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Sechstes Kapitel.
Allerlei Gäste.

Das sonst so wohlgeordnete Haus Ribot trug am folgenden Morgen ganz den Stempel eines Schlachtfeldes der Gesellschaft am Tag nach dem Gefecht. Es roch nach Speiseresten und umgegossenem Wein. Stühle, Tische und sonstige Möbel, die man aus den in den Tanzsaal verwandelten Sälen geräumt hatte, standen an möglichst unpassenden Plätzen aufeinander geschichtet, die vergoldeten Kronleuchter glänzten ohne die gewohnte, schützende Florhülle im grellen Tageslicht, und die Dienstboten liefen, im Gegensatz zu ihrer sonstigen phlegmatischen Behaglichkeit unruhig und geschäftig Trepp' auf, Trepp' ab, nicht wissend, wo sie zuerst mit Aufräumen und Abstäuben anfangen sollten.

Herr und Frau Ribot ertrugen diesen unbehaglichen Zustand mit bestem Humor, sie fühlten, daß das gestrige Fest ihnen alle Ehre gemacht hatte. Speisen und Getränke, sowie die Dekoration der Zimmer, – alles war tadellos gewesen und gebührend anerkannt worden. Ein bewunderndes »Ah!« entfuhr jedem Gaste beim Betreten der Festräume. Dergleichen hatte man in den Kaufmannskreisen von Rennes noch nie gesehen. Ja, man merkte wohl, daß die Tochter des Hauses mit Gräfinnen und Prinzessinnen zusammen erzogen worden war.

»Und geschmeckt hat's ihnen!« sagte Frau Ribot, die im Vorzimmer das Silberzeug nachzählte, zu ihrem Mann, der Weinreste, mit denen noch geringere Freunde bewirtet werden konnten, aus verschiedenen Flaschen zusammengoß, »hast Du gesehen, wie Herr Lebon zwei ganze Kücken aß und wie Madame Tourville dreimal Pudding nahm?«

»Ja, Deiner Küche wurde alle Ehre angethan, Alte,« erwiderte er, ihr schmunzelnd auf den Rücken klopfend, »aber meinem Weine auch. Sapristi! wenn diese fünfzig Leute keine hundert Flaschen getrunken haben, will ich nicht Jean Ribot heißen.«

»Freilich, teuer kommt so ein Fest und die Mühe ist groß, aber man thut es ja für sein einziges Kind.«

»Ja, wenn Hortense sich nur wirklich amüsiert hat,« meinte Herr Ribot etwas bedenklich, »sie sah aus wie eine Königin und wurde sehr bewundert, aber so recht lustig und vergnügt, wie die anderen jungen Mädchen, die sich zuletzt vor Übermut nicht fassen konnten, schien sie mir nicht zu sein.«

»Das kommt von der vornehmen Erziehung, Jean Ribot, sie paßt nicht mehr für unsern Stand, das hab' ich Dir gleich gesagt; das Fest war ihr nichts, weil die Gräfinnen abgesagt haben, mit denen sie doch ausgebildet wurde. Aber Standesunterschiede lassen sich nicht durch Bildung überbrücken, Jean Ribot, hab' ich das nicht gleich gesagt?«

»Ich hab' mir das freilich anders gedacht,« erwiderte der Fabrikant. Durch die vornehme Erziehung glaubte ich unsre Hortense in die ersten Kreise einführen zu können, der Marquis und seine Töchter waren auch recht freundlich, als wir sie besuchten.«

»Sind sie zu uns gekommen?«

»Nein, aber daran sind diese Wirren schuld; es muß ja den Adel verbittern, wenn überall, wo er sich blicken läßt, ein paar rohe Kerls mit gezückten Degen stehn. Ich begreife unsern Moreau nicht, wie er immer wieder auf diese Leute einreden mag.«

»Ja, Reden hält er wohl, doch glaube ich nicht, daß er sie zu Thätlichkeiten aufhetzt. Sie sagten gestern – die Frau des maire Conclave sagte es mir und sie weiß es am besten – daß er hauptsächlich der Führer der Studenten sei, der Schüler vom Polytechnikum, weißt Du. Die haben's mehr mit der Theorie. Das gemeine Volk wird von einem Matrosen angeführt, den roten Charles nennen sie ihn, der sei immer mit dem Messer bereit, ein wüster, wilder Kerl.«

»Ah, solch einer griff auch zuerst mit einem Dolche in der Hand Herrn von Villiers Kutsche an, neulich, als wir das Abenteuer hatten; ich stieß ihn mit der Faust vom Tritt herunter, aber solche Kerle sind gegen jeden Todesstoß gefeit!« rief Herr Ribot, in dessen reger Phantasie jenes Abenteuer und die Rolle, die er darin gespielt, mit jedem Tage größere Dimensionen annahm.

