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14.

Vorbereitungen

Am andern Tage liefen bereits sonderbare Gerüchte durch die Stadt.

Der Rittmeister Schimmelmann hatte einen alten Leibrock zum Schneider geschickt, damit er die Schöße und Epaulettenhalter abschnitte und einen andersfarbigen Kragen aufsetzte.

Was konnte das wohl zu bedeuten haben?

Jeder Mensch in ganz Hasenbalg wußte, daß der Rittmeister Schimmelmann wahrhaftig nicht verschwenderisch mit seinen Sachen umging, im Gegenteil, er trug die alten Röcke, solange das letzte Fädchen Wolle darauf war, und manchmal ließ er sie sogar noch wenden, um sie im Winter unter dem Mantel zu verbrauchen.

Ein ganz unwichtiger Grund konnte es also wohl nicht sein, weshalb der Rittmeister von seinem alten Leibrock die Schöße abschneiden und einen andern Kragen aufsetzen ließ.

Der Schneider, ein aufgeklärter Mann, der in der Welt herumgekommen war, hatte gemeint, der Rittmeister Schimmelmann sei vielleicht zu einem andern Regiment versetzt worden und zwar zu den Husaren, die keine Schöße und Epaulettenhalter hätten, und nun wollte der Rittmeister es sich billig machen und die Dragoneruniformen umändern lassen. Das konnte man ihm allerdings zutrauen; denn sparsam war er, daß es beinahe zuviel wurde.

In drei Tagen spätestens sollte die Arbeit fertig sein; das war wieder ein auffallender Umstand.

Ein anderer schickt 'nen Rock zum Schneider und sagt gar nichts, oder sagt, ich brauche ihn bald, oder es hat keine Eile, das sind die gewöhnlichen drei Fälle, die weiter nichts Beunruhigendes haben; aber speziell anführen, in spätestens drei Tagen, da lag eben die Geschichte.

Ein Schuster, der mit dem Schneider auf einem Flur wohnte, hatte gemeint, aus der Eigentümlichkeit der Bestellung ginge klar und deutlich genug hervor, daß der, Rittmeister den Rock auf jeden Fall in drei Tagen brauche, daß es ihm aber auch lieb wäre, wenn er ihn schon nach zwei, vielleicht gar schon nach einem Tage zurückbekäme ... sicher ist immer sicher, und was man hat, darauf braucht man nicht zu warten... das stand aber jedenfalls fest, nach drei Tagen mußte es bekannt werden, zu welchem Zweck der Rittmeister Schimmelmann den Leibrock hatte umändern lassen. - Für ihn selber mußte er doch sein... denn weiter oder enger sollte er ja nicht gemacht werden... und wenn er für ihn selber war, dann mußte er ihn doch anziehen... und wenn er ihn anzog, dann mußte er doch mit ihm ausgehen...

»Und wenn er damit ausgeht, dann muß ihn doch jemand sehen!« legte der Schneider den Finger an die Nase, weil ihm die Logik des Schusters jetzt klar geworden war.

»Siehst du wohl!« nickte dieser; »also lange kann die Ungewißheit nicht mehr dauern.«

Mit diesem Resultat beruhigte man sich denn auch, bis der pensionierte Quartiermeister nachmittags über den Damm gehumpelt kam und mit langem Hals in das Fenster blickte.

Als er den Schneider nicht bei der Arbeit, sondern hinter dem Achtel Korn und der Butterstulle sah, schüttelte er mit saurer Miene den Kopf, als wenn er sagen wollte, »na ja, da haben wir die Geschichte... das wußte ich ja, daß es so kommen mußte.«

Damit schien er weitergehen zu wollen, aber der Schneider war aufmerksam geworden und rief ihn herein.

Als der Schuster die Tür klappen hörte, legte er die Arbeit beiseite und kam auch ein bißchen 'rüber, und da saßen sie denn alle drei hinter dem Achtel Korn und jeder sah den andern an, ob er nicht etwas sagen wollte.

Als keiner recht mit der Sprache heraus wollte, sah der pensionierte Quartiermeister endlich nach dem Stuhl, wo der alte Leibrock lag, dem bereits ein Schoß fehlte und der deshalb aussah wie ein Invalide.

Als die beiden anderen den Blick des Quartiermeisters sahen, steckten sie die roten Nasenspitzen ins Schnapsglas und freuten sich darauf, daß sie nun bald ihre geheimnisvolle Weisheit auskramen könnten.

»Wissen Sie schon die Geschichte?« fragte endlich der Schuster, der es nicht länger aushalten konnte.

Der Quartiermeister nickte und warf dann einen mitleidigen Blick auf den Schneider.

»Na?« meinte dieser; »was sagen Sie zu unserm neuen Husarenmajor?«

»Husarenmajor?« wiederholte der pensionierte Quartiermeister; »Dragonermajor wollen Sie sagen.«

»Dragonermajor?« erstaunte der Schuster; »dann hätte er den Rock nicht brauchen ändern zu lassen... die haben doch Schöße am Leibrock und Epauletten an der Schulter.«

»Kinder, Ihr seht ja aber den Wald vor lauter Bäumen nicht«, winkte der Quartiermeister mit der Hand.

Die beiden anderen machten große Augen.

»Ist der Rittmeister Schimmelmann der älteste Rittmeister oder nicht?« fragte der Pensionierte.

