Johann Karl Wezel
Herrmann und Ulrike / Band 1
Johann Karl Wezel

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Viertes Kapitel.

Jakobs Vater arbeitete indessen unermüdet an der Ausführung der Hauptrevolution, die er im Sinne hatte, und bestimmte das arme Fräulein Hedwig zur ersten Unglücklichen, die das Trauerspiel eröfnen sollte.

Ihr Verständniß mit dem Stallmeister hatte er längst ausgekundschaftet, das ist bereits gemeldet worden: seit dieser Entdeckung suchte er auf alle Weise an den Liebhaber zu kommen und ihm sein Geheimniß abzulocken: es wollte lange Zeit nicht gehn. Endlich machte er ihn treuherzig. Er besuchte ihn oft auf seiner Stube und bat ihn oft zu sich, und weil der Stallmeister von der Vertraulichkeit und dem freundschaftlichen Umgange mit dem Lieblinge des Grafen nicht nur Ehre, sondern auch Nutzen hofte, so lief er gerade in die Falle hinein, die ihm dieser aufstellte. Bey einem solchen Besuche, wo er mit einem guten Glase Wein aufgeräumt und offenherzig gemacht worden war, brachte der 346 nüchterne Wirth den halbtrunknen Gast auf die Liebe und gab ihm auf den Kopf schuld, daß er bey Fräulein Hedwig in großer Gunst stehe. Der Stallmeister lehnte die Beschuldigung lachend von sich ab. – »Läugnen Sie nur nicht!« rief der Bösewicht: »der Graf weis es lange.« – Der Stallmeister war des Todes vor Schrecken.

»Was ists denn nun weiter?« fuhr jener fort. »Fräulein Hedwig hats ihm selber gesagt: sie möchte gern gar mit Ihnen getraut seyn.« –

Der Stallmeister saß da, sagte kein Wort, und schwebte mit seinem wirblichten Kopfe zwischen Glauben, Zweifel und Verwundrung umher.

»Der Graf wollte gar nicht,« redte Jener weiter: »aber ich hab' ihm zugesezt; und wenn Sie mir ein gutes Wort geben, so bring' ichs dahin, daß Ihnen der Graf seine Einwilligung giebt.«

»Gehn Sie! machen Sie das einem Kinde weis!« unterbrach ihn der Stallmeister.

»Ich dächte,« erwiederte der Andre, »Sie wüßten, wie viel ich bey dem Grafen ausrichten kann. 347 Nur ein Wort soll mirs kosten: ich hab' ihn so schon auf Ihre Seite gezogen. Setzen Sie eine Supplik auf! bitten Sie den Grafen um seine Einwilligung, und ich will sie ihm übergeben. Es ist ja doch keine Kleinigkeit, ein Fräulein zu heirathen.« –

Allmählich gelangs ihm, durch sein Zureden und Versicherungen eines guten Erfolgs dem leichtgläubigen Stallmeister das Vertrauen abzugewinnen: es gieng so weit, daß er seinem Spione den ganzen Liebeshandel beichtete und morgendes Tages eine Supplik aufzusetzen versprach; und er schmeichelte sich darum mit den günstigsten Erwartungen, weil er seit einiger Zeit bey dem Grafen in vorzüglicher Gnade zu seyn glaubte, was ihm der Betrüger, der ihn izt im Netze fieng, überredet hatte.

Freudig gieng der Bösewicht, als ihn der Stallmeister verließ, zu Fräulein Hedwig und wünschte ihr geradezu zu ihrer Vermählung Glück. Sie riß die großen Augen ellenweit auf. »Der Graf,« fuhr er fort, »ist nicht ungeneigt dazu: ich hab' ihn darüber gesprochen. Sie wissen, daß ich Ihnen beständig beym Grafen das Wort geredet habe, und es sollte mir eine rechte Freude seyn, wenn ich ihn dahin bringen könnte, daß er in Ihre Heirath willigte.« –

Fräulein Hedwig that entsezlich verwundert, läugnete aus allen Kräften und war hundert Meilen weit von einer Sache entfernt, die sie gleich beym ersten Worte errieth.

