Johann Karl Wezel
Herrmann und Ulrike / Band 1
Johann Karl Wezel

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Drittes Kapitel.

Die Gräfin, die – wie man bereits gemerkt haben wird – mehr eitel, als stolz, war, fand in der kindischen Liebe des kleinen Herrmanns so viel schmeichelndes, daß sie nach aufgehobner Tafel, als sie ihr Gemahl auf ihr Zimmer gebracht hatte, das Gespräch sogleich auf ihn lenkte. Sie bestand darauf, daß man einem so viel versprechenden Subjekte eine beßre Erziehung verschaffen müßte, als er bey seinen Eltern haben könnte, und that deswegen den Vorschlag, ihn auf das Schloß zu nehmen und den Unterricht und die Aufsicht des Lehrers mitgenießen zu lassen, den man ohnehin für die kleine Ulrike – eine arme Schwestertochter des Grafen – bezahlte. Ihr Gemahl machte zwar Einwendungen, und darunter eine, die weiser war als alle, die er gewöhnlich zu machen pflegte: er besorgte nämlich, daß man den Knaben durch eine vornehme, seinem Stand und Vermögen nicht angemeßne Erziehung nur 32 unglücklich machen werde. Wir geben ihm, sagte er, eine Menge Bedürfnisse, die er in seiner Eltern Hause nie würde kennen lernen; wir fachen seinen Ehrgeiz nur noch mehr an, da er schon für sich stark genug ist; durch den beständigen Umgang mit dem andern Geschlechte wird seine natürliche Empfindlichkeit erhöht, er wird weichlich, wollüstig und vielleicht gar ein Geck. Haben Sie nicht seinen übermäßigen Stolz bemerkt? – Wenn man sieht, daß er Ihr Liebling ist, wird ihm Jedermann schmeicheln, um Ihnen zu schmeicheln, und in zwey Jahren ist er sonach der verdorbenste, aufgeblasenste und unerträglichste Bursch, der Niemanden in der Welt achtet, als sich selbst. Ihre Güte ist auf alle Fälle zuversichtlich sein Unglück. – Es geht schlechterdings nicht, sezte er mit seinem gewöhnlichen peremtorischen Tone hinzu.

Der Graf machte sehr oft dergleichen gute oder schlechtere philosophische Anmerkungen und Einwendungen bey jeder Gelegenheit, aber niemals im eigentlichen Ernste, um zu widerlegen oder die vorgeschlagne Sache zu hindern, 33 sondern blos aus Räsonnirsucht, um seinen vorgeblichen Verstand zu zeigen: räumte man ihm daher seine Einwürfe als unüberwindlich ein, so war nichts leichter, als ihn unmittelbar durch diese stillschweigende Anerkennung seiner Ueberlegenheit zu der nämlichen Sache zu bereden, die er bestritten hatte. Seine Gemahlin kannte alle feste und schwache Plätze seines Charakters so genau, daß sie eine Karte davon hätte zeichnen können, und gestand ihm deswegen in dem vorhabenden Falle mit betrübter Verlegenheit zu, daß es freilich unmöglich sey, so starke und vernünftige Gegengründe zu entkräften. – Man muß also darauf denken, sezte sie hinzu, wie man den Burschen auf eine weniger gefährliche Art unterstüzt.

Aber, fiel ihr der Graf ins Wort, man kann es ja versuchen: merkt man, daß er durch seinen Aufenthalt bey uns verschlimmert wird, so schickt man ihn wieder zu seinen Eltern. Aber freilich, liebe Gemahlin, Sie sind schwach: wenn Sie einmal etwas lieben, dann fällt es Ihnen schwer, sich davon zu trennen: Ihre Liebe wird gleich zu heftig.

34 Freilich wohl, gnädiger Herr! antwortete die Gräfin seufzend und zupfte mit einiger Verlegenheit an ihrem Kleide. Ich erkenne wohl, wie sehr Sie Recht haben, daß meine Liebe die Leute meistens verdirbt: ich fühle meine Schwäche in diesem Punkte. – Wir wollen den Burschen lassen, wo er ist.

