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Siebzehntes Kapitel.
Nach dem Sturm.

Es war im Januar 1794. Trüb und schwer wie der düstere Winternebel lagerte der Schrecken über Frankreich. Das ganze Land schwamm in Blut und Thränen. Der König, die Königin, die schöne Madame Elisabeth und alle, die zu ihnen gehört hatten, waren auf dem Schaffot gefallen. In endlosen Martern wurde der Stolz des Landes, der schöne kleine Dauphin zu Tode gequält. In Paris herrschte despotischer und blutiger als der schlimmste Tyrann, der Mann, der Tugend und Freiheit öfter als jeder andere im Munde führte und sich wie ein giftiges Reptil aus dem Dunkel langsam emporgearbeitet hatte, der einst von allen übersehene Robespierre. Die Guillotine arbeitete von früh bis spät und die Greuelscenen von Paris wiederholten sich noch schrecklicher in den Provinzen. Nach den Freunden des Königs, den Anhängern der alten Ordnung, kamen die Idealisten an die Reihe, die frevelnd mit dem Feuer gespielt und die Monarchie untergraben hatten, um sich und ihre volksbeglückenden Ideen ans Ruder zu bringen. Die Girondisten wurden jählings vom Piedestal ihrer Chimären gestoßen, und sie, die den Tod so vieler Unschuldigen wissentlich oder unwissentlich veranlaßt hatten, starben auf dem Schaffot oder kamen im Elende um. Auch die schöne Frau Roland endete auf der Guillotine. Mit Blumen geschmückt, wie zu einem Feste, ging sie heiter lächelnd in den Tod und ihr Gatte, der nicht ohne sie leben konnte, endete durch Selbstmord.

Das tapfere Heer der Vendée aber, das ein Jahr lang siegreich der Republik getrotzt und die Fahne des Königs hoch gehalten hatte, wurde bei Le Mans in der Bretagne von der Übermacht der Regierungstruppen erdrückt.

In dem engen Häuslein der Altstadt von Rennes, in derselben Wohnung, in der die Witwe Brissot mit ihrer Tochter gelebt hatte, wohnten wieder zwei Frauen einfach und still. Sie hatten beide schneeweißes Haar, obschon das Gesicht der einen, wenn auch bleich und vergrämt, doch noch jugendlich aussah. Man sagte, es seien aus Paris vertriebene Nonnen, denn sie widmeten sich nur Werken der Barmherzigkeit, der Pflege der Kranken und der Fürsorge für kleine Kinder. Es gab damals viel Waisen in Frankreich und viele, die des Trostes bedürftig waren.

Hätte jemand gesagt, die schlichte Matrone mit dem ärmlichen Anzug und den einfachen Gewohnheiten sei die Marquise von Villiers, die vor vier Jahren noch wie eine Königin gehegt und gepflegt in dem schönen Schloß vor der Stadt wohnte, das jetzt in eine Kaserne umgewandelt war, – so würde es niemand geglaubt haben, wie auch niemand in dem früh gealterten Mädchen mit dem weißen Haar das stolze Fräulein Renée wieder erkannte, das einst in glänzender Equipage vor Frau Brissots Thür vorgefahren und den armen Bewohnern der Altstadt wie eine Erscheinung aus einer andern Welt vorgekommen war. Und doch war es so! Hierher, in das Quartier der Armen, hatte die Gattin des Marquis de Villiers sich zurückziehen müssen, da ihr Mann – als ein Hauptanführer der Royalisten – von der Regierung für vogelfrei erklärt war und dessen ganze Familie auf der Liste der Verurteilten stand.

Auch in Rennes arbeitete die Guillotine und schon mancher tapfere Soldat, mancher kühne Offizier der Vendée hatte durch sie den Tod gefunden.

Doch die zwei stillen, frommen Frauen waren ihres Lebens sicher. Selten, und dann nur des Abends, kamen sie aus der Altstadt heraus. Sie besuchten höchstens alle paar Wochen einmal das Haus des Fabrikanten Ribot und den jungen Advokaten Moreau.

