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Die vier Brüder.

Es war ein Jäger, der vier Söhne hatte. Die wollten in die Welt. Der Vater gab ihnen den Zehrpfennig, und ließ sie ziehen. Im Walde war ein Kreuzweg, und in der Mitte des Kreuzweges ein Buchenbaum. Bei diesem Buchenbaum blieben die Brüder stehen, und der älteste sprach zu den übrigen: »Brüder, hier wollen wir scheiden, und Jeder einen andern Weg gehen, um unser Glück in der Welt zu versuchen. In diesen Buchenbaum wollen wir unsere Messer stoßen, und in einem Jahre alle vier wieder hier zusammenkommen. Die Messer sollen uns zum Zeichen dienen. Wessen Messer rostig sein wird, der ist dann gestorben; wessen Messer jedoch rein sein wird, der ist noch am Leben.« Sie thaten so, schieden und Jeder zog seines Weges. Sie lernten Jeder ein anderes Geschäft. Der Aelteste ward ein Flicker, der Zweite ein Hadersammler, der Dritte ein Sterngucker, der Vierte ein Jäger, wie sein Vater. Das Jahr verfloß endlich, und sie machten sich auf den Heimweg. Der Aelteste kam zuerst zum Buchenbaum, zog sein Messer heraus, und besah die übrigen. Als er sah, daß sie rein seien, war er froh, und rief: »Gott sei gelobt, wir alle leben und sind gesund!« Er ging nach Hause. Der Vater fragte ihn: »Was hast Du denn für ein Geschäft gelernt?« – Er antwortete: »Ich bin ein Flicker.« – »Da hast Du was Sauberes gelernt!« sagte der Vater. – »O Vater,« entgegnete der Sohn, »ich bin kein gewöhnlicher Flicker, sondern wenn es wo was zu flicken giebt, so sag' ich nur: Es sei ganz – und gleich ist's gut.« Des andern Tags kam der Zweite zum Buchenbaum. Er zog sein Messer heraus, und besah die übrigen; das eine fand er nicht mehr. Als er sah, daß sie rein seien, war er froh und rief: »Gott sei gelobt, wir alle leben und sind gesund! Der älteste Bruder ist schon daheim.« Er ging nach Hause. Der Vater fragte ihn: »Was hast denn Du gelernt?« – Er antwortete: »Ich bin ein Hadersammler.« – »Da hast Du was Sauberes gelernt.« sagte der Vater. »O Vater,« entgegnete der Sohn, »ich bin kein gewöhnlicher Hadersammler, sondern wenn es wo was aufzuklauben giebt, so sag' ich nur: »Es sei da – und gleich ist's da.« Des dritten Tages kam der Dritte zum Buchenbaum. Er zog sein Messer heraus und besah das andere; zwei fand er nicht mehr. Als er sah, daß es rein sei, war er froh, und rief: »Gott sei gelobt, wir alle leben und sind gesund! Die zwei ältern Brüder sind schon daheim.« Er ging nach Hause. Der Vater fragte ihn: »Was hast denn Du gelernt?« – Er antwortete: »Ich bin ein Sterngucker.« – »Da hast Du was Sauberes gelernt,« sagte der Vater. – »O Vater,« entgegnete der Sohn, »ich bin kein gewöhnlicher Sterngucker; sondern wenn ich gucke, so seh' ich Alles, was es auf der Welt giebt.« Des vierten Tags endlich kam der Jüngste zum Buchenbaum, und zog sein Messer heraus; die übrigen fand er nicht mehr. Er war froh und rief: »Gott sei gelobt, die übrigen Brüder sind schon daheim!« Dann ging er nach Hause. Der Vater fragte ihn: »Was hast denn Du für ein Geschäft gelernt?« Er antwortete: »Ich bin ein Jäger.« – »Nun,« sagte der Vater, »so hast wenigstens Du nicht mein Geschäft mißachtet!« – »Aber Vater,« entgegnete der Sohn, »ich bin kein gewöhnlicher Jäger; sondern wenn es wo was zu treffen giebt, sei's was immer, so sag' ich nur: Es sei getroffen – und gleich liegt's auf der Erde.« Eben lief ein Hase über den Hügel; man konnte ihn vom Fenster aus gewahren. Der Vater sagte: »Schieß' ihn!« Der Sohn sprach nur ein Wort, und der Hase lag. »Ich seh' nicht, ob er wirklich dort liegt,« sagte der Vater. Der Sterngucker guckte und sprach: »Er liegt dort, Vater; dort hinter dem Dornstrauch!« – »Ja,« sagte der Vater, »aber wie bekommen wir ihn her?« Der Hadersammler sprach: »Er sei da!« und der Hase war da. Doch der Hase war durch den Dornstrauch gerannt, und von den Dornen zerfetzt. »Wer wird uns den Balg abkaufen?« meinte der Vater. Der Flicker sprach: »Der Balg sei ganz!« und gleich war er ganz. »Ich bin zufrieden,« sagte der Vater, »Ihr habt Jeder etwas Nützliches gelernt, und könnt Euch ernähren; allein es wird darauf ankommen, daß Ihr zusammenhaltet und einig seid, sonst dürft' es Euch dennoch schlimm ergehen.«

