Johann Karl Wezel
Herrmann und Ulrike / Band 1
Johann Karl Wezel

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Viertes Kapitel.

Während dieser Zeit hatte ein boshafter Nachbar in einem Zanke dem alten Herrmann den Vorwurf gemacht, daß er ein Hahnrey sey und einen Knaben für den seinigen erkenne, der doch einem viel vornehmern Mann angehöre. Das hieß die empfindlichste Seite seiner Ehre berühren: er brach sogleich den zankenden Ton ab, und fragte den Mann sehr ernsthaft, woher er das wisse. – »Weil ichs weis!« erwiederte der Andre. Warum fütterte und erzög denn der Graf deinen Jungen? – He? umsonst und für nichts thut man so etwas nicht. Frage nur deine Frau! die wirds besser wissen.« – Durch diese und ähnliche Gründe machte er den Alten so argwöhnisch, daß er sich vornahm, Licht in der Sache zu suchen. Die Scene des Zanks war bey dem Gartenzaune, und der Streit, wie leicht zu errathen, durch die Weiber angefangen worden: Herrmann war seinem Nillchen zu Hülfe geeilt, der Nachbar hielt sich für verbunden, 206 der seinigen gleiche Liebe zu beweisen, die Weiber traten ab und zankten eine jede für sich in ihrer eignen Küche, während dessen ihre beiden Klopffechter den Kampf vollends öffentlich ausführten. Weil der Nachbar sich als den Schwächern fühlte, so gerieth er auf die List, durch jenen Argwohn, die feindliche Parthey mit sich selbst zu entzweyn. Sie gelang ihm auch so wohl, daß sein Gegner sogleich von dem Kampfe und Wahlplatze abgieng, um über den erregten Argwohn ein peinliches Verhör mit seinem Nillchen anzustellen.

Die Gemahlin wollte ihn nach seiner Rückkehr von dem Schlachtfelde für den geleisteten Beistand und erfochtnen Sieg mit ihrem Beifall krönen und stand deswegen in der Hofthüre bereit zu seinem Empfange: schon brach sie in Lobeserhebungen über seine Heldenthat und in Schmähungen wider die Feinde aus, allein wie sonderbar! – ihr Verfechter gieng mit weggekehrtem Blicke und drohender Miene vor ihr vorbey, ohne die Belohnung seiner Tapferkeit von ihr annehmen zu wollen. Sie gieng – wie 207 allemal bey solchen unvermutheten Erscheinungen – in die Küche, nahm ein Stück Essen auf die Hand und sann, indem sie es verzehrte, bey sich nach, was ihr Mann wohl haben möge.

Sie wollte sich eben ein zweites Stück aus dem Schranke holen, weil sie bey dem ersten in ihrer Untersuchung nicht sonderlich weit gekommen war, als ihr der laute Befehl ihres Mannes gebot, vor ihm zu erscheinen. Weil es gegen Abend war, wo ihr Simson allemal seine Stärke verlor, gieng sie unerschrocken in die Stube und freute sich schon im Voraus auf eine neue Demüthigung, die er sich selbst anthun würde. Sobald sie in die Stube getreten war, schloß er hinter ihr zu: in der Mitte stand ein kleiner runder Tisch und auf demselben lag eine Pistole: es waren einander gegenüber zwey Stühle gesezt, und ohne ein Wort zu sagen, klopfte er mit der flachen Hand auf den einen, um sie zum Niedersetzen zu nöthigen. Da sie dergleichen wunderliche Schnurren von ihm gewohnt war, so nahm sie, der Pistole 208 ungeachtet, Platz, gleichfalls ohne zu reden. Er sezte sich ihr gegenüber auf den andern dastehenden Stuhl, ergriff die Pistole, spannte den Hahn und sezte sie vor sich, die Oefnung des Laufes nach ihr gekehrt: aus natürlicher Furcht vor Schießgewehr rückte sie mit ihrem Stuhle seitwärts, um aus dem Schusse zu kommen – er rückte mit der Pistole nach: sie rückte auf den alten Fleck – er folgte ihr mit der Pistole nach: um ganz sicher zu seyn, rückte sie dicht an ihn – er lief mit seinem Stuhle um den Tisch herum, daß sich der Lauf wieder nach ihr hinrichtete, berührte bey dem schnellen Umdrehen den Hahn – pump! gieng die Pistole los. Das arme Nillchen that einen lauten Schrey, glaubte sich getroffen und sank vom Stuhle, voll Verwunderung, daß sie noch lebte: Der Mann besorgte selbst, daß er in der Uebereilung wider seinen Willen etwas tödtliches hineingeladen habe, und fieng vor Angst so gewaltig an zu zittern, daß er kein Glied von der Stelle rühren konnte. Fest überredet, daß sie gestorben sey, blieb die Frau einige Minuten auf der Erde 209 liegen, und mit der nämlichen Ueberredung der Mann zitternd und bebend auf seinem Richterstuhle sitzen. Endlich merkte die Frau wohl, woran sie mit ihrem Leben war, und stund aus tückischem Trotze nicht auf. – »Nillchen!« hub er mit schwacher bänglicher Stimme an, »bist du todt?« – Nillchen antwortete nicht.

»Nillchen! bist du todt?« wiederholte er mit weinerlichem Tone. – »So sag mirs doch nur! – Nillchen, antworte doch! bist du todt? mausetodt? – So rede doch!«

Der Frau entwischte ein Lachen: er hörte es. Hurtig verwandelte sich seine Angst in nachdenkenden Ernst. – »Kannst du noch lachen?« sprach er vor sich hin, und sezte mit starkem gebietenden Tone hinzu: »Steh auf, Hure!«

Schnell sprang die erschoßne Frau in die Höhe und fuhr geifernd auf ihn los: – »Was? wie nennst du mich!«

Der Mann. Was du bist!

Die Frau. So? seht mir doch! – Wenn du weißt, daß ich keine ehrliche Frau bin, warum hast du mich denn genommen? 210

Der Mann. Weil ich ein Narr war.

Die Frau. Das bist du wohl alle Tage.

Der Mann. Weib, habe Respekt! oder dich soll – Höre! antworte mir! bist du eine ehrliche Frau?

Die Frau. Bist du wohl gescheidt?

Der Mann. Weib, antworte ordentlich! oder ich schieße dich übern Haufen.