Aber, nahm der Graf mit einer kleinen Hastigkeit das Wort, warum wollen Sie es denn nicht versuchen, wenn sie Ihr Vergnügen dabey finden? – Wollen Sie zuweilen eine kleine freundschaftliche Warnung von mir annehmen, im Falle daß Sie zu weit gehen –

Die Gräfin. O mit Freuden, gnädiger Herr. Sie wissen, wie willig ich mich von Ihnen leiten lasse, wie gern ich Ihre Vernunftgründe zugebe, daß ich leicht von etwas abstehe, wenn Sie es misbilligen –

Der Graf. Ja, ich kenne Ihre Güte –

Die Gräfin. Nennen Sie das nicht Güte, gnädiger Herr! Pflicht, Schuldigkeit ist es. Ich schätze mich glücklich genug, daß ich fähig bin, die Richtigkeit und Billigkeit Ihrer 35 Einwendungen und Befehle einzusehen: auf keinen andern Verstand, als auf diesen, mache ich Anspruch.

Der Graf. War denn Ihre Absicht, daß der Knabe bey uns auf dem Schlosse wohnen sollte?

Die Gräfin. Meine Absicht war es allerdings; denn eine doppelte, so ganz entgegengesezte Erziehung –

Der Graf. Würde ihn nur verderben! Was er in den Paar Stunden, die er sich bey uns aufhielt, Gutes lernte, würde er den übrigen Theil des Tages bey seinen Eltern wieder vergessen; die Fehler, die er bey uns ablegte, würde er dort wieder annehmen. Sein Vater ist ohnehin etwas ungeschliffen. Das thäte gar nicht gut: wenn er einmal besser erzogen werden soll, so muß er von der Lebensart seiner Eltern gar nichts mehr zu sehen bekommen. Zudem wäre mirs auch unangenehm, ihn unter uns zu leiden, wenn er hernach wieder mit seines Gleichen, mit gemeinen Jungen auf der Gasse spielen und herumlaufen dürfte. 36

Die Gräfin. Ihre Bedenklichkeiten sind völlig gegründet: es läßt sich nicht das mindeste dawider einwenden. – Ich will mir die Grille wieder vergehen lassen: der Junge mag bleiben, wo er ist. –

Aber wozu denn? rief der Graf mit ereiferter Güte. Ich will dem Haushofmeister befehlen, daß er –

Die Gräfin. Ich bitte Sie, gnädiger Herr! Verursachen Sie sich meinethalben nicht die Beschwerlichkeit, einen Jungen um sich zu sehn, der Ihnen freilich anfangs nicht mit der gehörigen Ehrerbietung begegnen wird –

Der Graf. Das besorge ich eben. Er hat noch keine Manieren, ist auch wohl zuweilen ungezogen: aber ich denke, er soll sich durch unsern Umgang bald bilden.

Die Gräfin. Das hoff' ich! – Mir sollte die Sorge für seine Erziehung ein süßes Geschäfte seyn. –

Nach einer kleinen tiefsinnigen Pause sezte sie traurig und mit nassen Augen hinzu: Da mir das Glück keine eignen Kinder zu erziehen giebt, 37 muß ich die mütterlichen Vergnügen an fremden genießen.

Aber, warf ihr der Graf ein, Sie werden sich zu sehr an den Knaben fesseln, sich zu sehr mit ihm abgeben und dadurch eine unendliche Last auf sich laden.

Die Gräfin. Meine Last dabey wäre sehr gering: allein für Sie, gnädiger Herr, könnte sie größer seyn, als ich wünschte. – Es mag unterbleiben.

Der Graf. Nein doch! Sie sollen sich schlechterdings meinetwegen kein Vergnügen versagen.

Die Gräfin. Und ich will schlechterdings kein Vergnügen genießen, das Ihnen nur Eine misvergnügte Minute machen könnte. Wollte ich doch, daß ich nicht so unbescheiden gewesen wäre, Ihnen von meinem unüberlegten Einfalle etwas zu sagen!

Der Graf. Ihr Einfall muß befriedigt werden: ich geb' es nicht anders zu.