»Läugnen Sie nur nicht!« versezte jener mit dem vertraulichen Tone, womit er Jedermann anzureden pflegte. »Der Herr Stallmeister hat mir die ganze Sache anvertraut; und ich werde mein möglichstes thun, so einen braven Mann, meinen Herzensfreund, glücklich zu machen. Er hat bey dem Grafen angehalten.« –

Fräulein Hedwig wollte in Ohnmacht sinken: aber sie besann sich hurtig anders.

»Reden Sie nur selber mit dem Grafen; und das heute noch! Stellen Sie ihm nur vor – Zwar das werden Sie besser zu sagen wissen als ich. Gehn Sie lieber itzo zu ihm, damit ich auf den Abend mit ihm die Sache zu Stande bringen kann. Ich habe schon mit dem Grafen 349 überlegt, daß er wohl wird geadelt werden müssen; und wir findens billig, daß man die wenigen Thaler an so einen braven Mann wendet.« –

Fräulein Hedwig hüpfte im Herzen vor Entzücken, traute aber noch nicht ganz.

Er sezte noch stärker in sie und machte das verliebte Fräulein durch die vielfältigen Versicherungen, was er und der Graf für sie thun wollten, so kirre und seine verdammte Lüge so wahrscheinlich, daß sie ins Garn hineineilte, zwar nichts ausdrücklich bekannte, aber doch mit dem Grafen darüber zu reden versprach.

Sie rennte vor Furcht und Hofnung, als er fort war, das Zimmer auf und nieder: izt wollte sie gehn, hatte die Thür schon in der Hand, ließ sie hurtig fahren und gieng zurück: izt war sie schon an der Treppe, bebte und gieng wieder ins Zimmer, izt schöpfte sie Herz, überdachte die Rede, die sie halten wollte, triumphirte über die Schnelligkeit, mit welcher sich ihr Gedanken und Ausdruck darboten, und über die Wirkung, die sie sich davon versprach – »Aber wenn nun der Graf nicht einwilligen wollte!« 350 fuhr ihr durch den Kopf: sie zitterte vor Entsetzen über die Vermuthung. Die Lebhaftigkeit ihrer Wünsche richtete sie bald wieder auf; sie sah sich schon am Altare, schon in den Armen ihres dicken Amyntas, schon – wie ein Zephyr flog sie mit ihren bleyernen Füßen die Treppe hinunter, die andere hinauf, den Korridor durch, – da stand sie im Vorzimmer des Grafen! Es wollte ihr das Herz abdrücken: kaum konnte sie dem Bedienten, der die Aufwartung hatte, stammelnd sagen – »melde er mich!« – und kaum war er hinein, so wollte sie ihn schon wieder zurückziehn. – Gütige Götter! er kömmt heraus, macht den Thürflügel weit auf, der Graf steht wartend da, sie muß hinein.