Die Frau. Ich wollte, daß du mich erschossen hättest, damit sie dich itzo hängten. – So ein alter Narr! Pfui! schämst du dich nicht, so eine alberne Frage zu thun?

Der Mann. Nicht mehr als du, keine ehrliche Frau zu seyn!

Die Frau. Das bin ich! und den will ich sehn, der meiner Ehre zu nahe kommen soll!

Der Mann. Daß dus weißt! Ich lasse mich von dir scheiden.

Die Frau. Ja, da stehn sie und warten, ob sich Herr Herrmann scheiden lassen will! – Beweise mir doch etwas! beweise mir doch!

Der Mann. Hast du den Grafen vor unsrer Heirath gekannt? 211

Die Frau. Ach, wo will er denn da hinaus? – Freilich hab' ich ihn gekannt.

Der Mann. Nun ists gewiß: ich lasse mich scheiden.

Die Frau. Ach, über den einfältigen Adam! Ich glaube, er denkt gar – laßt uns doch lachen! – Ja, der Herr Graf bekümmerte sich viel um deine Nille: dem liefen wohl Andre nach.

Der Mann. Hat er dir nicht das Halsband mit den großen Perlen geschenkt?

Die Frau. Das hat er.

Der Mann. Wofür?

Die Frau. Wofür? – Ach, geh mir doch! wirst wohl da die alte Historie wieder aufwärmen? – Das ist zu Methusalems Zeiten geschehn.

Der Mann. Ich scheide mich. – Packe deine Paar Lumpen zusammen! und dann aus dem Hause!

Die Frau. Wegen des alten Märchens? – Die Historie war ja hundert Jahre vor unsrer Hochzeit. Was hattest du mir denn damals zu befehlen? 212

Der Mann. Aber ich habe itzo zu befehlen. Wir sind Mann und Frau gewesen.

Ohne weiter auf ihre Reden zu achten, wanderte er die Treppe hinauf, packte alle Kleider und Wäsche in die große Lade mit den korintischen Säulen, und brachte über eine Stunde zu, alle ihre Effekten von den seinigen abzusondern und einzupacken. Der Frau ward wirklich nunmehr bange, daß er sie einmal peinigen und zum Gelächter der Stadt machen werde; und was sie fürchtete, geschah. Er schob und schleppte mit eigner Hand die schwere vollgefüllte Lade die Treppe herunter und sezte sie vor die Thüre in den Hof: die übrigen Packete flogen zum Fenster herunter und nahmen ihren Platz auf und neben der Lade, wo sie ihn fanden. Als ihm nichts mehr in die Augen fiel, das der Frau eigenthümlich angehörte, so gieng er zu ihr, band ihr das Halsband mit den großen Perlen, das sie einmal als Jungfer von dem Grafen bekommen hatte, um den Arm und führte sie zur Hofthür hinaus zu ihren Sachen, schloß alle Eingänge am Hause zu und stellte sich mit 213 seinem Pfeifchen ans Stubenfenster, um seine eifersüchtigen Grillen mit dem Tobaksdampfe in die freye Luft hinauszublasen.

Die verabschiedete Frau saß also unter freyem Himmel auf ihrer Lade zwischen den übrigen Effekten und hofte ganz sicher, daß bey der eintretenden Dämmerung ihren Mann sein Liebesfieber überfallen und nöthigen werde, sie unter demüthigenden Bedingungen wieder zurückzurufen. – Die Dämmerung kam; es wurde Nacht: Niemand im Hause rührte sich. Nun mußte sie im Ernst darauf denken, ihre Sachen in Sicherheit zu bringen und ein bequemeres Nachtlager zu suchen, als ihr die Lade darbot: dem Manne zum Trotze wollte sie wieder ins Haus. Sie sah sich allenthalben nach einem niedrigen Fenster um, und konnte keins ansichtig werden, das sich besser zu einer Thür gebrauchen ließ, als das Küchenfenster, ob es gleich ziemlich hoch von der Erde war. Sogleich wurden die nöthigen Anstalten zum Einsteigen gemacht, die Lade unter das Fenster gerückt, und nun hinauf! Aber wer sollte das 214 Fenster aufmachen, das sich nur inwendig öfnen ließ? – Man schlägt eine Scheibe ein: sie thats, und nun waren beide Flügel weit offen. Alle Schwierigkeit hatte sie immer noch nicht besiegt: wie sollte sie sich ohne Hülfe so weit hinaufschwingen? – Sie versuchte: es gieng nicht. Sie wanderte den Hof hinab, um sich den Beistand einer Nachbarin zu erbitten, und siehe da! eben kam die Magd vom Felde hinten zum Garten herein: nun hatte sie gewonnen Spiel. Die Allianz wurde gleich zwischen ihnen geschlossen, und man eilte mit großen Schritten, die Eroberung des Küchenfensters fortzusetzen. Die Magd begeisterte das allgemeine Interesse ihres Geschlechts mit Löwenmuth, sie erstieg den Wall, sprang in die Küche hinab, in einem Augenblicke war der innere Riegel der Hofthür weggeschoben, und man zog triumphirend in der eroberten Festung ein.

Nacht und Dunkelheit waren geschworne Feinde des alten Herrmanns: sie entwafneten seine Tapferkeit so sehr, daß er fast zum Kinde wurde. Ermüdet von der Hastigkeit, womit er 215 seiner Frauen Habseligkeiten in den Hof schafte, war er bey seinem Pfeifchen am Fenster eingeschlafen: Zähne und Hände ließen den schwarzen beräucherten Stumpf entschlüpfen, daß er in hundert kleinen Stücken auf dem Pflaster herumtanzte. Der Schlummer hielt an, bis zu dem ersten Sturme, den die Frau auf das Küchenfenster wagte: das Geklirre der eingeschlagnen Scheibe erweckte ihn; aber o Himmel! in der ganzen Stube wars finster wie im Grabe. Er tappte nach dem Feuerzeuge, fand es, schlug sich die Knöchel wund, und da sein Zunder brannte, war kein Licht da. Indessen nahm der Lärm der Eroberung zu: nun wars vollends um seine Herzhaftigkeit geschehn. Er konnte keinen Schritt vor die Thür thun, wenn er gleich ein Königreich damit hätte gewinnen sollen. Das Getöse vermehrte sich – denn die Frau schafte mit Hülfe der Magd die Effekten wieder ins Haus – und er fand kein ander Mittel, als die Parthie aller Furchtsamen zu ergreifen – er verschanzte sich: die Thür wurde verriegelt, ein Tisch vorgerückt, und es war fest 216 beschlossen, daß er die Nacht hinter seinen Verschanzungen zubringen wollte.

