Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.
Fröhliches Leben und seliges Sterben.

»Ach Renée,« sagte Jeanne, indem sie traurig aus dem Fenster in die graue Luft hinaussah, wo der Sturm die Schneeflocken in buntem Tanze durcheinander wirbelte, »wie sehr habe ich mich auf diesen Winter gefreut! Jedermann sagt, das erste Jahr nach der Pension, der Eintritt in die Welt, sei die schönste Zeit im Leben eines jungen Mädchens und nun ist gar nichts los. Sogar der Ball von Tante Marignan, zu dem wir uns schon Blumen gekauft haben, wurde abgesagt.«

»Leichtsinniges Kind!« sagte ihr Vater von seiner Zeitung aufsehend, die er beim letzten Schein des Tageslichtes dicht beim Fenster las, – »wer denkt in dieser ernsten Zeit an Tanz und Spiel! Das Volk beginnt aus einem vielhundertjährigen Schlaf zu erwachen und rüttelt an seinen Ketten. Haben die Reichsstände ihm erst freiere Einrichtungen gebracht und den Wohlstand des Landes wieder hergestellt, so wird es sich schon von selbst beruhigen und alle Störungen, die uns jetzt belästigen, haben ein Ende.«

»Inzwischen langweilen wir uns hier zu Tode und werden schließlich noch von irgend einem rohen Volkshaufen aufgespießt. Die Leute haben sich sogar jetzt Waffen kommen lassen! Geh' doch mit uns nach Versailles, lieber Papa. Du sagtest immer, wir sollten, wenn wir erst erwachsen wären, bei Hofe vorgestellt werden!« bat Jeanne, die mit ihrem frischen muntern Wesen des Vaters Liebling war und sich schon einmal eine Extra-Bitte erlauben durfte.

Renée blickte sie fast vorwurfsvoll an. Wie konnte sie ein solch kühnes Verlangen kalten Blutes äußern! eine Reise nach Versailles war doch etwas mehr als ein neues Kleid oder ein Theaterbillet, oder was sonst Jeanne vom Papa herauszuschmeicheln verstand.

Aber dem Kühnen gehört die Welt. Der Marquis war weit entfernt davon, Jeannes Bitte als gänzlich unausführbar zu verwerfen. Hatte er selbst doch oft in der Stille den Plan gefaßt, zur Eröffnung der Reichsstände nach Paris zu reisen, um der Lösung der großen Fragen, die ihn so lebhaft beschäftigten, nahe zu sein, die berühmten Abgeordneten kennen zu lernen und ihre Reden zu hören. Es bedurfte nur eines kleinen Anstoßes von außen, um diesen Plan zur Ausführung zu bringen. Seine Frau, das wußte er, würde sich freilich widersetzen.

»Gerade Mamas wegen müßten wir eigentlich fort, um die Pariser Ärzte ihrethalben zu Rate zu ziehen, ich habe schon lange daran gedacht, die hiesigen Doktoren können ihr alle nicht helfen. Ich denke, Kinder, ja, wir gehen gleich nach Ostern an den Hof,« sagte der Vater, seine Gedanken laut fortsetzend.

Renée und Jeanne sahen einander an, – war es möglich? gab der Papa so ohne weiteres ihrem sehnlichsten Wunsche nach! Denn der Schwestern sehnlichster Wunsch war immer eine Reise nach Versailles gewesen. Sogar in die Stille des Klosters waren die Gerüchte von den glänzenden Festen der schönen Marie Antoinette gedrungen. Sie, und all die andern liebenswürdigen und interessanten Persönlichkeiten ihres Hofstaats kennen zu lernen, und die so oft geschilderte Pracht der königlichen Schlösser mit eigenen Augen zu sehen, schien ihnen der Gipfel aller irdischen Glückseligkeit. Wenn Jeanne dabei in erster Linie an Tanzvergnügungen, Theateraufführungen und dergleichen dachte, so hoffte Renée berühmte Redner und schöne Musik zu hören und ihren Geist durch Gespräche mit geistvollen Männern und Frauen ausbilden zu können. Sie war überzeugt, daß die Herren und Damen des Hofes viel klüger und gebildeter seien als ihre Bekannten zu Rennes, deren Unterhaltung ihr nicht immer genügte.

