bohrte förmlich seine Blicke auf die beiden Plaudernden.

»Womit könnte ich dienen?« fragte Alphonsine, die Hände auf den Tasten ruhen lassend und den Kopf leicht zurückwendend.

»Wenn Sie die Freundlichkeit haben wollten, ›Heil dir im Siegerkranz‹ zu spielen ...« lächelte Padderow beinahe wehmütig.

»Heil dir im Siegerkranz?« wiederholte etwas erstaunt das Mädchen.

»Oder haben Sie die Noten nicht dazu ...?«

»Nein!« kopfschüttelte Alphonsine.

Padderow schien nicht zu wissen, ob er sich darüber freuen sollte, oder nicht.

»Aber ich kann es auswendig«, nickte das Mädchen.

»Das ist schön ... ich auch ...«

»Wollen Sie also die Freundlichkeit haben, es zu spielen ...«

»Sehr gern, Herr von Padderow ...«

Der dicke Offizier zögerte noch ein Weilchen.

»Dann ist es wohl nicht durchaus notwendig, daß ich ... neben Ihnen stehe?«

»Gott bewahre!« lächelte das Fräulein; »aus der Entfernung klingt es weit hübscher ...«

»Vollkommen Ihrer Ansicht«, entgegnete Padderow mit sichtbarer Erleichterung; »namentlich bei einem so starken Instrument ...«

»O ja; es hat einen recht kräftigen Ton«, stimmte Alphonsine bei.

»Wenn Sie also die Gewogenheit haben wollten, noch zwei Minuten zu warten und dann anzufangen ...«

»Wie Sie wünschen«, lächelte das Mädchen leicht verwundert.

»Vielen Dank!« verbeugte sich Padderow mit ritterlichem Anstände.

»Bitte sehr«, verneigte sich Alphonsine ebenfalls.

»Er hat angehalten«, dachte Schimmelmann; »sie sind beide einig ... na, die Geschichte wäre also in Ordnung.«

»Sie hat ihm das Jawort gegeben«, zitterte die kleine Mama am ganzen Leibe; »ich glaubte nicht, daß sich die Alphonsine so schnell entschließen würde ... na ... es ist um so besser ... wenn er ihr gefällt ... mir wäre freilich ein anderer lieber gewesen ...«

»Er scheint sich mit ihr über den Takt oder das Tempo verständigt zu haben«, hätte Nasewitz beinahe losgeprutscht ... »nun holt er seine dicke Trompete ... das ist der glücklichste Abend meines Lebens!«

»Na; nun wird's endlich anfangen«, dachten die anderen; »Herr von Padderow hat wahrscheinlich um seinen Lieblingsmarsch gebeten ... weshalb wartet denn aber Alphonsinchen noch immer?«

»Na?« winkte Schimmelmann dem dicken Offizier, als er nahe an ihm vorüber wollte.

»Alles in Ordnung!« nickte Padderow.

»Sie hat also gleich eingewilligt!«

»Mit der größten Liebenswürdigkeit.«

»Na, sehen Sie wohl ... gratuliere.«

»Danke sehr, Herr Rittmeister ...«

»Bleiben Sie doch ... wo wollen Sie denn so eilig hin?«

»Ich geniere mich so vor den vielen Leuten, Herr Rittmeister!«

»Na; das ist aber die Möglichkeit ... und deshalb wollen Sie 'rausgehen?«

»Nehmen Sie es mir nicht übel, Herr Rittmeister ... ich kann nicht anders ...«

»Na, was ist denn da übel zu nehmen ... wenn Sie nicht anders können ... kommen Sie denn bald wieder?«

»In wenigen Minuten bin ich wieder da.«

»Sie müssen doch nachher die Glückwünsche der Gesellschaft entgegennehmen ... in Gemeinschaft mit meiner Tochter ...«

»Oh ... Ihr Fräulein Tochter wird sie wohl mehr verdienen als ich.«

Damit schritt Padderow mit seinem gewohnten ritterlichen Anstande aus dem Zimmer.

»Hübsch? Bescheidenheit«, dachte Schimmelmann; »aber für einen Mann und Soldaten doch ein bißchen zu blöde ... na, das wird sich geben mit der Zeit ... muß erst 'rausgehen und sich abkühlen ... sich wieder sammeln ... Herrje!«

»Na!« dachte die kleine Mama! »was ist denn das? – Sollte er die Trauringe schon draußen im Mantel haben? – Die Alphonsine kann gar nicht spielen, so aufgeregt ist sie.«

»Nun wird's gleich losgehen«, dachte Nasewitz;»ich freue mich bloß auf den Moment, wenn er mit der dicken Flöte in die Stube kommt.

