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Zweites Kapitel.
Die Familie Ribot und ihr Hausfreund.

Inzwischen war der Wachstuchfabrikant Ribot mit seiner Tochter glücklich durch die hintere Hofthür in seinem Hause angelangt, dessen stattliche Front nach der Hauptgeschäftsstraße der Stadt hinausging, indes die Fabrikgebäude sich quer über das Nebengäßchen hinweg, nach dem Flusse hin erstreckten. Der wohlbeleibte Herr atmete erleichtert auf, als er endlich das schützende Dach seines Heims über sich hatte und der Frieden eines reich und behaglich eingerichteten Wohnzimmers ihn umgab.

»Da seid Ihr endlich! Wir haben schon seit einer halben Stunde mit dem Mittagessen auf Euch gewartet!« rief eine stattliche Dame in schöngefalteter Morgenhaube und großgeblümtem weitem Gewand, indem sie sich etwas schwerfällig aus ihrem Lehnstuhl am Fenster erhob.

»Komm, Hortense, mein Kind, nimm Deinen feinen Pelzmantel ab, er ist ja ganz weiß von Reif, Susanne soll ihn Dir gleich abbürsten, und Dir, lieber Mann, habe ich Schlafrock und Morgenschuhe an den Ofen gehängt, mach Dir's nur gleich bequem. Ich will indessen sorgen, daß Ihr etwas zu essen bekommt.« – Geschäftig trippelte die sorgsame Hausfrau hinaus und kam erst wieder zur Ruhe, als man eine Viertelstunde später gemütlich im Eßzimmer saß, dessen Wände und Fußboden, samt dem langen Tisch in der Mitte, ganz mit Wachstuch von verschiedenen Mustern und Farben ausgeschlagen waren; an den Wänden prangten chinesische Landschaften, auf der Tischdecke Blumenstücke und Stillleben und auf dem Fußboden war eine parkettähnliche Zeichnung angebracht.

»Und nun erzählt mir, wie es auf Schloß Villard gewesen ist,« sagte sie jetzt eifrig, »was sagten die Fräulein, als Hortense kam? wurdet Ihr freundlich aufgenommen? hat der Marquis Bestellungen gemacht?«

»Viel Fragen auf einmal, liebe Frau!« erwiderte lächelnd Herr Ribot, »das letzte betreffend, ja, der Marquis hat das Palmenmuster für den Vorsaal und dieselben Blumen und Fruchtgruppen, wie wir sie haben, für das Eßzimmer bestimmt. Er ist ein liebenswürdiger Mann und von großer Herzlichkeit! Wie die nächsten Verwandten empfingen er und die jungen Marquisen uns, wir mußten sogar in seinem eigenen Wagen mit ihnen zur Stadt zurückkehren. Freilich wäre uns diese aristokratische Beförderung beinahe teuer zu stehen gekommen, denn eine wilde Volksmasse hat uns fast zerrissen.«

»Ist's möglich! seid Ihr in den Volksauflauf gekommen, der sich drüben bei der Promenade zusammengerottet hat? Und davon habt Ihr mir gar nichts gesagt?«

»Du bist ja gleich weggerannt, und dann hattest Du so viel andre Fragen; ja, ich kann Dir sagen, Frau, hätte ich diesen Aufrührern nicht fest die Stirn geboten, wäre ich nicht, mein Kind an der Hand, ruhigen Schrittes unter sie getreten, Du hättest jetzt keinen Gatten und keine Tochter mehr.« – Und Herr Ribot entwarf seiner ihn bewundernden Gattin ein anschauliches Bild der eben stattgehabten Ereignisse, in dem er sich selbst als Helden in den Mittelpunkt stellte. Hortense hörte zerstreut zu, sie kannte die lebhafte Phantasie des Vaters; wie diese den kühlen Empfang der jungen Damen des Schlosses in liebenswürdiges Entgegenkommen verwandelt hatte, so verklärte sie jetzt die eigene ängstliche Haltung bei dem Volksauflauf in das Auftreten eines Helden. Es war nicht Sache der Tochter, des Vaters Aussagen zu berichtigen. Sie hätte auch keine Zeit dazu gehabt, denn kaum war Herr Ribot mit seiner Erzählung fertig, so wurde der Advokat Moreau, der Freund des Hauses angemeldet.