»Nun natürlich!«

»Na... folglich ist er der nächste zum etatsmäßigen Major... und was hat der etatsmäßige Major unter sich...? die Schneiderkommission... begreift Ihr nun?«

»Nein!« schüttelten die beiden anderen den Kopf.

»Und der jetzige Regimentsschneider ist ein alter Krüppel, der seinem Geschäft nicht mehr vorstehen kann«, dozierte der Quartiermeister weiter; »nun ist also nichts einfacher, als folgendes: unser jetziger Etatsmäßiger wird die Nachricht bekommen haben, daß er ein Regimentskommando übernehmen soll... der Rittmeister Schimmelmann rückt an seine Stelle... sein erster Gedanke muß also sein, eine Persönlichkeit aufzufinden, die sich für den neuen Regimentsschneider eignet... merkt Ihr nun noch nichts?«

»Nein!« schüttelten die beiden anderen den Kopf.

»Was hat unser jetziger Regimentsschneider bekommen, ehe er fein Amt bekam?« fuhr der Quartiermeister fort; »eine Probearbeit hat ihm der Etatsmäßige gegeben, und weil er die gut gemacht hat, deshalb hat er die Stelle gekriegt.«

Der Schneider sah den Schuster an, als wenn ihm etwas dämmerte.

»Dasselbe ist nun mit Ihnen geschehen«, nickte der Pensionierte; »der Rittmeister Schimmelmann hat den alten Leibrock hergeschickt, weil doch nichts mehr mit ihm anzufangen war, und er hat die vorgeschriebene Änderung verlangt, um zu sehen, ob ein Schneider auch mal etwas anderes machen kann, wie immer nach der alten, hergebrachten Schablone...«

»Aha!« nickten die beiden Zuhörer...

»Ob er eine gewisse Genialität habe«, fuhr der Quartiermeister fort.

»Hm, hm!«

»Ob er eine kleine Arbeit nicht oberflächlich behandle, sondern mit Lust und Liebe vornehme...«

»Ja, ja!«

»Ob er sich gleich d'ran mache und sie nicht auf die lange Bank schiebe...«

Der Schneider ließ die Unterlippe ein bißchen hängen.

»Denn das ist eben ein guter Regimentsschneider«, beendete der Quartiermeister seine Auseinandersetzung; »der schnell und fleißig hintereinander fortarbeitet; aber nicht die Sachen alle Naselang aus der Hand legt, um sich hinter die Kümmelpulle zu setzen.«

Damit trank der Quartiermeister die Neige in seinem Glase aus, wünschte guten Abend und ging.

»Siehst du, wie du bist!« nickte der Schuster, als der andere fort war; »die Geschichte hatte wirklich Hand und Fuß.«

Der Schneider aber sagte gar nichts, sondern wischte sich den Mund ab und säbelte den andern Rockschoß von dem alten Frack und noch an demselben Abend trug er die fertige Arbeit zum Rittmeister Schimmelmann.

Am nächsten Tage war aber Hasenbalg schon ganz bedeutend aufgeregter.

Wie ein Lauffeuer hatte sich die Kunde durch die Stadt verbreitet, der Etatsmäßige habe ein Regiment bekommen, und der Rittmeister Schimmelmann sei Etatsmäßiger geworden.

Die beiden Betreffenden erfuhren natürlich nichts davon, wie es den Betreffenden gewöhnlich geht, und voreilig wollte man mit den Gratulationen auch nicht sein. So etwas kommt gewöhnlich zuerst durch einen Privatbrief des Brigadeadjutanten an den Regimentsadjutanten, und ein paar Tage darauf wird es erst offiziell. Eher darf man darüber nicht reden... aber stillschweigend kann man allerdings seine Teilnahme bezeugen und deshalb wunderten sich auch der Etatsmäßige und der Rittmeister Schimmelmann nicht wenig, daß sie mit einemmal von allen Offizieren weit freundlicher gegrüßt wurden, als das früher geschehen war.

»Hm!« dachte der letztere; »sollten die schon erfahren haben, daß ich eine Abendgesellschaft geben will... eine feine Nase hätten sie dann... das muß man sagen.«

Der Premierleutnant von Kreidefleck, welcher der nächste zur Schwadron war, wurde bedeutend jugendlicher als sonst und zog sich ganz neue Sachen an, damit er noch ein bißchen frischer und jugendlicher aussähe; und der alte Graf, der an seiner Stelle Premierleutnant geworden wäre, fühlte immerwährend mit der Hand nach dem Epaulett, ob er den Stern noch nicht daran habe.

Am Nachmittag erzählte die dicke Schlächterfrau allen Leuten, die vorbeigingen, die Rittmeisterin Schimmelmann sei bei ihr gewesen und habe einen Kalbsbraten für fünfundzwanzig Personen bestellt.

Nun war ja die Geschichte richtig.

In einigen Tagen kam die Beförderung heraus und dann wollte der neue Major Schimmelmann einen Schmaus zum besten geben.

Der dicke Gastwirt und Offizierrestaurateur Strümpel freute sich natürlich auch schon; denn es gab doch jedenfalls ein Abschiedsessen für den zum Regimentskommandeur ernannten Etatsmäßigen ... und der Rittmeister von Kreidefleck gab gewiß auch etwas zum besten, denn als er heute mittag in die Küche gekommen war, um seine geplatzte Kartoffel aus dem Kessel zu nehmen, da hatte er der alten Mutter Strümpel auf die Schulter geklopft und gefragt, ob sie noch schöne Sardellenbutter machen könnte.