Dieser letztere, der lange in Paris gewesen war, weilte seit dem Sommer wieder in seiner Vaterstadt. Er hatte eine reizende junge Frau und deren Mutter mitgebracht, und es gab Leute, die sich zuflüsterten, es sei dies die frühere Gräfin Marignan und deren Tochter, das Fräulein habe dem Advokaten von Genf aus geschrieben, er solle sie holen, weil ihre Mutter sie an einen alten grämlichen Mann verheiraten wolle. Wäre dem so gewesen, so würden beide Damen als Emigrierte auch der Guillotine verfallen sein. Aber niemand wagte, das Glück des beliebten Volksredners zu stören und das Geheimnis, das über seiner Gattin lag, machte ihn in den Augen seiner gutmütigen Mitbürger nur interessant. Er war der gesuchteste Advokat der Stadt und verdiente so viel, daß Frau und Schwiegermutter nichts von ihrem früheren Glanze vermißten. Wollte man ein Bild häuslichen Glückes und Friedens in dieser Zeit des Schreckens sehen, so mußte man die Familie Moreau besuchen.

Heute freilich standen die Augen der jungen Frau voll Thränen. Sie saß mit ihrer Mutter bei Frau von Villiers und bei Renée in deren Zimmerchen. Alle vier weinten. Auf dem Tisch lag ein Stück schwarzen Tuchs, wie man es zu Witwenkleidern braucht. Herr Ribot, der sich seit der Schlacht bei Le Mans unablässig nach dem Verbleib des Marquis erkundigte, hatte es dessen Gattin geschickt.

»Er ist tot, mein teurer Gemahl ist tot!« schluchzte die schwer geprüfte Frau. »O niemals hätte ich gedacht, daß ich, die ewig Kranke, ihn überleben würde. – Ach, Hortense!« begrüßte sie die eben Eintretende, die in tiefes Schwarz gekleidet war.

»Der Herr Marquis starb bei Le Mans den Heldentod, er fiel in der Schlacht, seine Soldaten haben seine Leiche unter eigener Lebensgefahr begraben. Soeben teilte einer derselben es meinem Vater mit; es ist August Roullier, er hat sich mit Mühe hierher gerettet«, sagte das junge Mädchen mit gepreßter Stimme.

»Dein Gatte starb den Tod für Recht und Vaterland«, sagte tröstend die Gräfin Marignan, »wo aber ist mein armer Henri? Das einzige, was Viktor nach unendlicher Mühe über ihn erfahren konnte, ist, daß er bei dem Gefecht vor dem Stadtthor verwundet wurde; sich sein Los auszudenken, ist schrecklich. Entweder haben ihn die Feinde niedergemetzelt, oder er ist am Wege verschmachtet. Oder hat man ihn gar nach Nantes geschleppt, wo sie die armen Gefangenen, die mit dem Versprechen der Amnestie dahin gelockt wurden, auf die grausamste Weise in der Loire ertränkt haben.«

Sie weinte laut, und weinend sagte auch Renée: »Was aber mag aus Jeanne geworden sein? Wie Herr Ribot erfuhr, stieß ihr Gatte, den sie auch nach Le Mans begleitet hat, auf dem anderen Loire-Ufer zum General Chartres, der die Trümmer des Heeres zusammenrafft. Auf der Flucht sei sie von ihm getrennt worden.«

»O mein Kind, mein armes Kind,« jammerte Frau von Villiers, »o welch ein entsetzliches Jahr!«

»Ach, was haben wir erlebt, Eugenie, seit wir vor fünf Jahren so fröhlich auf Eurem Ball gewesen sind!« seufzte Renée, »damals war es unser größter Kummer, daß wir so wenig Vergnügen hatten. Wie fern liegt einem jetzt diese kindische Zeit, und doch sind wir noch nicht alt.«

»Ein Jahr wie das letzte wiegt dreißig andere auf,« sagte Hortense, – »mein einziger Schmerz damals war, daß Ihr nicht mit mir verkehren wolltet!«

»Verzeih, liebe, liebe Hortense!« flüsterte Renée und küßte die Freundin zärtlich, »übrigens hat uns dieses Jahr bei allem Leid auch viel Trost und innern Frieden gebracht.«

