Johann Karl Wezel
Herrmann und Ulrike / Band 1
Johann Karl Wezel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel.

Jakobs Vater fand, daß sein Sohn seinem Posten etwas schläfrig vorstund: außer der Ohrfeige hatte er Heinrichen nichts als unbedeutende Verweise zugezogen, und zum ofnen Zanke war es gar noch nicht gekommen. Er selbst war der Maschinationen wider seine Kameraden überdrüßig und verlangte nach einer höhern Sphäre zu seinem Wirkungskreise, und in diese Sphäre gehörten Fräulein Hedwig und Schwinger mit ihren beiderseitigen Untergebenen: er hatte keine geringere Absicht, als das sie alle samt und sonders in voller Ungnade aus dem Hause sollten. Der Bewegungsgrund? – Keinen hatte er, als weil er eine Ehre darein sezte, bey dem Grafen Einfluß zu haben, und weil es ihn mehr schmeichelte, durch seinen Einfluß Andern zu schaden als zu nützen: das Schicksal Aller im Hause sollte auf seinem Willen beruhn, wie das Geschick einer Welt auf Jupiters Winke. Er hatte seinem großen Entwurfe gemäß, seine 324 Aufmerksamkeit zuerst auf Fräulein Hedwig gewendet und ihr Verständniß mit dem dicken Amyntas, dem Stallmeister, glücklich ausspionirt: versteht sich daß es der Graf die Minute darauf erfuhr! Nächstdem hatte er auch eine Vertraulichkeit zwischen der Baronesse und Heinrichen ausgekundschaftet – eigentlich zwar nicht ausgekundschaftet, ob ers gleich bey dem Grafen vorgab, sondern nur erdichtet, und paßte ihnen nunmehr auf, um zum Beweise seiner Erdichtung wahrscheinliche Umstände aufzusammeln. – Um endlich auch den armen Schwinger nicht eine müßige Nebenrolle spielen zu lassen, mußte er sich sogar in die Gräfin verliebt haben und also bey dem Schauspiele die lustige Person seyn: kein Abend gieng vorbey, wo er den Grafen nicht mit komischen Auftritten jener verwegnen Liebe unterhielt, die der Graf für baare Wahrheit annahm und belachte.

Jakob wurde auf ausdrückliches Verlangen des Grafen zum Spion bestellt: er schlich den ganzen Tag auf dem Saale vor dem Zimmer der 325 Baronesse, wie ein lichtscheuer Vogel, an den Wänden herum und haschte Fliegen, wenn auch keine da waren, und schielte seitwärts nach allen Vorübergehenden unter den gesträubten Augenwimpern hin. Jedermann scheute ihn, weil er einem Vater gehörte, den Jedermann fürchtete, und man vermuthete gleich, daß er ein Spion sey. Weder die Baronesse, noch Fräulein Hedwig rührten sich einige Tage von der Stelle. Heinrich that zwar oft seinen Spatziergang in den Garten, aber fruchtlos: er durfte nicht einmal nach der geliebten Thüre hinblicken. Die Baronesse wollte den Spion schlechterdings wenigstens auf einige Minuten entfernen, um mit Heinrichen Abrede zur vorgenommenen Rache zu nehmen. Der Junge war äußerst genäschig: sie stahl also ihrer Guvernante, die beständig einen reichen Vorrath an Purganzen und Vomitifen zu eignem Gebrauche hatte, aus der Kommode so viel von beiden, als sie wegnehmen konnte, ohne die Verminderung der Apotheke sehr merklich zu machen. Die Medikamente wurden durch feine Oefnungen in ein Packet gebackne 326 Pflaumen vertheilt, die präparirten Pflaumen in die Tasche gesteckt, und in die Tasche ein grosses Loch geschnitten: sie lief oft über den Saal bald dahin, bald dorthin, und ließ bey jedem Gange eine Straße von verlornen Pflaumen hinter sich, auf welche Jakob, wie eine lauernde Spinne aus ihrem Hinterhalte, hervorschoß und mit der ausgelesenen Beute an die Wand zurückeilte, wo er sie begierig mit Fleisch und Kern verschluckte. Seine Freßbegierde machte die Dosis allmählig so stark, daß er vor den Schmerzen der Wirkung nicht auf seinem Posten bleiben konnte. Er gieng, dem Rufe der Natur zu folgen; und während seiner oft wiederholten Abwesenheit hatte die Baronesse die Dreistigkeit auf die Treppe zu treten und so lange zu husten, bis Heinrich den Ruf verstand und herunterkam. Er mußte sie ins Zimmer begleiten; und nun wurde unter Fräulein Hedwigs Vorsitz ein förmliches Komplot wider den Spion geschmiedet; und die Baronesse schlug dabey, um sich von Zeit zu Zeit Operationsplane unentdeckt mitzutheilen, eine eigene Art von Korrespondenz vor.