Geröstete Semmel mit Sardellenbutter gab es nämlich regelmäßig bei feierlichen Gelegenheiten; ein Mißverstehen von seiten der alten Strümpeln war also eigentlich gar nicht möglich.

Der alte Graf kratzte sich auch schon den Kopf und dachte darüber nach, ob er eine Bowle bei sich zu Hause geben sollte oder ob er bei Schleckmann die Geschichte abmachte... er wollte doch mal 'rangehen und mit ihm reden, was er wohl dazu meinte.

Als er aber in der Weinstube anlangte, hatte er vergessen, was er eigentlich gewollt, und das ihm auch nicht wieder einfiel, ließ er sich ein Viertel Rotwein geben, wie es seine Gewohnheit war und setzte sich in die rechte Sofaecke, weil außer ihm kein Mensch sich im Lokal befand.

Als er so eine Weile gesessen hatte, kam Pätel, der Bursche von Rittmeister Schimmelmann, gab Herrn Schleckmann einen Brief und rieb sich dann verlegen die Hände an den Hosen.

Der Weinhändler erbrach das Schreiben und las.

»Na, nun steht die Welt nicht mehr lange«, schmunzelte er dann.

»Wieso?« erwachte der alte Graf aus seinem Traum.

»Es ist gut; ich werde es morgen früh schicken«, nickte Herr Schleckmann dem Burschen zu; »meine beste Empfehlung an die Herrschaft.«

Pätel gab sich erst einen Ruck, machte dann eine ungeschickte Schwenkung und polterte wieder hinaus.

»Sagten Sie nicht vorhin etwas von Welt untergehen?« sagte der alte Graf.

»Freilich«, leckte sich Schleckmann die Lippen; »denken Sie doch, der Rittmeister Schimmelmann bestellt zwölf Flaschen von meinem billigsten Bowlenwein, zwanzig Flaschen Rotwein, eine Flasche Rum und ein halbes Dutzend Pomeranzen.«

»Na ja«, besann sich Schwülenberg; »das ist ja eben deswegen ... weil...«

Hier unterbrach er sich und kratzte sich wieder den Kopf, als wenn ihm plötzlich etwas anderes eingefallen wäre.

»Weswegen ist das?« fragte Schleckmann, nachdem er eine ganze Weile gewartet.

»Na... weswegen ich hergekommen bin... es war mir nur wieder aus dem Sinn gegangen...«

»Sollten Sie denn auch den Wein für den Herrn Rittmeister bestellen?« fragte Schleckmann verwundert.

»Ach!« schüttelte Schwülenberg den Kopf; »Unsinn... ich wollte bloß wissen, was das wohl kosten könnte, wenn man nämlich den Wein von Ihnen nimmt...«

»Hm«, machte Schleckmann; »das ist leicht zu berechnen...«

Dann blickte er noch mal in den Brief, bewegte ein bißchen die Lippen und sah den alten Grafen, der seinerseits ebenfalls schon wieder in Gedanken vertieft war, an.

»Acht Taler zwanzig Silbergroschen«, nickte er dann.

»Wenn man ihn holen läßt?« fragte Schwülenberg, nachdem er sich erst wieder ein Weilchen besonnen.

»Ja!« sagte Schleckmann.

»Und wenn man ihn hier trinkt?«

»Das ist ganz dasselbe.«

Der alte Graf machte eine saure Miene und schüttelte eine ganze Zeitlang mit dem graumelierten Kopf.

Dann bezahlte er endlich sein Viertel und ging fort.

»Donnerwetter, ist das aber teuer«, brummelte er vor sich, als er draußen auf der Straße war; »acht Taler zwanzig Silbergroschen für eine Premierleutnants-Bowle... Gott soll mich bewahren... dann gebe ich Punsch... das kommt mir doch bedeutend billiger..«

Am dritten Tage war die Geschichte noch toller.

Die Fischfrau unten an der Hase hatte nämlich allen Vorübergehenden erzählt, die Rittmeisterin Schimmelmann habe vier große Schüsselhechte bei ihr bestellt, und zwar zu morgen abend.

Morgen abend mußte also alles heraus, die Beförderungen und das Abendessen, aber noch immer waren keine Einladungen ergangen; wahrscheinlich sollten es bloß Herren sein, denn in so kurzer Zeit konnten sich doch die Damen keine Toilette besorgen.

Aufregung, Hoffnung, Trostlosigkeit im wunderbaren Verein hatten sich der Gemüter bemächtigt, und es gab in ganz Hasenbalg kaum einen einzigen Menschen, der sich nicht mehr oder weniger für die Sache interessierte.

Je näher der Zeitpunkt herankam, der alles offenbar machen sollte, desto inniger wurde die Freundlichkeit gegen die Beteiligten, den Etatmäßigen, den Rittmeister Schimmelmann, Premierleutnant von Kreidefleck und Sekondeleutnant Graf Schwülenberg, und namentlich der letztere wurde durch die allgemeine Teilnahme dermaßen gerührt, daß er wieder überlegte, ob es nicht doch besser sei, Weinbowle anstatt der Punschbowle zu geben.

So verging der dritte Tag unter allgemeinster Aufregung.

Am Morgen des vierten, als Nasewitz noch im Bett lag, kam Pittelko, der Bursche, herein und hatte etwas Weißes in der Hand.

»Was willst du?« fragte der Offizier, ein bißchen ungehalten.

»Der Bursche vom Herrn Rittmeister hat einen Brief für den Herrn Leutnant abgegeben«, sagte Pittelko.