»Wie?« wunderte sich Alphonsine; »erst bittet er mich um ›Heil dir im Siegerkranz‹, und dann geht er hinaus ... wie lange soll ich denn noch warten?«

An den anderen bemerkte man leichte Zeichen von Ungeduld.

»Ach ... ich fange an«, dachte Alphonsine; »ich habe es ihm versprochen, zu spielen, folglich spiele ich es ... wenn er fortgeht, ist es seine Schuld.«

Dann griff sie wieder in die Tasten und ließ die einfache Melodie des preußischen Volkslieds ertönen.

Der eine Teil der Zuhörer schien enttäuscht, der andere befriedigt.

»Wo bleibt denn aber der Padderow?« dachte Nasewitz; »Alphonsine fängt an, und er ist noch gar nicht da ... vielleicht ist er erst nochmal 'runtergegangen ... der Mensch hat heute abend wieder furchtbar getrunken ... es ist aber doch ärgerlich ...«

Alphonsine mochte vielleicht fünf oder sechs Takte gespielt haben, als die ganze Gesellschaft sich umsah und nach etwas zu horchen schien.

»Lieber Schimmelmann«, sagte der alte Hollprägel; »ich glaube, da ist irgendwo eine Ofenklappe offen, und der Wind bläst herein ... das kann leicht Zug geben.«

»I«, sagte der Rittmeister; »das habe ich doch sonst noch nicht bemerkt ...«

»Es ist wieder recht windig draußen«, zierte sich die Justizrätin Schölplin ... »ich bin so empfindlich dagegen ... und Ursula hat auch so zarte Nerven ...«

»Ah!« spitzte Nasewitz die Ohren; »das kommt mir ja so bekannt vor; er wird doch nicht etwa unter dem Fenster ... das wäre eigentlich eine geniale Idee ...«

Das Geräusch des hörbaren Luftstromes ließ sich schon wieder vernehmen, diesmal aber etwas stärker als vorhin.

»Es zieht hier aber wirklich furchtbar«, näselte der lange Sponeck; »da kann man sich den schönsten Rheumatismus holen.«

Die Damen zogen unwillkürlich die Umhänge etwas höher auf die Schultern, und der alte Graf rieb sich gewohnheitsmäßig das linke Bein.

»Er kann wieder das Embouché nicht finden«, überlegte Nasewitz; »die Lippen sind ihm schlaff vom vielen Trinken ... und die alte Brummaschine ist auch wahrscheinlich wieder kalt geworden ... dann spricht sie immer nicht an ...«

Alphonsine spielte ruhig ihre Melodie weiter, ohne daß das verdächtige Geräusch sich wiederholt hätte.

Mit einem Male klang ein merkwürdiger Ton durch das Zimmer, im Anfang stark und dann in einem so seinen kläglichen Winseln ersterbend, daß sämtliche Gäste sich erschrocken umsahen.

Die Damen blickten in ihren Schoß, der Justizrat Schölplin nahm eine Prise, der alte Graf sah vorwurfsvoll den blasierten Sponeck an, die dicke Dörte, die wieder hinter Pätel ging, wurde verlegen, der Doktor Klaubert machte ein pfiffiges Gesicht, und der Premierleutnant von Ströllpitz, der sich für so etwas interessierte, schmunzelte wohlgefällig vor sich hin.

»Hören Sie, liebster Schimmelmann«, sagte der alte Hollprägel mit gedämpfter Stimme und ernster Miene; »mit Ihrem Burschen scheint es doch nicht ganz richtig zu sein ... der Kerl ist ernstlich krank ... lassen Sie ihn lieber zu Bett gehen ... das gibt hier noch Ärgernis.«

»Er verfluchter Jammerhahn«, schimpfte der Rittmeister; »will er gleich raus!«

Pätel machte ein überaus klägliches Gesicht und verließ das Zimmer, während die dicke Dörte sich hinter ihm her schämte.

»Nun hat er das Embouché gefunden«, freute sich Nasewitz; »es klang allerdings ein bißchen verdächtig; aber wenn er erst angefangen hatte, dann geht ihm der Ton nicht wieder aus ... das kenne ich aus Erfahrung ...«

Alphonsine spielte ruhig ihre Melodie weiter, indem sie durch die Nähe des volltönenden Instrumentes und die Versenkung in ihre Gedanken die Unruhe und deren Ursache nicht beachtete.