Hortense legte den heißen Kopf an Renées Schulter. O, wenn sie deren sanfte Ergebung in das von Gott gesandte Leiden hätte! – Aber ihre ganze Seele bäumte sich auf bei dem Gedanken, daß ein feindliches Geschick ihr den Freund ihres Herzens nach langer Trennung zugeführt habe, um ihr ihn gleich darauf wieder auf immer zu entreißen! Er stand vor ihr, der Held ihrer Träume, wie sie ihn zuerst gesehen: kühn und bleich, inmitten der Steinwürfe des Volkes und dann sah sie ihn wieder, wie sie ihn damals dem Mörder entrissen, er ihr so frisch und fröhlich gedankt hatte, dann, blaß und ernst, mit stolz erhobenem Haupt und besudelter Kleidung, vom Pöbel verhöhnt im Zuge des Königs einhergehend, und zuletzt, mit heiterem Lächeln auf den Lippen, einen Strahl freudiger Überraschung in den Augen, vor ihrem Wagenschlage auf der Landstraße! – O, und dieses letzte Jahr, wo er mitunter in der seltsamsten Verkleidung gekommen war, nur um sie flüchtig zu sehen! wo er sie mehr und mehr hatte fühlen lassen, daß sie ihm teuer sei, und wo auch sie ihm ihre Liebe hatte zeigen dürfen! – Wie hatte sie den Helden begleitet auf seinem Siegeszug, wie für ihn gezittert bei jeder Gefahr, wie hatte sie Jeanne beneidet, die ihrem Gatten in Kampf und Tod folgen durfte! Die Zeit, wo sie für die neuen Errungenschaften, für die Freiheit des Volkes geschwärmt, lag weit, weit hinter ihr und so tief sie das Los der einst so angebeteten Frau Roland und ihrer Freunde erschüttert hatte, sie waren ihr doch in jenen Septembertagen innerlich zu sehr entfremdet worden, als daß ihr eigenstes Wesen so davon ergriffen worden wäre, wie Renée vom Tode der Königin und der Madame Elisabeth ergriffen worden war. Man war in dieser unseligen Zeit so daran gewöhnt, daß alle Menschen sterben mußten, daß man sich nur wunderte, wie immer noch welche am Leben blieben. Nur Henri von Marignan, der junge Held, er sollte, er durfte nicht sterben!

Wilden Blicks erhob Hortense den Kopf, – warum mußte denn überall in der Welt das Gute vor dem Bösen unterliegen?

Sanft zog Renée sie wieder an ihre Seite. Sie hatte die Bibel, die sie einst von Frau Brissot zum Abschied erhalten hatte und die ihr nach Paris und dann wieder in die Heimat gefolgt war, aufgeschlagen und las mit ihrer klaren Stimme den elften Psalm:

»Ich traue auf den Herrn. Meine Seele soll fliegen wie ein Vogel auf Eure Berge.

»Denn siehe, die Gottlosen spannen die Bogen und legen ihre Pfeile auf die Sehnen, damit heimlich zu schießen die Frommen. Denn sie reißen den Grund um, und was sollte der Gottlose ausrichten?

»Der Herr ist in seinem heiligen Tempel, des Herrn Stuhl ist im Himmel; seine Augen prüfen die Menschenkinder. Der Herr prüfet die Gerechten, seine Seele hasset die Gottlosen und die gerne freveln. Der Herr ist gerecht und hat Gerechtigkeit lieb, darum daß ihre Angesichter schauen, auf das da recht ist.«

»Wohl liebt Gott die Gerechten, Renée, aber warum läßt er sie so viel leiden?« fragte Hortense hastig.

»Damit sie zur Erkenntnis ihrer Sünden kommen und bei ihm Trost suchen lernen, Hortense! und schließlich führt er sie doch zum Frieden. Im fünfundfünfzigsten Psalm heißt es: »Wirf dein Anliegen auf den Herrn, der wird dich versorgen und den Gerechten nicht ewiglich in Unruhe lassen,« erwiderte Renée sanft.

»Wir müssen gehen, Viktor sieht es nicht gerne, wenn ich bei seiner Rückkehr aus dem Bureau nicht zu Hause bin,« sagte Eugenie, sich erhebend.

»Ihr habt keinen Begriff,« fügte ihre Mutter hinzu, »was diese eigenwillige kleine Person für eine gehorsame Gattin geworden ist!«

Hortense blieb noch länger und es war schon ganz dunkel, als sie, von ihrem Diener gefolgt, das Haus verließ. Sie war jetzt ruhiger geworden, aber das Herz war ihr doch noch recht schwer und als sie über die neue Brücke ging, fielen ihr die schauerlichen Ertränkungen zu Nantes ein. Tausend Gefangene aus der Vendée hatte man dort in die Loire geworfen! O, welch entsetzlicher Tod! Und wer bürgte ihr dafür, daß Henri ihm entgangen war? Fast noch schrecklicher war es ihr, ihn langsam verschmachtend, mit zerschossenen Gliedern hilflos am Wege liegend sich zu denken! Ein grauenhaftes Bild nach dem andern zeigte ihr ihre fieberhaft erregte Phantasie.