»Was!?« fuhr Nasewitz im Bett empor; »ein Brief vom Rittmeister Schimmelmann?«

»Zu Befehl, Herr Leutnant.«

Nasewitz begann das Herz zu klopfen und er befürchtete unwillkürlich etwas Schlimmes.

»Ach Herrje!« dachte er; »da ist entschieden etwas vorgefallen... hm, hm... die ganze Zeit über war er so freundlich und liebenswürdig und nun mit einem Male ein Brief... also eine so wichtige Mitteilung, daß er sie nicht bis zum Appell verschieben konnte... sollten Padderows Gläubiger doch wieder ungeduldig geworden sein ... schnell, zieh' das Rouleaux auf, Pittelko!«

Der Bursche tat, wie ihm geheißen, und Nasewitz erbrach den Brief und las mit gierigen Augen folgendes:

»Der Rittmeister Schimmelmann und Frau beehren sich Herrn Leutnant von Nasewitz heute abend sieben Uhr zum Souper einzuladen.«

Und dann darunter die Worte: »Denken Sie an unser Gespräch beim Grafen Plustra.«

»Aha!« dachte der Leutnant, indem ihm bedeutend leichter ums Herz wurde; »an der Geschichte war also doch etwas Wahres... der Alte wird Major und gibt deshalb heute abend ein Freudenfest ...kann's ihm nicht verdenken; denn er hatte wohl kaum darauf gerechnet, die großen Epauletten zu bekommen... und dabei will er Padderow zeigen lassen, was er auf der Tuba gelernt hat... das ist wirklich zartfühlend von dem alten Mann... ich sage es ja immer, die meisten Menschen sind bedeutend besser als sie scheinen... denken Sie an unser Gespräch beim Grafen Plustra... natürlich denke ich daran... ich soll Padderow seine Absicht mitteilen, damit er sich vorher noch ein bißchen üben kann... das ist wirklich ein Herz wie ein Juwel... auf den Mann lasse ich nichts mehr kommen... der bleibt mein Freund fürs ganze Leben.«

Dann stand er schnell auf, trank Kaffee, zog sich an und ging zu seinem Freund Padderow hinüber.

Als er in das große, kahle Zimmer trat, saß der dicke Offizier auf dem Sofa und hatte einen Brief in der Hand, während Polko sich vis-à-vis von seinem Herrn postiert hatte und die Adresse des Schreibens zu studieren schien.

»Guten morgen, erlauchter Herr!« grüßte Nasewitz freundlich.

»Guten morgen, edler Recke!«

»Was habt Ihr denn da für einen Brief... hat die Tante Geld geschickt?«

»Das letztere wäre mir allerdings lieber gewesen«, entgegnete der Dicke; »da... lest.«

Nasewitz nahm den Brief, welcher dieselbe Einladung enthielt, wie er selbst sie bekommen, doch ohne die bekannten Schlußworte.

»Was sagt Ihr dazu?« fragte Padderow.

»Ich war darauf vorbereitet... ich bin ebenfalls eingeladen.«

»Plagt denn aber den Alten der Teufel... wie kommt er eigentlich dazu?«

»Sehr einfach... die Geschichte ist wahr mit seiner Beförderung... deshalb gibt er ein kleines Zauberfest!«

»Meint Ihr wirklich... das ist ja ganz interessant, wie? - Da wird man sich amüsieren.«

»Nun natürlich... ausgezeichnet... und Ihr werdet das Eurige zum allgemeinen Vergnügen beitragen.«

»Der Padderower läßt überall seinen Geist glänzen, wohin er kommt«, strich der kleine Offizier seinen häßlichen Schnurrbart.

»Na... diesmal sollt Ihr nun weniger durch Euren Geist glänzen, als durch Eure Kunst.«

»Wie meint Ihr das, würdiger Schwertbruder?«

»Ihr sollt Euch auf Eurem Instrument hören lassen.«

»Macht keinen Unsinn, Nasewitzer.«

»Fällt mir gar nicht ein... ich sprach niemals ernster in meinem ganzen Leben... neulich auf dem Frühstück hat es mir der Alte gesagt.«

» Was hat er Euch gesagt?« wurde Padderow etwas unruhig.

»Er hat Euch doch veranlaßt, die Tuba zu lernen... weshalb er es getan, wer kann das wissen... er ist ein Musikfreund, und da Ihr allem, was Ihr tut und vornehmt, eine eigentümliche Grazie und Genialität einhaucht, so hatte er gedacht, daß Ihr auch seinem Lieblingsinstrument, der Baßtuba, die ganze Poesie Eurer Seele mitteilen würdet.«

»Meint Ihr das wirklich, Burggesessener von Knelling?« fragte Padderow, halb geschmeichelt, halb zweifelhaft.

»Es ist meine feste, unumstößliche Ansicht.«

Der dicke Offizier wribbelte wieder an seinem Schnurrbart herum.

»Und bei Plustra hat er Euch davon gesprochen?«

» Wie ich Euch sage... er hält Euch für einen Meister auf Eurem Instrument... er meinte, nun solltet Ihr einmal zeigen, was Ihr gelernt hättet... wenn er sich gar nicht um Eure Fortschritte bekümmert hätte, würde er Euch doch ohne Zweifel tief verletzt haben... anstatt dessen gibt er Euch Gelegenheit, vor einer glänzenden Gesellschaft Kunstverständiger zu blasen und Eure seltene Fertigkeit in hellstem Glänze zu zeigen... ist das nicht reizend von ihm?«

Padderow sah Nasewitz an, als wenn er ihm nicht ganz traute.