Die Gräfin. Gnädiger Herr, ich müßte mir selbst Vorwürfe machen, wenn ich 38 aus Unbesonnenheit Ihre Güte so mißbrauchte –

Der Graf. Ich will nun, ich will.

Nunmehr war er auf den Punkt gebracht, wohin er sollte: er sagte die lezten Worte mit so einem auffahrenden positiven Tone, daß nur noch Eine Gegenvorstellung nöthig war, um ihn zornig zu machen. War er einmal unvermerkt dahin geleitet, daß er die Sache selbst verlangen und befehlen mußte, die er anfangs bestritt und im Grunde sehr ungern sah, so hatte die Gräfin zu viel Feinheit, um seinen Stolz bis auf das äusserste zu treiben und einen wirklichen Zorn abzuwarten, sondern sie ergab sich nunmehr mit anscheinendem Widerwillen. – Ich unterwerfe mich Ihrem Befehle, sprach sie mit einer tiefen Verbeugung und küßte ihm ehrerbietig die Hand: Sie können meiner Dankbarkeit gewiß seyn, und eben so sehr meiner Folgsamkeit, so bald Ihnen Ihre Güte nur die mindste Beschwerlichkeit –

Denken Sie nicht mehr daran! unterbrach sie ihr Gemahl. Ihr Vergnügen und das meinige können nie ohne einander seyn. –

39 Er sagte gleich darauf mit der verbindlichsten Freundlichkeit gute Nacht und trieb die Verbindlichkeit so weit, daß er unmittelbar nach seiner Ankunft in seinem Zimmer bey dem Ausziehen dem Kammerdiener Befehl gab, noch denselben Abend zu dem Einnehmer Herrmann zu gehen und ihm zu melden, daß er sich morgen früh um sieben Uhr vor des Grafen Zimmer einfinden solle.

Die ganze Herrmannische Familie lag schon in tiefem Schlummer: der Hausvater schnarchte bereits so lieblich und mit so mannichfaltigen Veränderungen alle Oktaven durch, daß die arme Ehegattin an seiner Seite nicht fünf Minuten zusammenhängenden vernünftigen Schlummer zuwege bringen konnte. Eben war es ihr geglückt, alle Hindernisse zu überwältigen und in einen sanften erquickenden Schlaf dahinzusinken, als der Kammerdiener des Grafen an der Thür rasselte, und da er diese verschlossen fand, an die niedrigen Fensterladen so emphatisch mit geballten Fäusten anpochte, daß die beiden Eheleute vor Schrecken im Bette weit 40 in die Höhe prellten. Halb aus Scham, halb aus Furchtsamkeit wollte die erwachte Frau das Fenster nicht öfnen, sondern stieß den wieder eingeschlafnen Gemahl so heftig in die Ribben, knipp ihn in die Wangen und paukte ihm endlich so derb auf der Brust herum, daß sich der arme Mann mit einem erstickenden Husten aufrichtete und ein schlaftrunknes »Was giebts?« herauszukrächzen anfieng, als der ungeduldige Kammerdiener mit verdoppelter Stärke an den Laden donnerte. Urplözlich raffte sich der Mann in der Betäubung auf, rennte an das Fenster, riß den Laden auf, faßte den Abgesandten des Grafen bey dem Kopfe und schüttelte ihn mit so lebhaftem Grimme, daß er vor Schmerz laut zu heulen anfieng. – Ich bins ja, rief er einmal über das andre und nennte seinen Namen. – So? sind Sies? rief Herrmann voller Erstaunen. Hier haben Sie Ihre Haare wieder. – Er hatte dem armen kahlköpfichten Alten in der Hitze der vermeinten Beleidigung fast das ganze kleine Tupé ausgerissen, und lieferte es ihm, wie ers zwischen den Fingern hielt, 41 unbeschädigt wieder aus. Natürlich konnte eine so gewaltthätige Scene nicht ohne Wortzank ablaufen: beide stritten und schimpften, bis sich die Frau vom Hause einfand, ihren Mann vom Fenster wegzog und sich höflich bey dem Kammerdiener nach seinem Verlangen erkundigte: er richtete seine Bothschaft aus und gieng mit einer angenehmen Ruh, sein ausgerauftes Tupé in der Hand, nach dem Schlosse zurück.

