Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Kapitel.
Die unterbrochene Spazierfahrt.

Das Jahr 1789 fing trübselig an. Einem trockenen Sommer mit Mißwachs und Hagelschlag folgte ein Winter, so kalt und streng, wie er seit Jahren nicht über die gesegneten Gauen Frankreichs hereingebrochen war. In Eis erstarrt lag die sonst so lustig einherbrausende Seine da, durch die Felsenthäler der Bretagne wehten die Stürme mit niegekannter Heftigkeit und turmhoch bäumten die Wogen der See sich an den zerklüfteten Ufern empor. Wo aber an flacheren Gestaden das Meer eine Strecke vom Eise bedeckt war, schäumte es wild unter diesem Zwang und suchte ihn mit Gewalt zu brechen.

Und zu den Stürmen in der Natur kamen überall im Land noch allerlei politische Unruhen. Bisher hatte das französische Volk geduldig die Lasten getragen, die ein despotisches Königstum, ein übermütiger Adel ihm aufgebürdet hatten. Seit es aber von Schriftstellern selbst aus den bevorzugten Ständen: dem Marquis von Mirabeau, dem Abbé Sayes und anderen über seine Rechte aufgeklärt, seit die Mißwirtschaft der Regierung allgemein bekannt worden war, fing es an, seine Ketten abzustreifen. Sogar die ernsten Schiffer und Ackerbauer der Bretagne verloren ihre gewohnte Ruhe, verlangten eine Änderung der bestehenden Verhältnisse und gaben der Regierung an allen gegenwärtigen Übelständen schuld, selbst an der Teurung, die infolge der ungünstigen Witterung im Lande herrschte.

In der am Zusammenfluß der Ille und Villaine, in der fruchtbarsten Gegend der Bretagne gelegenen Hauptstadt Rennes, waltete gleichfalls große Aufregung.

Aus den engen, winkligen Gassen der am linken Ufer der Villaine gelegenen Altstadt, drängten sich schmutzige und zerlumpte Gestalten über die schöne, neue Brücke nach der Neustadt hinüber, die sich mit ihren breiten Straßen, prächtigen Gebäuden und lieblichen Promenaden, stattlich und stolz an dem sanft ansteigenden, rechten Flußufer erhebt.

Verkommene Menschen, die sich sonst nur bettelnd oder herumtreibend im Aristokratenviertel zeigten, standen in Gruppen an den Straßenecken und redeten unter lebhaften Gebärden laut und heftig miteinander; aber auch viel junge Studenten, anständig gekleidete Bürger und Bauersleute sah man dazwischen, und von einem Eckstein herab hielt ein bleicher junger Mann, in der dunklen Tracht des Gelehrten, eine zündende Rede an das Volk.

Durch die aufgeregte Menge brach sich langsam ein herrschaftlicher Wagen Bahn. Er wurde von vier elegant aufgeschirrten Schimmeln gezogen; der Bediente auf dem Hintersitz und der Kutscher auf dem Bock trugen geschmackvolle Livreen.

Im Wagen selbst saßen fünf Personen etwas unbequem aneinander gedrängt: es waren zwei ältere Herren, ein dicker, reich und kostbar gekleideter, und ein magerer in schlichtem dunklem Anzug, ferner drei junge Mädchen im Alter von ungefähr siebzehn und achtzehn Jahren.

Die eine von ihnen war in prachtvolle Pelze gehüllt, sie hatte ein schönes, intelligentes Gesicht mit regelmäßigen Zügen und klugen braunen Augen; die beiden andern waren einfacher, aber sehr vornehm und ganz gleich gekleidet. Es waren zwei Schwestern, doch sahen sie sich nicht sehr ähnlich, denn während die ältere ein feines blasses Gesicht mit ernsten dunklen Augen hatte, waren die Wangen der jüngeren rosig und rund und ihre blauen Augen blickten neugierig und vergnügt in die Welt hinaus, als habe sie Wunderdinge von derselben zu erwarten. Dabei sprach sie lebhaft mit ihren Gefährtinnen und lachte viel, während diese sich ruhiger verhielten und den etwas ausschweifenden Phantasiegebilden der Erzählerin von Bällen, Gesellschaften und Theateraufführungen, die man im Laufe des Winters noch zu erwarten habe, mit herablassendem Lächeln lauschten.