»Was ich Euch eben gesagt, ist die lautere Wahrheit«, legte der letztere die rechte Hand beteuernd aufs Herz.

»Woher weiß er denn aber, daß ich... ein Meister bin?«

»Wahrscheinlich hat er Euch phantasieren hören, wenn er hier vorbeiritt nach der Bahn.«

Der dicke, eitle Mensch schmunzelte, weil er wirklich anfing, zu glauben.

»Genierlich ist die Geschichte aber doch«, sagte er dann.

»Weshalb?« warf Nasewitz mit wunderbarer Natürlichkeit hin; »ja, wenn Ihr ganz allein etwas vortrügt... aber so...«

»Was?« fragte Padderow... »was soll denn das nun schon wieder heißen?«

»Nun, es versteht sich doch ganz von selbst, daß Ihr Fräulein Alphonsine zum Klavier begleitet... das wäre ja eine schreckliche Unhöflichkeit, wenn Ihr das unterlassen wolltet...«

Padderow schien eine gewisse Unbehaglichkeit zu empfinden.

»Wißt Ihr, das geht nicht«, sagte er dann kleinlaut.

»Weshalb soll das nicht gehen?«

»Ach... Ihr wißt doch, daß ich immer nicht ordentlich Takt halten kann.«

»Darüber laßt Euch keine grauen Haare wachsen«, klopfte ihm Nasewitz auf die fette Schulter; »der Fall ist bereits vorhergesehen ... wollt Ihr wissen, was der Alte zu mir gesagt hat? Was frage ich nach dem Takt... wenn nur er 'nen guten Ton hat.«

»Knellinger... Witze macht Ihr doch nicht mit mir... was?« »Ich schwöre Euch, daß das seine eigenen Worte sind.«

»Wahrscheinlich kann die Alphonsine auch nicht Takt halten«, meinte Padderow.

»Sehr leicht möglich.«

»Und darauf kommt es auch eigentlich gar nicht an... wie?«

»I, Gott bewahre!«

»Wenn nur die Melodie richtig ist.«

»Nun natürlich.«

»Und... einen guten Ton habe ich, meint Ihr... was?«

»Ganz wunderbar, großer Meister!«

»Ja... als ich aber das Konzert unter Plustras Fenster gab... da dachte er doch... es wären... Hunde... gewesen...«

»Ach... das war ja natürlich Spaß... wie könnt Ihr denn Plustra für so unmusikalisch halten... ein halber Italiener...«

»Nu eben...«

»Ihr fehlt also, daß absolut dabei nichts zu riskieren ist...«

»Verlassen kann ich mich doch auf Euch, Nasewitz?«

»Wie auf einen Felsen, edler Herr!«

»Es würde entsetzlich werden, wenn Ihr Euch einen Scherz mit mir gemacht hättet.«

»Padderow... wie könnt Ihr nur den Gedanken fassen...!«

»Nein«, reichte ihm der andere die dicke Hand; »ich glaube und vertraue Euch... ich will mir die Sache überlegen.«

»Bedenkt aber auch, daß der Rittmeister ausdrücklich den Wunsch ausgesprochen hat, Euch zu hören... ich fragte ihn, ob ich Euch denselben mitteilen sollte... er erwiderte mir aber, so ginge das nicht, es müßte doch alles seine Formen haben... er würde es schon selber einrichten... nicht wahr, wie zart und fein?«

»Ich kann seiner Handlungsweise allerdings meine Anerkennung nicht versagen«, richtete sich der Stolz in dem dicken Leutnant wieder auf; »ich selbst würde nicht haben ritterlicher handeln können.«

»Nun blast Euch ›Heil dir im Siegerkranz‹ noch ein paarmal durch«, sagte Nasewitz, »damit es heute abend recht glatt geht und Ihr nicht stecken bleibt.«

»Ach, Unsinn«, saß Padderow nun schon wieder auf dem hohen Pferde; »in der Melodie bleibe ich nie stecken... die weiß ich auswendig... wenn ich nur die Töne alle herausbekomme.«

»Darüber bin ich ganz außer Sorge«, meinte Nasewitz mit dem glaubwürdigsten Gesicht der Welt.

»Es ist auch wahr«, beruhigte sich der dicke Leutnant; »und wenn einer wirklich nicht ansprechen sollte, dann tue ich so, als wenn ich pianissimo blasen wollte.«

»Bravo!« rief Nasewitz; »durch dieses Nuancieren macht Ihr jedenfalls einen riesigen Eindruck!«

Padderow stand auf und schien schon im Vorgefühl seines Sieges zu schwelgen.

»Nun werde ich aber doch noch ein bißchen üben«, sagte er dann; »sicher ist sicher.«

»Tut das, großer Meister... adieu... auf Wiedersehen bei Tische.«

»Gehabt Euch wohl, treuer Dienstmanne!« –

Als Nasewitz unten auf der Straße angelangt war, stand er einen Augenblick still und horchte.

»Böh!« tonte es von oben herab; »buh... brumm!«

»I... i... ih!« sang Polko dazu durch die Fistel.

»Das wird ein reizender Abend werden«, lächelte Nasewitz vor sich hin.

Als er eben über den Rinnstein wollte, kam Graf Schwülenberg des Weges daher und schien in tiefe Gedanken versunken.

»Guten Morgen, Alter«, sagte Nasewitz.