Unbekümmert, ob dieses hohe Verlangen des Grafen nach der Gegenwart des alten Herrmanns Gnade oder Ungnade für ihn bedeuten möchte, legte er sich wieder ins Bette und brummte nicht wenig, daß man ihn um einer solchen Kleinigkeit willen in dem Schlafe störte. Seine Ehefrau hingegen, die den Werth der Bothschaft besser fühlte, warf sogleich ihren kattunen ziegelfarbnen Nachtmantel um sich, zündete Licht an und war schon von so großen Gedanken schwanger, daß ihr beide Backen vor Erwartung glühten. Sie wollte ihre Muthmaßungen ihrem Manne mittheilen, aber da war keine Antwort! Als eine sorgsame Hausfrau, holte sie das 42 feinste Hemde ihres Mannes herbey, nähte daran zwey starre ungeheure Manschetten, wo auf einem musselinen Grunde große Tulpen und Rosen in einem Relief von dickem Zwirne prangten. Oft ruhte die Nadel, und oft rückte in vielen Minuten die Arbeit nicht um Einen Stich weiter; denn die geschäftige Einbildungskraft unterhielt die gute Frau mit einer solchen Menge Aussichten, Gnadenbezeugungen und Lobsprüchen über das Verhalten ihres Sohns – der nach ihrer Meinung den verlangten Besuch veranlaßt haben mußte – mit so herrlichen Scenen künftiger Größe und künftigen Wohlseyns, daß sie sogar in der Selbstvergessenheit zweimal die Arbeit unter den Tisch fallen ließ; und der Nachtwächter meldete eben grunzend unter ihrem Fenster, daß es zwölfe geschlagen habe, als sie den lezten Knoten machte. Darauf ergriff sie das beste Kleid in ihres Mannes Garderobe, jagte den Staub mit lauten Stockschlägen heraus und bürstete so lange, bis sich kein Fäserchen mehr darauf blicken ließ. Die lezte und beschwerlichste Arbeit war noch übrig: die Stuzperücke mußte beinahe ganz 43 umgeschaffen werden: Hofnung und Freude gaben ihren Händen ungewöhnliche Geschicklichkeit, sie schlugen meisterhafte Locken: alle gelangen auf den ersten Wurf, als wenn sie ein schöpferisches Dichterfeuer belebte, und nunmehr wurde, in Ermangelung des Puders, durch ein Sieb auf die schöne Frisur in so reichlichem Ueberflusse Mehl gestreut, daß der stattliche Stuz in der schlecht erleuchteten Stube wie ein Morgenstern glänzte. Wirklich fieng auch schon die Morgendämrung an, als sie mit Wohlgefallen den lezten Blick auf ihre Arbeit warf und zum Bette zurückkehrte.

Die Ruhe war unmöglich: ihre Gedanken ließen sie nicht einschlafen: kaum krähte der Hahn zum zweitenmale, als sie wieder aufsprang, um den übrigen Staat für ihren Mann in Bereitschaft zu setzen. Sie weckte ihn, und machte indessen Anstalt zum Kaffe.

Herr Herrmann dehnte sich dreimal mit einem lauten Stöhnen und stund auf, achtete weder des schöngepuderten Stutzes, noch der blumenreichen Manschetten, noch des übrigen 44 wohlgesäuberten Putzes, ob er gleich ausgebreitet vor seinen Augen dalag, sondern zog seine gewöhnliche Alltagskleidung an, einen grautuchnen Ueberrock und graue wollne Strümpfe, kämmte sein Haar in Eine große Rolle, wie es ihm von sich selbst zu fallen beliebte, und pfiff dabey ein sehr erbauliches – »Wach auf mein Herz und singe.«