Kaum hatte Pätel die Tür hinter sich zugemacht, als ein furchtbar tiefer Baßton durch die Räume dröhnte.

Alphonsine schrak an ihrem Piano zusammen und hörte auf zu spielen, die Damen kreischten laut auf und bedeckten die Augen mit ihren zarten Händchen; die Herren sprangen von ihren Stühlen empor; der alte Graf stieß mit dem Fuß nach dem blasierten Sponeck, dem alles egal zu sein schien, der kleine Doktor Klaubert freute sich über das ganze freundliche Gesicht, und der dicke Ströllpitz wurde immer vergnügter.

»Bravo, Padderow!« sagte Nasewitz in Gedanken; »gut gebrüllt, Löwe!«

»Hören Sie, liebster Schimmelmann«, wandte sich Hollprägel abermals an den verlegenen Wirt; »Ihr Bursche ist doch unschuldig daran ... das kam von der Flurtür her ... wo Herr von Padderow vorhin 'rausgegangen ist.«

Ein siedendheißer Gedanke schoß dem Rittmeister durch den Kopf.

»Herr des Himmels ... sollte sich der arme Mensch draußen das Leben genommen haben und im Verenden sein? – Bei einer so wahnsinnigen Liebe ist alles möglich ... und zeitweilig gestört war er ganz entschieden ... er hat das Übermaß seines Glückes nicht ertragen können ... das arme, arme Luder, das!«

Ein neuer, leiserer, aber unendlich schauriger Ton klagte durch das Gemach.

»Schon wieder!« sagte Hollprägel.

»Meine Ahnung täuscht mich nicht«, stackerte Schimmelmann nach dem betreffenden Ausgang.

»Was ist denn los?«

»Ein Unglück!«

Ein Teil der Herren drängte dem Rittmeister nach, der jetzt mit zitternder Hand die Tür aufriß.

»Allmächtiger!« rief er; »Licht, Licht!«

Sofort waren einige Offiziere mit Kerzen an seiner Seite.

Welcher Anblick bot sich den erstaunten Blicken dar.

Der dicke Padderow lag auf dem Rücken an der Erde, hatte die dicke Tuba mit beiden Armen umklammert, wie eine Mutter ihr Kind, und preßte das weite Mundstück an seine Lippen, als wenn er es küssen wollte, daß es vergehen sollt'.

»Padderow!« tönte es leise von den erstaunten Lippen.

Als der unglückliche Virtuos plötzlich so viele Augen auf sich gerichtet sah, arbeitete er sich im ersten Schreck unter der dicken Tuba hervor, stellte sich mühsam auf die Beine, lehnte sein Instrument wieder in die Ecke und machte dann ein furchtbar verlegenes Gesicht.

Da niemand sprach, glaubte er einige Worte zu seiner Entschuldigung anführen zu müssen.

»Nehmen Sie es nicht übel, Herr Rittmeister«, sagte er mit leiser Stimme und niedergeschlagenen Augen ... »im Stehen ging es wieder nicht ... da habe ich mich hingesetzt ... und bei dem tiefen h bin ich umgefallen ...«

Ein Murmeln des Unwillens lief durch die ganze Versammlung.

»Das ist 'ne kostbare Geschichte!« freute sich Nasewitz; »wenn ich bloß lachen könnte, wie ich wollte ... prutsch ... pru ... so habe ich mich in meinem ganzen Leben noch nicht amüsiert ... den heutigen Tag streiche ich mir im Kalender an.«

»Das ist aber doch ein etwas unpassender Spaß, Herr von Padderow«, sagte der alte Hollprägel ernst.

»Verzeihen der Herr Oberst«, entschuldigte sich der dicke Leutnant; »ich wollte nur Fräulein Alphonsine begleiten.«

Pause. –

»Ich glaubte, dem Herrn Rittmeister ein Vergnügen damit zu machen«, fuhr Padderow mit einer verlegenen Gutmütigkeit fort.

»Merkwürdige Idee!« schüttelte Hollprägel den Kopf.

