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Wie man in die Tunke gerathen kann,

wenn man die Augen zu- statt aufmacht, und wie der Tod gallbitter ist, wenn er auch noch so honigsüß wäre, und wie das Sprüchwort falsch ist, welches sagt, es lasse sich das Glück nur vorn, beim Schopfe fassen.

Einen Wanderburschen in Polen überraschte die Nacht im Walde. Es war dort vor reißenden Thieren nicht geheuer bei Tag, vielweniger bei Nacht. Der Bursche sah einen Baum ohne Wipfel; er kroch auf ihn hinauf, und gedachte dort der Sicherheit wegen zu übernachten. Der Baum war hohl. Als der Bursche hinaufgekrochen, steckte er die Füße in die Höhlung, und blieb auf dem Rande sitzen. So saß er bis er einzuschlafen begann; da wackelte er hin und her, und fiel auf einmal in das Loch. Jetzt verging ihm der Schlaf; er wollte sich hinaufhelfen, aber je mehr er sich Mühe gab, um desto mehr versank er in eine Art Schmiere. Das war Honig. Es überrieselte ihn Todesgrauen, denn mit jedem Augenblicke sank er tiefer. Da hörte er plötzlich, wie es außen an dem Baum empor polterte. Beim Mondschein gewahrte er, daß es ein Bär sei, der gekommen, Honig zu naschen. Der Bär begann, wie er's im Gebrauch hat, mit seinem Hintertheil in das Loch hinabzusteigen. Schon reichte er mit dem Schwanze zu dem Burschen. Da wußte sich der Bursche nicht anders zu helfen: er packte den Bären beim Schwanze, und der Bär verblüfft darüber, kletterte aus Leibeskräften zurück, zum Baum hinaus, und zog den Burschen glücklich in die Höhe. Der Bär sprang auf die Erde, sah sich noch einmal nach dem verhexten Baum um, und rannte, wie besessen, davon. Der Wanderbursche aber, als er gerettet wieder oben saß, und leichter athmete, sprach zu sich: »Jetzt weiß ich und will mir's merken, wie man in die Tunke gerathen kann, wenn man die Augen zu- statt aufmacht, und wie der Tod gallbitter ist, wenn er auch noch so honigsüß wäre, und wie das Sprüchwort falsch ist, welches sagt, es lasse sich das Glück blos vorn, beim Schopfe fassen!«


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