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Sechzehntes Kapitel.
In der Fremde.

 

Wenn Dir die Welt nicht helfen kann,
Versagt ist aller Menschen Trost,
So schaue Dir die Schöpfung an,
Dort wo der Léman sie umkos't.

So singt der Dichter und er mag recht haben. Ein lieblicheres Fleckchen Erde, als das lachende Gelände des Genfer Sees mit seinem Hintergrund von stolz aufragenden schneeigen Bergen, kann es nicht geben, und wie ein Paradies erschien dem aus dem Blut und Leichendunst von Paris entflohenen Reisenden das friedliche Gestade, das sich im Glanze der Septembersonne leuchtend vor ihm aufthat, als er es nach langem, mühseligen Ritt durch die Felsen des Jura endlich erreichte.

Und da lag es auch, das kleine Haus, das die kostbare Perle barg, die zu suchen er keine Gefahr gescheut hatte.

Es war ihm genau von Eugenie bezeichnet worden, sonst hätte er in dem bescheidenen Bau schwerlich den Sitz der stolzen Gräfin von Marignan erkannt. »Kommen Sie zwischen acht und neun Uhr morgens«, hatte sie ihm geschrieben, und so gern er nach der beschwerlichen Reise, während der er sich nur wenig Ruhe gegönnt, ein paar Stunden länger geschlafen hätte, Viktor Moreau stellte sich Schlag acht Uhr ein, und wer ihm öffnete, das war Eugenie selbst!

Sie kam ihm in ihrem einfachen Hauskleid mit dem weißen Schürzchen reizender vor als je, obschon sie bleich und vergrämt aussah und der Frieden der herrlichen Natur, die sie umgab, sich nicht in ihren angstvoll blickenden Augen ausdrückte.

Bei Moreaus Anblick brach sie in Thränen aus, erschrocken faßte er ihre Hand und führte sie in das Zimmer.

Sie ließ seine Hand nicht los, auch als er sich neben sie auf ein kleines mit verblichenem Kattun überzogenes Sofa setzte. Es war, als fürchte sie, diese Stütze zu verlieren.

»Ach Viktor, ich wußte wohl, daß Sie kommen würden«, sagte sie dann, als sie sich auf seine herzliche Anrede etwas gefaßt hatte, »aber nun Sie da sind, fürchte ich, können Sie mir doch nicht helfen. Oder haben Sie Geld, viel Geld?«

Viktor schüttelte lächelnd den Kopf.

»Und das ist's ja grade, was wir brauchen!« seufzte sie, denn wir haben nichts, gar nichts mehr, sogar Schulden. Das Leben in Koblenz war teuer, wir brauchten viel. Dann hörten plötzlich unsere Einkünfte aus Mamas Gütern und dem Haus in Rennes auf, und nun …?« Sie weinte von neuem.

»Nun sollen Sie sich gegen Ihren Willen verheiraten, an einen reichen Mann, nicht wahr?«

»Ach ich wollte es schon, um Mama zu helfen. Aber es ist gar zu schrecklich! Herr Moreau, bitte sagen Sie mir, kann ich nicht irgend sonstwie Geld verdienen? Vielleicht als Modistin, als Verkäuferin, als Bonne? Zur Erzieherin weiß ich zu wenig, ich habe leider alles vergessen, was ich im Kloster gelernt habe. O, Viktor! nun Sie da sind, meine ich, Sie müßten Rat schaffen; es wäre das erste Mal, daß Sie uns nicht aus der Not hülfen.«

Viktor sah sie traurig an. Es war leichter, das zarte Geschöpf gegen einen Haufen wilder Gesellen zu verteidigen, als ihr einen lästigen Freier vom Hals zu schaffen und ihr Geld zu besorgen, wo er selbst nichts hatte. Zum erstenmale fühlte er schmerzlich seine Armut. Dann kam ihm der Gedanke an die Erbschaft. Aber es war doch zu unwahrscheinlich, daß der Diener des Edelmanns am zehnten August mit einer so großen Summe Geldes entkommen sein konnte, und ob er im Falle des Gelingens so ehrlich gewesen wäre, sie für seinen Herrn oder dessen etwaige Erben aufzubewahren.

Aber ein kleines Haus bei der Stadt Genf nebst einem Garten gehörten noch zu dem Erbe, vielleicht konnte er dies auf Grund seiner Papiere für sich erlangen, das gab doch freie Wohnung für die Damen! Doch wollte er bei Eugenie noch keine falschen Hoffnungen erwecken, er sagte ihr nur, daß er Geschäfte hier habe und, wenn diese gut ausfielen, vielleicht etwas für sie thun könne.

»Dann sprechen Sie, bitte, der Mama nur von diesen Geschäften! Sie darf nicht wissen, daß ich Ihnen geschrieben habe. Aber wie egoistisch ich bin! Wie steht es in Paris? Und Henri? Unser armer Henri? Und Renée – leben sie noch? Es sind schreckliche Gerüchte zu uns gedrungen!«

Viktor konnte sie in betreff des Bruders beruhigen, doch verlängerte sich durch die Berichte von Paris sein Besuch und die Gräfin kam dazu. Sie war voll Angst und Sorge über das Schicksal ihres Sohnes und Moreau mußte von neuem zu erzählen anfangen. Wohl hatte sie ihn erst etwas frostig begrüßt, gerade jetzt kam der Besuch des Advokaten ihr ungelegen. Als sie aber erfuhr, daß er in Privatgeschäften hier sei, daß er ihrem Henri zur Flucht verholfen und seine politischen Ansichten geändert habe, wurde sie freundlicher und zuletzt merkte man ihr an, wie wohl ihr sei, einen Freund aus der Heimat bei sich zu sehen.

