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Vierzehntes Kapitel.
Die Toten stehen auf.

Allein mit seinen zwei Begleitern ritt Henri weiter. Dank ihrer Uniformen wurden die drei wenig belästigt. Nicht so gut schien es den Insassen eines großen Reisewagens zu gehen, der mitten auf der Straße von rohen Gesellen angehalten worden war. Henri sprengte näher und hörte die Burschen schreien:

»Ah, Aristokratinnen! Was gehen uns Ihre Pässe an! Ihre verfl– Herkunft steht auf Ihren Gesichtern geschrieben!«

Der Graf erschrak. Er erkannte in diesen Männern einige der Mörder der schrecklichen Septembertage und wußte, daß dieses blutdürstige Gesindel in die verschiedenen Provinzen hinauszog, um dort ähnliche Metzeleien wie in Paris zu vollziehen. Ohne sich zu besinnen, zog er seinen Degen und rief:

»Ruhe, Bürger! Diese Damen stehen unter dem Schutz des Gemeinderats von Paris. Wir sind beauftragt, sie zu geleiten.«

»Ah Pardon, Kapitän!« sagten die Mordgesellen, die ebenso feige als grausam, sich schnell von den Uniformen einschüchtern ließen. Mit dem Ruf: »Es lebe die Nation!« traten sie zurück. Der Wagen fuhr rasch davon und Henri sprengte mit seinen Begleitern hinter ihm her.

Bald waren sie ganz außerhalb des Bereichs der Angreifer und seinen Hut lüftend, ritt Henri an den Wagen heran. Aber das höfliche: » Pardon mes dames!« erstarb auf seinen Lippen, als er in das wohlbekannte Gesicht Hortense Ribots sah, die mit zwei Gefährtinnen im Wagen saß, deren eine, anscheinend eine Dienerin, auf dem Rücksitz Platz genommen hatte.

»Herr Graf Marignan!« rief das junge Mädchen, nicht minder überrascht.

»Kein Graf mehr; auch Sie scheinen vergessen zu haben, daß der Adel abgeschafft ist – ah!« –

Henri schrie in freudigem Schrecken auf, denn die Dame neben Hortense zog ihren Schleier weg. Ein bleiches Gesicht unter Haaren, die nicht von Puder, aber auch nicht vom Alter, schneeweiß waren, sah ihn mit den tiefen, dunklen Augen seiner totgeglaubten Cousine an. – Eilig übergab er sein Pferd seinen Dienern und sprang in den Wagen, dem Kutscher den Befehl zum Weiterfahren gebend.

»Und Du lebst, Renée, Du lebst!« rief er, ihre beiden Hände fassend. »Wie kam es? Wer hat Dich gerettet?«

Renée blickte mit ihren sprechenden Augen Hortense Ribot dankbar an und drückte ihr die Hand.

»Ich wurde,« sagte sie dann leise und langsam, als riefe sie sich die schrecklichen Erinnerungen ungern zurück, »am zehnten August mit den Damen der Königin, die der Mordgier der Insurgenten entgingen, ins Gefängnis Laforce gebracht. Nachdem wir drei Wochen dort gewesen waren, hörten wir, daß in Paris sich Schreckliches vorbereite und daß der Minister Danton alle Gefangenen vom 10. August, ja alle Aristokraten überhaupt, ermorden lassen wolle. Seine Schergen gingen von Haus zu Haus, und täglich wurden neue Opfer zu uns gebracht. Es waren auch viele Priester darunter, die sich nicht durch das neue Regiment hatten anstellen lassen wollen.«

»Ich weiß, Renée, es waren schreckliche Tage! Ganz Paris glich einem großen Gefängnis, in dem man nur Jammern und Wehklagen hörte. Schon an denen, die gefangen weggeschleppt wurden, verübte man die größten Mißhandlungen. Mit welcher Angst habe ich von Gefängnis zu Gefängnis nach Dir gesucht!« unterbrach sie der Graf.

»Ich danke Dir, Henri. Ach, wir waren nur zu gut versteckt! Erst der Tod sollte unsere Bande lösen. Die Reihe, geschlachtet zu werden, kam endlich auch an uns. Ich wurde mit den andern Damen in einen kleinen, mit schrecklich aussehenden Menschen angefüllten Hof hinabgeführt, einer Art Verhör unterworfen, dann von bluttriefenden Burschen durch eine Thür geschleppt – wo –«

»Nicht weiter, liebe Renée! Es greift sie zu sehr an, Herr Graf – sie meint den Raum, in dem die Gefangenen ermordet wurden. Auch ich warf einen Blick hinein und sah den Berg voll Leichen, auf dem mit aufgestülpten Ärmeln die Mordgesellen standen, die Gefangenen zu sich hinaufsteigen ließen und ihnen nach einander die Köpfe abschlugen. Ich habe seitdem genug von der Freiheit des Volkes und habe jeder Schwärmerei dafür entsagt.«

»Sie gehörten doch nicht zu den Gefangenen?«

»Nein, aber ich hatte am Abend vorher erfahren, daß die Damen der Königin, unter ihnen Renée von Villiers in Laforce eingesperrt seien und bat Herrn Roland um einen Schein, sie zu befreien.«

»Und diesem Schein lag natürlich eine gute Summe Geldes bei, denn ohne Bestechung erweist kein Volksmann Gnade,« schaltete Henri ein.