»Übrigens ist das alles kein Grund für die Fräulein von Villiers, unserer Hortense ihren Besuch nicht heim zu geben und ihre Einladung abzulehnen,« ereiferte sich Frau Ribot. »Man hätte doch besser gethan, sie nicht zu bitten, wie das Kind wollte. Aber wir dachten ja, sie zu überraschen.«

»Nun, sie gaben ja das Leiden ihrer Mutter an; wärest Du krank, würde Hortense Dich auch nicht verlassen.«

»Soviel ich weiß, ist die Marquise fast immer leidend und zehn für eins wette ich, daß morgen, wo die Gräfin Marignan einen Ball giebt, die Krankheit der Mutter die jungen Damen nicht hindern wird hinzugehen, – ah, ich höre Moreaus Stimme draußen; bitte, lieber Mann, führe ihn in dein Zimmer, ich bin nicht in der Verfassung, Gäste zu empfangen, habe mich noch gar nicht angezogen.«

»Aber in meiner Stube wurde gestern geraucht und gespielt, sie war eben, als ich hineingehen wollte, noch nicht in Ordnung.«

»Ach ja, das faule Dienstbotenvolk! sie schlafen heute in den Tag hinein.«

»Herr Doktor Moreau läßt fragen, ob die Damen zu sprechen seien! er wolle sich nach ihrem Befinden erkundigen,« meldete das Dienstmädchen.

»Geh und führ' ihn in Hortenses Zimmer, lieber Jean,« sagte Frau Ribot eilig zu ihrem Mann, und der liebe Jean gehorchte sofort.

Bei Hortense hatte das gestrige Fest keine so angenehmen Erinnerungen hinterlassen, wie bei ihren Ellern. Sie hatte ihm allerdings nicht mit allzu großen Erwartungen entgegengesehen, denn das Vergnügen war ihr dadurch, daß gegen ihren Willen die Eltern ihren adligen Pensionsfreundinnen eine Einladung geschickt hatten, die dann abgelehnt worden war, im voraus verdorben worden. Dennoch hatte sie sich auf das Ganze gefreut, denn welches junge Mädchen ist nicht gern einmal in größerer Gesellschaft? – Wohl hatte es ihr bei den Bekannten ihrer Eltern, zu denen sie im Laufe des Winters eingeladen wurde, keineswegs gefallen, sie kamen dem feinerzogenen Mädchen roh und ungebildet vor. Aber Hortense hoffte, in ihrem Hause würden sie anders sein; sie wollte alles recht schön und elegant arrangieren; kam es doch in erster Linie darauf an, welchen Ton die Gastgeber selbst angaben.

Aber Hortense mochte Zimmer und Tafel auch noch so geschmackvoll ausschmücken, wie man es im Kloster zum Empfang irgend einer königlichen Prinzessin gethan und die Gäste mit der hoheitsvollen Haltung einer Fürstin empfangen, die Familien Longchamp, Lebon und Tourville blieben dieselben, die sie immer gewesen: gutmütig, heiter und etwas derb, ob sie sich nun in Herrn Ribots Salon, oder in dem eines anderen Bekannten befanden. Die jungen Comptoiristen und Fabrikanten wichen Hortenses Gesprächen über Voltaire und Diderot aus, die jungen Mädchen standen, ihrer strafenden Blicke nicht achtend, kichernd und flüsternd in den Ecken herum oder kokettierten mit den Herren. Zuletzt ließ man sich immermehr gehen, die Fröhlichkeit wurde lauter, die Scherze wurden derber, das Lachen über Witze, die man vor den Klosterschwestern nicht hätte aussprechen dürfen, wollte nicht mehr aufhören. Selbst der ernste Moreau ließ sich zuletzt von der allgemeinen Heiterkeit mitfortreißen, sprang auf den Tisch und parodierte auf außerordentlich komische Weise eine politische Rede.

