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Die gefundene Braut.

Es war ein Jüngling, dessen Eltern starben. Er besaß großen Reichthum, und wäre gern in den Ehestand getreten; allein in der ganzen Stadt gefiel ihm keine Weibsperson. Er bat Gott, daß er nur eine Stunde mit einer Weibsperson beisammen sein könnte, die nach seinem Geschmack wäre. Dann zog er aus, um eine solche zu suchen. Unterwegs begegnete ihm eine schöne Maid, in weiße Kleider angethan. Vor Wonne begann er sogleich zu singen:

»He, juchhe, das ist ein Mägdlein!
Es begegnet mir mein Glück.«

Die schöne Maid fragte ihn: »Wohin ziehst Du, Jüngling?« Er entgegnete ihr: »Ich geh' eine Jungfrau suchen, die nach meinem Geschmacke wäre. In unserer Stadt giebt's keine solche. Schier bin ich alt genug, um zu heirathen. Ich bat Gott, daß ich wenigstens nur eine Stunde mit einer schönen Weibsperson beisammen sein könnte, bevor ich sterbe.« Sie sprach zu ihm: »Jüngling, ich will Dein Weib sein!« Er erwiederte ihr, das könne sie werden, und führte sie in sein Haus. Als die Stunde zu Ende war, die er von Gott begehrt hatte, verwandelte sich die schöne Maid im Nu, und vor ihm stand eine alte, zahnlose, grausenerregende Gestalt. Da begann der Jüngling grimmig zu schelten: »O Du ruchlose Verführerin, Du haft mich überlistet, getäuscht, betrogen!« Sie aber entgegnete ihm: »Du hast Dich selbst getäuscht, da Du Gott gelästert. Mir haft Du Dich versprochen, meiner wirst Du nicht mehr ledig. Du mußt nun mit mir gehen, ich lasse Dich nicht los.« Das war der Tod, er nahm seine Sense, hieb dem Jüngling das Haupt ab, und der Jüngling war für immer sein. Wer viel ausklaubt, der greift fehl.


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