»Sie kommen doch zu Tisch, nicht wahr?« bat sie, als Viktor aufstand, um zu gehen. »Eugenie, Kind, bitte sieh', daß wir etwas Ordentliches bekommen! Sie übt sich nämlich im Kochen,« fuhr sie, nachdem diese hinausgeschlüpft war, fort, »notgedrungen, Herr Moreau! denn unsere Lage ist traurig. Sie werden Eugeniens Verlobten bei uns treffen und ich bitte sehr, das Kind in seiner Abneigung gegen ihn nicht zu bestärken. Er ist ein Ehrenmann. Vor vier Wochen erst kam er von Paris zurück und besuchte uns, da wir sein Haus bewohnen. Sofort verliebte er sich in Eugenie und durch eine Heirat mit ihm werden wir, sie und ich, aus aller Not befreit. Sonst weiß ich nicht, was anfangen. Henri kann uns nicht helfen, denn die Einkünfte seiner Güter sind durch die neuen Gesetze fast auf nichts beschränkt und daß er aus meinem konfiszierten Haus in Rennes etwas herausschlägt, bezweifle ich sehr.«

Auch Moreau bezweifelte es und tief bedrückt über die hoffnungslose Lage seiner Freunde begab Viktor sich zum Amte, um wegen seiner Erbschaft anzufragen.

Dort ward ihm der Bescheid, daß Herr von Passaval, der in seinen Armen gestorben war, schon vor einem Monat gesund und wohl nach dreißigjähriger Abwesenheit nach Genf zurückgekommen sei und sein Haus wieder in Besitz genommen habe.

»Das ist nicht er, das muß sein Diener sein!« rief Viktor, und legte den Totenschein und alles, was er sonst an Beweisen hatte, vor. Einige von Herrn von Passavals Papieren waren freilich in die Verwahrung des Dieners gegeben worden.

Moreaus Auftreten und die von ihm vorgezeigten Schriftstücke ließen keinen Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit aufkommen. Es gab auch noch einige Leute in Genf, die sich des Herrn von Passaval aus früheren Zeiten erinnerten und sich gewundert hatten, wie er in den dreißig Jahren, die er in Paris verlebt, doch ein ganz anderer geworden sei. Jedenfalls waren Gründe genug vorhanden, den Mann, der sich jetzt Passaval nannte, gerichtlich zu vernehmen und seine Verhaftung wurde beschlossen.

Wie von Flügeln getragen eilte Viktor jetzt dem Häuslein seiner Freundinnen zu. Die Erbschaft, an die er nie so recht geglaubt, nach der er sich, ohne Eugeniens Aufforderung, nach Genf zu kommen, wohl gar nicht umgesehen hätte, sie fiel ihm am Ende doch noch zu und er konnte Eugenie helfen! Nicht vergeblich hatte sie auch diesmal seinen Schutz angerufen.

Viktor traf einen stutzerhaft gekleideten, ältlichen Herrn bei der Gräfin, – das war der Verlobte, – arme Eugenie!

»Herr Viktor Moreau, Herr von Passaval,« stellte die Dame des Hauses die Herren einander vor.

»Passaval!« schrie Viktor, »es giebt nur einen Passaval aus Genf und der ist vor vierzehn Tagen in meinen Armen gestorben.«

Der Mann erblaßte, suchte sich aber eine feste Haltung zu geben.

»Ich verstehe den Herrn nicht,« sagte er mit erzwungen hochmütiger Miene.

Im selben Augenblick erschien die Polizei, um ihn zu verhaften.

»Was ist das?« fragte erschrocken die Gräfin.

»Dieser Mensch ist ein Betrüger,« erwiderte Viktor ernst, »danken Sie Gott, der Sie von ihm befreite!«

»Da habe ich wohl Ihnen in erster Linie zu danken«, erwiderte die Gräfin, »aber ich verstehe noch immer nicht.«

»Ich verstehe nur, daß Viktor uns diesmal aus der allergrößten Gefahr errettet hat,« sagte Eugenie und reichte dem Freunde mit leuchtenden Augen die Hand.

Auch die Gräfin lernte verstehen, daß sie das Opfer eines Betrügers sei, denn der entlarvte Bräutigam gestand selbst bald genug, daß er sich Namen und Eigentum seines toten Herrn fälschlich angeeignet habe. Die stolze Frau war durch diese Erfahrung tief gedemütigt und klammerte sich wie eine Ertrinkende an Viktor Moreau an, den einzigen Freund, der ihr mit Rat und That in ihrer schwierigen Lage zur Seite stehen konnte. Und er, der Volksmann und Aristokratenfeind, war über seinen neuen Besitz nur glücklich, weil er damit der Gräfin und ihrer Tochter aus ihrer Not helfen konnte. Und wie Groll und Rachegedanken auf der einen, so waren Hochmut und Adelsstolz auf der andern Seite im Gefühl innigen Zusammengehörens und treuer Freundschaft auf immer vergessen.


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