Die Frau brachte den Kaffe, und der Aerger erstickte den guten Morgen, den sie schon halb ausgesprochen hatte, als sie ihren Mann in seiner schlechten Alltagsmontur erblickte: sie ward bleich, zitterte, sezte den Kaffe auf den Tisch, stemmte die Arme in die Seiten, wollte sehr pathetisch in Verwundrung und Vorwürfe ausbrechen und – verstummte: der Aerger schnürte ihr die Kehle zu. Sie gieng hinaus in die Küche und weinte bitterlich. Indessen schenkte sich ihr Ehegatte ein und pfiff dabey sein Morgenlied so munter und so durchdringend hell, wie ein Gimpel, schlurfte einen Schluck aus der Tasse und pfiff weiter, suchte seine Tabakspfeife, fand sie nicht, fluchte ein Paar Donnerwetter und pfiff weiter. Wie unsinnig lief er mit 45 abwechselndem Fluchen und Pfeifen in der Stube herum, störte alles um, wo eine Tabakspfeife versteckt seyn konnte, stieß an den Perückenstock, daß der schöne Stuz über das saubre braune Kleid herunterstürzte und auf seinem ganzen Wege, wie ein ausgeschütteter Mehlsack, eine dicke Wolke von sich blies: eine Flasche mit einem Reste vom gestrigen Abendtrunke rollte nach langem Taumeln über den Tisch hin und ließ eine große See von Bier zurück, ehe sie auf den Fußboden herabsprang und in kleine Scherben zerbrach.

Das Geräusch der zerbrechenden Flasche rief die erschrockne Ehefrau in die Stube: sie trat betrübt, mit rothen aufgelaufnen Augen herein, als eben ihr wütender Gemahl das trefliche Hemde zusammengedrückt in der Faust hielt, und ohne sich zu bedenken, in die Biersee gerade hineinwarf. – »Ach!« rief die Frau an der Thür aus, und ein Strom von Thränen brach ihr aus den Augen. Ohne ihren schmerzhaften Seufzer wahrgenommen zu haben, drehte sich der Mann und lief hastig auf sie zu. 46 – Nillchen, Nillchen! schrie er, wo ist meine Pfeife?

Die Frau konnte ihm mit nichts antworten als mit Thränen und einem doppelten – Ach!

Nillchen, was ist dir denn? fragte er und suchte in dem Tischkasten. – Was ist dir denn?

Die Frau. Ach! du wirst mich noch vor der Zeit ins Grab bringen.

Der Mann. Schaff mir nur erst meine Pfeife! – Ich dich ins Grab? – Warum denn, Nillchen?

Die Frau. Du fragst noch? – Sieh nur, was du gemacht hast! dann brauchst du gewiß nicht mehr zu fragen.

Der Mann. Was hab' ich denn gemacht, Nillchen? – Ja, etwas umgeworfen! die Flasche zerbrochen! Warum thust du alle die Sachen nicht an ihren rechten Ort?

Die Frau. So? – Erst sitz' ich die ganze Nacht auf und breche mir den Schlaf ab; und hernach bin ich gar noch Schuld daran, wenn du, wie ein Heide, alles zerschlägst und verdirbst? 47

Der Mann. Du hast nicht geschlafen? – Warum denn, Nillchen?

Die Frau. Warum denn als deinetwegen? – Hab' ich denn nicht gesessen und genäht, daß mir das Blut aus den Nägeln hätte springen mögen? –

Da liegts, das schöne Hemde! fuhr sie nach einer Pause schluchzend fort und wischte sich mit der Schürze die Augen. – Da liegts! ich kanns vor Jammer gar nicht ansehn.

Der Mann. Ja – und mein schönes braunes Kleid – ach Zeter! wer hat denn das so entsetzlich zugerichtet? das sieht ja aus als wenns im Mehlkasten gesteckt hätte. Kehr' es doch, Nillchen!

Die Frau. Daß ich eine Närrin wäre! Wer den Unflath gemacht hat, salva venia, der mag ihn wieder wegkehren.

Der Mann. Wer hats denn gethan? – Doch wohl der Junge? Die Brut hat niemals die Gedanken beysammen.

Die Frau. Ja, der Junge! der gute Junge hat die Gedanken besser beysammen als der Vater. 48

Der Mann. Wär ichs gewesen?

Die Frau. Wer denn sonst? – Ich habe an der Perücke gekämmt, daß mir der Arm noch wehe thut: wer siehts ihr nun an? – Ich möchte dir sie gleich ins Gesicht werfen.