327 Es war in dem Hause ein Pfänderspiel Mode, das man die Divination nannte. Eine Person in der Gesellschaft durchstach in einem bedruckten Blatte mit der Stecknadel einzelne Buchstaben, die herausgesucht und zusammengesezt einen Sinn gaben, überreichte das Blatt einer andern, die diesen Sinn heraussuchen mußte. Dieses Spiel brachte sie auf den Einfall, in einem Buche Buchstaben in der Ordnung durchzustechen, daß man sie, wenn das Blatt gegen das Licht gehalten wurde, ohne Beschwerde zu Worten zusammensetzen und lesen konnte. Unter dem Vorwande, als wenn Heinrich ihr und sie Heinrichen Bücher borgte, sollte der Spion selbst ihr Bote seyn und die heimliche Steckenadelschrift überbringen. Fräulein Hedwig sah Heinrichen blos als einen Gehülfen der Rache an, ohne daß sie seine Theilnehmung einer andern Ursache als der Ohrfeige zuschrieb. Nach genommener Verabredung lauerte die Baronesse an der Thür, und bey der ersten Abwesenheit, zu welcher die Pflaumen die Schildwache nöthigten – husch! war Heinrich die Treppe hinauf.

328 Die Korrespondenz nahm ihren Anfang: allein statt sich Entwürfe zur Rache mitzutheilen, ließ mans einige Zeit bey einem verliebten Briefwechsel bewenden. Die beiden Korrespondenten sagten sich in ihrer natürlichen unschuldigen Sprache Zärtlichkeiten, angenehme Erwartungen künftiger Glückseligkeit, leere Tröstungen mit der Flucht – kurz, alles, womit sich ein Paar Verliebte beunruhigen und aufrichten können. Jakob war so gierig nach den Büchern, die man ihm zu überbringen gab, als nach den Pflaumen, und fragte oft bey beiden Theilen an, ob nichts zu bestellen sey: sein Vater hatte ihm ausdrücklichen Befehl dazu gegeben, weil er sich jedesmal vor der Ueberbringung das Buch zur Durchsicht zeigen ließ, und so einmal einen handschriftlichen Beweis seiner Erdichtung darinne zu erwischen hofte, wenns auch nur ein gleichgültiges Zettelchen wäre, das man dem argwöhnisch gemachten Grafen durch eine geschickte Auslegung als sehr strafbar vorstellen könne. Er blätterte und suchte in den Büchern und fand niemals etwas.

329 Die Beschwerden, die Jakob nebenher allen im Schlosse verursachte, wurden immer drückender. Aus unseliger Gefälligkeit gegen ihren Gemahl hatte sich sogar die Gräfin auf die Seite des Buben geschlagen: überhaupt handelten, liebten und haßten diese beiden Leute beständig wider ihre eigne Ueberzeugung: ein jedes quälte sich mit Neigungen und Abneigungen, um dem andern zu gefallen, und die Gräfin wurde an den struppköpfichten Jakob zum wahren Märtyrer der Politesse. Er war ihr bis zum Ekel widrig, wie sein Vater, verhaßt, und doch lobte sie das Ungeheuer in des Grafen Gegenwart, tändelte mit ihm, beschenkte ihn und erwies ihm tausend Gütigkeiten, behandelte ihn sogar als ihren Liebling und sagte dem Vater Schmeicheleyen über die Annehmlichkeiten seines Sohns: sie gieng in dieser traurigen Gefälligkeit bis zur Ungerechtigkeit gegen diejenigen, die dem Jungen misfielen: man kann leicht rathen, wer dies seyn mag. Sie gieng aus wahrer Abneigung gegen Heinrichen, den ihr seine Feinde die Zeit her in so nachtheiligem 330 Lichte vorgestellt hatten und in völligem Ernste damit um, ihn aus dem Hause wegzuschaffen; und nur eine Art von weiblichem Mitleiden zwang sie auf Mittel zu denken, wie sie ihn mit den wenigsten Unkosten zu seinem Fortkommen außer ihrem Hause behülflich seyn könne. Der Graf hatte ihn unmittelbar nach der Ohrfeige fortjagen wollen, wie ers nannte, allein sein Maulesel verbot es ihm: dem Niederträchtigen war es nicht genug, daß er mit einem so kleinen Zorne wegkommen sollte, und verzögerte durch verstellte Vorbitten bey dem Grafen seine Verabschiedung bis zu einem Zeitpunkte, wo sie mit größerm Aufsehn geschehn konnte.