Der verunglückte Virtuos kehrte in den Gesellschaftsraum zurück; der Rittmeister Schimmelmann schoß wütende Blicke auf ihn und Nasewitz, ohne daß die beiden es gewahr wurden; die Geschichte mit den Brummtönen klärte sich in hingeworfenen Worten auf; die Damen hatten sich jedoch zu sehr geängstigt, um wieder in Stimmung kommen zu können, und so rüstete man sich, da es ohnehin schon spät war, bald zum Aufbruch.

Oberst Hollprägel verabschiedete sich zuerst bei Wirt, Wirtin nebst Fräulein Töchtern, dann folgten die anderen seinem Beispiel.

Als die Herren dem Rittmeister Schimmelmann die Hand drückten, machten sie aber nicht mehr solch' freundliches Gesicht wie bei der Begrüßung, sondern auf ihren Zügen lag eher der Ausdruck des Mitleids und Bedauerns.

Nasewitz war noch der lustigste von allen; denn er hatte sich zu gut amüsiert, um die Nachwirkungen davon verbergen zu können; außerdem konnte er ja nach dem Stande seines Wissens der Angelegenheit keine tiefere Bedeutung beilegen.

Zuerst sagte er der Wirtin ganz heiter Adieu, als er aber dann zu Alphonsine trat und dieselbe ihn so eigentümlich ernst und traurig anblickte, glaubte er einige tröstende und erheiternde Worte mit ihr sprechen zu müssen.

»Nehmen Sie sich die Sache doch nicht so zu Herzen«, sagte er; »es tut mir leid, daß nichts daraus geworden ist ... guter Wille war genug vorhanden; aber sollte einmal nicht sein ...nun ist's freilich vorbei damit.«

»O, mein Gott«, dachte das Mädchen; »er hat es sich vorgenommen; aber er hat es nicht vollbringen können ... bei näherem Anschauen nach langer Zeit bin ich ihm zu häßlich erschienen.«

Dann verlor sie die Fassung und sank matt und kraftlos auf einen Stuhl.

Nasewitz, der sich bereits zum Gehen gewandt, achtete nicht darauf, sondern suchte nach dem Rittmeister Schimmelmann.

»Was ist dir denn, Kind?« trat die Mama, die den Abschied von Nasewitz nicht gesehen, nach einem Weilchen zu ihr; »das Übermaß der Freude überwältigt dich wohl. – Er hat doch um dich angehalten?«

»Nein ... er hat es nicht!« schloß das Mädchen, bleich wie der Tod, die Augen.

»Was ist denn der Alphonsine?« kam jetzt auch der Papa dazu; »sie hat sich wohl geärgert, wie ich?«

Die Mutter antwortete nicht, sondern starrte dumpf vor sich hin.

»Der Mensch ist vollständig verrückt«, fuhr der Rittmeister fort; »aber nun wird es hoffentlich bald ein Ende nehmen; denn nach der Hochzeit pflegen doch die Schrullen aufzuhören.«

»Nach der Hochzeit?« zuckte die Mutter aus ihrer Reglosigkeit »wer spricht von Hochzeit!?«

»Na ... da er angehalten hat ...«

»Er hat nicht angehalten«, unterbrach ihn Frau Auguste, mit fast geisterhaftem Ton.

»Er hat nicht angehalten?« wiederholte Schimmelmann, als wenn er nicht recht gehört.

»Nein ... aber das Herz hat er ihr gebrochen ... da liegt sie.«

Der Rittmeister sah eine Weile mit stierem Blick seine Tochter an, dann nahm er die Frau beiseite.

»Du hast ihr doch nichts gesagt?« fragte er mit leiser Stimme.

»Leider ... ich konnte es nicht so lange in mir verschließen.«

»Unglückliche, da hast du nun die Folgen deiner Schwatzhaftigkeit ... hättest du gehalten, was du versprochen, dann wäre es nicht so weit gekommen.«

Die Mutter zuckte in dumpfer Ergebung die Achseln und antwortete nicht.

»Jetzt müssen wir aber unsere Rolle beibehalten«, fuhr Schimmelmann fort; »kein weiteres Wort mehr darüber zu Alphonsine ... klagt sie nicht selber, rufe nicht ihre Klage hervor durch schmerzende Mitleidsäußerungen ... gönne der frischen Wunde Ruhe zum Vernarben... ich hatte gewollt, daß die Sache Geheimnis bleiben sollte, deshalb ist stilles Hinweggehen darüber am besten ... gib mir jetzt dein Wort, nicht mit ihr davon zu sprechen.«

Mutter Auguste reichte ihm die Hand.