Der Mann. Spaße nicht, Nillchen!

Die Frau. Ja, ich und der Spaß, wir kämen wohl zusammen! – Was willst du denn nun machen, du alter Schmaucher? Du wirst doch nicht in der häßlichen Kutte zum Grafen gehn wollen? Was würde denn der Herr sprechen?

Der Mann. Mag er sprechen, was er will! Wenn ich ihm so nicht gut genug bin, so mag er mich lassen, wo ich bin: ich verlange ja nicht nach ihm.

Die Frau. Schäme dich, Adam! so eine hohe Gnade!

Der Mann. Ich mag keine von ihm. Ich habe so lange ohne sie gelebt –

Die Frau. Adam, sey doch nicht so grießgramicht! Sey ja hübsch freundlich gegen den Herrn Grafen! bücke dich fein tief und antworte nicht immer so kurz weg, wie du zu thun 49 pflegst! Daß du ja nicht so schlecht hin »Ihr Diener« zum Herrn Grafen sprichst: er nimmts sehr übel, wenn man nicht unterthäniger Diener sagt.

Der Mann. Nillchen, ich will sagen, wie mirs gefällt. Ich thue dem Grafen meine Arbeit redlich, und er giebt mir dafür mein Brod: außerdem bin ich weder sein unterthäniger noch sein gehorsamer Diener; aber sein Diener bin ich – denn er bezahlt mich dafür – nicht ein Haar breit mehr noch weniger!

Die Frau. Es ist aber doch einmal Mode –

Der Mann. Ach was Mode! die Mode gehört für die Narren: genug ich gebe mich für nichts schlechteres aus, als ich bin. – Mache mir den Kopf nicht warm, Nillchen! ich bin so heute nicht aufgeräumt, daß ich meine Pfeife nicht habe.

Die Frau. Du hast ja izt keine Zeit zum Rauchen. Wenn du nun mit dem Tabaksgeruche zum Grafen kämst –

Der Mann. Mag er sich die Nase zuhalten, wenn ihm mein Geruch nicht ansteht! Ich 50 verlange nicht von ihm, daß er sich nach mir richten soll: aber ich werde mich auch nicht nach ihm richten. Das wär der erste, ders so weit bey mir brächte.

Die Frau. Zieh dich nur allgemach an –

Der Mann. Anziehn? Wozu denn? – Nicht eine Faser! Wenn ich mir in dem Rocke nicht zu schlecht bin, so werd' ichs dem Grafen wohl auch nicht seyn.

Die Frau. Du alter Adam! man hat doch nichts als Schande von dir.

Der Mann. Nillchen, Nillchen! nicht zu viel geschwazt! –

Ist es denn nicht wahr, schluchzte die Frau mit halb weinendem Tone. Ich werde gewiß noch vor Aerger über dich sterben.

Der Mann. Sey kein Narr, Nillchen!

Die Frau. Wenn ich nur schon todt wäre! – (Dabey brach sie in völliges Weinen aus.) – Ich muß mich ja in die Seele schämen, wenn die Frau Gräfin meinen Mann so einhergehen sieht, wie einen schmuzigen Budel –

Der Mann. Nillchen, es klopft Jemand. –

51 Nillchen öfnete die Thür, und es trat ein abermaliger Bote vom Herrn Grafen herein, der ihn mit Ungeduld erwartete. Er nahm Hut und Stock und gieng, ohne ein Wort zu sagen, fort, ob ihm gleich seine Frau mit Thränen um den Hals fiel und ihn um Gottes willen bat, sie und die ganze Familie nicht durch seine schlechte Kleidung zu entehren.

Thränend gieng sie an das Fenster, sah durch die Scheibe dem Starrkopfe nach und bedachte nunmehr erst, daß sie ihm nicht hätte widersprechen sollen, um ihn dazu zu bewegen, was sie wünschte. Nicht weniger war sie nunmehr wegen seiner Aufführung bey dem Grafen besorgt.