Nachdem Jeanne den Vater zum Dank für seine Nachgiebigkeit umarmt und geküßt hatte, eilte sie zur Mutter hinauf, ihr die frohe Botschaft mitzuteilen. Die Marquise hatte heute wieder einmal ihren schlimmen Tag, an dem heftige Schmerzen ihr das Zusammensein mit den Ihrigen unmöglich machten.

Bleich und zart wie ein Mondenstrahl lag sie auf ihrem Ruhebett am Kamin; in das dicht verhängte Zimmer drang kein Strahl des Tageslichts herein, nur eine Ampel von rosenrotem Glas beleuchtete matt das weite Gemach, das mit allem, was zur Bequemlichkeit und Erleichterung der Kranken dienen konnte, ausgestattet war.

In einer Ecke des Zimmers saß eine ältliche Person mit bleichem Gesicht und düsteren, starr blickenden Augen; sie saß so, daß die Marquise sie sehen und die Alte auf den leisesten Wink der Marquise an deren Seite sein konnte. Sie trug ein graues Kleid und eine Mütze von grauem Kattun. Ihre Blicke waren unverwandt auf ihre Herrin gerichtet, denn Margot war das Muster einer aufmerksamen Dienerin.

Daß sie stumm war, verhinderte sie nicht an der gewissenhaften Ausübung ihrer Pflichten, es machte sie im Gegenteil ihrer Herrin noch angenehmer.

»Denn,« sagte diese, »sie belästigt mich nicht mit Fragen und giebt mir keine Widerrede, und daß sie mich versteht, beweist sie durch die That. Bin ich im stande, ein Gespräch zu führen, so habe ich ja Mann und Kinder.«

Die arme Marquise! Ihr Leben glich schon seit Jahren einem langsam erlöschenden Licht, und doch war sie eine so blühende, jugendlich schöne Frau gewesen, als der Marquis von Villiers sie heimführte! Damals lebten ihr Vater und die beiden Brüder noch auf dem Stammsitz der Lavignan in der Bretagne, der älteste Bruder war schon verheiratet und hatte einen Sohn, der jüngere ging bald nach seiner Schwester Hochzeit als Offizier zur Marine.

Dem Marquis und seiner Gattin wurden nach den beiden Schwestern Jeanne und Renée kurz nach einander zwei Söhne geschenkt, die, kräftig und frisch heranwachsend, der Stolz und die Freude des Hauses waren.

Wenn man in der Bretagne das Ideal einer glücklichen Familie bezeichnen wollte, so nannte man einfach die Namen Villiers-Lavignan.

Da starben kurz nach einander der Freiherr von Lavignan, sein Enkel und sein Sohn; der Lieblingsbruder der Marquise, der junge Marine-Offizier verunglückte auf einer Seereise; Schloß Lavignan fiel mit den dazu gehörigen Gütern, da der Männerstamm erloschen war, an eine Seitenlinie und das einzige Andenken, das die junge Frau vom Stammsitz ihrer Väter mit sich nahm, war die stumme Margot. Man flüsterte sich zu, daß der Schreck ihr die Sprache geraubt, weil Herr von Lavignan ihr einen Sohn überfahren habe, der an Krücken habe gehen müssen und deshalb dem raschen Gespann des Herrn nicht schnell genug ausgewichen sei. Ihr ältester Sohn diente zur See; sie hatte keine Angehörigen, die sie auf Lavignan hätte zurücklassen müssen und war darum bereitwillig dem Ruf ihrer jungen Herrin gefolgt, die der bewährten Kinderwärterin ihrer Familie die Sorge für ihre beiden kleinen Jungen anvertrauen wollte.

Gaston und Alfons gewöhnten sich auch bald an die stille Frau, die sie mit solcher Sorgfalt und Ruhe bediente. Leute, die mit den aufgeweckten Knaben sprachen und sich an ihren drolligen Reden erfreuten, gab es darum noch genug. Die junge Marquise aber wußte ihre Kleinen in der sichersten Pflege, wenn sie mit ihrem Gatten lebhaften Verkehr mit dem Adel der Umgegend unterhielt oder die Gesellschaften der städtischen Aristokratie besuchte.