Kein Dieb, der zum erstenmal stahl und zum erstenmale ertappt wurde, kann mit solcher Angst im Verhör auftreten, als die arme Hedwig vor dem Grafen. Sie stotterte, fieng ihre Rede zehnmal an und blieb zehnmal stecken, und hatte schon fünf bis sechs völlige Minuten gesprochen, ohne daß der Graf wußte, was sie wollte, ob 351 er sie gleich oft genug darum befragte. Endlich brach ihre Beredsamkeit durch: sie bat deutlich und vernehmlich um die gnädigste Erlaubniß, einen ihrer größten Wünsche zu vollziehn und sich mit dem Stallmeister zu vermählen. – In dem Gesicht des Grafen stieg ein sehr ungnädiges Donnerwetter auf und zog sich von der äussersten Nasenspitze bis zu der nördlichen Breite der Stirn hinan, daß zulezt diese ganze Halbkugel seines Kopfs Eine große Gewitterwolke war. Läugnen konnte sie nicht: denn sie hatte sich zu bestimmt ausgedrückt; und – eherne Federn und steinerne Griffel vermögen nicht die Wuth zu beschreiben, mit welcher das Gewitter losbrach: das war ein Orkan, wie ihn noch kein Seefahrer ausgestanden hat! und Fräulein Hedwig kroch, wie ein Vögelein in einen holen Baum vor dem losstürzenden Schlossenwetter flieht, ängstlich rückwärts nach der Thür und schlich mit gebeugter Seele zu ihrem Zimmer zurück, nahm niederschlagend Pulver, Rhabarber, Senesblätter und Gott weis was mehr, konnte nicht essen, nicht trinken, nicht schlafen: sie dachte vor Kummer gar nicht daran, daß sie betrogen war.

Sogleich nach ihrem Abtritte mußte der Betrüger, dem sie ihr Unglück zu danken hatte, zum Grafen kommen: er wollte sich zu Tode lachen, als ihm der Graf das Vorgefallne erzählte. – »Nun denken Sie einmal!« sezte der Gewissenlose hinzu: »der Stallmeister hat mich schon lange geplagt, ich soll eine Supplik von ihm übergeben, worinne er um das nämliche anhalten will. Wer weis, was vorgefallen ist? Der Umgang ist schon alt: aber ich hab' Ihnen nur nicht das Herze damit schwer machen wollen.«

Der Graf knirschte vor Wuth und wollte beide gleich aus dem Schlosse jagen lassen: allein er durfte nicht; denn sein Maulesel sagte ihm, er sollte das nicht thun. – »Ich will mir morgen die Supplik geben lassen, sprach er; und dann wollen wir mit einander überlegen, was zu thun ist.« –

Der Graf, dem alles sklavisch gehorchen mußte, gehorchte dem befehlenden Rathe dieses Mannes, wie ein Schulknabe. – Indessen wurde 353 die Gräfin durch ihn von der nahen Verunehrung ihres Hauses unterrichtet: sie ließ die Deliquentin rufen, und bekam die Entschuldigung zur Antwort, daß ihr nicht wohl sey. Den Morgen darauf ließ man die Entschuldigung nicht mehr gelten: sie mußte sich schlechterdings stellen: die Gräfin ließ sie, ihrer Sanftmuth ungeachtet, hart an, und befahl ihr vorläufig, ihr Packet zusammen zu machen. Sie fiel auf die Knie: die Gräfin verwies ihr diese Erniedrigung und eben so sehr ihre Unbesonnenheit, daß sie sich mit einer so seltsamen Bitte an ihren Gemahl gewendet hatte. Sie wollte die Betrügerey erzählen, die sie dazu verleitete, aber ihr Schluchzen machte jedes Wort der Erzählung unverständlich. Ungetröstet und ungerechtfertigt mußte sie hinweggehn.

Der Stallmeister, der nichts hievon erfahren konnte, saß die ganze Nacht durch und buchstabirte mit schwerer Mühe eine Supplik zusammen, und brachte sie mit dem frühsten Morgen seinem vermeinten guten Freunde und Beschützer, 354 der sie augenblicklich zum Grafen trug. Der betrogne Mann wartete voller Ungeduld im Vorzimmer, und bekam endlich zur Antwort, daß er gegen Abend die Willensmeinung seines Herrn erfahren solle. Seinem Glücke so nahe, bildete er sich ein, daß es ihm wohl erlaubt sey, die hochwohlgeborne Braut auf ihrem Zimmer bey Tageslichte zu besuchen: er eilte auf den Fittigen der Liebe zu ihr, eine fröliche Bothschaft zu hinterbringen, die sie nach seiner Meinung aus seinem Munde zuerst erfuhr, und – Götter! wie stuzte der Mann, als er seine breitschulterichte Chloe – wie er sie sonst nennen mußte, – in Thränen zerfließend, bleich, und voller Betrübniß erblickte. – »Gehn Sie!« rief sie ihm entgegen, »Sie sind die Ursache meines Unglücks: ich möchte, daß ich mich niemals vom bösen Feinde hätte verführen lassen, Sie zu lieben. O Tartarus! schlinge mich in deinen flammenden Wanst hinab!Zum Henker! Fräulein Hedwig! woher haben sie einen Unsinn, der unsrer Zeiten würdig wäre?« – Mit dieser pathetischen Ausrufung gieng sie ins 355 Kabinet und schloß hinter sich zu. Der erstaunte Liebhaber sah sich im Zimmer um, klatschte mit dem spanischen Rohre dreymal an die gewichsten Stiefeln und gieng seinen Weg.