Nillchen kannte seine Furchtsamkeit im Finstern und ließ nichts ermangeln, ihre Rachsucht nach Herzenslust zu sättigen. Die zwei Weibsbilder erregten ein Getöse im Hause, als wenn sieben Legionen Teufel eingekehrt wären: Treppe auf, Treppe nieder! Die Magd, um ihrem Tritte mehr Gewicht zu geben, bewafnete die Füße mit einem Paar Schuhen von Juchten, deren Solen dick wie Breter, und deren Absätze mit Nägeln, wie mit Hufeisen, beschlagen waren: bey jedem ihrer Dragonertritte erbebte das ganze Gebäude, und aus allen vier Winkeln des Hauses hallte das Klappen der Nägel, wenn sie auf den Backsteinen hinlief, in mannichfaltigen Tönen, wie ein übelgestimmtes Glockenspiel, zurück. Die Thüren wurden zugeschlagen, daß sie aus den Angeln sprangen: man bereitete in der Küche ein Banket und verzehrte die triumphalische Mahlzeit mit lautem Lachen und Singen, während dessen der alte Herrmann in der daran stoßenden Stube ausgestreckt auf drey 217 Stühlen lag, vor Hunger und Aerger seufzte, gern seinen Kummer verschlafen wollte und vor dem Getöse, das bis über Mitternacht hinaus dauerte, kein Auge schließen konnte. Einen schimpflichen Frieden durch Nachgeben zu erkaufen, litt seine Ehre nicht, und ihn durch Gewalt zu erzwingen, war er zu furchtsam, weil er, nach der Größe des Lärms zu urtheilen, glaubte, der weibliche Theil des ganzen Städtchens habe sich versammelt, sein beleidigtes Geschlecht an ihm zu rächen; und dann war es einmal sein Grundsaz, in der Dunkelheit nicht zu fechten, weil er gewiß den Kürzern zog, sobald man die Bosheit begieng, das Licht auszulöschen. Sonach ertrug er gelassen alles Ungemach und war froh genug, daß man um ein Uhr ihn auf den harten Stühlen einschlummern ließ, unterdessen daß die feindliche Parthey sich in weiche Federn versteckte.

Kaum erschien die gewöhnliche Zeit des Aufstehens, als Nillchen schon wieder im Hause herumtobte, doch mit vermindertem Geräusche: sie nahm mit lautem Geklirre der Tassen und Teller in der Küche Kaffe und Frühstück ein. Der alte Herrmann dehnte sich auf seinem harten Lager, stund, wie an allen Gliedern gerädert, auf und überlegte seinen Operationsplan für den folgenden Tag. – Die erste Hand zum Vergleiche zu bieten, das war, bey so vielem Rechte auf seiner Seite, sehr hart: gleichwohl hatte die Frau die vortheilhaftesten Posten im Hause besezt und ihn so eingeschlossen, daß sie ihn mit leichter Mühe aushungern konnte: da war nichts zu thun, als sie mit List aus ihrer günstigen Stellung zu vertreiben. Er räumte die Festungswerke vor der Stubenthür weg und gieng, ohne sich mit Einem Blicke umzusehn, zum Hause hinaus.

Nun hatte er das Feld geräumt. Er blieb den ganzen Tag außen, auch die Nacht: er brachte beides bey einem Bekannten zu, einem Schlosser, von dem er sich ein großes starkes Vorlegeschloß verfertigen ließ. Mit Anbruche des Tages erschien er nebst seinem Freunde, öffnete die Hausthür – er hatte den Schlüssel dazu bey sich – und nun gerades Wegs vor 219 die Schlafkammer der Frau! Der Schlosser schlug mit allem Geräusche seines Handwerks Haspen und Anwurf an die Thür, und beide legten feierlich das große Schloß davor. Darauf begaben sie sich, voll Freude über den ausgeführten Anschlag, in die Nebenstube und übten alle mögliche Repressalien aus. Der Schlosser war ebenfalls einer von den Ehemännern, der mit seiner Gattin in unaufhörlichem Kriege lag, und stritt für sein eignes Interesse, indem er die Rache seines Freundes unterstüzte. Sie fiengen an zu trinken; der Schlosser, dem diese wohlthuende Rache ungemein behagte, nahm einen so lebhaften Antheil an der Ehre seines Freundes, daß er in einer halben Stunde bereits betrunken war: der alte Herrmann konnte, wie gesagt worden ist, vor dem Nachmittage keinen Branntewein zu sich nehmen, und hielt sich für seine Nüchternheit mit einer großen Kanne selbstgemachten Kaffe schadlos; und dann gieng er in eigner Person das Mittagsmahl für sie beide zuzubereiten.

Diese Abwesenheit ihres Mannes wollte die 220 eingesperrte Frau nützen: sie redte den trunknen zurückgebliebnen Schlosser durch die Wand an und bestürmte sein verstocktes Herz mit den rührendsten Bitten, sie heimlich herauszulassen. Der Wächter, der in seinem berauschten Kopfe gegenwärtige und vergangne Zeit nicht sonderlich unterschied und sich also beinahe gar nicht besann, wer diese Frau sey und warum man sie hier eingeschlossen habe, staunte nicht wenig, eine Weiberstimme in der Nähe zu hören. Er horchte und erkundigte sich stammelnd, wo sie sich aufhalte: zehnmal sagte sie es ihm, und zehnmal begriff ers nicht: er merkte wohl, daß die Stimme von der Wand her kam, und taumelte deswegen an ihr auf und ab, um das Frauenzimmer zu haschen; und wenn er einmal zugriff und etwas fest hielt, so wars ein Stuhl oder ein Tisch. Der Trunk hatte mancherley verliebte Regungen in ihm aufgeweckt, und er war äußerst erbittert auf das Frauenzimmer, das ewig redte und sich niemals haschen ließ. Sie schmeichelte seiner Begierde mit dem Versprechen, sich sogleich haschen zu lassen, wenn er nur das große 221 Schloß öfnete, das er heute angelegt habe: der verliebte Trunkenbold, nachdem er lange Zeit mit dem Hammer an der Wand herum gehauen hatte, um das Schloß aufzuschlagen, begriff endlich, daß er es vor der Stube an der Nebenthür suchen müßte, und wankte hinaus, zog einen großen Schlüssel aus der Tasche und fluchte und schwor, daß sich das verdammte Schlüsselloch nicht treffen lassen wollte: er stieß und stampfte um sich herum, so sehr ihm die Gefangne leise zu verfahren rieth, und tobte so ungestüm, daß endlich der alte Herrmann durch sein Getöse herbeygezogen wurde. Leicht zu erachten, daß er ihn etwas unsanft zur Ruhe verwies! Er warf ihn zur Stube hinein und zeigte ihm einen Platz, von welchem er bey Lebensstrafe nicht aufstehn sollte; und der folgsame Schlosser legte sich demüthig in den Winkel, wie ein Hund, wenn ihm ein drohendes »Kusch!« zugerufen wird.