»Ich werde ja von meinen Eltern stets gut versorgt,« erwiderte Hortense errötend, »ich brauchte nicht mit Trinkgeldern zu kargen, als ich mir durch die Menge Bahn brach und den Mordgesellen Rolands Gnadengesuch vorlegte, gerade im letzten Augenblick, wo die bereits ohnmächtige Renée ihren Henkern noch entrissen werden konnte.«

»Und wie ein Engel des Lichts erschienst Du mir, als ich die Augen aufthat und statt in die blutdürstigen Gesichter der Mörder, in Deine freundlichen Züge sah, o, Hortense!« rief Renée und barg ihr thränenüberströmtes Gesicht an der Schulter ihrer Retterin.

»Arme Renée! Die Schrecken dieser letzten Tage haben sie zu sehr angegriffen, sie darf nicht mehr davon sprechen!« sagte Hortense, indem sie das in der Todesangst ergraute Haar der Freundin zärtlich streichelte. Diese war in ein nervöses Schluchzen ausgebrochen, nach und nach aber wurde sie ruhiger. Hortense und ihre Zofe betteten sie so bequem als möglich in eine Ecke des Wagens, wo sie bald in den festen Schlaf der Ermattung sank.

»Sie hätte noch nicht reisen sollen,« flüsterte Hortense jetzt dem Grafen zu, »aber es ist zu gefährlich für eine Aristokratin, in Paris zu bleiben. Madame Roland weinte zwar vor Mitleid beim Anblick der armen Renée, als ich sie in ihr Haus brachte und ließ ihr sofort ein Lager zurecht machen. Aber ich sah selbst ein, daß für eine Hofdame kein Platz im Hause des demokratischen Ministers sei, und dieser war auch sofort bereit, uns Pässe in die Heimat zu verschaffen.«

»Werden Sie wieder nach Paris zurückkehren?«

»Nimmermehr! Ich sah es wie eine Erlösung an, als Frau Roland mich im März wieder zu sich rief, denn ich liebte das Leben in ihrem Hause und ich dachte, nun Herr Roland auf der Höhe menschlicher Ehren stand, werde er darauf hinarbeiten, Ruhe und Frieden im Lande zu schaffen und das Volk wieder mit seinem König zu versöhnen. Aber das Gegenteil war der Fall, dank dem unseligen Einflüsse seiner Frau, deren fanatische Freiheitsliebe nicht vor dem allgemeinen Umsturz zurückbebt.«

»Am sechsten Oktober 1789 waren Sie aber ganz mit ihr einverstanden!?«

»Eigentlich nicht, doch hoffte ich, die Schrecken hätten nun ein Ende, es sei dies die notwendige Krisis, die überstanden werden müsse. Aber nach dem, was ich nun erlebt und gesehen habe,« – sie schauderte unwillkürlich zusammen. »Frau Roland hält auch dies schreckliche Blutvergießen für ein notwendiges, wenn auch beklagenswertes Übel, sie hofft noch immer. Ich aber sagte ihr, daß ein Ziel, das mit so viel Blut erkauft sei, mich anwidere; wir schieden von einander, beide mit dem Gefühl, daß unsre Wege nie mehr zusammen kommen werden.« Einen Augenblick schwieg Hortense; die Trennung von der edlen, irregeleiteten Frau, die sie einst so hoch verehrte, war ihr schwerer geworden, als sie gestehen wollte. Dann aber sah sie Henri freundlich an und sagte:

»So sind Sie doch zu mir in den Wagen gestiegen, Graf, was Sie einst verschmäht. Gestehen Sie, Sie hätten es nicht gethan, wenn Sie Renée nicht darin gesehen hätten!«

»Ich hätte es nicht gethan, wenn ich Frau Roland bei Ihnen gesehen hätte, wie an jenem sechsten Oktober. Mein Herz war zudem voll Dank gegen Gott, als ich die totgeglaubte Reuse neben Ihnen fand. Aber sonst, – Hortense, teure Hortense! nun Sie Ihre verderblichen Ansichten abgeschüttelt haben, – eine der Unsrigen geworden sind –«

»Sie wissen nicht, ob ich den Adel nicht noch immer hasse!«

»Wenn Sie nur mich nicht hassen, Hortense! Der Adel ist abgeschafft.«

»Aber Renée?«

Hortense dachte aufs neue an jenen Augenblick, wo Henri damals in Renées Wagen gestiegen war. Jeanne hatte ihr beide als in Paris weilend genannt, – sie waren ihr später dort auch mehr als einmal mit einander begegnet, ohne sie zu bemerken; sie glaubte sie verlobt und es war ihr ein erhebender Gedanke gewesen, Renées Leben für Henri von Marignan gerettet zu haben.

Nun aber Henri sie so innig ansah, sich zu ihr hinüberbeugte und ihr zuflüsterte:

»Renée ist mir stets eine teure Schwester und Gefährtin gewesen, wen ich aber vom ersten Augenblick an geliebt habe, das sind Sie allein, Hortense!« – da zog doch noch ein viel schöneres und beseligenderes Gefühl durch ihr Herz und trotz der Schrecken, die hinter ihr lagen und der kommenden schweren Zeit, die zu erwarten stand, war ihr, als fahre sie dem Glück entgegen.

Die Zofe war so gefällig, sich schlafend zu stellen, Renée aber schlug langsam die Augen auf und als sie Henri und Hortense Hand in Hand vor sich sitzen sah, da sagte sie, nach langer Zeit zum erstenmal wieder lächelnd:

»Ich glaube, Hortense wird doch noch Gräfin von Marignan.«

»St! Renée, mit dem Grafentitel ist es aus!« rief Henri und lachte vergnügt.


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