Als die Trauer um die Brüder vorüber war, reiste das junge Paar nach Paris, um sich bei Hofe vorzustellen, der unter dem jungen Königspaar Ludwig XVI. und Marie Antoinette einen neuen, ungewohnten Glanz entfaltete und aus dem die schöne österreichische Königstochter alle unreinen Elemente früherer Jahre zu entfernen gewußt hatte.

Es war das erste Mal, daß die Eltern sich von ihren Kindern auf längere Zeit entfernten, und dieses eine Mal sollte ihnen Unheil bringen.

Mitten in einem herrlichen Feste zu Versailles traf den erschrockenen Marquis die Kunde von der Erkrankung seines ältesten Sohnes. Sofort reiste er mit seiner Gattin ab, – sie fanden den fünfjährigen Gaston als Leiche, den kleinen Alfons mit dem Tode ringend vor. Heftige Fieber hatten beide plötzlich dahingerafft. Alles stimmte damit überein, daß nichts an ihrer Pflege versäumt worden und die stumme Margot Tag und Nacht nicht von ihrem Bett gewichen sei. Dennoch machte die Marquise sich die heftigsten Vorwürfe, ihre Kinder verlassen zu haben und war seither nie wieder nach Paris zurückgekehrt.

Von jener Zeit an datierte auch der Anfang ihres Leidens, das sich in heftigen Schmerzen äußerte, von denen die Marquise fast nach jeder Mahlzeit befallen wurde, so daß sie fast gar nichts mehr genoß und infolgedessen an großer Kraftlosigkeit litt.

Nur ungern erinnerte sie sich jener Feste, aus deren Glanz sie auf so schreckliche Weise gerissen worden war, und als ihr Jeanne nun in ihrer stürmischen Art den Plan von der bevorstehenden Reise verkündete, nahm sie die Botschaft keineswegs freudig auf.

»Unser erster Aufenthalt am Hofe hat uns Unglück gebracht, ich fürchte, auch dieser wird keine guten Folgen haben,« sagte sie traurig.

»Ach, Mama, Gaston und Alfons wären auch gestorben, wenn Du hier geblieben wärest und denke Dir, wie schön es sein wird, wenn die Pariser Ärzte Dich wieder gesund gemacht haben und Du uns in die Gesellschaft begleiten kannst und wir auch Bälle geben können, wie die Tante Marignan, die freilich,« fügte Jeanne mit einem Seufzer hinzu, »bis jetzt noch keinen gegeben hat.«

»Mein liebes Kind!« sagte die Mutter und legte ihre kalte Hand sanft auf Jeannes glühende Wange, »wenn man, wie ich, von froher Gesellschaft weg, an das Sterbebett der teuersten Wesen gerufen wurde, dann bekommt man einen inneren Abscheu vor den Freuden dieser Welt. Wie schal, wie vergänglich sind sie, wie sehr ziehen sie uns von der ernsten Arbeit an uns selbst, vom Streben nach dem Himmel ab! Und doch ist dieses Streben nach Heiligung, diese Sehnsucht nach der Vereinigung mit Gott das einzige, das uns einst durch das finstere Thal hindurchhelfen kann!«

»Ach, liebe Mama, Du hast recht, man denkt viel zu wenig an himmlische Dinge,« sagte Jeanne und sank gerührt vor ihrer Mutter Ruhebett nieder, »ich freue mich nun gar nicht mehr auf Paris, ja es ist ganz gut, daß Tantes Ball nicht stattfand, es ist wahr, man hat keinen rechten Genuß von solchen Freuden.«

»Das gnädige Fräulein möchten herunterkommen, Fräulein von Marignan seien da,« meldete jetzt der Diener. Jeanne küßte ihre Mutter, die, von der langen Unterhaltung erschöpft, die Augen geschlossen hatte und stürmte hinab in den Salon, wo Eugenie ihr auch schon entgegeneilte.

»Jeanne,« rief sie vergnügt, »ich bringe gute Nachricht, die Unruhen sind jetzt so ziemlich beseitigt, Mama giebt in acht Tagen ihren Ball!«

»Herrlich! herrlich!« jauchzte Jeanne. Sie hatte ihre ernste Regung von vorhin schon vergessen.