Der Graf bat ihn mit ungewöhnlicher Herablassung, daß er ihm und seiner Gemahlin die Erziehung seines Sohns überlassen möchte, und stellte ihm, statt der Bewegungsgründe, die große Liebe und Gnade der Gräfin für den Knaben und die wichtigen Vortheile vor, die diesem in Ansehung seines künftigen Glücks daraus zuwachsen würden: er suchte seinen Eigennuz und Ehrgeiz in das Spiel zu ziehen und 52 führte ihm zu Gemüthe, daß er ohne die mindsten Unkosten auf diese Weise einen Sohn erhalten werde, der alle Stadtkinder an Bildung, Wissenschaft und guten Manieren übertreffe. Der alte Herrmann stand unbeweglich da, beide Hände über einander auf den Knopf seines knotichten Stocks gelegt, die eine hinterste Spitze seines großen Hutes zwischen den zwey Vorderfingern der linken Hand. – Nein, sagte er endlich trocken, als ihn der Graf fragte, was er zu thun gesonnen wäre – Nein, daraus wird nichts. Wer den Jungen gemacht hat, wird ihn auch erziehen. Mein Sohn soll kein Schmarotzer bey Grafen und Edelleuten werden. Wenn er so viel lernt, wie ich, daß er sich sein Brod nothdürftig verdienen kann, da hat er genug: nach den übrigen Fratzen soll er mir nicht eine Hand aufheben. –

»Aber ihn an seinem Glücke, an seiner Bildung zu hindern, ist doch sehr unvorsichtig« – wandte ihm der Graf ein.

Bildung hin, Bildung her! fiel ihm Herrmann mit auffahrendem Tone ins Wort. Mit 53 dem Kopfe an die Wand wollt' ich ihn rennen, daß er krepirte, wenn so ein Scheiskerl aus ihm würde, so ein gepuzter grinzender Tellerlecker, der um die Vornehmen herumkriecht und ihnen den Dreck von den Händen küßt. – Pfui! daß dich der Henker holte!

Der Graf. Es ist ja doch besser, daß er nicht so roh bleibt wie sein Vater. –

Herrmann. Roh! das bin ich, das will ich seyn, und wer mich nicht so leiden kann, der mag mich lassen, wo ich bin. Ich habe in meinem Leben keinem vornehmen Narren aufgewartet. Ich habe das meinige auf Schulen und Universitäten gethan, und weit mehr als mancher, der mit sechs Pferden fährt und Wunder denkt, was er für ein großer Götze ist. Weil ich nicht um Sterne und Ordensbänder herumspringen und vornehmen Speichel lecken wollte, wurd' ich freilich nur Einnehmer in einer hochgräflichen Herrschaft: aber ich mache mir einen Quark aus allen den Titeln und den großen Aufschneidereyen. Ich will Vornehmen ehrlich und redlich arbeiten, und sie sollen mich dafür bezahlen; und dann hundert Schritte vom Leibe! So denk' ich, und so soll mein Junge auch denken.

Der Graf. Es ist Schade um das Kind, daß es so einen ungeschliffenen Vater hat.

Herrmann. Seht mir doch! Sie denken wohl gar, daß Sie dem König Salomo aus dem Steiße gefallen sind. Weil ich nicht immer an Ihrem Rockzipfel kaue, wie die andern dummen Jungen, die, wie angepuzte Strohwische, da in Ihrem Vorzimmer herumstehen; weil ich nicht immer bey jedem Worte die Nase zwischen den Beinen stecken habe und mir nicht alle acht Tage mit Reverenzen ein Paar Mastrichter Sohlen entzweyscharre; weil ich nicht immer schmunzle, mich krümme und winde, wie ein Ohrwurm, nicht immer Zeitungen zutrage, nicht immer – mit Respekt zu sagen – jeden Quark lobe und bewundere, der Ihnen aus dem Maule fällt, als wenns die goldnen Sprüche des Pythagoras wären: deswegen bin ich ungeschliffen! Deswegen nehmen Sie auch solche Schafköpfe in ihre Dienste und machen sie zu 55 Ihren Lieblingen, damit sie Ihnen beständig den Kopf grauen, weil sie selber keinen haben. Wenns etwas zu schmeicheln, zu verläumden, zu höhnen oder zu schmarotzen giebt – ah! da sind sie die ersten: aber wenn einmal Holland in Noth ist, da stehn die Schurken alle da und blöcken die Zungen, wie die Löwen um Salomons Thron. Ich bin ein ehrlicher Mann, und weiter will ich nichts seyn. –

