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Die Wallfahrterin.

Es war ein Vater und eine Mutter; die hatten zwei Töchter. Die ältere wollte ihr Erdenglück erpilgern, und zog beständig auf Wallfahrten umher. Die jüngere Tochter dagegen bat den lieben Gott, er möchte ihren Eltern Gesundheit verleihen, damit sie lange lebten, und sie dieselben ernähren könnte. Sie begehrte kein Glück auf Erden, sondern bat Gott nur, daß sie Arbeit hätte. Sie nähte und wusch Kleider, und ging jeden Tag in die Kirche.

Als sie so zur Kirche ging, ward eine schöne Jungfrau aus ihr. In der Kirche sah sie sich nicht um, sondern hatte die Blicke nur auf den Altar gerichtet und betete. Ein junger Graf pflegte auch in die Kirche zu gehen. Er sah, daß sie fromm, schön und reinlich sei, obwohl sie nur schlechte Kleider hatte, und daß sie ihre alten Eltern am Arme führe. Darüber empfand er große Freude, und gab Acht, wo sie wohne. Sie gefiel ihm so sehr, daß er die Absicht hatte, wenn ihre Eltern, die sie bediente, stürben, sie zu seiner Gemahlin zu nehmen. Er ging in ihre Wohnung, um zu erfahren, wie es dort aussehe. Es war eine kleine Stube, aber Alles war sauber und rein. Er entschloß sich, sogleich um die Jungfrau anzuhalten, und sagte dem alten Vater und der Mutter, sie möchten sie ihm zum Weibe geben. Sie erwiederten: »Wie können wir sie Euch geben, da sie uns ernährt? Wir sind Beide schon alt und können uns nicht selbst ernähren.« Der Graf sprach: »Wenn Ihr mir sie gebt, so will ich Euch ernähren. Ihr sollt bei mir sein!« – Sie antworteten, sie hätten keine Mitgift für ihr Kind. Er sagte ihnen, er verlange keine Mitgift, sondern nur die treffliche Tochter. Sie versprachen sie ihm, und bald war das Aufgebot, dann die Hochzeit und der Graf lud alle seine Freunde, und ehrte die Eltern seiner Braut so, als ob sie vornehme Personen gewesen wären.

An dem Tage, wo das Hochzeitsmahl stattfand, kam die ältere Schwester von der Wallfahrt. Sie trat in die elterliche Wohnung, allein sie fand dort Niemand mehr. Sie fragte bei den Nachbarn, wo Alle wären. Die antworteten, einem jungen Grafen habe die Schwester gefallen, weil sie so reinlich und fromm gewesen; er habe sie geheirathet und auch die Eltern zu sich genommen. Sie beneidete die Schwester, und sagte, daß sie nicht fromm gewesen, da sie keine einzige Wallfahrt vollbracht habe. Die Nachbarn erwiederten, daß sie ja nicht einen Tag in der Woche ausgelassen, ohne zur Kirche zu gehen; Wallfahrten habe sie nicht mitmachen können, da sie sich um ihre Eltern habe kümmern und sie ernähren müssen; deshalb und um ihres Gebetes willen habe ihr Gott solch Glück beschert. Allein die ältere Schwester wäre beinahe vor Galle geborsten, und fragte, wie lange schon alle aus der Wohnung fort wären. Sie sagten ihr: »Es wird ein Monat sein.« – Sie wehklagte: »O Schade, daß ich nicht um einige Tage früher gekommen! Jetzt mag ich mich nicht unter die Gäste drängen.« – Die Nachbarn versetzten: »Warum wolltest Du nicht bei dem Feste sein? Der Graf fragte, ob seine Braut eine Schwester habe, und es ward ihm berichtet, sie habe eine, doch liebe sie auf Wallfahrten umherzuziehen. So geh' hin! Deine Freunde werden Dich erkennen, und Du kannst dem Feste gleichfalls beiwohnen!« – Allein sie entgegnete, sie werde nicht hingehen. Wieviel sie auch gewallfahrtet und gefastet, Almosen ausgetheilt und Ungemach ausgestanden: Gott gebe ihr nichts dafür! Sie wolle noch auf eine Wallfahrt gehen, und wenn ihr Gott nichts dafür verleihe, so wolle sie sich den Tod anthun. Der Schwester habe Gott ein solches Glück, einen solchen Gemahl verliehen, und ihr sei noch nichts zu Theil geworden, und sie wallfahrte schon sechs Jahre. Sie ging wieder auf die Wallfahrt, zur Hochzeit ging sie vor lauter Leidwesen nicht.

