Johann Karl Wezel
Herrmann und Ulrike / Band 1
Johann Karl Wezel

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Erstes Kapitel.

Im Jahre nach Erschaffung der Welt, als die Damen kurze Absätze und niedrige Topés, die Herren große Hüte und kleine Haarbeutel, und Niemand leicht Gold auf dem Kleide trug, der nicht wenigstens Silber genug in der Tasche hatte, um es bezahlen zu können, wurde auf dem Schlosse des Grafen von Ohlau ein Knabe erzogen, der bey dem Publikum des dazu gehörigen Städtchens nicht weniger Aufmerksamkeit erregte und in den langen Winterabenden nicht weniger Stoff zur Unterhaltung gab, als Alexander, ehe er auf Abentheuer wider die Perser ausgieng. Graf und Gräfin, deren Liebling er einige Zeit war, nennten ihn Henri, seine Eltern Heinrich, und das ganze Städtchen den kleinen Herrmann, nach dem Geschlechtsnamen seines vorgeblichen Vaters – 4 seines vorgeblichen, sage ich; denn so sehr die körperliche Aehnlichkeit mit ihm es wahrscheinlich machte, daß er sein wahres ächtes Produkt seyn möchte, und so wenig auch der erfahrenste Physiognomist auf den Einfall gekommen wäre, eine andere wirkende Ursache zu vermuthen, so hatte doch Jedermann die Unverschämtheit, troz jenes wichtigen Grundes, ihn seinem Vater völlig abzuläugnen, und zwar aus der sonderbaren Ursache – weil der Sohn ein feiner, witziger, lebhafter Knabe wäre und gerade so viel Verstand, als sein Vater Tummheit, besäße.

Freilich war wohl diese Ursache etwas unzureichend, einem armen Sterblichen seine ehrliche Geburt abzusprechen: auch gab der alte Herrmann nichts weniger zu als daß er tumm sey, und bewies sehr häufig durch die That, daß er sich hierinne nicht irrte: gleichwohl hätten sich die Leute eher bereden lassen, nicht mehr an den Kobold zu glauben, als den jungen Herrmann für den rechtmäßigen Sohn des alten Herrmanns zu erkennen. Indessen, so genau alles, Alt und Jung, in dieser Behauptung 5 übereinstimmte, so verschieden wurden die Meinungen, wenn es darauf ankam, die Entstehung des Knabens zu erklären; und wenn man alles, was darüber gedacht und gesagt worden ist, sorgfältig aufbewahrt hätte, so würde eine solche Samlung ungleich mehr Drucker und Setzer ernähren, als alle Träumereyen der Philosophen. Einige, die des Sonntags zweymal in die Kirche giengen und darum billiger dachten als andre, die wöchentlich nur Eine Predigt hörten, nahmen doch seinem Vater nicht die ganze Ehre des Antheils an der Erzeugung seines Sohns, sondern gestunden mit einem weisen Achselzucken, daß ihm vielleicht die eine Hälfte angehören könnte: allein es wird vermuthlich weltkundig seyn, daß ein gelehrter Akademist die Unmöglichkeit einer solchen Entstehung sonnenklar dargethan hat, und die Anhänger jener Meinung werden mir daher vergeben, daß ich diesem Manne, der den Homer, Virgil und die sämtlichen Erzväter des alten Testaments auf seine Seite zu bringen weis, eher Glauben beymesse, als ihnen – 6 Leuten, die nie ein griechisches Wort gesehn haben.

Der Herr Major im lezten Kriege mag ihn wohl zurückgelassen haben, sagten andere Leute, die sich etwas besser auf Wahrscheinlichkeit und Unwahrscheinlichkeit verstunden.

Er ist ein Sohn von dem Herrn Grafen, zischelte sich Jedermann ins Ohr, der auf die Gunst neidisch war, die die Herrmannische Familie von dem Grafen genoß; und dieses war das ganze Städtchen. – Tausend ähnliche besser und schlechter gegründete Vermuthungen erzählte man sich als Wahrheiten, vertraute man sich mit geheimnißreicher Miene. Wenn in den kühlen Abendstunden des Sommers zwo Nachbarinnen vor der Thür beysammensaßen, wenn sich zwo Freundinnen am Brunnen trafen, bey dem Spinnrocken oder der Kaffeetasse plauderten, war zuverlässig der kleine Herrmann ihr Gespräch. Wer aber unter allen am sichersten der Wahrheit zu viel weder zur Rechten noch zur Linken gehen wollte, der versicherte schlechtweg – der kleine Herrmann ist ein Hurkind.

7 Natürlicher Weise muß mir unendlich viel daran liegen, daß diese Meinung nicht unter meinen Lesern Glauben gewinnt, da der Kunstgriff, den Helden seiner Geschichte aus einer Galanterie entstehen zu lassen, seit des alten Homers Zeiten schon so abgenuzt ist, daß sich ein honneter Dichter schämen muß, etwas mit Hurkindern zu thun zu haben. Es ist eine auf Urkunden gegründete Wahrheit, daß der alte Herrmann den Dienstag nach Misericordias unter priesterlicher Einsegnung das Recht empfieng, einen Sohn zu zeugen, und daß seine innig geliebteste Frau Ehegattin ihn den vierten Advent des nämlichen Jahres gegen Sonnenuntergang mit einem wohlgestalten Knäblein erfreute, welches zugestoßner Schwachheit halber in derselben Nacht die Nothtaufe empfieng; und dieses war der Herrmann, dessen Geschichte ich erzähle. Wer nach einem so einleuchtenden Beweise noch eine Minute zweifelt, muß entweder mich oder meinen Herrmann hassen. 8

 


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