»Nur hier herein! und noch ein Couvert! Ach, Herr Moreau! lieber Freund! Setzen Sie sich, bitte, mit uns zu Tisch. – Ragout-fin und Maccaroni, Sie lieben es, nicht wahr?«

»Ich freue mich sehr, Herrn und Fräulein Ribot so wohl beisammen zu finden, die Sorge um Sie trieb mich her,« sagte der junge Mann, indem er mit der Miene eines alten Bekannten am Tische Platz nahm, wo dank der lebhaften Unterhaltung, die Mahlzeit noch nicht weit vorgeschritten war. »Wie befinden sich die Herrschaften nach dem Schrecken von vorhin? Sie werden nicht so bald wieder in die Equipage eines Marquis steigen, wie, Herr Ribot?«

»Weiß nicht! jedenfalls ist der Marquis ein ausgezeichneter und liebenswürdiger Mann, der für alles Interesse hat. Wir haben uns eifrig über Politik unterhalten, und wie die nächsten Verwandten wurden wir auf dem Schlosse aufgenommen, nicht wahr, Hortense?«

»Das fand ich nicht, verzeih, Papa! Jeanne und Renée waren so förmlich und kühl, als hätten wir nicht drei Jahre lang zusammen auf der Schulbank des Klosters gesessen. Auch habe ich Renée stark in Verdacht, nur darum an den Besuch bei der Tante Marignan erinnert zu haben, damit auch wir uns entfernen sollten,« sagte Hortense, die nur auf des Vaters ausdrücklichen Befehl mit ihm auf das Schloß gegangen war. Sie fand es taktlos, ihren ersten Besuch mit dieser Probenvorzeigung zu verbinden und hatte auch das Gefühl, daß ihre adligen Schulfreundinnen den Verkehr mit ihr nicht fortzusetzen wünschten.

»Du bist mißtrauisch, Kind, und verwöhnt; ich bin überzeugt, daß diese Damen glücklich sein werden, wenn Du sie öfters besuchst.«

»Davon haben sie nichts merken lassen, Papa.«

»Als ob heute morgen, als wir uns bei Kugelregen und Schwertgeklirr trennten, Zeit zum Austausch von Höflichkeiten gewesen wäre!«

»Geschossen wurde meines Wissens nicht, Papa; – wer war der junge Mann, der sich mit dem Degen in der Hand allein gegen eine Übermacht verteidigte? kam er mit dem Leben davon, Herr Moreau?«

»Es war Henri von Marignan; er hat sich höchst tollkühn und unvorsichtig in die Gefahr gestürzt. Sein Onkel zog ihn am Rockzipfel aus dem Gedränge, ohne daß Henri einen ernstlichen Schaden genommen hätte.«

»Sie kennen den jungen Grafen, Herr Moreau!« bemerkte der Hausherr, »Sie kennen auch die Damen, nicht wahr? Fräulein Eugenie hat mit meiner Hortense dieselbe Schule besucht.«

»Als ich neulich die Freundschaft auffrischen wollte, ließ sie sich verleugnen,« schaltete Hortense ein.

»Wieder eines Deiner Hirngespinnste, Kind! Die Komtesse war sicherlich nicht zu Hause.«

»Ich kenne sie zur Genüge, um sie für fähig zu halten, daß sie sich vor einer bürgerlichen Schulfreundin verleugnen läßt,« bemerkte der Advokat.

»Hetzen Sie mir die Kleine nicht noch mehr auf!« sagte strafend Herr Ribot, – »freilich, ein Volksmann wie Sie! – aber was wollen die guten Leute eigentlich? Warum rotten sie sich bei jeder Gelegenheit zusammen? Es ist ja, wie wir am Sonntag gehört haben, ausgemacht, daß der dritte Stand in doppelter Anzahl als Adel und Geistlichkeit bei den Reichsständen vertreten sein soll.«

»Gewiß, aber dabei soll nach Ständen abgestimmt werden. Adel und Geistlichkeit halten immer zusammen. Also wird der dritte Stand trotz der doppelten Vertretung nur einer gegen zwei sein. Daher die Aufregung im Volk und der Triumph des Adels.«

»Aber können nicht alle drei Stände Hand in Hand gehen? Die Edelleute geben uns viel zu verdienen. Der Marquis zum Beispiel hat mir heute einen guten Posten abgenommen.«

»Man darf nicht nach dem Einzelnen urteilen. Die Aristokraten im allgemeinen sind die geschworenen Feinde des Volkes, der schlechteste Edelmann gilt ihnen mehr als der beste Bürgerliche. Dem Adel hat das Volk die Steuern zu zahlen und Frohndienste zu leisten, die es zu Boden drücken, er ist es, der alle guten Stellen im Heer und bei Gericht an sich reißt, er nahm an allen Verschwendungen des Hofes teil und trat feige zurück, als es dem allgemeinen Wohl ein Opfer zu bringen galt«

»So sprechen Sie, Herr Moreau?« fragte Frau Ribot verwundert den aufgeregten Mann, »Sie, der langjährige Spiel- und Lerngefährte des Grafen von Marignan?«