Bey der Mittagstafel fand der halbnüchterne Schlosser einen neuen Beruf, sich zu betrinken, und Nachmittags, etwas zeitiger als sonst, fühlte der alte Herrmann den nämlichen Trieb. 222 Nun kam der Zeitpunkt, wo die eingesperrte Ehefrau ihre Erlösung bewirken mußte. Er fieng allmälich an, von seinem Nillchen sehr viel zu sprechen und sie wegen ihrer Schönheit und häuslichen Erfahrung zu loben: – »Wenn sie nur eine ehrliche Frau wäre!« sezte er hinzu. – »Kanst du dir vorstellen, Jakob?« fuhr er nach einer Pause fort: »da will sie sich von mir scheiden lassen – das Donnerweib! damit sie so recht nach ihrem Gefallen leben kan – aber ich habe sie eingesperrt – sie darf nicht fort – ich lasse mich doch nicht scheiden – und wenns gleich der Kaiser und der Oberpfarr haben wollte. – Sie soll nicht heraus – bis sie mir verspricht, daß sie sich nicht will scheiden lassen – und wenn sie bis an den jüngsten Tag drinne stecken sollte.«

Einen so günstigen Augenblick ließ die Gefangne nicht ungebraucht vorbeygehn: sie versicherte ihn durch die Wand, daß sie sich nicht scheiden lassen wollte, wenn er sie in Freiheit sezte.

»Du mußt mir schwören,« rief der Mann. 223 – Sie verstund sich dazu: er sagte ihr einen Schwur vor, der die fürchterlichsten Verwünschungen enthielt: sie sprach ihn nach.

»Ja, Nillchen,« fieng er von neuem an, »wenn ich nur wüßte, ob du eine ehrliche Frau bist! – Bist dus nicht, so laß ich mich scheiden. Das muß ich wissen; sonst kömmst du nicht heraus.« –

Natürlich daß sie alle Beredsamkeit anwandte, ihn über den streitigen Punkt zu versichern. – »Du mußt mir schwören,« war seine neue Foderung, die sie eben so gern zugestund; mit den vorigen Formalitäten beschwor sie ihm, daß sie nicht nur eine ehrliche Ehefrau sey, sondern es auch in alle Ewigkeit bleiben wolle. Die Kapitulation war gemacht, der Friede geschlossen und die Gefangenschaft aus.

Desto stärker fiel sein Zorn nun auf alle, die die Ehre seiner Frau angetastet hatten: sie mußte sich neben ihn setzen, und er konnte beständig noch nicht von der Hauptfrage wegkommen: sie sollte ihm berichten, warum der Nachbar sie einer Untreue beschuldigt habe, und sie gab ihm zur Ursache den Neid an, den die Gnade des Grafen gegen ihren Heinrich bey Jedermann errege. Nun war er auf einen schlimmen Punkt geführt: er brach in Schmähungen wider den Grafen aus, daß er das ehrliche Nillchen durch seine Gnade in einen solchen Ruf bringe, und betheuerte, daß er ihm die ganze Gnade vor die Füsse werfen wolle. – »Mach' ein recht kostbares Abendessen,« schloß er: »daß es fertig ist, wenn ich wiederkomme!« –

Nillchen gehorchte dem Befehle. Er folgte ihr nach und gieng halbtaumelnd zum Hause hinaus. Er wollte aufs Schloß; aber in der Berauschung verfehlte er den Weg, wanderte durch drey, vier Gassen, und eh er sichs versah, war er wieder vor seinem Hause. Er fluchte auf den Grafen, daß er sein Schloß so oft verrückte, und wiederholte die Wanderung so oft, daß er in der Abenddämmerung an Ort und Stelle anlangte. Graf und Gräfin waren verreißt, Niemand da, der ihn zurückhielt, und er erreichte also ungehindert Schwingers Zimmer.

Schwinger saß im Kabinete und arbeitete 225 an einer Predigt, womit er die christliche Gemeine künftigen Sonntag bewirthen wollte, hatte sich verschlossen und so sehr in Begeisterung verloren, daß er weder hörte noch sah. Fräulein Hedwig, um sich die Abwesenheit der gnädigen Herrschaft zu Nutze zu machen, war ihrem dicken Amyntas nachgegangen und belustigte sich im Garten mit ihm nach Herzenslust: die Baronesse stund, in arkadische Bilder vertieft, am Fenster und weidete sich mit der Einbildung an den Freuden der Liebe, die ihr die Wirklichkeit nicht gewähren durfte.