»Diesmal wirst du es halten; nicht wahr?«

»Ganz bestimmt.«

»Das ganze Ergebnis ist nun, daß wir uns lächerlich gemacht haben«, wurde Schimmelmann plötzlich zornesrot; »sie gratulierten ja schon alle, wie sie kamen ... ich weiß zwar nicht, wie sie es erfahren haben können ... es müßte denn sein, daß Herr von Nasewitz geplaudert hätte ... o, dieser Nasewitz ... der ist schuld an dem ganzen Unglück, das über unser Haus gekommen ... wie schön konnte dieser Abend werden ... und nun anstatt der Freude... Verhöhnung ... Spott ... Mitleid... o, dieser Nasewitz ... ich könnte ihn ermorden.«

Alphonsine, die bisher ganz teilnahmslos gesessen, zuckte bei den letzten Worten schmerzlich zusammen, jedoch ohne daß die Eltern es bemerkten.

»Vielleicht wird es noch gut«, flüsterte die Mama zu ihrem Gatten.

»Nein!« schüttelte dieser wild den schwarzen Kopf.

»Vielleicht kommt er wieder!« lächelte Auguste schwach.

»Nein!« ballte der Alte zornig die Faust; »der bekommt meine Tochter nie ... ich lasse mich und meine Familie nicht zum Narren halten ... o, dieser teuflische Nasewitz!«

Es traten jetzt einige Personen heran, die sich empfehlen wollten, und der Wirt geleitete sie höflich zur Tür, während die Mama bei Alphonsine blieb und auch Cölestine hinzukam.

»Empfehle mich ganz gehorsamst, Herr Rittmeister«, trat jetzt Nasewitz mit lieblichem Lächeln zu ihm heran; »Sie haben wirklich ein wundervolles Fest gegeben ... habe mich in meinem ganzen Leben nicht so amüsiert.«

Schimmelmann blickte den scheinbaren Spötter so wütend an, daß sich ihm die Haare auf dem Kopf sträubten.

»Die Sache ist allerdings ein bißchen verunglückt«, scherzte der lange Leutnant weiter; aber das tut nichts.«

»Herr!« knirschte Schimmelmann mit den Zähnen.

»Sie sind nicht zusammengekommen ... aber wir haben doch unsern Spaß gehabt, wie?«

»Herr!!!«

»An seinem guten Willen hat es nicht gelegen; darauf können Sie sich verlassen, Herr Rittmeister ...«

»So?« glühte dieser vor Wut; »er hat ja gar nicht mal' angehalten!«

Nasewitz schien nicht recht verstanden zu haben.

»Wie?« fragte er; »angehalten?«

»Nun natürlich!«

»Ja ... wie sollte er denn darauf gekommen sein?«

»Haben Sie mir das etwa nicht selbst gesagt?«

»Ich, Herr Rittmeister ... das ist mir ja gar nicht eingefallen ...«

»Herr, Sie sind ... da sehen Sie hin ... da liegt sie ...«

»Wer liegt da?«

»Die Alphonsine ...!«

»Aber weshalb liegt sie da? ich begreife nicht ...«

»Weil er ihr das Herz gebrochen hat!« zischte Schimmelmann, »und weil Sie die Hauptschuld dabei haben!«

»Empfehle mich ganz gehorsamst, mein Herr Rittmeister«, kam der Justizrat Schölplin mit seiner näselnden Stimme dazwischen; »wünsche wohl zu schlafen.«

Nasewitz benutzte die Gelegenheit, um sich zur Tür hinauszudrücken.