»Sagen Sie lieber der Prügeljunge, Madame,« erwiderte Moreau mit düsterem Blick, »und glauben Sie mir, wer fünf Jahre lang als einziger Bürgerlicher inmitten einer adligen Familie war, schutzlos dem Spiel ihrer Launen und den tausend kleinen Nadelstichen und Demütigungen preisgegeben, von denen man in jenen Kreisen einen unerschöpflichen Vorrat hat, allenfalls leidlich behandelt, wenn niemand sonst dabei war, ignoriert und zurückgestoßen, sobald ein Standesgenosse sich zeigte, wer, kurz gesagt, alles das zu erdulden hatte, was ich im Hause Marignan unter dem Schein der Mildthätigkeit und des Wohlwollens erdulden mußte, der kann kein Freund des Adels sein. Und überdies, – warum nahmen die Marignans sich meiner an und ließen mich, den frühverwaisten Knaben den Unterricht ihres Sohnes teilen? – weil der jetzt verstorbene Graf eigenhändig meinen Vater niederschoß, als dieser ihm einen Hirsch tötete, der wiederholt aus dem herrschaftlichen Wildpark ausgebrochen war, um die junge Saat auf dem mühsam angepflanzten Felde meines Vaters zu zerstören!-«

Hortense sah den jungen Rechtsgelehrten teilnehmend an, Herr Ribot, dem die Geschichte schon bekannt war, wandte etwas schüchtern ein:

»Andere Edelleute haben ähnliches gethan, ohne sich zu solcher Sühne herbeizulassen« und Frau Ribot bemerkte sogar:

»Ach, Herr Moreau, sie ist ja schrecklich, diese Geschichte und ich habe heiße Thränen geweint, als ich sie zuerst gehört habe, es sind etwa zehn Jahre her, nein es mögen wohl zwölf sein, Hortense war damals kaum sechs Jahre alt; aber denken Sie mal, wenn Ihr armer guter Vater am Leben geblieben wäre, hätte er Ihnen die Erziehung können angedeihen lassen, die Sie bei Marignans erhielten?«

»Das löscht die Schuld der Marignans nicht aus,« sagte Moreau düster und erhob sich, um Abschied zu nehmen.

Der gute Ribot fürchtete den jungen Mann soeben gekränkt zu haben, indem er die Partei des Adels nahm und hielt ihn deshalb fast gewaltsam zurück.

»Sie werden uns doch nicht schon verlassen wollen, lieber Freund? Wir sind ja kaum fertig! Sie trinken doch noch eine Tasse Kaffee mit uns? Hortense, Kind! klingle um den Kaffee!«

»Ich werde ihn sofort in den Salon bringen, geht nur hinüber!« sagte die geschäftige Hausfrau, die ihre arbeitsamen Gewohnheiten aus einer in Armut und Abhängigkeit verlebten Jugend in den Glanz und den Überfluß ihrer jetzigen Verhältnisse mit herübergenommen hatte.

Viktor Moreau aber dachte an seine öde Junggesellenwohnung und an die wüsten Volkshaufen, die ihn draußen erwarteten und nahm die wohlgemeinte Einladung dankbar an. Er begab sich mit dem Fabrikanten und seiner Tochter in den prächtig eingerichteten Salon und war bald, indes Herr Ribot sich in seinen »Moniteur« vertiefte, in ein eifriges Gespräch mit Hortense verwickelt.

Sonst drehte sich die Unterhaltung zwischen diesen beiden hauptsächlich um die neuesten Erscheinungen der Litteratur; Hortense war ein strebsames junges Mädchen, die Ritter- und Schauerromane, an denen ihre Altersgenossinnen Gefallen fanden, genügten ihr nicht, sie verlangte ernstere Lektüre. Höchstens die damals neu erschienene » Estelle« von Florian fand ihren Beifall.

Viktor Moreau hatte ihr das Buch besorgt, er war es auch, der sie in sorgfältiger Auswahl mit den Werken von Voltaire, Rousseau und Diderot bekannt machte und ihr Montesquieu's » Lettres persanes« brachte.

Das junge Mädchen las alle diese Bücher mit großem Verständnis, und jeder neue Band bot Stoff zu einer anregenden Unterhaltung zwischen dem Hausfreund und ihr. Heute aber ging man bald über das sonst so beliebte Thema hinweg; den Gesprächsstoff bildeten diesmal weder » Estelle« noch » Lettres persanes,« auch nicht » Le voyage du jeune Anarcharsis« von Barthélemy, welches Buch Hortense zuletzt gelesen hatte, sondern die Familie Marignan. Hortense mußte dem jungen Moreau von Eugenie erzählen, wie diese in der Pension mit ihrem neckischen, graziösen Wesen der Liebling ihrer Mitschülerinnen und der Gegenstand beständigen Ärgers der guten Klosterschwestern gewesen sei, und hörte ihrerseits mit gespannter Aufmerksamkeit zu, als der Rechtsgelehrte ihr den leichten, übermütigen, im Grunde aber tapfern und edlen Charakter seines früheren Gefährten schilderte, dessen guten Eigenschaften er trotz allen Demütigungen, die er einst in Henris Familie erfahren, vollkommen gerecht wurde.


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