Der alte Herrmann gieng unangemeldet ins Zimmer hinein und fand seinen Sohn am Tische sitzend, von den Weisen der heidnischen Welt umringt: Augen und Gedanken waren ganz in seinem Buche, und er wurde die Anwesenheit seines Vaters nicht eher inne, als bis er ihn bey dem Arme faßte. – Heinrich, sprach er, komm mit mir! – Der Sohn folgte ihm ohne Widerrede. Er führte ihn die Treppe hinunter. Heinrich erkundigte sich zwar sehr oft, wohin er sollte, aber die Antwort blieb außen. – An der 226 Thür entschuldigte er sich, daß er ohne Erlaubniß seines Lehrers nicht weiter gehen dürfe und wollte umkehren: schnell ergriff ihn der Vater in der Mitte des Leibes, lud ihn auf die Schultern und trabte mit ihm fort, wie ein Schwan, der seiner kleinen Nachkommenschaft zum Schiffe dient. Der Sohn war durch die Neuheit des Vorfalls so in Erstaunen gesezt, daß er sich ohne Widerstand forttragen ließ und nur unterwegs zuweilen Miene machte, sich loszureißen, aus Besorgniß, seinem Vater eine zu schwere Last zu seyn: da half nichts! Je mehr er widerstrebte, je fester packte ihn der Herr Papa, je schneller eilte er mit ihm davon. Alle Leute blieben verstummend stehn, und Niemand dachte vor Verwundrung über die Seltsamkeit der Sache daran, ihn aufzuhalten. Die Baronesse erblickte durch das Fenster ihren Heinrich auf dem Rücken eines Fremden, den sie nicht erkennen konnte, und der, wie ein Knabenräuber, mit ihm dahineilte. In Einer übereilten Hastigkeit riß sie die Thür auf, flog die Treppe hinunter, zum Hause hinaus und dem Entführer nach. 227 Der Vater sezte seine Bürde in seinem Hause ab und schloß die Thür zu. – Da! sagte er zu seiner Frau, die erstaunt in der Küchenthür stund, da ist Heinrich! Die Leute sollen uns nicht länger nachreden, daß ihn der Graf füttert, weil er nicht mein Sohn ist. Wenn dir nun noch Jemand Schuld giebt, daß du keine ehrliche Frau bist, Nillchen! Nillchen! so nimm dich in Acht! Ich schlage allen die Köpfe ein, die so sprechen, und dich wider die Wand, wie einen alten Topf. – Dabey faßte er, um seine Drohung sinnlicher zu machen, einen alten dortstehenden berußten Topf und schleuderte ihn mir einer Gewalt an die Küchenmauer, daß die Umstehenden sich vor den herumfliegenden Scherben retten mußten.

»Du bleibst nun in alle Ewigkeit bey uns,« fuhr er fort, indem er sich zu seinem Sohne wandte und ihn derb bey dem Ohre zupfte, welches eine von seinen hauptsächlichsten Liebkosungen war: – »Du bleibst bey uns. Du sollst nicht länger schmarotzen: und wenn dich Jemand wieder wegholen will und du gehst mit 228 ihm, so mache dich gefaßt, daß die Stücken von deinem Kopfe so herumfliegen werden, wie die Scherben von dem Topfe.« – Diese Drohung wurde von einem Paar fühlbaren Stößen begleitet, die er dem Sohne mit geballter Faust auf den Wirbel versezte.

Indessen hatte sich die arme Baronesse ihre zarten Fingerchen an der Hausthür beinahe wund geklopft, und die Frau war während der Drohung ihres Mannes hinter seinem Rücken weggeschlichen, um aufzumachen. Die Baronesse stürzte sich herein in die Arme der Frau und bat sie ängstlich um Nachricht, wohin Heinrich sey, und wohin er solle. Madam Herrmann führte sie mit ehrerbietigen Verbeugungen an die Küche und zeigte ihr den verlangten Heinrich. – »Da ist er ja!« rief die Baronesse freudig und ergriff seine Hand. –»Aber was soll denn mit ihm werden? wohin soll er denn?« – und mit hundert ähnlichen, übereilten Fragen drang sie auf den Vater los.

»Bey mir, bey seinem Vater soll er bleiben!« – war die Antwort, »und nicht länger 229 bey Leuten schmarotzen, denen er nichts angeht! Komm, Heinrich!« – Er wollte ihn wegführen. Die Baronesse stieß mit einem kleinen Unwillen seine Hand zurück. »Laß Er ihn!« sprach sie. Der Alte that einen Schritt rückwärts, stemmte die Hände in die Seite, guckte ihr mit dem schiefsten verächtlichsten Blicke ins Gesicht und hub eine Rede an, die mit Schimpfen begann und mit Schimpfen endigte. Er vertheidigte darinne seine Ansprüche auf seinen Sohn so lebhaft und verwies der Baronesse ihren Eingriff in dieselbe so derb, daß dem guten Kinde die Thränen in die Augen kamen. Nillchen erboßte sich äußerst wider seine Unhöflichkeit: sie hielt ihm den Mund zu und gebot ihm, sich nicht wider die gnädige Herrschaft zu vergehn: der Mann schwazte in halben gebrochnen Tönen durch ihre Finger, stieß das Schuzbret mit einem tüchtigen Schlage von seinen Lippen hinweg und begann desto erbitterter von neuem. Nillchen war zum zerspringen aufgebracht, schritt zum erstenmal während ihrer ganzen Ehe zu wirklichen Thätlichkeiten, warf ihn mit einem 230 holtönenden Puffe in den Rücken zur Küche hinaus und hatte nichts geringeres im Sinne, als ihn unter dieser Musik in die Stube hineinzutreiben. Unglücklicher Weise gab ihm seine größre Stärke das Obergewicht: mit einer schnellen Wendung streckte er seine Gegnerin zu Boden, daß sie ächzte und vor Erbitterung die Lippen zusammenbiß. Während des Handgemenges war die Baronesse so listig und nahm ihren Adonis bey der Hand – husch! waren sie Beide zur Thür hinaus. Der alte Herrmann wurde die Flucht gewahr, ließ den gestreckten Feind liegen, und hurtig hinter drein! Wie dergleichen Zurückholungen nie ohne Gewaltthätigkeiten abgehn, so mangelte es auch hier nicht daran: Heinrich wurde bey dem Kleide zurückgezogen, und die Baronesse, die sich hinter ihm herein drängte, kam auch nicht ohne blaue Flecken davon. Vater und Sohn verschlossen sich in der Stube, und die arme Ulrike sezte sich traurig auf die Treppe und weinte die bittersten Thränen. Die Frau Herrmann war unterdessen wieder auf die Füsse gekommen und tröstete sie mit 231 Verwünschungen gegen ihren Hund von Manne, wie sie ihn zu nennen beliebte.

»Ich gehe nicht wieder aufs Schloß,« sprach die Baronesse schluchzend, »wenn ich nicht Heinrichen mit zurückbringe: ich bin ihm so gut, daß ich nicht ohne ihn seyn kann. Sein Vater wird ihn gewiß aus der Stadt thun wollen, vielleicht auf eine Schule – ach! liebe Frau Herrmann, da muß ich sterben!« – Sie weinte von neuem und verbarg ihr Gesicht an dem Schooße ihrer Trösterin, die vor ihr stund.