Als sie des Nachts wallfahrtete, kam ein Bote zu ihr, eine weiße Gestalt wie ein Engel, und sprach: »Wie Du doch gegen Dein eigen Glück murrst! Du bist so beglückt durch Gott! Wenn Dir Gott auf der Welt nicht giebt, was Du begehrst, so hast Du dafür bei Gott im Himmel ein Plätzchen, so groß als ein Hirsekorn.« – Da vergaß sie sich so sehr, daß sie sagte, wenn ihr Plätzchen nicht größer sei: wie sie da Raum finden werde! Der Engel verschwand, und sie wußte wohl, daß es ein Bote Gottes gewesen; doch blieb sie traurig, daß sie für all ihr Leiden nur so wenig erhalten. Sie ging, in einer Herberge zu übernachten, wo sie auf der Wallfahrt immer einzukehren pflegte. Als sie eintrat, bat sie nur um ein Nachtlager, sprach aber mit Niemandem ein Wort. Der Wirth fragte sie, warum sie so traurig sei, da sie sonst so frohen Muthes gewesen. Sie antwortete nicht. Er fragte sie abermals, was ihr sei. Habe sie Hunger oder drücke sie Noth, so wolle er ihr helfen, und ihr geben, was sie verlange, Speise, Trank und Geld; sie sei ja bekannt, und bei ihm so gut als zu Hause. Sie entgegnete, sie sei darum traurig, weil sie, so viel sie gewallfahrtet, doch nicht erlangt habe, um was sie Gott gebeten, und weil ein Bote Gottes zu ihr gekommen und ihr gesagt, sie habe bei Gott im Himmel ein Plätzchen, das so groß als ein Hirsekorn sei. Für all ihr Leiden solle sie nur so wenig erhalten, und darum sei sie so traurig. Der Wirth setzte sich sogleich zu ihr, und stellte ihr freundlich vor, er getraue sich auf dem Plätzchen Raum zu finden sammt den Seinigen, so viel ihrer seien, und sie murre gegen Gott, daß es für sie allein zu klein sei. Sie erwiederte, er möge nicht weiter davon reden; es sei ihr keine Freude. »Nun denn, Jungferchen,« sprach der Wirth zu ihr, »tauschen wir! Gebt mir das Eure, ich geb' Euch das Meine.« – Sie versetzte: »Herr Wirth, habt mich nicht zum Besten!« – Der Wirth sagte: »Nicht doch, es ist mein Ernst! Ich geb' Euch Alles; ich bedinge mir blos ein Stübchen für mich und die Meinen!« – Sie glaubte noch nicht, und warf ihm vor, er scherze, er rede nicht im Ernst; doch er versicherte, er wolle ihr wirklich Alles geben, und rief sogleich den Schreiber, und der Vertrag wurde gehörig aufgesetzt. Er gab ihr sein Haus und Alles, was er besaß, und sie gab ihm das Plätzchen, das sie bei Gott im Himmel hatte. So wurde denn die Sache niedergeschrieben und eine Urkunde ausgestellt, und die Wallfahrterin war sogleich guter Dinge, da sie irdisches Glück erlangt hatte, das sie von Gott begehrt. Allein der Wirth war klug; er wußte, daß er in der andern Welt unglücklich werden würde, seiner großen Sünden wegen, und hatte keine Hoffnung, daß ihn Gott in den Himmel aufnehme für sein vergangenes unredliches Leben. Da er sah, die Wallfahrterin begehre irdisches Glück, war er froh, daß sie gegen sein Haus das hirsekorngroße Plätzchen bei Gott vertauschte. Er zog sammt den Seinigen zur Buße in eine kleine Stube.

Der Jungfrau strömte in der Herberge das Glück zu; sie wußte zuletzt gar nicht, wie viel sie besitze. Der Wirth lebte drei Jahre in dem Stübchen sammt zehn Kindern und seinem Weibe. Nach drei Jahren starben sie selig. Als sie gestorben, fanden sie Alle Raum auf dem Plätzchen in dem Himmel; es blieb noch Raum übrig. Und es kam der Wirth im Schlaf zu der Jungfrau, und dankte ihr, daß sie ihm das Plätzchen bei Gott gegeben; er würde schon in der Hölle sein, jetzt sei er im Himmel sammt Weib und Kindern, und sei höchst glücklich dort. Dies sprach er und verschwand.

Sie nahm sich's zu Herzen, und war fortwährend betrübt, daß sie so gehandelt, sie werde nun, anstatt seiner, in die Hölle kommen. Darüber wurde sie krank, schwer krank, bis sie vor Nachsinnen starb Als sie gestorben war, bereitete man ihr ein schönes Begräbniß; allein die Erde wollte sie nicht aufnehmen. Die Leute wunderten sich, warum sie gleich einer großen Sünderin sei, da sie doch so viele Jahre auf Wallfahrten umhergezogen und so fromm gewesen. Als man sie wieder der Erde gab, und über ihr betete, rief sie, sie habe irdisches Glück von Gott verlangt, und Gott hab' es ihr verliehen, da sie es für Nichts geachtet, daß ihr Gott für ihre Wallfahrten und Leiden des Himmels Glückseligkeit zugedacht; sie habe die Hölle verdient und der Wirth sei an ihrer Stelle in den Himmel gekommen; sie hab' erhalten, was sie begehrt. Da warf man Erdschollen auf ihren Sarg, daß es laut dröhnte, und das Grab nahm sie endlich auf, und sie ward still.


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