Die beiden Herren unterhielten sich indessen vom Hauptthema des Tages: von der Politik. War doch am letzten Sonntag von allen Kanzeln des Landes verkündet worden, daß jetzt die Wahlen zu den Reichsständen stattfinden sollten, jener Versammlung von Abgeordneten aus allen Klassen der Gesellschaft, von der man Hilfe und Rettung aus der Finanznot der Regierung hoffte, der König und Minister, Adelsversammlungen und Parlamente vergeblich abzuhelfen getrachtet hatten.

Die Art nun, wie diese neue Vertretung gewählt und in welcher Weise der bisher gegen Adel und Geistlichkeit stark zurückgesetzte dritte Stand dabei beteiligt sein sollte, beschäftigte alle Gemüter und gab Anlaß zu mancher Aufregung in dem schon vorher verbitterten Volke.

In ihrer lebhaften Unterhaltung hatten die Insassen des Wagens wenig von der in den Straßen herrschenden Unruhe bemerkt, waren doch der Kälte wegen die Fenster dicht verhängt.

Plötzlich aber, als man in die Hauptstraße der Neustadt einbog, wo das Getümmel am stärksten war und auf dem Eckstein ein Volksredner stand, drängte sich ein Haufen wild aussehender Gesellen um das elegante Gefährt.

»Ah, ein Aristokrat! auch einer, der uns überstimmen will! Nehmen Sie uns mit, mein Herr! Heute geht es nach Kopfzahl und nicht nach dem Stand!« schrieen laute Stimmen wirr durcheinander, und ein roher Kerl im Matrosenanzug mit struppigem Haar und schwarzen, funkelnden Augen machte Miene, den Wagenschlag gewaltsam zu öffnen.

Die jungen Mädchen erschraken, der dicke Herr erblaßte und lehnte sich tief in die Polster zurück, am liebsten wäre er ganz in die Wand hineingekrochen. Der magere Herr aber öffnete mutig das Fenster und rief, sich weit herauslehnend, mit laut schallender Stimme in die tobende Menge hinein:

»Will jemand mitfahren, meine Herrschaften? Viel Platz ist da zwar nicht, wie Sie sehen, aber der gute Herr Ribot und ich steigen gern aus, an seiner Stelle können zwei sitzen.«

Ein schallendes Gelächter auf Kosten des armen Fabrikanten war die Antwort auf diese Anrede, man riß den Matrosen zurück und einige riefen:

»Herr Marquis de Villier, – der gute Marquis! Er ist ein Freund des Volkes! Guten Tag, mein Herr! Allons Kutscher! – weiter gefahren! Macht Platz, Freunde! – Pardon monsieur!«

» Pas de quoi!« erwiderte lächelnd der Marquis und lehnte sich wieder bequem in seine Ecke, nachdem er dem Kutscher zugerufen hatte, noch einen Augenblick zu halten, denn die Menge verlief sich nur langsam.

Dann wandte er sich beruhigend zu dem zitternden Fabrikherrn Ribot, der sich mit seinem gelbseidenen Taschentuche den Angstschweiß von der Stirn wischte. »Unsere Gesellschaft hat wenig Annehmlichkeit für Sie, mein Herr, sie bringt Ihnen unschuldigerweise Angst und Gefahr,« sagte er mitleidig, »wollen Sie nicht lieber aussteigen? Dieses Nebengäßchen ist leer und bringt Sie in wenig Augenblicken zu Ihrer Wohnung.«

»Danke, danke, o danke vielmals, mein Herr Marquis!« sagte, sich gewaltsam fassend, der Fabrikherr. »Sie haben recht, hier komme ich auf direktem Weg von hinten an mein Haus. Nicht daß ich im geringsten dächte, – gewiß, – ich kenne keine Furcht und die Gesellschaft des Herrn Marquis – nur Ihr Wagen müßte dann einen zu großen Umweg machen –«

»Ich weiß, ich weiß, lieber Herr Ribot, es ist für uns alle am einfachsten so, – aber was ist das? neuer Aufruhr!«