Es wurde ihr vorgeschlagen, sich wieder aufs Schloß bringen zu lassen, und zwar mit der Versichrung, daß Heinrich gewiß längstens des Morgens darauf nachkommen solle.

»Nein, antwortete sie mit Entschlossenheit – ich gehe nicht von der Stelle. Sie wollen mich nur gern los seyn, damit ichs nicht sehen soll, wenn er fortgebracht wird. – Thun Sie mirs doch nicht zu Leide! lassen Sie ihn doch bey uns!« –

»Er soll ja gewiß wieder zu Ihnen kommen« – rief die Herrmann einmal über das andre. 232

Die Baronesse. Sie hintergehn mich gewiß. Warum wollen Sie mir nun nicht die Freude gönnen, daß ich ihn lieb haben soll? Ich darf ihn ja so nicht sehen und sprechen: wenn ich nur wenigstens weis, daß er in Einem Hause mit mir ist, so bin ich ja zufrieden. Weiter will ich nichts! weiter gar nichts! – Wenn der Vater nur nicht so ungestüm wäre, so wollt' ich ihm um den Hals fallen: aber er stoßt mich von sich. – Ich bin recht unglücklich: – aber daß Sie ja die gnädige Tante oder Fräulein Hedwig nichts davon erfahren lassen! – Heinrich ist der einzige Mensch auf der Welt, dem ich gut bin: und ich möchte nur wissen, was das nun Böses ist, daß man mirs verbietet, und nun will man ihn gar weit, weit von mir wegschicken. Warum soll ich denn einen Menschen nicht lieb haben? Es ist ja besser als wenn ich ihn hasse.

Die Herrmann. Ja, allergnädigste Baronesse, Sie können ihm wohl gut seyn: aber die Frau Gräfin und Fräulein Hedwig werden wohl etwas anders meinen. 233

Die Baronesse. Was denn? – Ich habe ihn gern um mich, schäkre gern mit ihm: was ist denn nun so entsezliches dabey?

Die Herrmann. Dabey wohl nicht! aber –

Die Baronesse. Was denn? – So sagen Sie mirs doch nur! Wenn es etwas Böses ist, so will ich mich dafür hüten. Ich versprech' es Ihnen: ich will mich davor in Acht nehmen wie vor dem Feuer.

Die Herrmann. Die Frau Gräfin wird wohl denken, daß mein Sohn nicht vornehm genug zu Ihrem Umgange ist.

Die Baronesse. Soll ich denn die Leute deswegen hassen, weil sie nicht vornehm sind?

Die Herrmann. Das wohl nicht! aber Sie werden vielleicht zu vertraut –

Die Baronesse. Je vertrauter, je besser! das ist mir das Liebste. Wenn man da so reverenzt und knixt und komplimentirt – das ist kein Vergnügen. Wem ich gut bin, der ist mir auch vornehm genug.

Die Herrmann. Ich weis freilich auch nicht, warum die Frau Gräfin gar nicht haben will, 234 daß Sie mit meinem Heinrich umgehn sollen: wenn er gleich kein Graf ist, so hat ihn doch seine Mutter auch nicht auf der Gasse geboren; und wer weis, was aus ihm noch werden kann? – Aus gutem Holze läßt sich alles schnitzen. – Also sind Sie ihm gut, allergnädigste Baronesse?

Die Baronesse. O ungemein! Ich wollte den ganzen Tag bey ihm seyn – lieber als bey Grafen und Baronen! Wenn ich nur ein gemeines Mädchen werden könnte, daß ich allenthalben herumlaufen und umgehn dürfte, mit wem ich wollte! Unser eins ist recht wie im Gefängniß: ach, liebe Frau Herrmann, mir wird das Leben sauer! Nicht einen Schritt soll ich ohne Erlaubniß thun; und wenn ich einmal lustig werde, so schreit die alte Hedwig gleich auf mich los, daß mirs angst und bange macht. Bald geh ich einwärts, bald halt' ich mich schief, bald red' ich zu viel und bald zu wenig. – »Machen Sie doch ein Kompliment! Reden Sie nicht zu frey! Küssen Sie der Dame die Hand! Sehn Sie den Herrn nicht zu starr an! Sprechen 235 Sie doch nicht immer deutsch!« – So gehts den ganzen Tag: das ist ein ewiges Tadeln; man wird des Lebens recht überdrüßig dabey.– Wenn ich nun vollends bey dem Grafen oder der Gräfin seyn muß, da geht die liebe Noth erst recht an. Da darf ich kein Wort reden, wenn man mich nicht fragt: wie ein Stock muß ich dastehn – »Wie Ihre Gnaden gnädigst befehlen – Ihre Gnaden unterthänigst aufzuwarten – Ich bitte Ihre Gnaden unterthänigst um Vergebung – Wenn Ihre Gnaden die hohe Gnade haben wollen« – Und wenn ich einmal von den tausend Millionen Gnaden, die ich beständig im Munde haben muß, eine vergesse – ach! da ists ein Lärm zum Kopfabhauen! Oder wenn ich zu hurtig spreche, zu langsam oder zu hurtig, zu tief oder zu seicht den Reverenz mache, wenn ich nicht gleich nach einer Sache laufe, so bald sie der Graf nur nennt, da gehts gleich los. – Ja, das Bischen Leben wird einem recht schwer gemacht.

Die Herrmann. Dafür genießen Sie auch desto mehr Ehre – 236

Die Baronesse. Ach schade für die Ehre. Wenn man mir nur mein Vergnügen ließe! Da soll ich Stunden lang wie angepflöckt sitzen, und wann ichs nicht thun will, so nennt man mich ungezogen. Sitz' ich nun dort und gebe nicht recht Acht und mache nur Einen Fehler, gleich werd' ich ausgehunzt: seh' ich verdrießlich darüber, so krieg' ich wieder etwas ab, daß ich nicht munter bin: lach' ich ein wenig zu laut, so heißts, ich führe mich unanständig auf: red' ich leise – so rede doch laut, daß mans versteht! – sprech' ich laut – wer wird denn schrein, wie ein gemeines Mensch? – Immer mach' ich Etwas Unrecht: kein einzigesmal kann ichs treffen. Mannichmal wenn mir die Zeit gar zu lang wird, geh' ich aus der Gesellschaft: gleich watschelt die dicke Hedwig hinter mir drein, und schilt mich aus, daß ich keine Lebensart habe: steh' ich etwa in Gedanken und antworte nicht gleich, wenn mich Jemand anredet, so sollten sie nur das Unglück sehn, das ich ausstehen muß, so bald die Gesellschaft fort ist! Wenn sich nicht die Gräfin zuweilen 237 meiner annähme, so wär' ich längst davon gegangen. Ich thu' es auch gewiß noch einmal.