An Neckereien ließ es sein Jakob nicht fehlen, diesen Zeitpunkt zu beschleunigen. Die Baronesse hatte einen kleinen Fleck im Garten für ihr Taschengeld mit Begünstigung des Onkels bearbeiten lassen, worinne sie einige ihrer verliebten arkadischen Ideen ausführte. Es war eine Laube darinne, kleine Rasenplätze, die Triften vorstellten, worauf sie ein kleines wollenreiches 331 Schäfchen mit einem rothen Halsbande zuweilen selbst weidete, Kirschbäume mit eingeschnittenen Namen, die Niemand entziffern konnte als sie, Blumenbeete mit Thymian und Lavendel eingefaßt, von welchen sie Kränze band, um ihre Laube damit zu zieren, auch ein Bach, der bey starkem Regenwetter Wasser, und beständig Mücken und Frösche in Menge hatte: sie versicherte in der Folge oft selbst, daß sie in dieser mit Kränzen behangnen Laube, ihr weidendes Schäfchen vor sich, wahre Empfindungen arkadischer Glückseligkeit genossen und in ihrer Einbildung eine Welt um sich geschaffen habe, in welcher sie Zeitlebens träumen möchte. An einem Morgen, als sie dieser fantastischen Glückseligkeit zueilte, fand sie alle ihre Kirschbäume zerschnitten, zerknickt, zum Theil umgerissen, ihre Blumen abgeschnitten, die Einfassungen ausgewurzelt, ihre Laube beschädigt: ihre erträumte Welt war dahin und mit ihr ihre Glückseligkeit: traurig sah sie auf die Ruinen ihres Glücks herab, weinte und beschwerte sich bey dem Onkel. Sie gab es dem 332 heimtückischen Jakob schuld; und da der Pursche sich meisterlich auf das Läugnen verstund, so endigte sich die Klage mit einem doppelten Verweise für die Baronesse, daß sie einen Unschuldigen angeklagt habe, und daß sie in ihrem Alter die Unanständigkeit begehe, über solche Kindereyen zu weinen.

Jakob bekam Lust zu ihrem Schäfchen, das sie seitdem mit stiller Wehmuth zuweilen in dem verwüsteten Arkadien geweidet hatte: ohne Anstand mußte es ihm abgetreten werden und der Garten dazu, mit dem Bedeuten, daß sich eine sechzehnjährige Baronesse mit ernsthaftern Vergnügungen, als mit solchen Kinderpossen, die Zeit vertreiben müsse. – »Stricke, sprich, nimm die Karten in die Hand! das ist anständiger für dich« – belehrte sie der Graf.

Die Baronesse unterhielt sich aus natürlicher Freude an dem niedrigen Leben mit den geringsten Mädchen, und nicht selten gieng sie, wenn die Hinterthür des Gartens offen war, auf der großen Wiese, in einem Zirkel von Bettelkindern, spatzieren, unter welche sie ihr Taschengeld 333 austheilte: nicht selten gesellte sie sich zu den Mägden und Fröhnern, wenn sie Heu machten, sezte sich unter sie, kaufte ihnen ein Stück ihres groben Vesperbrods ab, und aß mit ihnen, so vergnügt und heiter über ihren dörfischen Scherz als wenn sie dazu geboren wäre. Jakob belauerte sie, zeigte es an, und auch dieses Vergnügen wurde ihr bey der schärfsten Strafe und in den schärfsten Ausdrücken untersagt.

Heinrichen konnte er im Grunde weniger anhaben, weil man sich um diesen weniger bekümmerte: er suchte ihn also auf seines Vaters Eingebung mit Schwingern zu entzweyen. Er goß ihm Dinte auf die Bücher oder auf die Wäsche, und betheuerte alsdann mit Schwüren, daß ers Heinrichen habe thun sehen. Er wollte Herr des Zimmers seyn, despotisch befehlen, wo dieses, wo jenes stehn sollte, daß oft selbst der gutmüthige Schwinger die Geduld verlor und seine Hand mit Gewalt zurückhalten mußte. – Heinrich hingegen war aller Zurückhaltung überdrüßig: er widersezte sich ihm izt muthig und that gerade von allem das Gegentheil, was er wollte: die Aussicht auf die nahe Flucht, wozu man nunmehr durch die geheime Korrespondenz den Tag angesezt hatte, gab ihm unüberwindliche Herzhaftigkeit.