Unmittelbar nach aufgehobner Tafel wurde Fräulein Hedwig angedeutet, daß man im Städtchen eine Wohnung ausgemacht habe, wo sie künftig residiren und wohin sie sich nebst ihren sämmtlichen Effekten in der Dunkelheit des Abends begeben solle: um ihr Exilium nicht ganz trostlos zu lassen, versprach ihr der Graf eine jährliche kleine Pension, doch mit dem Vorbehalt, daß sie nie seinen ungnädigen Augen mit ihrem Antlitze in den Weg kommen sollte. Durch den nämlichen Boten erhielt auch der Stallmeister seinen Abschied nebst dem Befehle, sich nie wieder in den Gränzen der gräflichen Herrschaft sehen zu lassen, wenn er nicht mit kräftigen Prügeln bewirthet seyn wollte. Niemand wußte, was einen so schnellen Sturm bewirkt hatte: der Stallmeister selbst wußte nicht, was und wie ihm geschah: er suchte seinen Beschützer, um nach der Beschaffenheit der Sache zu 356 fragen: daß sich der heimtückische Bösewicht nur mit Einem Auge hätte blicken lassen! Er wollte sein geliebtes Fräulein sprechen, um ihr den gestrigen Groll zu benehmen; er durfte nicht: ohne Abschied und ohne sein Verbrechen gewiß zu erfahren, mußte er in einer Stunde das Schloß, und denselben Abend noch die Stadt räumen.

Die Baronesse hatte nie sonderliche Ursache gehabt, ihre Guvernante zu lieben: doch izt, da es zum äußersten kam, bat sie bey dem Grafen und der Gräfin für sie; aber sie bestürmte Felsenherzen: es blieb bey der gegebnen gnädigen Verordnung, und Fräulein Hedwig gieng des Abends zwischen neun und zehn Uhr, ohne vor Scham von Jemanden Abschied nehmen zu können, noch jemandem, der ihr begegnete, ansehen zu können, aus dem schönen Schlosse, schloß sich in ihr kleines angewiesenes Stübchen und kam in einem ganzen Monat nicht öffentlich zum Vorschein, und verfluchte den bösen Feind, der sie zu der Sünde verleitet hatte, einen Menschen unter ihrem Stande zu lieben, samt seinem 357 bösen Werkzeuge, den dicken Stallmeister mit der funkelnden gelbledernen chaussure.

Der Maulesel triumphirte über den abermaligen Lorber, den ihm seine boshafte List über ein Paar Menschen erworben hatte, über den abermaligen Beweis seiner Macht über den Grafen, und dachte auf nichts geringers als das Haus in kurzem ganz rein von allen Personen zu machen, die ihm nicht ganz anstunden oder nicht zu seiner Fahne schwören wollten: der Graf selbst war bey allem Zorne und Unwillen, im Grunde über diese hofmäßige Revolution sehr erfreut, und die Gräfin wartete eine günstige Gelegenheit ab, das Schiksal der armen Hedwig zu mildern. 358

 


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