In der That schien das kaum beruhigte Volk sich plötzlich wieder aufzuregen, man hörte wildes Schreien, sogar Waffengeklirr. Herr Ribot unterließ jede weitere Höflichkeitsphrase; so schnell er dies bei seiner schwerfälligen Gestalt vermochte, war er aus dem Wagen gesprungen und hatte seine Tochter Hortense, die in Pelz gehüllte junge Dame, nach sich gezogen. Einen raschen Blick warf diese noch nach dem Tumult in der Hauptstraße zurück. Dort sah sie einen jungen, reichgekleideten Mann mit gezücktem Degen inmitten einer tobenden Menge stehen, die mit Knütteln und Steinen auf ihn einstürmte. Ein Strahl der Wintersonne drang jetzt plötzlich durch die düsteren Nebelwolken und umgab das feine Gesicht, das blonde, lockige Haar des Jünglings wie mit einem Glorienschein; dann riß der Vater Hortense hastig mit sich fort und beide verschwanden im schützenden Dunkel der engen Gasse.

Der Marquis blickte nach der Ursache des neuen Tumultes forschend aus dem Wagen, und auch er sah den kühnen Ritter, der allein, nur von ein paar ebenfalls bewaffneten Dienern gefolgt, der wütenden Menge zu trotzen wagte. Aber weit entfernt von diesem Bravourstück begeistert zu sein, rief der Marquis zornig aus: »Das sieht diesem Tollkopf von Henri ähnlich! Jetzt, wo alles in Frieden beigelegt war, die Leute aufs neue zu reizen und gar die Waffen gegen sie zu erheben! – Fahr zu, Kutscher, bringe die Damen vor das Haus der Gräfin Marignan!« rief er diesem zu, sprang mit einem Satz aus dem Wagen und lief, sein weißes Taschentuch als Friedensfahne in der Hand schwingend, mitten in das Menschengewühl hinein.

»O Papa, Papa! Sie werden ihn töten! Renée, was fangen wir an!« rief die eine der beiden zurückgelassenen Schwestern und sank weinend in die Wagenecke zurück.

»Beruhige Dich, Jeanne, sie scheinen ihn gar nicht zu beachten, alles stürmt auf Henri ein. Jetzt gehen sogar die Studenten in geschlossenen Reihen mit gezücktem Degen auf den armen Jungen los! – Er ist verloren!« sagte Renée, die unerschrocken aus dem Wagen gesehen hatte.

Doch jetzt hieb der Kutscher auf die Pferde ein, in raschem Galopp sauste der Wagen davon und bog nach kurzer Zeit um die Ecke, wo er in einer verhältnismäßig stillen Straße vor einem stattlichen Bau mit Erkertürmen, Giebeldach und reicher Stuckatur über Fenstern und Hausthür still hielt.

Unberührt von dem in nächster Nähe tobenden Lärm lag das Haus in vornehmer Abgeschlossenheit da, nur von einem seitwärts gelegenen Erker aus konnte man das Getümmel in der anderen Straße übersehen.

Eine alte Kammerzofe nahm die verstört aussehenden, jungen Mädchen in Empfang.

»Ah, da sind Sie ja wohl und munter! Gott sei gelobt! Nur schnell hinauf zur Frau Gräfin!« rief sie erfreut und geleitete beide die teppichbelegte Treppe hinauf in das mit roten Seidenpolstern geschmückte Boudoir ihrer Gebieterin.

Die Gräfin Marignan, eine zarte, aufgeregt aussehende Dame, war in eine mit Pelz gefütterte Seidenmantille gehüllt und lief unruhig im Zimmer umher.

»O meine Kinder! süße Kinder! Seid Ihr dem Blutbad entgangen? Gott sei gelobt!« rief sie, Jeanne und Renée stürmisch an sich ziehend. »Hat Henri Euch gerettet? – Euren Wagen gefährdet sehen, aufspringen, sämtliche männliche Dienstboten bewaffnen und hinausstürzen, war bei ihm das Werk eines Augenblicks. Aber wo ist er, mein schöner und tapferer Sohn? – Er war noch nicht einmal gepudert! denkt Euch! der Friseur war gerade bei ihm, es sind nämlich seine natürlichen Locken, die er trägt, er bedarf keiner Perücke, da ließ er ihn stehen und stürzt: Jean, François, Jacques! rufend, hinaus. Darum hat Euch auch meine Berthe-Marie einlassen müssen und Euer Kutscher hat wohl selbst den Wagen nach dem Stall gebracht? Aber wo ist Henri? Er ist ein Held, ein Ritter ohne Furcht und Tadel, aber er wird mich noch umbringen, der böse Junge!«