Nichts ist unbefriedigender als die Rolle eines kalten Beobachters inmitten einer von froher Festlaune fortgerissenen Gesellschaft, und Hortense steigerte sich immer mehr in diese Rolle hinein. Wenn Herr Camille Duchatel mit dem Fuß den Takt zur Musik stampfte, oder der junge Lebon einem Freunde den Stuhl wegzog, auf den dieser sich gerade setzen wollte; wenn dort ein alter Herr immerfort mit dem vollen Glas herumlief und mit allen Leuten anstoßen wollte, wenn die jungen Damen ihm lachend Bescheid gaben, so faßte sie die Sache nicht mit Humor auf, sondern fragte sich nur, was ihre aristokratischen Pensionsfreundinnen, was die feinen Klosterschwestern zu solchem Treiben sagen würden? Sie hatte sich ihren Eintritt in die Welt so ganz anders gedacht!

Wohl begegnete man ihr, als der Tochter des Hauses, mit großem Respekt und zollte ihrer Schönheit und ihrem feinen Benehmen eine unverhohlene Bewunderung. Aber sie fühlte doch, daß ihr ganzes Wesen den Leuten unsympathisch war, daß die jungen Herren sich erleichtert lustigeren Tänzerinnen zuwandten, wenn sie ihrer Pflichttour mit ihr genügt hatten, und daß die Mädchen zu lachen aufhörten, wenn sie in ihre Nähe kam, – sie fühlte mehr und mehr, daß sie nicht in diese Gesellschaft gehörte.

Und die andern, denen sie nach Geist, Bildung und Erziehung ebenbürtig war, stießen sie mit beleidigender Kälte von sich. Der stolzen Hortense kamen Thränen in die Augen, wenn sie an die Art dachte, wie diejenigen, mit denen sie jahrelang in herzlichster Gemeinschaft gelebt hatte, Leid und Freud des Schullebens einträchtig mit ihnen teilend, jetzt jeden Verkehr mit ihr schweigend ablehnten. Wohl war es taktlos von den Eltern gewesen, Eugenie und ihren Cousinen eine Einladung zu schicken, aber das Absagen derselben unter nichtigem Vorwand war darum nicht minder beleidigend, und daß der junge Graf erst annahm und dann ohne Entschuldigung wegblieb, war von allem noch die schlimmste Kränkung. O, sie begriff jetzt wohl die Bitterkeit Viktor Moreaus gegen die Familie, in der er jahrelang gelebt, und die trotz allem ihm erwiesenen Wohlwollen eine chinesische Mauer zwischen sich und ihm aufgerichtet hatte, die durch kein Wissen und Talent, durch keine Vertraulichkeit täglichen Zusammenlebens überbrückt werden konnte; – sie begriff den innern Haß des Volkes gegen eine Aristokratie, die unter der Maske äußerer glatter Formen, Herzenskälte und Grausamkeit verbarg.

Und es gab keine Ausnahme darunter, keine! Selbst Renée, mit der sie noch in der letzten Zeit in Frau Brissots Stübchen so manch freundlich ernstes Wort geredet hatte, und Henri – der warmherzige, liebenswürdige junge Graf – selbst sie waren nicht besser als die andern!

Wenn nur die Gesellschaft, auf deren Umgang sie hier in Rennes angewiesen war, ein wenig angenehmer gewesen wäre, Hortense hätte jenen andern sicher keine Thräne nachgeweint. So aber saß sie traurig inmitten ihres reizend eingerichteten Boudoirs, auf ihrem kleinen Divan von rosa Seide und seufzte!

Das Leben im Vaterhause lag bei all seiner behaglichen Fülle und trotz der zärtlichen Liebe ihrer Eltern trüb und öde vor ihr. Sie hatte keinen Platz in diesem Hause voll geschäftiger Alltäglichkeit. Der Vater lebte und webte nur in seiner Arbeit, die Mutter in ihrem Haushalt. Sie hatte sich angeboten, ihr zu helfen, merkte aber bald, wie unlieb dies der guten Frau war, die alles viel lieber selbst that und der die Hilfe ihrer wohlgeschulten Dienstboten viel bequemer war, als die der unerfahrenen Tochter. Und wozu auch sollte Hortense ihre schönen weißen Hände bei Arbeiten verderben, die selbst zu verrichten sie doch niemals nötig haben würde?