»Wollt Ihr die Einladungsliste mit mir durchsetzen? sehr viel Paare giebt es zwar nicht, denn die meisten Familien sind in Paris,« sagte Eugenie und holte ein zierliches Elfenbeintäfelchen aus ihrem Pompadour. »Aber Henry muß eigentlich mit dabei sein, er kam gestern von Schloß Marignan zurück und spricht jetzt im Nebenzimmer mit Eurem Papa, – ich will ihn rufen!«

Da kamen auch schon die beiden Herren in den Salon. Mit lächelnder Miene hielt Herr von Villiers eine reich mit Goldverzierungen bedruckte Karte in die Höhe, auf der in schön verschnörkelten Buchstaben zu lesen stand, daß Herr und Madame Ribot sich die Ehre gaben, Herrn und Madame du Villiers und die Fräulein Renée und Jeanne zu einem Ball auf den kommenden Montag einzuladen.

»Welche Idee!« rief Eugenie und fing an zu lachen. »Denkt Euch, auch wir haben solch eine Einladung bekommen, Mama war entrüstet von der Frechheit dieses Wachstuchmenschen.«

»Herr Jean Ribot ist ein sehr wohlhabender Mann und außerordentlich angesehen,« sagte Herr von Villiers, »bei der jetzt herrschenden Strömung wäre es vielleicht gut, ihn zum Freunde zu haben. Es ist schließlich einerlei für Euch, wo Ihr tanzt, liebe Kinder.«

»Du denkst doch nicht im Ernst, Papa, daß wir auf Herrn Ribots Fest sollen!« rief Renée entrüstet, und auch die andern jungen Leute stimmten mit ihr überein, daß dies ganz unmöglich sei.

»Bei uns in Poitou« sagte der Marquis, dessen Stammsitz in jener Provinz lag, – das Schloß bei Rennes, das er seiner angenehmeren Lage wegen bewohnte, hatte er erst später durch Erbschaft bekommen, – »herrscht stets ein freundlicher Verkehr zwischen Adel und Bürgerlichen.«

»Bei uns im Lande der Gehölze herrschen andere Zustände als im übrigen Frankreich«, entgegnete Henri, der auch ein Schloß in jener Gegend hatte und dort aufgewachsen war. »Es besteht infolge gemeinsamer Interessen eine Art Freundschaft zwischen Edelmann und Bauer, aber mit den bürgerlichen Kreisen der Städte pflegen unsre Damen nicht zu verkehren, das mußt Du selbst zugeben, lieber Onkel.«

»Du magst recht haben, Henri, ich hörte auch, daß bei den Wahlen die städtischen Bürger vielfach gegen den Adel aufgetreten sind,« gab der Marquis zu.

»Der Gegensatz ist nun einmal da, unsre Freunde würden es uns sehr verdenken, wenn wir en famille Ribots Ball mitmachen würden, was naturgemäß zur Folge hätte, daß Mama die Familie Ribot ein paar Tage darauf zu unserm Fest einladen müßte,« sagte Henri. »Ich für meine Person nehme keinen Anstand, dem braven Fabrikanten zu willfahren. Ich möchte gern einmal die schöne Hortense im Tanze schwingen.«

»Henri! Du kannst nicht allein zu Ribots gehen, das wäre eine Beleidigung für sie!« rief Renée.

»Besser den als gar keinen, werden die guten Leute sagen,« beruhigte Eugenie die Entrüstete, »bei den Herren nimmt man es nicht so genau mit dem Standesunterschied. Wir können Hortense nicht zu uns bitten, aber gegen Viktor Moreau wird niemand etwas einzuwenden haben, wenn der auf unserm Ball erscheint.«

»Was, Moreau, der an der Spitze der feindlichen Volksbewegung steht?« fragte der Marquis verwundert.

»Vielleicht wäre es geraten, diesen einflußreichen Mann zu uns herüber zu ziehen,« sagte Eugenie altklug.

Henri aber meinte lachend, es bedürfe gar keiner diplomatischen Vorwände, Viktor gehöre ja eigentlich zur Familie, es sei natürlich, daß man ihn einlade, sein Besuch habe ja nicht die lästigen Konsequenzen, wie sie die Einladung einer Dame mit Familie haben würde. Dieses Reden zum Volk sei ein Sport, der einen eigentlich nichts angehe.