»Ach, du bist es... na, guten Morgen.«

»Was Neues in der Zeitung?«

»Ach ne, weißt du... da steht nämlich allerhand Zeug drin... und dann war da namentlich aus Frankreich wieder ... das ist doch 'ne tolle Geschichte...«

»Na... was sagst du zu der Einladung?«

»Hm«, machte Schwülenberg; »weißt du, ich will doch lieber Wein nehmen... das kostet zwar acht Taler zwanzig Silbergroschen... aber mit dem Punsch ist's doch nichts... wie?«

»Wovon sprichst du denn eigentlich, alter Graf?«

»Na, weißt du, wenn man Premierleutnant wird, dann muß man doch... das ist doch nun mal so Sitte...«

»Ach... ich wollte ja wissen, ob du heute abend auch bei Schimmelmann eingeladen wärst!«

»Nun natürlich... weshalb sagst du denn das nicht gleich... du bist immer so zerstreut, Nasewitz.«

»Böh!« tonte es von oben; »buh... quack!«

Der alte Graf sah sich ganz verwundert um.

»Was ist denn das?« sagte er; »das sind wohl die Hammel beim Brauer Branz auf dem Hof?«

»Qui... i... i.. k!« machte Polko. »Donnerwetter!« verzog Schwülenberg das Gesicht... »danach kriegt man Schmerzen in die Beine... na, adieu, Nasewitz, ich muß in die Bahn.«

»Adieu, Alter!«

Und damit ging jeder seines Weges. - -

Im Hause des Rittmeisters Schimmelmann ging es am nämlichen Morgen wild her.

Der Alte war, seiner Gewohnheit entgegen, gar nicht in die Bahn geritten, sondern stand mit Pätel in seinem kleinen Zimmer und machte die Bowle.

Die Wein- und Rumflaschen hatte der Bursche, wie eine lange Linie Rekruten, an die Wand gestellt, auf dem runden Tisch prunkte eine weiße Porzellanterrine und daneben lag ein mächtiger Pfropfenzieher.

»Na, was stehst du da und hältst Maulaffen feil«, fuhr der Rittmeister seinen dienstbaren Geist an; »die Flaschen aufgezogen... schnell!«

Pätel bekam einen Ruck, ergriff dann den Korkzieher, klemmte eine Flasche nach der andern zwischen seine dicken Knie, machte ein energisches Gesicht und zog die Pfropfen heraus, daß es ordentlich knallte.

»Fertig?« grunzte Schimmelmann.

»Fertig, Herr Rittmeister!«

»Wasser!«

Pätel stolperte erst über seine eigenen Beine, dann die Hintertreppe hinunter und kam nach einigen Minuten mit dem überschwippenden Stalleimer zurück.

»Was soll denn das heißen, Esel? - Kleiner Napf voll Wasser ... Löffel zum umrühren... Zucker... Pomeranzen... von der gnädigen Frau... schnell!«

Pätel bekam ganz blaue Backen vor Aufregung und raste dann nach der Küche zu ab. Nach wenigen Minuten kam er mit dem Verlangten zurück und stellte alles auf den Tisch.

»Der Zucker ist ja so großkörnig und feucht«, meinte Schimmelmann.

»Die gnädige Frau sagte, ich sollte ihn nur vom Küchentisch nehmen«, antwortete Pätel.

»Hm!« machte der Alte; »vom besten scheinen sie nicht gekauft zu haben... schad't auch nichts... wird wohl ebensogut süßen.«

Damit schüttelte er eine ganze Portion in die Terrine, goß Wasser darauf und rührte, bis die weiße Masse sich so ziemlich aufgelöst hatte und einen gräulichen Schleim bildete; dann wurde der weiße Wein draufgegossen und schließlich machte sich der alte Schimmelmann ans Pomeranzenschälen.

Dabei schimpfte und brummte er, daß es schrecklich war mitanzuhören; dessenungeachtet machte er aber auf Pätel keinen besonderen Eindruck, im Gegenteil, das dumme Gesicht grieflachte vor sich hin, und als Schimmelmann eine Pomeranze wütend an die Wand warf, daß es einen runden, dunklen Fleck gab, dann wagte er es sogar, leise darüber zu lachen.

Der Alte sah ihn an, als wenn er ihn mit Haut und Haar verzehren wollte.

»Was untersteht Er sich, Lümmel!?« brauste er auf; »worüber lacht er... was?«

»Ach, Herr Rittmeister... lachen tue ich ja eigentlich gar nicht«, schüttelte der Bursche gutmütig den Kopf; »der Herr Rittmeister tun mir ja bloß leid...«

»Himmelhund!« pruschte ihn der Alte an; »was fällt Ihm ein?«

»Na ja«, sagte Pätel, der mit seinem Herrn schon Bescheid wußte; »weshalb quälen Sie sich denn mit die schlechten Appel ab ... die sind ja noch ganz grün und unreif.«

Kaum hatte Pätel seine Rede geendet, als ihm eine Pomeranze an den Kopf flog. »Ich werde Ihn lehren, Witze machen, dummer Dorfteufel!« schrie Schimmelmann wütend; »raus! Hat Er seine Jacke schon anprobiert?«

»Zu Befehlen, nein, Herr Rittmeister!«

»Dann tu' er's... nehme er den Stalleimer wieder mit!«

Der Bursche leistete dem Befehl Folge und verschwand mit dem Eimer.