Frau Ribot war in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen und wußte nichts besseres zu thun. Bei Hortense war es anders, wie die Eltern meinten, sie hatte schöne Arbeiten, Malen und fremde Sprachen im Kloster erlernt, sie war ein feines Dämchen, das sich angemessener beschäftigen konnte! – Aber feine Arbeiten zu machen, war Hortense auf die Dauer langweilig, und lesen, immer und immer lesen, ohne jemand zu haben, gegen den man sich über das Gelesene aussprechen konnte, ach, das ermüdete zuletzt auch! Moreau war der einzige, der sie noch einigermaßen verstand, aber er war ein junger Mann, dem gegenüber man doch einige Zurückhaltung beobachten mußte. Bald würde auch er fortkommen, denn man sprach mit Gewißheit davon, daß er in die Reichsstände gewählt werden solle.

Wiederum seufzte Hortense; es war gut, daß ihr der Vater jetzt den Freund hereinbrachte, so wurde sie doch von ihren trüben Gedanken etwas abgezogen.

Freilich hatte auch er nichts Heiteres zu melden, brachte er doch die Todesbotschaft des armen Achille mit, die Herrn Ribot aufs schmerzlichste berührte, obschon er bereits einen Ersatz für den geschickten Zeichner gefunden hatte. Hortense tröstete sich über den Tod des armen Jungen mit der Aussicht auf Marys Glück, von dem auch Moreau unterrichtet war, da ja Achille auch ohne die gefährliche Wunde kein langes Leben beschieden gewesen wäre.

»Er war brustkrank,« sagte Herr Moreau, »doch das kommt hierbei nicht in Betracht; bei der großen Menge bleibt Henri von Marignan sein Mörder und es ist höchst unvorsichtig, daß die Gräfin gerade morgen einen Ball giebt, denn morgen wird Achille Brissot begraben.«

»Einen Ball, und sie haben Dich nicht dazu eingeladen, Hortense, wo wir Henri und Fräulein von Marignan doch zu unserm Fest gebeten haben?« – rief Herr Ribot verwundert. »Sie haben freilich abgesagt, aber es wäre doch ihre Pflicht gewesen, die Einladung zu erwidern.«

»Gewiß, aber der Bürgerkanaille gegenüber braucht der hohe Adel die Gesetze der Höflichkeit nicht zu beachten«, erwiderte Hortense in bitterm Ton. »Ich sagte gleich, Papa, man solle diesen Leuten keine Einladung schicken.«

Viktor Moreau blickte verwundert auf. Wie tief mußte Hortense sich gekränkt fühlen, daß das sonst so ruhige Mädchen derartige Ausdrücke gebrauchte! Er besann sich gerade auf etwas, was er zu ihrer Beschwichtigung sagen könne, da erschien Frau Ribots gutmütiges, rotes Gesicht unter der Thür und mit den Worten: »Hier bring ich noch einen Gast,« schob sie Herrn von Marignan ins Zimmer herein, verschwand aber rasch wieder, indem sie hinzufügte: »Sie entschuldigen wohl, Herr Graf, ich habe draußen zu thun!«

Erschrocken blickte Hortense auf, mit halbem Lächeln sah Viktor auf den Eintretenden. Doch der junge Graf that, als sei er auf die allerpassendste Weise der Welt hier eingeführt worden und sagte unbefangen:

»Ich habe Madame im Vorzimmer getroffen, sie hatte die Güte, mich selbst hierher zu geleiten, damit ich der holden Königin dieses Feenreichs,« – er sah sich lächelnd in dem zierlichen Gemach um, das ihm Frau Ribot natürlich gleich als Hortenses Zimmer bezeichnet hatte – »meine Huldigung darbringe.«

Und mit einer sehr tiefen Verbeugung überreichte er Hortense einen prachtvollen Blumenstrauß, den diese angenehm überrascht, doch ohne dies im geringsten merken zu lassen, entgegennahm.