Die Herrmann. Sie werden ja so etwas nicht thun!

Die Baronesse. Es wäre kein Wunder, wenn man so geplagt wird. So steif und trocken Tag für Tag zuzubringen, und auch nicht einmal Ein Vergnügen haben zu dürfen, das ist keine Kleinigkeit. Ich soll ja mit Niemanden reden, mit Niemanden lachen, weil das alles zu gemeine Leute sind; und daß ich nicht Heinrichen so oft sehen und sprechen darf, wie ich will – ach! das nagt mir am Herze! – Ich kanns Ihnen wohl sagen: er gefällt mir besser als alle die jungen Herren und Kawalliere, die zum Grafen kommen. Machen Sie ja, daß er nicht vom Schlosse weggenommen wird!

Die Herrmann. Nein, das laß' ich nicht zu, und wann ich mich mit meinem Manne darüber prügeln müßte. Ich will Sie wieder nach Hause begleiten: morgen wird meinem alten Bäre der Sonnenschuß wohl vergangen seyn. 238

Die Baronesse. Nein, ich gehe nicht, so lange Heinrich hier bleibt. – Sie wollen mich hintergehn: so leichtgläubig bin ich nicht: wenn ich aus Ihrem Hause bin, so schaffen Sie ihn gleich fort, damit ich nicht weis, wohin er gekommen ist. Wenn das geschieht, hernach ist es ganz aus auf der Welt für mich: dann können sie mich begraben, wenn sie wollen. –

Alle weitre Vorstellungen fruchteten nichts bey ihr: sie beharrte hartnäckig auf ihrem Entschlusse, nicht wieder aufs Schloß zu gehen, wenn sie Heinrich nicht begleitete, und drohte, die ganze Nacht auf der Treppe sitzen zu bleiben, wofern man ihr nicht willfahrte. Die Herrmann war am Ende ihrer Beredsamkeit, ließ sie sitzen und gieng heimlich fort, Fräulein Hedwig von dem Plane der Baronesse zu benachrichtigen.

Die Bothschaft war äußerst willkommen: denn die arme Guvernante war in unbeschreiblicher Angst über die Abwesenheit ihrer Untergebnen. Sie hatte einige Minuten, nachdem die Flucht geschehn war, ihren verliebten 239 Kreuzzug durch den Garten geendigt, und ihr Herz schlug Ellen hoch vor Schrecken, als sie bey ihrer Rückkunft ins Zimmer die Baronesse nirgends fand. Als wenn sie ein Gespenst jagte, lief sie brausend und glühend die Treppe hinauf zu Schwingern und fand auch hie Niemanden: nun war keine Vermuthung gewißer als daß die beiden jungen Leutchen, nach dem löblichen Beispiele der Guvernante, auch ihrer Seits eine Liebesfahrt gethan hatten. Sie rief bald Schwingern, bald Ulriken, bald Heinrichen, und raste, wie unsinnig, in dem Zimmer herum, riß das Fenster auf und rief: alles todt, als wenn die ganze Hofstatt durchgegangen wäre! – »Ach du liebes Väterchen im Himmel droben!« schrie sie trostlos, rang die Hände, und Angstschweiß stund in großen Perlen auf der rothunterlaufnen Stirn. »Du herzeliebes liebes Gottchen! wo sind die gottlosen Kinder hin? Wer weis, was sie izt mit einander anfangen?« – Schwinger wurde durch das Klaggeschrey aus seiner homiletischen Begeisterung erweckt und öfnete das Kabinet. Fräulein Hedwig 240 fiel mit ihrem ganzen plumpen Körper über ihn her. – »Schaffen Sie mir die Baronesse, schrie sie, oder ich kratze Ihnen die Augen aus.« – Schwinger war mit den Gedanken noch bey seiner Predigt, die von der christlichen Sanftmuth handelte, und hub mit kanzelmäßigem Tone an:

»Die Sanftmuth ist eine von den Tugenden, die das Herz eines Christen zieren sollen« –

Ach mit ihrer verzweifelten Sanftmuth! unterbrach ihn die Guvernante.

Er fuhr ungehindert fort: – »Sie muß in seinen Worten und Werken sich äußern« –

Fräulein Hedwig. So lassen Sie uns doch suchen, ehe sie der böse Feind in den Klauen hat!

»Wen denn?« fragte Schwinger, von seinem Traume erwachend.

Fräulein Hedwig. Die Kinder! Sie sind ja fort! Wenn sie nun gar die fallacibus Satanas blendeten – ach, wir müßten beide mit Schimpf und Schande davon laufen! aus dem Hause würden wir gejagt! – Hab' ichs nicht 241 immer prophezeiht? Aber mit den Leuten, die keinen Teufel glauben, ist nichts anzufangen. Hernach –

Schwinger. Gedulden Sie sich nur! Es wird vermuthlich nicht so schlimm seyn als Sie denken. –

Er ermahnte sie noch weiter zur Geduld, allein die Furcht vor einer Entdeckung der geheimen Ursache, warum sie die Baronesse allein gelassen hatte, machte sie wütend, besonders da Schwinger einigemal sich erkundigte, warum sie ohne die Baronesse spatzieren gegangen sey. – »Sie denken wohl gar, sprach sie erschrocken, daß ich auf bösen Wegen gewesen bin. Dafür bewahre mich mein liebes Väterchen im Himmel!«

Beide waren noch mitten in der Ueberlegung, wo sie zuerst die Entflohnen aufsuchen sollten, als Frau Herrmann mit ihrer Bothschaft anlangte und sie aus ihrer Verlegenheit riß: der Hauptknoten war indessen immer noch aufzulösen. Die Herrmann schlug dazu selbst ein Mittel vor: um ihren Mann zu bewegen, daß er Heinrichen 242 wieder zurückgebe, hielt sie nichts für kräftiger, als ihn durch eine Bouteille Wein zu bestechen. Schwinger steckte eine zu sich und wanderte mit der Herrmann ab, und Fräulein Hedwig, um desto sicherer zu seyn, folgte ihnen. Schwinger fieng seine Traktaten mit dem alten Herrmann unter dem Fenster an, wo er sein Pfeifchen schmauchte: er stellte ihm die Ungnade des Grafen und der Gräfin vor, die den Purschen von ihm foderten, erschöpfte alle mögliche andere Bewegungsgründe: der Alte gab einen jeden zu und schlug sie alle damit nieder – »ich mag nicht.« – Endlich wurde das kraftvolle Argument ad stomachum aus der Tasche geholt; auch dies schlug nicht an: doch gab er die Erlaubniß, es in die Stube zu bringen.