»Heilige Mutter Gottes, was habe ich da angerichtet«, brach ihm schon auf der Treppe der kalte Angstschweiß aus; »ich denke, er hat sich die Heiratsgeschichte aus dem Kopf geschlagen und will bloß den Padderow blasen hören ... und nun bildet er sich plötzlich wieder ein, er habe um die Alphonsine anhalten wollen ... aber mit welcher Berechtigung denn, zum Teufel? – Die Gedanken kommen mir alle durcheinander ... ich soll die Hauptschuld daran haben? – Ich hätte ihm gesagt, Padderow wolle heute um Alphonsine anhalten ... im Gegenteil, er hat mir gesagt, er wolle den Padderower blasen hören ... das ist ein schauderhaftes Mißverständnis ... wie kann man das aber aufklären? – Wenn ich dem Alten die volle Wahrheit sage, entzieht er Padderow gänzlich sein Interesse, und mich hält er für einen der schwärzesten Intriganten, den je die Erde getragen ... ich komme dadurch in eine Lage, die mich unmöglich macht beim Regiment ... das hat man davon, wenn man seinen Freunden gefällig sein will ... Himmeldonner... und das nannte ich vorhin den glücklichsten Abend meines Lebens ... Schockschwe... mir wird mit einem Male furchtbar unwohl ... aufklären darf ich also den alten Schimmelmann nicht ... doch was sonst tun ... die furchtbare Tatsache ist nicht wegzuleugnen ... der Alphonsine ist das Herz gebrochen ... sie haben ihr natürlich vorher etwas gesagt ... das kommt von der verdammten Schwatzhaftigkeit ... wo ist denn eigentlich der Padderow geblieben mit seiner unglücklichen Trompete ... halt ... da kommt mir ein Gedanke ... i, natürlich ... das ist ja das Allereinfachste ... auf diese Weise wird das ganze Unglück gehoben ... ich will gleich zu ihm gehen und mit ihm sprechen ... die Sache ist so gut wie abgemacht.« – – –

Im Hause des alten Schimmelmann erloschen allmählich die Lichter, und die Familie begab sich still zu Bett.

Pätel wimmerte die ganze Nacht; Dörte wusch noch bis nach Mitternacht das Geschirr ab. Schimmelmann hatte fortwährend die Fäuste so fest zusammengeballt, daß er sich anfangs gar nicht ausziehen konnte; die Mama weinte ihr weißes Kissen naß, und die drei Schwestern konnten gar nicht begreifen, weshalb Alphonsine in Ohnmacht gefallen sei. –

Als die Gäste gruppenweis nach Hause gingen, lachte man noch über den schlechten Witz von Padderow und tadelte ihn auch zugleich.

Und nun war ja der alte Schimmelmann doch nicht Major geworden ... hm ... sollte sich der Brigadeadjutant geirrt haben ... oder sollte sonst ein Irrtum vorgefallen sein? – Der arme Mann ... es ist schade ... es ist wirklich schade ... –

Als Nasewitz in Padderows Stube stürmte, saß dieser auf dem Sofa und hielt das Gesicht in eine vor ihm auf dem Tisch stehende Schüssel voll Wasser.

»Guten Abend!« sagte Nasewitz in bedeutender Aufregung.

»Blubber ... blubber!« machte Padderow, ohne das Gesicht aus dem Wasser zu nehmen.

»Weshalb trinkt Ihr denn nicht aus dem Glase, wenn Ihr durstig seid?« fragte der andere.

»Blubber ... blubber!«

»Wollt Ihr gefälligst den Unsinn jetzt sein lassen ... ich habe Wichtiges mit Euch zu reden.«

»Blumm!«

»Ihr kühlt Euch wohl die Nase?« redete der lange Offizier weiter; »sie glühte Euch heute abend wieder wie eine Kohle.«

»Blub ... blub!«

»Ihr könnt Euch nachher weiter baden«, zog Nasewitz ihm die Schüssel weg; »erst aber sprecht mit mir; denn es ist die größte Gefahr im Verzuge.«

Padderow hob den Kopf empor, aus dessen Haar und Bartwuchs das klare Wasser herniedertroff, wie von dem Haupt eines Tritonen, und blickte den späten Eindringling unwillig an.

»Was wollt Ihr eigentlich hier bei nachtschlafender Zeit?« fragte er, indem er sich schüttelte wie ein nasser Pudel; »und weshalb sagt Ihr mir lauter Grobheiten?«

»Wieso?« fragte Nasewitz.

»Wie kommt Ihr darauf, die Behauptung aufzustellen, daß ich mir die Nase kühle? – Die Lippen kühle ich mir, weil ich sie mir wund geblasen habe ... gebt mir 'mal die Schüssel wieder her und dann macht, daß Ihr nach Hause kommt; ich habe heut' schon genug Unannehmlichkeiten gehabt und bedarf der Ruhe.«

»Die bringe ich Euch eben, und mir dazu«, sagte der andere jetzt in einem milden, zum Herzen sprechenden Ton; »Padderow ... wollt Ihr Euch und mir einen großen Gefallen tun?«

»Ihr wißt, daß die Gefälligkeit zu meinen schönsten Tugenden gehört.«

»Padderow ... Ihr müßt die Alphonsine Schimmelmann heiraten.«

Der dicke Offizier sah ihn mit einem ganz merkwürdigen Gesicht an.

