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Elftes Kapitel.
Getrennte Wege.

Am Nachmittage dieses Tages bewegte sich ein schauerlicher Zug von Versailles nach Paris. Voran wurden auf zwei Piken die Köpfe der ermordeten Gardeoffiziere getragen, dann folgte eine Reihe Kanonen, hinter denen ein in scharlachrote Amazonentracht gekleidetes Weib mit flatterndem Federbusch auf dem Kopf und zwei Pistolen im Gürtel neben einem bärtigen Gesellen herritt. Es waren Theorigne von Máricourt, das von einem Edelmann betrogene Landmädchen, das allen Aristokraten den Tod geschworen hatte, und Jourdan, der Menschenschlächter von Avignon. Ihnen folgten, teilweise auf den edlen Pferden der Leibgarde zu drei und vieren sich zusammendrängend, ein Haufe wüster Megären und andern Gesindels in unabsehbarer Menge. In der Mitte dieser rohen Horde und unausgesetzt von ihr beschimpft, verhöhnt und mit Steinen beworfen fuhr die königliche Familie in ihrem vergoldeten Staatswagen. Und neben diesem Wagen schritten bleich und stumm, mit zerrissenen Röcken, ihrer Degen beraubt und aller sonstigen Ehrenzeichen bar, verlacht, verspottet wie die Majestät des Königs selbst, die tapferen Edelleute der Leibgarde. Neben ihnen schleifte man die Leichname ihrer ermordeten Kameraden im Staub.

Fünf Stunden brauchte man heute, um die kurze Strecke von Versailles nach Paris zurückzulegen und mit bitterm Lächeln dachte Henri von Marignan, wie schnell er sonst auf dieser Straße dahingeflogen war, wenn er auf seinem leichtfüßigen Renner der Hauptstadt und der Straße St. Jacques zueilte. Stolz und trotzig schritt er mit erhobenem Haupte unter seinen Leidensgenossen einher, verächtliche Blicke auf die ihn umdrängenden Pöbelmassen werfend und ihre wüsten Spottreden mit souveräner Gleichgültigkeit hinnehmend. Ein Steinwurf traf seine Stirn. Er gab sich kaum die Mühe, mit seinem feinen Taschentuch das Blut abzuwischen.

Man näherte sich jetzt den Thoren von Paris, viele Einwohner der Stadt kamen dem Zuge entgegen; triumphierend erzählten ihnen die Sieger ihre Heldenthaten, sie wurden von ihren Landsleuten umringt und mit Erfrischungen gestärkt. In diesem Tumult fühlte Henri sich plötzlich am Arme gefaßt: »Kommen Sie schnell in jenen Wagen,« – flüsterte ihm ein Mann zu und wollte ihn fortziehen. Henri sah sich nach dem Gefährt um, das am Rande der Straße hielt. Neben der schönen Frau Roland saß dort Hortense Ribot und winkte ihm zu. Henri wandte sich ab und sagte zu dem Manne, offenbar dem Kutscher:

»Sagen Sie der Dame, in ein Haus, dessen Freunde solch elende Tragödie in Scene setzten, gehören die Freunde des Königs nicht!« Im selben Augenblick traf ihn ein neuer Steinwurf, er strauchelte und wäre gefallen, worauf dann die nachdrängende Menge über seinen Körper hinweggesetzt wäre. Aber ein Wagen mit Ehrendamen der Königin fuhr glücklicherweise dicht an ihm vorüber, der Schlag öffnete sich, er wurde von zarten Händen hinein gehoben. Als er sich von einer kurzen Ohnmacht erholt hatte, blickte er in das thränenüberströmte Gesicht seiner Cousine Renée, die ihm an ihrer Seite Platz gemacht hatte und ihm etwas Wein aus einem Reisebecher einflößte.

»Du hast mir das Leben gerettet, Cousine!« sagte er, ihr dankbar die Hand drückend. »Ein angenehmer Tod wäre es nicht gewesen, von wütenden Horden zerstampft und zerrissen zu werden. Wir beide haben jetzt die Ehre der Familien Villiers-Marignan bei den königlichen Herrschaften zu vertreten. Wir harren aus bis in den Tod, nicht wahr?«

»Mit Gottes Hilfe, ja,« erwiderte Renée und gab ihm seinen Händedruck fest und freudig zurück.

Hortense hatte inzwischen die Botschaft Henris empfangen und wohl verstanden, so unvollkommen sie ihr auch ausgerichtet worden war.

»Er sagt sich auf immer von uns und von Ihnen los, mein Kind, und das ist gut, denn seine und unsre Partei stehen sich nun einmal feindlich gegenüber,« sagte Frau Roland, die es mitangehört hatte. In ihrem Hause herrschte Freude und Triumph, denn der wohl ausgedachte Plan Lafayettes, dem auch die bei Rolands verkehrenden Männer zustimmten, war gelungen. Der König hatte die Menschenrechte unterzeichnet, er war nach Paris gebracht und befand sich nun ganz in den Händen des Volks.

Frau Roland hatte eigens einen Wagen gemietet, um das Schauspiel des Einzugs mitanzusehen und ganz in ihre hochfliegenden Pläne versunken, sah sie in all den Greueln, die sich ihr in diesem Zuge darboten, nur den Sieg ihrer Idee. Hortense aber schauderte vor Grundsätzen, die solcher Mittel bedurften, um durchgeführt zu werden, zum erstenmal zurück. Wieviel geistvolle feurige Reden hatte sie in der Nationalversammlung, die sie oftmals besuchte, hatte sie im Hause der Frau Roland gehört, wieviel interessanten Menschen begegnete sie dort, – aber heute war ihr, als überrage Henri von Marignan mit seinem bleichen stolzen Gesicht und der blutigen Märtyrerkrone auf der Stirn sie alle, und ihr war, als gäbe sie alle witz- und geistsprühenden Unterhaltungen im Salon Roland darum hin, wenn sie ihn hätte pflegen und seine Leiden teilen dürfen.

»Seien Sie nicht traurig, liebes Kind,« tröstete sie jetzt die Freundin und sah sie mit ihren leuchtenden Augen innig an – »dieser junge Aristokrat zeigt sich Ihnen jetzt im Glorienschein des Märtyrers, aber glauben Sie, weder im Glück noch im Leiden wäre eine Verbindung mit einer Bürgerlichen je für ihn möglich gewesen. Diese Rasse steht mit ihren Vorurteilen uns nun einmal feindlich gegenüber, das haben Sie, wie Sie mir erzählt, ja selber schon erfahren. – Vergessen Sie diesen interessanten Henri und beachten Sie die Greuel nicht, die Sie hier sehen! Dieses Volk ist nur durch die herrschenden Mißstände so geworden, wie es jetzt ist. Hat es einmal die Bildung erlangt, die wir ihm erschließen wollen, und ist es durch die Freiheit, die wir ihm erkämpfen, geadelt, so begeht es auch keine solchen Exzesse mehr. Diese können in der Krisis, in der wir uns jetzt befinden, ebenso wenig vermieden werden, wie man bei einer Operation das Blutvergießen vermeiden kann; man darf sie nicht zu schwer nehmen.«

Hortense lächelte unter Thränen. Als der Wagen langsam umkehrte und wieder den Thoren von Paris zurollte, nahm sie sich vor, alles Vergangene zu vergessen und ihren Geist zu dem hohen Standpunkt dieser Frau emporzuschwingen.


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