»Das ist eine verfluchte Wirtschaft«, nahm Schimmelmann seine mühsame Arbeit wieder auf; »die Augen tränen mir schon, daß ich kaum mehr unterscheiden kann, ob ich einen Laubfrosch in der Hand habe oder 'ne Pomeranze... dreimal habe ich mir schon in die Finger geschnitten... aber, was hilft's... das Glück eines Kindes ist ein kleines Opfer schon wert...«

In diesem Moment glitschte ihm eine Pomeranze zwischen den Fingern weg und sprang in die schwippenvolle Bowle, daß der Wein hoch auf und dem Rittmeister auf den Leib spritzte.

»Daß dich der Teufel!« fluchte Schimmelmann, die nasse Hand ableckend... »pfui, noch schmeckt das Zeug nicht ordentlich ... der Zucker hat noch nicht gesüßt... und dann sind ja auch die Pomeranzen noch nicht d'rin... ich komme übrigens mit den Dingern nicht zurecht... die Melusine oder ein anderes Frauenzimmer kann weiterschälen... die haben geschicktere Finger zu so etwas...«

Damit warf er die Schalen, die er selber abgesäbelt, in die Bowle, suchte stöhnend die beiden fortgeworfenen Pomeranzen wieder auf, pustete den Sand ab und ließ sie nebst den anderen ebenfalls leise und vorsichtig in die kühle Flut des Weines gleiten. Mit dem Rest, der noch auf dem Teller lag, schlug er den Weg zur Küche ein, die sonst sein Fuß noch nie betreten hatte.

Als er die Tür öffnete, stieß das Dienstmädchen einen gellenden Schrei aus, der gleich darauf von der Mutter und den vier Töchtern wiederholt wurde.

Schimmelmann bekam einen Schreck und stutzte.

»Donnerwetter, was schreit Ihr denn?« schalt er dann... »was ist denn los?«

»Ja, was ist denn eigentlich los?« wandte sich die Mutter an das Dienstmädchen, von dem der erste Schrei ausgegangen.

»Ach Gott, ach Gott, ich habe mich so furchtbar über den Herrn Rittmeister erschrocken«, ließ sich das Mädchen auf einen Schemel fallen... »der Herr Rittmeister ist noch nie in der Küche gewesen ... ich dachte, es wäre ein Gespenst!«

»Ja, es ist aber auch wahr, Alter, was willst du eigentlich hier?« sagte die Mama, die ganz rot war vor Aufregung und Arbeit; »wir haben hier alle Hände voll zu tun und nun kommst du uns auch noch dazwischen. - Munter, Kinder, immer flink wieder an's Werk... hast du die Krebsschwänze schon ausgepellt, Melusine?«

»Noch nicht ganz, Mama; aber ich bin bald fertig.«

»Was machen deine Nasen, Cölestine?«

»Ich stopfe, Mama.«

»Alter, steh' nicht mitten in der Küche herum«, schob die rührige, kleine Frau ihren Gemahl beiseite; »setze dich wenigstens, wenn du durchaus zusehen willst, da ist ein Schemel am Fenster...«

Während Schimmelmann mit seinem Pomeranzenteller sich rückwärts nach dem ihm angewiesenen Sitz dirigierte, suchte die tätige Hausfrau überall umher, als wenn sie etwas vermißte.

»Wo ist denn nun das Salz wieder geblieben?« fragte sie; »ich muß die Kalbskeule einreiben... ich habe doch zwei Pfund holen lassen...«

»Schock Schwerenot!« stieß Schimmelmann in diesem Moment einen fürchterlichen Fluch aus.

Die sechs weiblichen Wesen sahen sich erschrocken um.

Der alte Mann hatte sich in die Wasserschüssel mit den noch lebenden Hechten gesetzt, und diese waren dadurch auf die Erde gefallen und zappelten und schlugen mit den Schwänzen, daß die Frauenzimmer abermals laut aufkreischten.

»Aber, Heinrich«, zog die Frau den alten steifen Menschen wieder auf; »wie kann man nur solche Geschichten machen... sieh 'mal, nun bist du ganz naß hinten... greife die Fische wieder, Dörte... was hast du aber auch hier zu suchen, Alter...?«

»Ja, Ihr laßt mich ja gar nicht zu Worte kommen«, befühlte sich Schimmelmann; »ich wollte eines von den Mädchen bitten, daß sie mir die Pomeranzen abschälte... ich komme nicht damit zu Rande ... glaubst du, daß ich mir 'nen Scherben eingedrückt habe? - Das wär' 'ne verdammte Geschichte.«

Die praktische Frau faßte schnell unter seine Rockschöße und stellte eine Untersuchung an.

»Nein...« nickte sie ihm freundlich zu; »geh' in deine Stube und zieh' dir andere Höschen an.

Damit nahm sie dem ganz still und perplex gewordenen Schimmelmann seinen Pomeranzenteller aus der Hand, stellte ihn auf den Tisch und schob den Herrn Gemahl sachte zur Küchentür hinaus.

»Wie leicht hätte mich da ein Hecht beißen können«, brummte dieser, als er den Flur entlang nach seiner Stube tappste; »burr... das ist mir doch verdammt kalt... ich werde mich ein bißchen ins Bett legen.«

»Na... hat niemand das Salz gefunden?« drehte sich die kleine Mama ein paarmal rundum.

Alles verneinte.