»Ihr müßt morgen vormittag schon um sie anhalten!« lächelte Nasewitz auf eine wirklich bestechende Art.

»Ihr seid wohl verrückt geworden, Schloßgesessener zu Knelling«, sagte Padderow.

»Nein ... im Gegenteil ... ich bin nie bei klarerem Verstande gewesen, deshalb wiederhole ich euch noch einmal: Ihr müßt Alphonsine heiraten, weil Ihr ihr das Herz gebrochen habt.«

»Das Herz habe ich ihr gebrochen ...?« fragte der andere; »womit denn? – Ich kann ihr höchstens das Trommelfell gebrochen haben ... das alte Ding ging heute abend so stark. – Das kann man aber nie vorher berechnen ... namentlich das h sprach prachtvoll an ...«

»Laßt jetzt Eure musikalischen Auseinandersetzungen«, unterbrach ihn Nasewitz; »ich werde Euch in Kürze einige aufklärende Mitteilungen machen, und nachdem Ihr dieselben ruhig angehört, gebe ich mich der vollsten Überzeugung hin, daß Ihr in ein gerechtes Verlangen willigen werdet.«

»Na, da bin ich doch neugierig!« rubbelte sich Padderow den nassen Kopf ab.

»Ich werde mich so klar und deutlich wie möglich ausdrücken.«

»Dadurch würdet Ihr mich sehr verbinden ... Donnerwetter, 'nen Zahn habe ich mir auch lose geblasen.«

»Ihr stecktet in Schulden bis über die Ohren; nicht wahr?«

»Stecke ich noch,« verbesserte Padderow, das Beißwerkzeug hin- und herschiebend.

»Wer versprach Euch zu retten?«

»Ihr.«

»Und damit die Sache glatt und ungehindert ginge, verschwieg ich Euch mein Mittel, das ich brauchte.«

»Hm!«

»Jetzt ist es über an der Zeit, Euch aufzuklären.«

»Na, dann klärt nur zu.«

»Um den Rittmeister Schimmelmann Euch günstig zu stimmen, um ihn Eure drängenden Gläubiger beruhigen zu lassen, erzählte ich ihm, Ihr wäret sterblich in seine älteste Tochter Alphonsine verliebt und ständet jede Nacht unter ihrem Fenster.«

»Das war ein Verrat von Euch, Herr von Nasewitz, sagte Padderow mit zornsprühenden Augen.

»Laßt mich ausreden; ich ging von dem Glauben aus, daß aus der Sache doch nichts werden... oder daß sie sich unter irgendeinem Vorwande von selbst erledigen lassen würde... dieser Glaube hat mich betrogen... Schimmelmann hat seiner Tochter von Eurer glühenden Liebe erzählt... das Mädchen hat sich die Geschichte zu Herzen genommen ... man hat heute abend, durch irgendein Mißverständnis geleitet, mit Bestimmtheit eine Erklärung von Euch erwartet... und da dieselbe nicht erfolgte... ist dem armen Mädchen das Herz gebrochen... ich habe sie selber liegen sehen ... bleich und kalt... es hat auch mir beinahe das Herz zerrissen; denn es ist ein gutes, vortreffliches Mädchen...«

»Ihr habt mir ja aber gesagt, ich soll Musik machen«, stand Padderow in höchster Erregung auf; »Ihr habt mir gesagt, der Rittmeister wolle ein Duett von mir hören...«

»Das ist eben das bis jetzt noch nicht aufgeklärte Mißverständnis«, entgegnete Nasewitz; »zu der von mir gemachten Äußerung war ich vollständig berechtigt. – So, nun wißt Ihr alles. – So stehen die Sachen. Ich habe Euch aus der Not helfen wollen; Ihr werdet mich nicht in der Patsche sitzen lassen; Ihr werdet mich nicht als Lügner und Intrigant an den Pranger der öffentlichen Meinung stellen... Ihr werdet nicht gegen Euer eigenes Fleisch wüten, indem Ihr dies tut... Ihr werdet nicht das Herz eines unglücklichen Mädchens brechen lassen, werdet nicht Unglück und Elend auf das trauernde, greise Elternpaar häufen, sondern werdet Vernunft annehmen, werdet den Regungen Eurer edlen, ritterlichen Seele folgen und die schone Alphonsine als eheliches Gespons zum Traualtare führen.«

Padderow hatte während der langen Rede seine Ruhe und Fassung vollständig wiedergewonnen.