»Da bin ich!« rief eine frische Stimme und unter der offenen Thür stand blaß und atemlos, eine Wunde an der Stirn, aus der rote Tropfen langsam über seine bleichen Wangen und auf seinen feingekräuselten Halskragen herabträufelten, aber doch lebend und außer jeder Gefahr, Henri, der junge Graf von Marignan.

Mit einem lauten Aufschrei stürzte die Mutter auf ihn zu; der Marquis aber, der hinter ihm eingetreten war, entzog ihn ihrer Umarmung und sagte freundlich: »Erst laß Dich von der alten Berthe-Marie verbinden und trinke ein Glas Champagner auf den Schreck, mein Junge! Deine Mutter, wenn sie auch im ersten Augenblick der Freude nicht daran denkt, würde Dir's nie verzeihen, wenn Du ihr einen Blutfleck auf ihren weißen Seidenpelz machen würdest; auch hast Du einen Augenblick der Ruhe nötig, denn bist Du erst unter den Händen von Mutter und Schwester, so ist's um Deinen Frieden geschehen.«

Lachend gehorchte der junge Mann, der Mutter und den Cousinen Kußhände zuwerfend; der Marquis aber führte die zitternde Gräfin nach ihrem Divan zurück und setzte sich, ihre beiden Hände in die seinen nehmend, neben sie.

»Er hat sich brav gehalten, Dein Henri,« hob er an, »wenn er auch besser gethan hätte, sich ruhig weiter pudern zu lassen, anstatt die schon beruhigten Leute wieder in Aufregung zu setzen.«

»Wie war es? Wie kam es denn, Papa?« fragten erregt Jeanne und Renée, die sich auf kleinen Taburetts neben dem Divan niedergelassen hatten. »Ich sah Henri zuletzt, wie tausende von Dolchen auf ihn gezückt waren, er schien verloren!« fügte Renée hinzu.

»Wie! Dolche auf meinen Sohn gezückt!« schrie die Gräfin. »O!«

»Es war nicht so schlimm, liebe Heloise,« beruhigte der Marquis seine Schwester, »Henri genießt augenblicklich keine große Beliebtheit bei der Menge, weil er unvorsichtigerweise öffentlich geäußert hat, wie sehr er sich darüber freue, daß die Reichsstände bei ihrem demnächstigen Zusammentritt laut Regierungsbefehl nach Ständen und nicht nach Kopfzahl abstimmen sollen, was gegen das Interesse des Volkes ist. Als er nun heute mit gezücktem Degen auf die Leute, die bereits von uns abgelassen hatten, einhieb, war natürlich ihre Erbitterung groß. Sie verteidigten sich mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln, und die anwesenden Studenten drangen allerdings auch mit ihren Degen – es waren keine tausend, aber doch zehn oder zwölf – auf ihn ein.«

»Ah, das nennst Du nicht so schlimm, Alfons!« rief vorwurfsvoll die Gräfin.

»Nein, weil außer dem Steinwurf kein einziger Stoß ihn traf. Noch ehe ich zur Stelle war, sprang der junge Moreau, der zu dem Volke gesprochen hatte, von seinem Eckstein herab und beschwichtigte es. Ich zog darauf mit leichter Mühe den tapfern Ritter am Rockzipfel aus dem Gedränge.«

»Viktor Moreau stand auf einem Eckstein?« fragte verwundert eine zierliche, junge Dame, die während des Marquis Erzählung eingetreten war.