Als Schwinger ins Haus trat, fand er Fräulein Hedwig in offenem Zanke mit der Baronesse: sie hatte sie schon mit ihren breiten Händen, wie der Geier eine Taube, umklammert, um sie mit Gewalt hinaus zu ziehn: die nervichte Strafpredigt war schon vorausgegangen. Die Baronesse fühlte so viel Unwürdigkeit in 243 dieser Behandlung, daß sie alle Rechte der Selbstvertheidigung gebrauchen zu dürfen glaubte: die Angst, von Heinrichen mit Gewalt getrennt zu werden, und die Ueberredung, daß dies alles abgekartet sey, machte sie doppelt unwillig und doppelt beherzt: sie zog eine lange Nadel aus den Haaren und stach so lange auf die Klauen los, die sie umschlungen hielten, bis sie der Schmerz nöthigte, fahren zu lassen. In diesem Augenblicke wollte Schwinger beide aus einander bringen, als sie sich ohnehin aus dieser Ursache gehn ließen. Aller Widersprüche ungeachtet, nahm er die Baronesse mit sich in die Stube: er wollte seine Vorstellung erneuern, allein die erboßte Hedwig, die auf und nieder rannte und das Blut aus den zerrizten Armen saugte, machte mit ihrem Toben alle seine Worte unverständlich. Dem alten Herrmann war die Gesandschaft durch die vorgezeigte Bouteille Wein interessant geworden; und ärgerlich, daß er nichts verstehen konnte, ergriff er Fräulein Hedwig bey dem Arm und gab ihr mit seiner originalen Unmanierlichkeit die Wahl, hinauszugehn 244 oder zu schweigen. Sie wählte das Letzte, und Schwinger, weil er auf dem angefangnen Wege nicht weiter zu kommen gedachte, schlug einen andern ein: er stellte es dem alten Herrmann frey, seinen Sohn dazubehalten, und bat ihn, wenigstens die Flasche mit ihm auszutrinken, damit er nicht ganz umsonst bey ihm gewesen sey. Ohne Anstand wurde die Bitte bewilligt, die Pfeife niedergelegt, und Nillchen stand mit den Gläsern schon in Bereitschaft, ehe er sie noch foderte.

Die Flasche war itzo leer: die Baronesse stand betrübt im Winkel neben dem Großvaterstuhle, wo Fräulein Hedwig in vollem Feuer der Erbitterung saß und sich mit dem weißen Schnupftüchelchen das breite Antlitz fächelte: das gute Kind schielte noch mit ängstlichem Blicke nach ihrem Heinrich, dem sie sich nicht nähern durfte; – denn so oft sie zu ihm hintrat und seine Hand ergrif, fuhr die grimmige Guvernante, wie ein böser Geist, auf sie los und trennete sie von ihm: – ihr gegenüber, wartete Heinrich mit neugierigem Blicke nach dem Tische, 245 wo sein Vater und Schwinger saßen und tranken, voller Ungeduld, was für eine Entscheidung seines Schicksals seinem Vater die Flasche eingeben werde: eben so erwartungsvoll lauerte Nillchen neben ihrem Manne, mit der Brust auf die Lehne eines leer dastehenden Stuhls gelehnt, den Kopf weit herüberhängend, um die Veränderungen, die der Wein allmählich im Gesichte des alten Herrmanns bewirkte, desto schneller wahrzunehmen, und lächelte mit steigender Freude, je günstiger die Aspekten wurden. Der Alte, der sich heute schon den zweiten Rausch trank, wurde gleich bey dem zweiten Glase ungemein geschwätzig, bat seinen Mittrinker jeden Augenblick um Verzeihung wegen Beleidigungen, die er ihm nimmermehr gethan hatte, und war izt am Ende der Flasche so schwachherzig, daß er sein Nillchen zu loben und zu karessiren anfieng. – »Was machst denn du hier, Heinrich?« sprach er stammelnd, indem er seinen Sohn von ohngefähr erblickte. »Hast du mich einmal besuchen wollen?« – Er stand auf, wankte zu ihm und zwickte ihn in die Backen. 246 »Du Schelm, sagte er, besuchest deinen Vater so selten! – Kinderchen! geht nur wieder nach Hause: ich werde schläfrig. Geht, und kommt bald wieder!« –

Viktoria! die List war gelungen: der Alte hatte im Rausch seinen vorigen feindseligen Plan vergessen: man bestätigte ihn in der Einbildung, daß die ganze Gesellschaft blos aus eignem Triebe gekommen sey, ihn zu besuchen, und sagte ihm ohne Zögern gute Nacht. Nillchen sprang vor Freuden dreymal in die Höhe und klopfte in die Hände: alle Gesichter heiterten sich auf, jedermann nahm frölichen Abschied, nur Fräulein Hedwig nicht. Bald wäre aber der Auftritt, als er zu Ende eilte, noch weinerlich geworden: der betrunkne Alte bildete sich ein, daß Hedwig seine Frau sey, und übte daher einen Theil seiner gewaltthätigen Karessen an ihr aus: Hedwig, voll keuschen Grimms über seine Frechheiten, stieß ihn zurück: er erzürnte über diesen rebellischen Widerstand und mishandelte sein vermeintes Nillchen auf die grausamste Weise: man mochte ihm einreden, 247 soviel man wollte: er beharrte hartnäckig auf der Meinung, daß Hedwig seine Frau sey, bis endlich sein wahrhaftes Nillchen ihm um den Hals fiel und ihm die Freiheiten anbot, die Hedwigs Sprödigkeit versagt hatte: die übrige Gesellschaft schlich sich fort, und die Liebe schläferte unter ihren Schwingen den trunknen Ehemann ein.

 


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