So beschloß man denn Viktor Moreau einzuladen, wenn die Mama nichts dagegen habe, und die Mama hatte nie etwas gegen das, was ihre Kinder wollten. Die Einladung zur Familie Ribot aber wurde von allen, außer von Henri, abgelehnt.

* * *

Es war ein fröhliches Leben in der nächsten Woche; die Vorbereitungen zu dem »verflossenen« Geburtstagsfest, wie Henri es scherzend nannte, ließen die Aussicht auf die Reise nach Versailles fast vergessen. Außer dem Herrichten der Garderobe hatte man auch noch Rollen auswendig zu lernen, denn die Gräfin beschloß, daß vor dem Tanz ein Schäferspiel aufgeführt werden solle.

Renée fand kaum Zeit zu Brissots zu fahren, für die sie eine frohe Botschaft hatte, die sie gern selbst überbringen wollte.

Der Marquis hatte nämlich auf seinem Gut in Poitou eine Meierei zu vergeben, die er Marys Bräutigam übertragen wollte. Das war gerade, was das junge Paar sich wünschte und Renée weidete sich im voraus an Marys Freude. Sie war seit jenem Abend, wo sie ihr so freundliche Zuflucht gewährt, noch ein paarmal bei Frau Brissot und ihrer Tochter vorgefahren und hatte dem Kranken allerlei Erfrischungen gebracht. Die sanfte, friedvolle Ergebung der beiden Frauen in ihr trauriges Geschick, ihre warme Dankbarkeit auch für die kleinste Unterstützung, die Geduld und Heiterkeit des Kranken, hatten sie jedesmal innig angesprochen, und oft dachte sie, welch großes Gut doch ein Glaube sein müsse, der in solcher Trübsal dem Herzen so viel Trost und Freudigkeit verlieh.

Auch Hortense Ribot drängte sich dieser Gedanke auf, denn sie kam ebenfalls fast täglich zu der Mutter und zur Schwester von Achille Brissot, schon weil ihr Vater sie antrieb, doch nachzusehen, ob dieser ausgezeichnete Arbeiter nicht bald gesund werde, und was man zu seiner Heilung beitragen könne? Achilles Kunst war dem Fabrikanten von großem Nutzen, schon im eigenen Interesse scheute er deshalb keine Kosten, um die Genesung des Malers zu beschleunigen. Auch Henri von Marignan schickte ihm täglich seinen Arzt, und oft sagte Frau Brissot mit schmerzlichem Lächeln: »Wäre mein Achille ein Prinz, so könnte nicht mehr für ihn geschehen!« Der Kranke selbst meinte vergnügt, so gut wie jetzt, habe er's in seinem ganzen Leben nicht gehabt.

Hortense und Renée hatten sich mehr als einmal bei Frau Brissot getroffen, und das ruhige, verständige Wesen der Fabrikantentochter imponierte der jungen Marquise sehr; schon im Kloster hatte sie eine Vorliebe für sie gehabt. Hortense wußte ihrerseits Renées Ernst und ihr höheres Streben zu schätzen und freute sich über deren warme Teilnahme an der armen Familie. Die beiden jungen Mädchen unterhielten sich bei diesen Begegnungen freundlich miteinander; in dem gemeinsamen Liebeswerk legte Renée ihre hochmütige Miene ab. Aber sie vergaß dabei nie, daß sie gesellschaftlich über dieser Bourgeoistochter stehe und keinen Augenblick kam ihr der Gedanke, ihr mit der Schwester den Besuch zu erwidern oder gar ihrer Einladung Folge zu leisten.

Zwei Tage vor dem Ball bei der Gräfin Marignan hielt die Equipage des Marquis vor Frau Brissots Haus und fröhlich sprang Renée heraus, der stummen Margot, die sie begleitet hatte, da ihre Kammerjungfer an den Ballanzügen nähen mußte, zurufend, sie möge einen Augenblick warten.

Aber die Freudenbotschaft erstarb auf ihren Lippen, als sie beim Eintritt in Frau Brissots Wohnung Mutter und Tochter in Thränen antraf.

Achille war soeben von seinen Leiden erlöst worden.