»Ja; dann hilft es nichts, Dörte; dann mußt du noch zwei Pfund holen... zum Suchen haben wir keine Zeit, und es ist noch so viel zu tun, daß ich gar nicht weiß, wie wir bis zum Abend fertig werden wollen.«

Dörte nahm sich ein grobes Tuch um und lief zum Kaufmann.

»Mama, ich bin fertig mit meinen Krebsschwänzen«, machte Melusine ein selbstzufriedenes Gesichtchen.

»Stelle sie auf den Herd, Kind, und dann geh' nach vorn, wickele Papier unten um die Wachslichter und stecke sie auf die Leuchter.«

»Schön... erst will ich mir aber die Hände waschen... pfui, die alten häßlichen Krebse.«

Die Mutter warf einen zufriedenen Blick um sich, dann bekam sie plötzlich in einem Gefühl aufwallender Freude die Alphonsine beim Kopf und küßte sie, daß jener die Lippen wehtaten.

»I!« wunderte sich Euphrosine; »die bekommt einen Kuß und rührt bloß Sauce an, und wir tun die schwere Arbeit und gehen leer aus.«

»Du hast wohl keinen Zucker an die Preiselbeeren getan, Cölestine?« bekam die Mutter eine große blaue Düte in die Augen.

»Gewiß, Mama, eine ganze Portion.«

Die Rittmeisterin lief nach dem Küchentisch und kostete das Kompott.

»Vollkommen süß genug«, sagte sie; »da muß die dumme Dörte wieder mehr Zucker geholt haben, als ich ihr aufgetragen; na, das schadet nichts, umkommen tut er nicht und gebraucht wird er immer ... heute kommt's überhaupt nicht so genau d'rauf an ... du gute einzige Alphonsine, du!«

»Schon wieder?« wunderte sich nun auch Cölestine; »was hat denn Mama heute mit der vor?«

»Da ist das Salz!« preschte Dörte in die Küche; »puh, bin ich gelaufen ... sind die Leute auf der Straße aber neugierig ... sie sehen einen an, als ob man ein Wundertier wäre.«

Die Mutter schmunzelte und gab Alphonsine noch einen Kuß.

»Nun schuppe die Hechte, Dörte«, trieb sie dann wieder zur Arbeit; »na, nun bist du ja auch mit deinen Nasen fertig, Cölestine; lege sie sauber um die Schüssel herum; den Salat tun wir nachher auf.«

»Willst du wohl gleich stilliegen, Racker«, schuppte Dörte ihren ersten Hecht.

In dieser Weise ging es den ganzen Tag, an Mittagessen war natürlich nicht zu denken, jeder nahm hier und da einen Bissen in den Mund, wie es gerade die Gelegenheit bot, nur der Rittmeister, der doch seine warme Kost gewöhnt war, bekam ein Mehlsüppchen und ein bißchen aufgeschwitzten Braten von gestern.

Als der Abend dämmerte, höchstens eine Stunde vor dem Eintreffen der Gäste, war alles fertig; die lustigen Hechte lagen jetzt still und friedlich auf der Schüssel, die Krebse, die den Salat garnierten, machten noch im Tode freundliche Gesichter, die Bouillon wärmte sich an mildem Feuer, der Kalbsbraten brodelte leise auf dem Herd, die Pomeranzen waren alle abgeschält und schwammen mitsamt ihren Schalen auf der Oberfläche der Bowle, die Rotweinflaschen hatten sich hübsche blanke Mützen aufgesetzt, die Tassen standen auf dem Präsentierbrett, die Weingläser auch, und die kleinen Kuchen vom Konditor Schlichter lagen in graziöser Gruppierung auf kleinen Tellern mit bereits etwas abgewaschenem goldenen Rande.

Nun ging es, Hals über Kopf, ans Toilettemachen.

Pätel, der Bursche, quälte sich unten in seiner Kammer die viel zu enge Jacke an; der Rittmeister, der in soldatischer Pünktlichkeit schon lange fertig war, lehnte mit dem Rücken am Ofen in seiner Stube, weil er noch immer an den Folgen des unfreiwilligen Sitzbades laborierte. Dörre stand in der Küche und seifte sich die dicken, roten Arme ab, mit einem Eifer, als wenn sie ihre Treppen scheuerte, und die rührige Mama, die sich am meisten beeilt, lief von einer Tochter zur andern, drehte hier ein Löckchen um den linken Zeigefinger, steckte dort eine Schleife zurecht, hakte hier ein Kleid zu, und half dort ein leichtes, hohles Armbändchen einknipsen, bis glücklich alle vier Mädchen so hübsch vor ihr standen in ihren einfachen Anzügen, daß es eine wahre Freude war, sie anzuschauen.

»Ihr seht reizend aus, Kinder«, gab die Mama jeder einen Kuß und Alphonsine zwei; »nun kommt, nun wollen wir vorn die Lichter anstecken ... wir haben höchstens noch eine Viertelstunde, bis sie kommen ... Melusine, geh' und rufe den Papa ... er soll sich aber vorher noch den Mund ausspülen, wenn er geraucht hat ... flink, Mädchen; nimm das Feuerzeug mit, Cölestine.«

Zehn Minuten weiter und die vorderen Gemächer strahlten in einem Glanze, wie man ihn noch nie gesehen; die alten Möbel sahen auch ordentlich aus, als wenn sie sich geputzt hätten, eine angenehme Wärme floß durch den festlichen Raum und in jeder Ofenröhre dampfte ein rotes Räucherkerzchen und verbreitete einen schmeichelnd lieblichen Wohlgeruch.

Na ... nun konnten sie ja kommen.


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