Sie war in Gedanken versunken so rasch gegangen, daß der Diener ihr kaum folgen konnte und plötzlich sah sie dicht vor sich einen zerlumpten Menschen stehen, der sie um eine Gabe ansprach. Ängstlich sich umblickend, ob Pierre ihr auch folge, suchte sie nach ihrem Geldbeutel. Da flüsterte eine leise Stimme ihr ins Ohr:

»Ich will nicht Dein Geld, ich will Dein Herz, schöne Hortense!« Und ehe sie sich's versah, war der Bettler verschwunden. Sie wollte ihm nacheilen, aber sie sah ihn nicht mehr. Dann flog sie mit leichten Füßen, als trage das Glück sie über die Erde hinweg, dem Elternhause zu. Sie hatte Henris Stimme erkannt!

Ja, er war es und er kam am selben Abend noch zu Herrn Ribot, diesmal in einem anständigen dunklen Anzug seines Schwagers Moreau, der ihn unter dem Namen eines Schreibers Bonnechose bei sich behalten wollte, bis die Gefahr vorüber sei und die flüchtigen Royalisten nicht mehr verfolgt würden. Jetzt spähten die Häscher der Regierung noch überall nach ihnen und nur durch ein Wunder war Henri von Marignan ihnen entgangen.

August Roullier, an dessen Seite der Marquis von Villiers gefallen war, hatte mit Hilfe eines Freundes den Leichnam seines Herrn bei Seite geschafft und begraben. Sie wußten, daß neben ihm sein Neffe verwundet worden sei und suchten unter den Haufen von Toten und Verwundeten, die in den Straßen von Le Mans herumlagen, nach Henri von Marignan. Da sie sich die Stelle, wo der Marquis gefallen war, genau gemerkt hatten, fanden sie seinen jungen Gefährten, der schwer verwundet, noch am selben Platze lag.

August hatte einen Bruder in Le Mans, einen Wirt, in dessen Haus am Tage vorher ein fremder Reisender aus Paris gestorben war. Man zog Henri dessen Kleider an und legte den Fremden in der Uniform der Royalisten heimlich zu den Toten auf die Straße.

Die Polizei war wohl von des Fremden Kommen und Erkranken, nicht aber von seinem Ableben unterrichtet worden; so konnte man ihr, die eifrig nach versteckten Royalisten suchte, ganz gut den kranken Henri als Herrn Mounier aus Paris vorstellen. Nur einen Arzt durfte man nicht holen, denn ein solcher hätte an dem abgeschossenen Arm gleich gesehen, daß der Gast des Herrn Roulier kein friedlicher Reisender sei.

Henri war kaum genesen, so schleppte er sich, ungeduldig die Seinen wiederzusehen, als Bettler durch die Bretagne, deren gastfreie Bewohner allen Flüchtigen aus der Vendée Herberge gaben und sie vor den Regierungstruppen versteckten. Es war ein Wunder, daß der durch Blutverluste und Mangel an ärztlicher Pflege erschöpfte junge Mann die Strapazen einer Fußwanderung im Winter, das Nächtigen in Ställen und Scheunen aushalten konnte, ohne ernstlich krank zu werden. Recht matt und elend sah er freilich aus, Mutter und Schwester hatten noch viel an ihm zu pflegen. Aber für Hortense war er doch der Schönste der Sterblichen und daß ihm ein Arm fehlte, bot ihr den Trost und die Bürgschaft, daß Henri sich fortan nicht mehr den Gefahren des Krieges aussetzen werde.

An der strahlenden Freude ihrer sonst so ernsten Tochter und den leuchtenden Blicken, mit denen der junge Graf sie ansah, merkten Herr und Frau Ribot bald, wie es um die beiden stand, und eigentlich war ihnen die Entdeckung nicht neu, denn sie hatten schon dies ganze Jahr hindurch geahnt, warum Hortense alle Bewerbungen um ihre Hand so beharrlich ausschlug und was den Helden der Vendée antreibe, mehr als einmal vom Kriegsschauplatz weg, allen Gefahren der Entdeckung zum Trotz, zu flüchtigem Besuch nach Rennes zu eilen. Die Liebe zu den Verwandten allein war es sicher nicht.