Der Graf, der sich durch diese derbe Lektion mehr getroffen fühlte als er wünschte, und doch über einen Mann nicht zürnen konnte, der ihm wegen seiner Dienste unentbehrlich war; auch sich einmal in den Besitz des Rechts gesezt hatte, schlechterdings ohne alle Sitten zu seyn – der Graf, sage ich, spatzierte während jener Rede auf und nieder und räusperte sich unaufhörlich, weil ihm zu viel daran lag, zum Hauptzwecke mit ihm zu kommen. Er antwortete deswegen kein Wort auf alle seine Vorwürfe, unterdrückte seinen Unwillen mit meisterhafter Selbstverläugnung, und kam, als die Beredsamkeit seines Moralisten noch einige Zeit in 56 jenem Tone fortgelaufen war, auf die Hauptsache zurück, warum er ihn hatte rufen lassen. Er bat ihn izt, daß er seinem Sohne nur wenigstens auf einige Wochen den Aufenthalt auf dem Schlosse verstatten sollte, und zwar blos aus Gefälligkeit gegen die Gräfin.

Mit meinem Wissen nicht eine Minute! unterbrach ihn der Einnehmer. Es geschieht nicht, damit ist das Lied am Ende. Ich schämte mich, wenn ich Lust hätte, Kinder zu erziehen, und mir nicht selber eins schaffen könnte. Machen Sies wie ich! so brauchen Sie keins zu borgen. Wenn Sie sonst nichts wollen, so geh' ich.

Das kann Er! sagte der Graf mit empfindlichem Tone; und Herrmann hatte die Thür schon in der Hand, ehe er es herausgesagt hatte.

Warum es sich der Graf so sehr angelegen seyn ließ, den störrischen Mann zu einer Sache zu bewegen, die er im Herzen als eine große Gnade betrachtete, und Andere auch dafür angenommen hätten? – Dazu trieb ihn keine Ursache als die Politesse, seine oberste Gesezgeberin. Aus Menschenliebe hatte er noch in seinem Leben 57 sehr wenig Gutes gethan, aber aus Politesse ungemein viel: jene konnte man ihm ungestraft absprechen, allein wenn er in Ansehung dieser sich nur der mindesten Unterlassungssünde bewußt war, so quälte ihn ein solcher Gedanke so stark und verursachte ihm eine so unruhige Aengstlichkeit, als Mord und Todtschlag einem aufgewachten Gewissen. Selbst aus Liebe zu seiner Gemahlin, die er doch zu gewissen Zeiten recht herzlich zu lieben glaubte, bewegte er nicht Eine Hand; und wenn es zuweilen schien, als ob er die Erfüllung eines ihrer Wünsche mit so lebhaftem Eifer betriebe, um ihr eine Gefälligkeit zu erzeigen, so lag die Schuld fürwahr nicht an ihm, sondern an dem falschen Urtheile der Leute, die bey ihm die nämlichen Bewegungsgründe vermutheten, nach welchen sie vielleicht handelten: nein! sich, sich wollte er eine Gefälligkeit erzeigen: sich wollte er das süße Bewußtseyn verschaffen, daß er abermals einen rühmlichen Beweis seiner Galanterie und Politesse abgelegt habe. Jede solche Handlung war ihm gerade so lieb, als dem Helden ein 58 erfochtener Lorbeer. Deswegen gieng er izt nach dem Abtritte des alten Herrmanns so unmuthig und trostlos im Zimmer herum, als ein Mensch, der in einer verdrießlichen Stellung weder ein noch aus weis; denn er hatte sich vorgenommen, der Gräfin mit dem kleinen Heinrich zu ihrem Geburtstage ein Geschenk zu machen, und der verzweifelte Geburtstag war schon übermorgen. Welch eine Noth! 59

 


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