Da ging dem König des Landes seine Tochter verloren, und er ließ verkündigen, wer sie brächte, dem wolle er die Tochter sammt seinem Königreiche geben. Die Brüder sagten zu einander: »Versuchen wir unser Glück!« Der Sterngucker guckte, und eröffnete, die Prinzessin sei von einem Drachen gefangen worden: als sie spazierengegangen, habe sie der Drache erfaßt und auf eine Insel im rothen Meere getragen; dort müsse sie ihn täglich zwei Stunden streicheln. Die Vier ritten alsbald auf Rossen, die ihnen der König lieh, zum rothen Meere. Hier setzten sie sich in einen Kahn, und fuhren zu der Insel, wo die Prinzessin weilte. Der Hadersammler rief: »Sie sei da!« und sogleich war sie im Kahne, doch' schrie sie, daß Gefahr drohe, da der Drache gelauert habe. Sie fuhren rasch im Kahne zurück, allein der Drache, von Zorn erfüllt, schwebte über ihnen, und brüllte und toste fürchterlich. Der Sterngucker sprach zum Jäger: »Bruder, schieß ihn!« Der Jäger rief: »Er sei getroffen!« und sogleich war der Drache getroffen und stürzte herab; allein er stürzte in den Kahn, und schlug ein Loch durch, so daß das Wasser mit Macht in den Kahn drang. Sie warfen den Drachen ins Meer, und der Jäger sprach zum Flicker: »Flick' den Kahn!« Der Flicker rief: »Der Kahn sei ganz!« und sogleich war das Loch verstopft. So gelangten sie mit der Prinzessin glücklich an's Land, und von da zum König. Nun aber begann ein Streit, wem die Prinzessin gehören solle, da sie der König Dem versprochen, der sie bringen würde, und alle Vier sie gebracht hatten. Der Sterngucker sagte: »Hätt' ich sie nicht zuerst gesehen, so hätten wir sie nimmermehr bekommen!« Der Hadersammler sagte: »Und wär' ich nicht gewesen, so hätten wir sie nimmermehr in den Kahn geschafft!« Der Jäger sagte: »Und hätt' ich nicht den Drachen erschossen, so wäre sie uns wieder entrissen worden!« Der Flicker sagte: »Und hätt' ich nicht den Kahn geflickt, so wären wir bei alledem zu Grunde gegangen!« Da sprach der König: »Ihr seid rechte Thoren, daß Ihr Euch nicht, vergleichet! Würde Einer von Euch mein Eidam, und hülfen ihm die Andern bei der Herrschaft, so wäret Ihr Vier zusammen beneidenswerth. Der Sterngucker forschte alle Feinde aus; der Jäger schöße die Feinde über den Haufen; der Flicker könnte flicken, was im Reiche schadhaft wäre; der Hadersammler das Kostbarste herbeischaffen, das es in der Welt aufzuklauben giebt. Es ginge in der That vortrefflich. Wenn Ihr Euch jedoch nicht vergleichen wollt, so lass' ich meine Tochter in vier Stücke hauen, und gebe Jedem ein Stück, denn halten muß ich mein Königswort; Ihr aber mögt sehen, ob Euch das frommen wird!« Da erinnerten sich die Brüder an Das, was ihnen der Vater gesagt hatte, daß es ihnen schlimm ergehen würde, wenn sie nicht zusammenhielten und uneinig wären. Sie verglichen sich also dahin, daß die Prinzessin Dem gehören solle, den sie selbst wählen würde. Und so geschah's. Es wurde Derjenige von ihnen Königseidam, den die Prinzessin selbst wählte; die Anderen aber waren die Nächsten bei seinem Throne, und Alle in Eintracht herrschten lange und glücklich.


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