Herr Ribot zog seine Frau ins Nebenzimmer.

»Was meinst Du, Marion?« fragte er sie, »wollen wir ja sagen? Ein Edelmann, auf dessen Kopf ein Preis gesetzt und dessen Adel abgeschafft ist, dessen Güter eingezogen sind und der dazu nur noch einen Arm hat, ist eigentlich keine Partie für unsere Tochter, die Erbin von Hunderttausenden.«

»Da magst Du recht haben, aber sie hat ihn nun einmal gern und auch wir mochten ihn immer wohl leiden; wer weiß auch, ob nicht bald ein anderes Regiment ans Ruder kommt, das die gestohlenen Titel und Güter wieder heraus giebt – denn den Robespierre wird man nicht ewig weiter morden lassen, es wäre sonst bald niemand mehr in Frankreich übrig. – Und wenn auch nicht! wozu hättest Du so lange gesorgt und gespart und selbst in diesen schlechten Zeiten noch viel Geld verdient, wenn Du Dir nicht den Luxus gestatten könntest, Dein einziges Kind nach seiner Neigung heiraten zu lassen?«

»Du hast recht, Alte!« sagte Herr Ribot und ging beruhigtem Gewissens mit ihr zu dem jungen Paar hinein.

Dieses hatte die kurze Zeit des Alleinseins wohl ausgenützt und kam strahlenden Blickes und Hand in Hand den Eltern entgegen, ihren Segen erflehend, der ihnen auch mit freudiger Rührung erteilt wurde.

Herr Ribot sandte gleich zu Moreau und der Marquise, damit man am selben Abend noch im Familienkreise das Wohl des jungen Paares ausbringen könne. Henri ging selbst zu seiner Tante und zu Renée, denn er hatte ihnen eine frohe Botschaft zu melden: In einem Bauernhause der Bretagne, an dessen Thür er in seiner Verkleidung als Bettler geklopft, hatte ein hübsches Dienstmädchen ihm einen Teller Suppe gebracht. Als er sie näher ins Auge faßte, erkannte er in ihr seine Cousine Jeanne, die auf der Flucht hier Unterkommen gefunden hatte. Sie sagte, daß sie wohl geborgen sei und bis zum Frühjahr bei den braven Bauersleuten bleiben wolle, und dann wieder mit ihrem Gemahl zusammen zu treffen gedenke. Henri überbrachte viele Grüße von ihr an Mutter und Schwester, so daß diese doch einen Trost in ihrer Trauer hatten. Für Herrn Ribots Einladung zu dem Verlobungsfest mußten sie freilich unter dem Eindruck der kaum erst vernommenen Todesbotschaft danken, doch freuten sie sich herzlich, daß endlich des Vaters Segen dem Herzensbunde des jungen Paares geworden war.

Schade aber war es doch, daß sie nicht an der Feier teilnehmen konnten, denn es herrschte dabei, trotz des Ernstes der Zeit, eine frohgehobene Stimmung und man fühlte das innere Glück derer, die nach so manchem Kampf sich endlich gefunden hatten und nun vereint, etwaigen neuen Prüfungen mutig entgegensahen.

»Es hat viel geschehen müssen, bis gewisse Leute zur Einsicht kamen, nicht wahr Fräulein Hortense?« wandte Viktor sich, nachdem er den üblichen Toast auf das Brautpaar ausgebracht hatte, lächelnd zu der Freundin.

»Was das betrifft,« nahm scherzend seine Frau das Wort, »so gab es außer dem falschen Passaval auch andere respektablere Emigranten. Wenn nicht der böse Viktor mit seinem blassen Gelehrtengesicht immer dazwischen gestanden hätte, – wer weiß, ob ich's nicht besser getroffen hätte! – und in Henri war manche Dame verliebt.«

»Mir gefiel keine Schöne des Hofes so gut, wie Fräulein Hortense Ribot, aber wenn sie unter die Königsmörder gegangen wäre, hätte ich sie nicht zur Gräfin Marignan gemacht,« rief Henri. Sein Schwiegervater jedoch meinte etwas bedenklich, mit der Gräfin Marignan habe es noch seine guten Wege.