Sie hatte den Eintretenden nur mit leichtem Neigen des Kopfes begrüßt und lud ihn mit einer Handbewegung zum Sitzen ein. Herr Ribot aber sprang auf, reichte dem vornehmen Gast mit überströmender Herzlichkeit beide Hände und zog ihn in den Fauteuil dicht neben Hortenses Sofa nieder, indem er ihm wieder und wieder versicherte, wie sehr er sich es zur Ehre schätze, den Herrn Grafen hier zu sehen. »Nur schade, daß der Salon noch nicht in Ordnung ist, aber nach solch einer Festlichkeit! – und wir waren vergnügt gestern Abend, Herr Graf! ich versichere Ihnen, seelenvergnügt. Das Haus haben sie mir auf den Kopf gestellt, ha, ha ha! – 's ging zuletzt alles drunter und drüber, schade, daß der Herr Graf und das gnädige Fräulein Schwester und die gnädigen Fräulein Cousinen nicht da waren, recht schade!«

»Ich war schon auf dem Wege hierher,« sagte Henri, »da vernahm ich die Nachricht vom Tode des armen Brissot. Die Herrschaften werden begreifen, daß mir daraufhin nicht festlich zu Mute war und ich es für meine Pflicht hielt, mich zu den Leidtragenden zu begeben.«

»Das war schön und edel, Herr Graf, wirklich edel und schön! Sagte ich's Ihnen nicht immer, Herr Moreau, die Herren vom Adel sind nicht so schlimm, wie man glaubt, auch sie haben Hochsinn und Zartgefühl!«

»War es nötig, meine armen Standesgenossen Herrn Moreau gegenüber zu verteidigen? Das ist schlimm, denn niemand kennt uns genauer als er!« rief Henri lachend.

»Deshalb muß mein Urteil wohl das richtige sein,« entgegnete halb scherzend, halb ernsthaft der Advokat; »was übrigens Ihr Zartgefühl der Familie Brissot gegenüber betrifft, Herr Graf, so bethätigen Sie es dadurch, daß Sie Ihre Frau Mama bitten, morgen abend keinen Ball zu geben. Achille Brissot wird morgen beerdigt und das Zusammentreffen dieser beiden Festlichkeiten könnte bei der Bevölkerung in ihrer jetzigen Stimmung eine gewisse Aufregung hervorrufen.«

»Wenn diese nicht künstlich geweckt wird, bezweifle ich es sehr,« erwiderte Henri, der seiner Mutter Ball ungern in Hortenses Gegenwart erwähnen hörte; »im übrigen begreife ich nicht, Viktor, wie ein Mann von Bildung, wie Sie, sich zum Agitator der Massen herabwürdigen kann.«

»Ich bin kein Agitator, Henri, ich halte es aber für meine Pflicht, das Volk über seine Rechte zu belehren. Daß dasselbe, selbst da, wo man ihm aufzuhelfen scheint, immer auf's neue unterdrückt wird, beweist die geplante Abstimmungsart.«

»Um Gotteswillen, keine Politik in Gegenwart schöner Damen!« rief Henri, sich in komischer Verzweiflung die Ohren zuhaltend, – »wie haben gnädiges Fräulein nach dem gestrigen Balle geschlafen?«

»Danke, sehr gut,« erwiderte Hortense kurz; sie merkte schon, der Graf hatte ihr keine Botschaft von Mutter und Schwester zu bringen. Wenn diese sie ihres Umgangs nicht für würdig hielten, so wollte sie auch mit ihm nichts zu thun haben. Es war ihr höchst unangenehm, daß ihr Vater in seiner Herzensgüte den jungen Mann so sehr zuvorkommend behandelte; Herr Ribot versicherte ihm auch jetzt wieder, daß er das Volk gar nicht für unterdrückt halte und es ganz in der Ordnung finde, wenn die Abstimmung nach Ständen und nicht nach Stimmenzahl geschähe. Jetzt kam die Mutter wieder herein, in ihrem zwar sauberen, aber doch höchst einfachen Hausanzug.

»Der Herr Graf haben mich ja schon gesehen und werden keine besondere Toilette von mir erwarten; ich habe hier eine kleine Erfrischung, der Herr Graf müssen doch etwas von den gestrigen Herrlichkeiten versuchen, da Sie nicht dabei sein konnten,« sagte sie und trug selbst ein Theebrett mit Wein und Pastetchen herbei; die Magd folgte ihr mit Gläsern und Tellern.