Vorher aber beschloß er Rache über ihn, die er für sich ohne Zuthun der Baronesse ausführen wollte. Der Junge war so neugierig als genäschig: ein hellfarbiger Lappen, ein funkelnder Stein konnte ihn wer weis wie weit locken. Heinrich hieng also an einem Baum jenseit eines schlammichten, tiefen Grabens etliche bunte flatternde Bänder auf, überbaute einen schmalen Fleck des Grabens mit einigen dünnen Stecken, schüttete Erde darauf und bedeckte sie künstlich mit Laub und Gras, daß man die Falle nicht vermuthete. Jakob wurde durch eine Straße von gestreuten Kirschen, die wie verloren da lagen, zu dem Orte gelockt: kaum erblickte er die wehenden rothen Bänder von weiten als er nach ihnen hineilte: er hofte eine Entdeckung zu machen, die er oder sein Vater zu Jemands Unglücke brauchen könnte, hielt in der Uebereilung Heinrichs gebaute Brücke für festen 335 Boden, galopirte auf sie hin, den Blick stier auf die rothen Bänder gerichtet – pump! brach der betrügerische Steg ein, und Jakob lag bis an die Schultern im Schlamme: die Ufer des Grabens waren tief und für ihn unersteiglich, so sehr er arbeitete herauszukommen: er schrie, doch Niemand hörte ihn.

Sein Vater, der Graf und auch endlich die Gräfin waren in der äußersten Verlegenheit, daß der werthe Jakob sich verloren hatte: man suchte ihn mit Laternen und Fackeln, und kam in den abgelegnen Theil des Gartens nicht, wo er im Schlamme seufzte: er mußte die Nacht unmaßgeblich mit dem feuchten Bette vorlieb nehmen. Die Nachsuchung wurde den andern Tag wiederholt: der Gärtnerpursche hörte wohl, als er in die Nachbarschaft des Grabens zufälliger Weise kam, etwas pipen, das einer Menschenstimme ähnlich klang: allein da es sich nicht in artikulirten Tönen näher erklärte, so gieng er seinen Weg und ließ es pipen. Zufälliger Weise kömmt er nach Tische in die Küche, erzählt sein pipendes Abentheuer und ist beinahe der Meinung, daß die kleine Comtesse Frizchen, die vor dreyßig oder mehr Jahren, als der Graben noch Wasser hatte, nach der Sage des Städtchens darinne ertrunken war, dies Klagelied angestimmt habe. Die Vermuthung war nicht übel ausgedacht: denn alle Gärtnerpurschen vor ihm hatten dergleichen Jammertöne von dem ertrunknen Frizchen gehört, und durch ununterbrochene Tradition waren alle Gärtnerpurschen in den Besitz eines unauslöschlichen Rechts gerathen, allein mit Ausschließung aller andern Erdenbewohner das ertrunkne Frizchen jammern zu hören. Der Pursche stand im Kredit eines großen Verstandes und fand bald unter den Domestiken starken Anhang: alle erklärten seine Erklärungsart für die einzige orthodoxe Meinung, nur der Koch, ein Heiducke und ein Jäger, drey rohe Kerle, die weder Himmel noch Hölle glaubten, waren Antifritzianer: der andre Jäger war anfangs ein Zweifler, erklärte sich aber, als Noth an den Mann gieng, für die orthodoxe Partey. Die Fritzianer konnten es nicht ertragen, daß sie ihre Gegner mit ihrem 337 einfältigen Glauben aufzogen und laut belachten: diese beriefen sich alle drey in Einem Tutti auf die Unmöglichkeit der Sache; und jene sezten ihnen entgegen, daß es aber geschehen sey, und geschehne Dinge könne man doch nicht verwerfen.

»Es ist nicht geschehen,« sagten die Antifritzianer.