Herrn Ribots Bedenken waren nicht unbegründet. Graf Marignan konnte nicht daran denken, seine Braut heimzuführen, denn noch immer stand sein Name auf der Liste der zum Tode Verurteilten, noch immer dauerte der Aufstand der Vendée fort, die sich nach der Niederlage von Le Mans zu abermaligem Angriff zusammenraffte. Hundertfünfzigtausend Menschen waren dem Kampf schon zum Opfer gefallen, die hervorragendsten Führer hatten ihr Leben gelassen, aber immer aufs neue wieder brachen hinter Hecken und Zäunen, aus Wald und Wiesengründen tapfere Streiter hervor und trieben die Heeresmassen des Konvents zurück.

Selbst die »Höllentruppen« des General Tourean, die sämtliche Dörfer, Wälder und Schlösser des Landes verbrannten, die friedlichen Einwohner, die sie mit Versprechungen herbeigelockt, niedermetzelten und alles zerstörten, was in ihrem Wege lag, konnten nicht die treuen Anhänger des alten Rechtes bezwingen.

Da endlich raffte das französische Volk sich auf; der blutdürstige Robespierre, der alle seine früheren Genossen nach und nach hatte hinrichten lassen, starb selbst am 28. Juli 1794 auf dem Schaffot, ein milderer Geist zog in die Regierung ein, den tapferen Bewohnern der Vendée ward ein ehrenvoller Waffenstillstand und vollkommene Religionsfreiheit gewährt. Die Führer wurden begnadigt und erhielten ihre Güter zurück. Auch die Marquise und Renée durften wieder in Schloß Villiard einziehen.

Und nun wurde auch, so glänzend es die schweren Zeitverhältnisse erlaubten, die Hochzeit des Grafen Marignan und der schönen Hortense Ribot gefeiert. Das junge Paar zog sich auf Henris Güter zurück und suchte durch weise Verwaltung derselben die Schäden der vergangenen Jahre wieder gut zu machen und das Los der Eingesessenen zu verbessern.

Jeanne und ihr Gemahl kamen noch nicht so bald zur Ruhe. Sie beteiligten sich bei jedem Aufstand, der auch nach dem Waffenstillstand noch zu wiederholten Malen in der Vendée ausbrach und unterstützten sämtliche Unternehmungen, die zur Wiedereinsetzung des alten Königshauses in diesem treuen Lande versucht wurden.

Erst Napoleons eisernem Arm gelang es, die Vendée endgültig zu unterjochen. Dann, lange nachher, nach Napoleons Sturz, kam auch der Tag, wo Frankreichs rechtmäßiger Herrscher, der Bruder Ludwig XVI. seinen Einzug in Paris hielt und den Thron seiner Väter wieder bestieg. Da wurden die treuen Edelleute der Vendée vor allen andern geehrt und ernteten mit ihres Königs Dank den Lohn für ihre Treue.

Jeanne, deren Jugend in zwei lieblichen Töchtern aufs neue erblühte, genoß jetzt ungetrübt die Freuden des Hoflebens. Sie hat den abermaligen Zusammenbruch des Thrones der Bourbonen nicht mehr erlebt.

Renée konnte sich, nachdem sie dem Tod und seinen Schrecken so nah ins Angesicht gesehen und so viel innig geliebte und verehrte Personen auf so furchtbare Weise verloren hatte, nicht entschließen, zur Welt zurückzukehren. Sie blieb der Mutter Trost und Stütze bis zu deren Tod und stand den Verwandten und deren Kindern in treuer Hingabe helfend und beratend zur Seite. In stiller, anspruchsloser Weise that sie Werke der Liebe und Selbstaufopferung weit über diesen engern Kreis hinaus und war mit ihrem weißen Haar und den dunklen, freundlichen Augen das Licht und die Freude manches einsamen und verlassenen Herzens. Mehr noch aber als ihre Liebeswerke wirkte das Beispiel ihrer aufrichtigen Frömmigkeit, der veredelnde Einfluß ihres ganzen Wesens. Man nannte sie den Engel von Rennes und als sie, nicht lange nach ihrer Mutter, starb, ward sie von der ganzen Stadt heiß beweint und aufs schmerzlichste vermißt.


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