»Ich weiß wohl«, sagte schluchzend die Mutter, »wir müssen dem lieben Gott danken, daß er ihn zu sich genommen hat, denn unser Achille starb als Christ und hat die Schrecken des Todes nicht gefühlt; der Herr hat ihn in sanftem Schlaf in die Gefilde der Seligen hinübergeführt. Aber er war so gut, ein so treuer Sohn und Bruder, wir haben unsern Trost und unsern Halt an ihm verloren.«

»Sie werden eine Stütze an Ihrem Schwiegersohn haben, liebe Frau Brissot. Papa beauftragt mich, ihm das Pachtgut auf seiner Besitzung Bellevilliers im Poitou anzutragen. Es ist zumeist Weideland und Milchwirtschaft, da können Sie sich recht stärken und auch Mary wird wieder rote Wangen bekommen.«

»O welch ein Glück!« rief Mary, »so werden wir doch vielleicht wieder gute Tage erleben! Wie freue ich mich, wenn mein August das erfährt, er wird zu Achilles Begräbnis kommen. Ach, daß der es nicht mehr erleben durfte.«

Die Thränen beider Frauen stoßen auf's neue. Dann mußte Renée den Toten sehen, der friedlich und schön auf seinem Lager ruhte. Sie mußte alle Einzelheiten seiner letzten Stunden mit anhören und wie er auch von ihr und von Fräulein Ribot gesprochen habe, als von zwei Engeln, die Gott ihm zum Trost und zur Freude gesandt. Wie Mutter und Schwester ihm hätten versprechen müssen, ja keine Spur von Groll gegen den jungen Grafen Marignan zu hegen, der ihn ja nicht absichtlich habe verwunden wollen und sich auch nach Kräften um seine Genesung bemüht habe, und wie der Kranke dann, selig lächelnd wie ein Kind, ihre beiden Hände in der seinen, eingeschlafen sei. Erst vor einer halben Stunde sei es geschehen und sie wollten den Tod heut abend noch so viel als möglich geheim halten. Ribots gäben heute ein Fest und die Trauerbotschaft könnte deren Freude trüben.

Unter diesen Gesprächen war es spät geworden und Renée wollte, als sie wieder in den Wagen stieg, sich gerade bei Margot entschuldigen, daß sie so lange habe auf sich warten lassen, als sie zu ihrem Erstaunen sah, daß diese gar nicht da war. Der Kutscher, ein höchst einfältiger Mensch, der nichts anderes kannte als seine Pferde, wußte nichts von ihr, sie konnte, indes er regungslos, ohne nach rechts und links zu blicken, vorne auf dem Bock saß, gut aus der Kutsche, deren Rücksitz sie einnahm, gestiegen sein, ohne daß er es merkte. Um so wenig als möglich aufzufallen, hatte Renée nur einen einfachen Wagen anspannen lassen und keinen Diener mitgenommen. Wie, wenn das, noch immer unruhige Volk die treue Dienerin, die sich durch kein Schreien und Hilferufen bemerkbar machen konnte, in aller Stille weggeschleppt hätte, um von ihrer Herrschaft ein Lösegeld zu erpressen?

»Darüber beunruhigen Fräulein sich doch nicht!« hohnlachte der Kutscher, »die alte stumme Hexe stiehlt niemand, nicht um vieles Geld!«

Da kam sie auch schon aus einem dunklen, in einem Seitengäßchen gelegenen Thorweg heraus und setzte sich ruhig, als wäre nichts geschehen, auf ihren Platz im Wagen. Auf Renées Frage, wo sie denn gesteckt, zuckte sie nur die Achseln; sie trug sonst ein Täfelchen bei sich, auf das sie, wenn es nötig war, etwaige Antworten niederschrieb. Doch konnte sie bei der einbrechenden Dämmerung und dem Schütteln des Wagens dasselbe jetzt nicht benutzen. – Renée vergaß auch bald im Gedanken an den Todesfall, an das bevorstehende Fest und an Marys erfüllte Wünsche, daß sie einen Augenblick lang auf ihre Dienerin hatte warten müssen. Vielleicht würde sie die Angelegenheit weniger leicht genommen haben, wenn sie gesehen hätte, daß die stumme Margot in jenem dunklen Thorweg mit einem wild blickenden Gesell in Matrosentracht zusammengetroffen war, der eifrig auf sie eingeredet und sie erst verlassen hatte, als sie wieder dem Wagen zueilte.


 << zurück weiter >>