»Jawohl, Eugenie, derselbe, der mit Henri erzogen worden ist und viele Wohlthaten von Eurem Hause empfangen hat, stand auf einem Eckstein und hielt gerade eine Rede an das Volk, als wir angefahren kamen. Die Leute scheinen ihn sehr zu lieben, denn als er ihnen sagte, sie sollten ihre heilige Sache nicht mit dem Blute eines Knaben besudeln, die Zeit, wo das Volk die ganze Aristokratie des Landes vor seinen Richterstuhl rufen werde, sei nicht mehr ferne, da jubelten ihm alle zu, die Studenten umringten ihn und geleiteten ihn im Triumph von dannen.«

»Wir haben eine Schlange an unserem Busen groß gezogen!« seufzte die Gräfin.

Eugenie aber sagte lachend: »Allzuzärtlich haben wir den guten Viktor nicht behandelt, Mama! Eigentlich war er nur Henris Prügeljunge. Und er war immer so nett und that mir alles zu Gefallen! Ich glaube, daß es ihm Spaß macht, auch einmal geehrt und bevorzugt zu werden, wo er hier immer gegen den unartigen Henri und seine Freunde zurückstehen mußte. –«

»Und ist Popularität ein Verbrechen, Heloise?« rief der Marquis. »Lieben wir nicht alle das Volk und freuen uns, wenn es zu seinem Rechte kommt? Das mit dem Richterstuhl ist natürlich eine Phrase, aber daß wir dem Volke von früher her manches schulden, daß es jetzt noch ungerechte Lasten trägt und –«

»Lieber Bruder, verschone mich mit Deinem Volk! Die bloße Erwähnung dieses Wortes regt mein Innerstes auf. Die Leute haben es viel zu gut und nur darum werden sie übermütig.«

»Und wenn Du erst wüßtest, liebe Tante, daß Papa den Wachstuchfabrikanten Ribot und seine Tochter mit in den Wagen genommen hat und wir, wie Häringe zusammengedrückt, mit ihm hierher gefahren sind! O diese Angst des guten Mannes bei dem Volksauflauf hättest Du sehen sollen! Nie habe ich etwas so Komisches vor Augen gehabt,« erzählte Jeanne, und die Schwester, ja selbst der Marquis, konnten nicht umhin, in ihr herzliches Lachen einzustimmen.

»Was hatten Herr und Fräulein Ribot denn bei Euch zu schaffen? Freilich ließ die junge Dame sich neulich auch bei Eugenie anmelden, die sie natürlich nicht annahm. Sie scheint zu denken, weil Ihr zusammen im Kloster erzogen wurdet, ließe sich jetzt der Verkehr fortsetzen,« sagte die Gräfin.

»Herrn Ribot konnte ich nicht abweisen, er brachte ein Muster zu neuen Dekorationen für Speisesaal und Vorzimmer,« erklärte der Marquis, »er ist übrigens ein sehr verständiger Mann und Fräulein Hortense ein feingebildetes Mädchen.«

»Sie war im Kloster unsern Töchtern im Lernen weit voraus und der Stolz der Anstalt,« bestätigte die Gräfin die letzte Bemerkung ihres Bruders, »aber darum steht sie doch in gesellschaftlicher Beziehung unsern Kindern keineswegs gleich und kann nicht mit ihnen verkehren, nun diese in die Welt eingeführt werden sollen. Denke nur, was unsere Bekannten sagen würden, wenn sie die Tochter eines Wachstuchhändlers bei uns träfen?«

»Papa selbst fand es anmaßend von Herrn Ribot, daß er uns seine Hortense mit den Tapetenproben ins Haus brachte. Er war sehr damit einverstanden, als gleich angespannt wurde, und indem er die ungebetenen Gäste zum Mitfahren einlud, kürzte er ihren Besuch um ein Bedeutendes ab,« sagte Renée.

Ihr Vater mußte ihr lächelnd zustimmen. Doch meinte er, Standesvorurteile seien widersinnig, wenn man sich ihnen auch nicht entziehen könne, sie müßten abgeschafft werden; vor Gott seien alle Menschen gleich!

»So lange die Welt steht, hat es Arme und Reiche, Vornehme und Geringe gegeben,« sagte die Gräfin mit mehr Würde als Wahrheit, wurde aber von ihrem Sohn Henri unterbrochen, der, eine schwarzseidene Binde malerisch um die blasse Stirn geschlungen, wieder ins Zimmer trat und als Held des Tages das allgemeine Interesse in Anspruch nahm.


 << zurück weiter >>