»Es ist aber geschehen!« riefen die Fritzianer. »Moritz, hast dus nicht gehört?« –

Wo war Moritz? Der kluge Sektenstifter, als er den Streit zu lebhaft werden sah, schlich sich heimlich aus der Küche fort. Da also der Zeuge fehlte, schränkte man sich blos auf eine Disputation über die Möglichkeit der Sache ein. Die Fritzianer bewiesen aus der Geschichte alter Gespensterbegebenheiten die Wirklichkeit eines solchen Vorfalls: die Antifritzianer läugneten Faktum und Schlußfolge, und verlachten alle Gespensterhistorien als alte Weibermährchen.

»Ja,« sagte der Tafeldecker, ein heimlicher Antifritzianer, »Moritz kan sich wohl geirrt haben: 338 vielleicht ist es ein ungeschmiertes Schubkarrenrad gewesen« –

»Oder eine Eule,« schrie der Jäger, der Antifritzianer. –

»Oder eine Maus,« rief der Heiducke –

»Oder ein kranker Hammel,« sprach der Koch –

»Oder ein Schwein,« unterbrach ihn der Heiducke –

»Oder ein Esel,« rief der Jäger –

»Oder ein Ochse,« schrie der Koch.

»Ihr werdet doch die drey Kerle nicht Recht behalten lassen,« zischelte der andre Heiducke, ein eifriger Fritzianer, einigen von seiner Partey zu: wie ein Lauffeuer verbreitete sich seine Anreizung von einem zum andern, und in wenig Sekunden war der ganze Haufen entschlossen, Recht zu behalten.

»Gebt euch nicht mehr mit solchen Halunken ab!« sagte der nämliche Heiducke laut zu seiner Partey, um den eingeschlafnen Streit wieder anzufachen. »Die Kerle glauben nicht, daß eine Sonne am Himmel ist, wenn sie ihnen gleich den Kopf verbrennt.«

339 Ihr habt wohl Ursache zu schimpfen! erwiederte der Jäger von der Gegenpartey, ein feiner Spötter. Ihr Schöpse glaubt jeden Quark frisch weg, wie er auf die Erde fällt.

Und ihr lebt, wie die Säue, in den Tag hinein und glaubt gar nichts, riefen die Fritzianer alle.

Weil ihr Hornvieh, tumme Esel seyd, rief der Koch pathetisch, deswegen glaubt ihr alles. Ihr seyd ja, straf mich Gott! so ochseneselgänserindviehtumm, wie die Gänse: die nehmen auch alles an, was man ihnen in den Hals stopft.

Warte! ich will dich taufen, daß du einmal ein Christe wirst! sagte der Heiducke von der Gegenpartey, ein schlimmer Spötter, und goß ihm ein ganzes Gefäß voll Wasser über den Kopf, das ihm die Küchenmagd, voll Aerger über des Kochs Unglauben, von hintenzu heimlich reichte.

Macht die Thür zu! rief der ergrimmte triefende Koch zu seiner Partey, und im Augenblicke schlug sie der antifritzianische Jäger zu. – So wollen wir dann, fuhr der wütende 340 Küchenmonarch fort, die verfluchten Kerle sengen und brennen, bis sie nicht mehr glauben; – und sogleich schleuderte er einen großen Feuerbrand vom Heerde unter die zitternden Fritzianer hin: seine Gesellen folgten dem Beispiele, und alle drey Antifritzianer rückten, flammende Feuerbrände in den Händen, wider die Gegner an. Unter den bedrängten Fritzianern, die zwischen den Feuerbränden und der verschloßnen Thür im eigentlichsten Verstand in ecclesia pressa sich befanden, schlug sich einer die sengenden Funken vom Kleide, ein andrer löschte das rauchende Topé, ein dritter drückte sich den wundgeschundnen Arm, und ein Theil floh hinter den Heerd, um den Antifritzianern in den Rücken zu fallen. Es geschah wirklich. Dem Koche, der à la françoise alle seine Verrichtungen, den Hut auf dem Kopfe, that, fiel plözlich der Filz vom Haupte in seinen Feuerbrand, und er fühlte eine gewaltige Hitze im Nacken: der fritzianische Heiducke, der ihn vorher ersäufen wollte, hatte ihm den zierlichen crapaud, der seine Haare verschloß, in Brand gesteckt. Er mußte hurtig 341 löschen, seine Gesellen eilten ihn zu rächen: unterdessen sprengte die Gegenparthey die Thür auf und entfloh: die übrigen machten sich die Unordnung des brennenden Kochs zu Nutze und entwischten gleichfalls.