Zur Verwunderung der Eltern ließ der Herr Graf sich aber durch all' diese schönen Dinge nicht zum Bleiben verlocken, er meinte, er habe sich schon viel zu lange in dieser angenehmen Gesellschaft aufgehalten und verabschiedete sich, von Herrn und Frau Ribot bis an die Treppe geleitet. Hortense und Moreau waren einen Augenblick allein.

»Ich werde natürlich bei Marignans absagen,« sagte letzterer. »Übrigens ist Henri ein guter Junge, es war ihm peinlich, daß er Ihnen keine Einladung zu überbringen hatte.«

»Unser Haus eignet sich nicht zum Verkehr mit der Aristokratie, das sehe ich jetzt selbst ein,« erwiderte Hortense gepreßt; »ich wollte, ich wäre nicht für Kreise erzogen worden, denen ich immer fern bleiben werde.«

»Sie passen nicht für die Kreise Ihres Elternhauses, das ist wahr,« gab Moreau zu, »aber glauben Sie nur, Hortense, auch unter dem Adel würden Sie nicht finden, was Sie suchen. Bei den dortigen Gesellschaften ist es gerade so banal und geistlos, wie Sie es hier finden, nur vielleicht äußerlich verfeinerter, dafür aber weniger harmlos. Die wahre, echte, anregende und erhebende Geselligkeit ist unter den Männern des Genies und der Wissenschaft. Dort werden spielend glänzende Geistesschlachten geschlagen, dort sprüht Feuer und Leben aus jedem leicht hingeworfenen Scherzwort, und zu einem freudigen Schaffen angeregt, kommt man von jeder solchen Zusammenkunft nach Hause. Ich habe dergleichen in meinen Studienjahren zu Paris mitgemacht; bald wird mir solches wieder zu teil werden, denn meine Wahl zu den Reichsständen ist gesichert.«

»Wie sind Sie zu beneiden!« rief Hortense aus tiefster Seele.

»Noch nicht angefangen?« fragte der wieder eintretende Herr Ribot, auf die Pasteten blickend, »ist schön, daß Ihr auf mich gewartet habt! Mama ist natürlich wieder in der Küche hängen geblieben. Ein liebenswürdiger Herr dieser junge Graf, nicht? Und Du trugst ihm nicht mal einen Gruß an seine Damen auf. Hortense! Ich meine, Du, nicht er, kehrtest den Hochmut heraus!«

»Hast Du ihn bis an sein Haus begleitet, Papa?«

»Du meinst, weil ich so lange wegblieb, Spottvogel! – ja, das kommt daher, weil ich gerade, als ich mit dem Grafen auf der Treppe stand, einen Brief erhielt und Mama in ihrer Neugier mich nötigte, ihn gleich zu lesen. Es stand nämlich Privatsache darauf, Geschäftsbriefe interessieren sie nicht.«

»Woher war der Brief?« konnte nun auch Hortense zu fragen sich nicht enthalten.

»Meine Tochter, auch Du!« lachte Herr Ribot. »Du weißt, Hortense, und auch Sie, Herr Moreau, wissen es vielleicht, daß ich in meiner Jugend, – es mögen so dreißig Jahre her sein, denn ich habe mich spät verheiratet und stehe jetzt schon in den Fünfzigern –«

»Du warst in Deiner Jugend in Paris und von dorther ist der Brief,« unterbrach Hortense ungeduldig den Vater.

»Na sieh' mal einer das Kind,« rief dieser mit ungeheucheltem Erstaunen, »errätst Du am Ende auch, daß er von meinem Jugendbekannten ist, das heißt, er ist ziemlich viel älter als ich, aber ich lernte ihn in meiner Jugend kennen, als ich in Paris war, er ist ein Künstler, ein genialer Mann, ist immer voller Pläne, hat aber kein Glück mit deren Ausführung.«

»Du meinst wohl den Kupferstecher Philippon, der die schöne Tochter hatte, Papa?«

»Nein seht doch, die Hexe! nun hat sie auch das erraten! Was sagen Sie dazu, Herr Moreau?«

»Daß auch ich anfange, neugierig auf den Inhalt dieses geheimnisvollen Briefes zu werden, Herr Ribot.«