»Hört jetzt meine Antwort, Edler von Nasewitz«, sagte er, stolz vor seinem Freunde stehen bleibend; »Ihr habt mich retten wollen... die Absicht war gut... aber sie verblaßt gänzlich von der Schändlichkeit der Ausführung. Ihr habt Euch eines niederträchtigen Mittels bedient, um mich zu retten, eines Mittels, das Euch den Stempel eines gewissenlosen Intriganten aufdrückt.«

»Aber, Padderow...«

»Still! Ich habe Euch ruhig ausreden lassen, gewährt mir dieselbe Gunst. Ich werde Euch weder verraten noch Lügen strafen ... das ist gegen meine mittelalterlichen Grundsätze...«

»Ah!« lebte Nasewitz wieder auf.

»Aber ich werde ebensowenig Fräulein Alphonsine Schimmelmann heiraten...«

»Ist das vielleicht auch gegen Eure mittelalterlichen Grundsätze?« brauste der andere auf.

»Durch schlechte Witze steigt Ihr nicht mehr in meiner Achtung«, entgegnete Padderow vornehm; »ich werde Fräulein Alphonsine Schimmelmann also nicht heiraten... weil ich mir gelobt habe, niemals ein Weib auf diese Weise zu beglücken... und ich werde mir keine Vorwürfe darüber machen; denn nicht ich habe ihr das Herz gebrochen, sondern Ihr... nicht ich bringe Kummer und Elend über das greise Elternpaar, sondern Ihr... nicht ich habe mir Gewissensbisse darüber zu machen, sondern Ihr

»Aber, Padderow, ich bitte Euch um Gottes willen«, brach Nasewitz zum zweitenmal der Angstschweiß aus; »wenn Ihr mich auch nicht verratet, wenn Ihr auch über meinen Plan schweigt, so wird Schimmelmann mich doch immer zur Rechenschaft ziehen, weil ich die ganze Sache eingeleitet, so wird er Aufklärungen von mir verlangen, die ich ihm nicht geben kann! Ihr bringt mich ja an den Rand des Abgrundes, grausamer Ritter!«

»Ihr habt Euch selbst dahin gebracht«, entgegnete Padderow kalt; »ich würde Euch aus dem Höllenschlunde holen und wenn mir Haar und Bart dabei versengen sollte; aber etwas Unmögliches kann ich Euch nicht bewilligen.«

»Ist das Euer letztes Wort?«

»Mein letztes Wort!«

»So lebt denn wohl!«

»Noch eins«, hielt ihn Padderow durch eine stolze Gebärde zurück; »Ihr habt mein Vertrauen mißbraucht, Herr von Nasewitz, Ihr habt Euch als einen falschen Freund gezeigt... Ihr habt ein frevelhaftes Spiel mit mir getrieben... Ihr habt mir eine Beleidigung zugefügt, die nur mit Blut getilgt werden kann.«

»Ihr seid wohl toll geworden?«

»Durchaus nicht... denn, übers Leben noch geht die Ehre!« zitierte Padderow aus Wallensteins Lager.

»Macht doch keinen Unsinn, edler Recke!«

»Ich werde Euch also morgen meinen Sekundanten schicken... Ihr, als der Geforderte, habt die Wahl der Waffen... vereinigt Euch mit ihm über Ort und Zeit... und damit Gott befohlen! – Gute Nacht!«

»Hol' Euch der Teufel... wißt Ihr das!« brauste Nasewitz auf; »für Euch stippe ich keinen Finger mehr ins Wasser.«

Damit verließ er das Zimmer, schlug die Tür hinter sich zu und eilte hinüber in seine Wohnung.

»Der Mensch ist ja total verrückt geworden«, brummte er vor sich hin; »Donnerwetter, wie bringe ich mich aus der Patsche wieder heraus... da habe ich mir eine nette Pastete zusammengerührt... mit dem Duell, das ist ja Unsinn... eine von Padderows gewöhnlichen Großsprechereien... Herr des Himmels, was wird das morgen für eine Begegnung mit dem alten Schimmelmann werden?... und das arme Mädchen... und das arme Mädchen ... mein Gott, wer hätte das aber auch denken können!... Und das war der glücklichste Abend meines Lebens... das Schicksal vergilt mir meine Ironie.


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