Als sie sich von ihrer Flucht auf dem Hofe versammelt hatten, faßten sie insgesammt den Entschluß, nunmehr, da sie sich genug um die Wahrheit gezankt hatten, die Wahrheit zu untersuchen. Sie näherten sich in corpore dem Graben, horchten; es jammerte: – »Ich lasse mich fressen, wenn das nicht eine Menschenstimme ist,« schrien sie alle. »Das muß der Koch hören!« – Sogleich wurde eine Gesandschaft an ihn abgeschickt, die ihn nach langen Weigerungen herbeybrachte. Er horchte, stuzte – »Ja, es ist eine Menschenstimme,« sagte er. – »Siehst du, du ungläubiger Höllenbrand,« rief der ganze Haufe auf ihn los, »daß es Comtesse Frizchen ist?« –

»Und wenns der leibhafte Teufel wäre,« brach der zornige Koch wütend aus, »so zieh' ich ihn bey den Hörnern heraus;« – und so 342 marschirte er auf den Graben los. Alle hielten ihn zitternd zurück und baten, die Comtesse nicht mehr in ihrer Ruhe zu stören – »Laßt mich!« rief er, wand sich los und zog das große Küchenmesser von der Seite – »laßt mich! oder ich mach Euch alle zu Gespenstern.« – Man fürchtete die Drohung eines so grimmigen Mannes und ließ ihn: er sah in den Graben hinunter – die Klagestimme wurde immer lauter – er sah ein menschliches Gesicht über den Schlamm herausragen – erkannte es: – »Es ist der verfluchte Jakob,« rief er. »Warte, du Schandbube! die Kehle will ich dir abschneiden, daß du uns so zum Narren gehabt hast.« – Er ließ eine Leiter holen, stieg hinunter und zog den versunknen Jakob mit etwas sehr unsanfter Manier aus dem Schlamme heraus. Wie ein schwarzer Geist, mit Schlamme von oben bis unten überzogen, lag er triefend am Rande da, und mußte sich noch oben drein von dem ganzen Haufen ausschelten lassen, daß er so großen Zwiespalt unter ihnen erregt hatte.

Der Herr Vater hatte die Gewohnheit, wenn 343 zwey oder drey Personen beysammen stunden, giengen und sprachen, sogleich sich bey ihnen einzufinden, um etwas von ihrem Gespräche aufzuschnappen: kein Wunder also, daß er hinter dem ansehnlichen Truppe des ganzen Hofgesindes, wie ein Wolf hinter der Schaafsheerde, augenblicklich nachfolgte! Der Koch überlieferte ihm seinen Sohn mit dem Küchenwitze, daß er ihm hier einen Schweinsbraten mit Kirschsauce zustellen wolle. Der Vater, zu beschäftigt mit dem Unglücke seines geliebten Erben, verschluckte den satirischen Einfall und wanderte unter Begleitung der sämtlichen Domestiken ins Haus, um ihn säubern zu lassen. Alles lief an die Fenster, als sich der Zug durch die Allee näherte: Heinrich und die Baronesse waren nicht die lezten darunter, und mit der innigsten Herzensfreude sahn sie den pechschwarzen Jakob an der Hand des Vaters traurig daherwandeln, während daß der begleitende Trupp sich mit muthwilligen Liedern über sein Unglück belustigte. Auf dem ganzen Schlosse war dieser Tag ein Freudenfest.

344 Das Schlimmste war nur, daß dies Freudenfest ernsthafte Folgen nach sich zog. Der erboßte Jakob und sein Vater wußten nicht, an wem sie sich für sein Unglück rächen sollten, und hielten sich, um nicht ganz ungerochen zu bleiben, an die Personen, die bey dem Schauspiele nicht geschäftig genug gewesen waren: der Gärtnerpursche erhielt seinen Abschied, daß er dem wimmernden Jakob nicht nachgespürt, sondern sogleich, als er das Klaggeschrey gehört, wieder weggegangen war, ohne ihm herauszuhelfen. Der Koch wurde für den beißenden Küchenwitz, den er sich nach der Errettung des Buben entwischen ließ, insofern suspendirt, daß er vier Wochen nicht mehr die Schokolate des Morgens für den Grafen machen durfte, welches er bisher am besten gekonnt hatte: allein da der Graf sich bey dieser Suspension am schlimmsten befand, weil ihn seine Schokolate niemals schmeckte, so wurde sie wieder aufgehoben und in die Ungnade verwandelt, daß er alle Essen tadelte, wenn sie auch seinem Gaume noch so wohl behagten. 345

 


 << zurück weiter >>