Der Fabrikant lachte, daß sein Stuhl zitterte. »Nun ja,« sagte er, »ein Geheimnis enthält er nicht, im Gegenteil, ich soll den Inhalt möglichst viel bekannt machen: der gute Mann fragt mich nämlich, ob ich nicht eine Gesellschafterin für seine Tochter wisse, die schöne Tochter, Hortense, von der ich Dir, glaub' ich, schon erzählt habe, daß sie eine gelehrte Erziehung genossen hat und durchaus nicht heiraten wollte, bis sie's endlich mit Gewalt von ihrem Vater erzwang, daß er sie dem alten Roland gab, das heißt, er war zwanzig Jahre älter als sie, als sie sich heirateten, – er dreiundvierzig und sie dreiundzwanzig.«

»Und sie bedarf einer Gesellschafterin, Papa?«

»Ja, er war Manufaktureninspektor in Amiens und dann in Lyon, im Sommer lebten sie auf seinem kleinen Gut La Platière. Die arme, schöne, feingebildete junge Frau mag bei ihrem strengen Gatten und ihrer bösen Schwiegermutter oft genug ihre Wahl bereut haben. Jetzt aber soll Roland als Abgeordneter der Reichsstände nach Versailles gehen, und so kommt die arme Frau mit Mann und Kind wieder in die Heimat zurück. Da sie viel allein sein wird, während ihr Mann in der Versammlung ist, und ihr Vater keine Zeit hat sich ihr zu widmen, sucht sie eine Gesellschafterin.«

»Laß mich hin, Papa!« rief Hortense und sprang von ihrem Sitze auf.

»Du?« – fragte Ribot in maßlosem Erstaunen, – »Du, die ein so gutes Dasein hat, wirst doch nicht das Brot fremder Leute essen wollen?«

»Wenn ich das Fräulein recht verstehe«, kam Moreau der erregten Hortense zu Hilfe, »so denkt sie weniger an den Gesellschafterinnenposten, als an die Wunder von Paris, nach denen jede junge Dame sich sehnt. Es ist ja auch Sitte bei der Aristokratie, die Töchter, nachdem sie im Kloster erzogen worden sind, zur gesellschaftlichen Ausbildung in die Hauptstadt zu schicken oder mit ihnen hin zu reisen. Soviel ich weiß, siedelt auch der Marquis von Villiers demnächst mit seinen Damen nach Versailles über, auch die Gräfin Marignan und ihre Kinder.«

»Das könnte ich nicht! Mit dem besten Willen kann ich meine Fabrik nicht verlassen – und erst meine Frau! Gott, was sollte sie ohne ihr Haus und ihre Wirtschaft anfangen!« rief Herr Ribot ängstlich aus.

»So vertrauen Sie Ihre Tochter Frau Roland an!« ermunterte ihn Herr Moreau. »Es ist eine ganz vortreffliche Dame, ein Freund aus Lyon hat mir viel von ihr erzählt. Obschon sie auf den Wunsch ihres Gatten dort sehr zurückgezogen lebt, ist sie doch ihrer hohen Schönheit und Bildung wegen allgemein bekannt; dabei ist sie die beste Hausfrau, die aufmerksamste Gattin, die man sich denken kann, auch soll sie die Launen ihrer bösen Schwiegermutter mit rührender Sanftmut ertragen.«

»Da wäre der Aufenthalt bei dieser Frau Roland ja eine gute Vorschule für die Ehe, ich will einmal mit meiner Frau darüber sprechen. Aber ein gutes Kostgeld will ich zahlen, umsonst, oder gar gegen ein Gehalt gebe ich meine einzige Tochter nicht an fremde Leute,« sagte Herr Ribot.

Er fing schon an, sich die Sache zu überlegen; fühlte er doch selbst, daß seine Hortense daheim nicht so recht an ihrem Platze war und ihre glänzende Erziehung in einem größeren Kreis besser zur Geltung kommen würde. Auch Frau Ribot, die sich der schönen und geistvollen Tochter gegenüber fast etwas bedrückt fühlte, obschon sie stolz auf sie war, trat, als der Gatte sie darüber zu Rate zog, dessen Meinung bei, daß es nichts schaden würde, Hortense wenigstens für einige Zeit nach Paris zu lassen. Am selben Tage noch schrieb Herr Ribot an seinen Freund, daß er gewillt sei, der vielgepriesenen Frau Roland sein teuerstes Gut, seine Tochter, als Gesellschafterin anzuvertrauen und daß Hortense bereit sei, Anfang Mai ihre neue Stelle anzutreten.


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