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21. Die Verwilderung des Tiervolks

So wurde ich einer vom Tiervolk auf Dr. Moreaus Insel. Als ich erwachte, war es dunkel um mich. Der Arm schmerzte mich. Ich setzte mich auf und fragte mich zunächst, wo ich denn eigentlich war. Draußen hörte ich rauhe Stimmen. Dann sah ich, daß meine Barrikade fort und der Eingang zur Hütte frei war. Der Revolver lag noch in meiner Hand.

Ich hörte dicht neben mir etwas atmen und sah, daß da jemand kauerte. Ich hielt den Atem an und versuchte zu sehen, wer es war. Das Wesen begann sich langsam zu bewegen. Dann strich mir etwas Weiches und Warmes und Feuchtes über die Hand.

All meine Muskeln zogen sich zusammen. Ich riß meine Hand weg. Ein Schreckensschrei blieb mir in der Kehle stecken. Dann wurde mir gerade genügend klar, was geschehen war, so daß ich meine Finger am Revolver ruhen ließ.

»Wer ist da?« fragte ich mit heiserem Flüstern, den Revolver noch erhoben.

»Ich, Herr.«

»Wer bist du?«

»Sie sagen, jetzt gibt es keinen Herrn mehr. Aber ich weiß, ich weiß. Ich trug die Leichen ins Meer, o Mann, der ins Meer ging, die Leichen derer, die du erschlagen hast. Ich bin dein Sklave, Herr.«

»Bist du der, dem ich am Strande begegnet bin?« fragte ich.

»Eben der, Herr.«

Das Geschöpf war offenbar treu und harmlos, denn es hätte mich im Schlaf überfallen können. »Es ist gut«, sagte ich und hielt ihm die Hand zu einem weiteren leckenden Kuß hin. Ich wurde mir darüber klar, was seine Gegenwart bedeutete, und mein Mut flutete zurück. »Wo sind die anderen?« fragte ich.

»Sie sind wahnsinnig. Sie sind Narren«, sagte der Hundemensch. »Eben jetzt reden sie da draußen. Sie sagen: der Herr ist tot; der andere mit der Peitsche ist tot. Der andere, der ins Meer ging, ist – wie wir sind. Wir haben keinen Herrn, keine Peitschen, kein Haus des Schmerzes mehr. Das ist zu Ende. Wir lieben das Gesetz und wollen es halten; aber nie wieder gibt es Schmerz, Herren oder Peitschen. So sagen sie. Aber ich weiß, Herr, ich weiß.«

Ich tastete ins Dunkel und tätschelte dem Hundemenschen den Kopf. »Es ist gut«, sagte ich noch einmal.

»Bald wirst du sie alle erschlagen«, meinte der Hundemensch.

»Bald«, antwortete ich, »werde ich sie alle erschlagen. Alle, außer denen, die du verschonst, alle sollen erschlagen werden.«

»Was der Herr töten will, das tötet der Herr«, sagte der Tiermensch mit einer gewissen Befriedigung in der Stimme.

»Und damit ihre Sünden wachsen«, sagte ich, »laß sie in ihrer Torheit leben, bis ihre Zeit reif ist. Laß sie nicht wissen, daß ich der Herr bin.«

»Des Herrn Wille ist lieblich«, sagte der Hundemensch.

»Aber einer hat gesündigt«, erklärte ich. »Ihn will ich töten, wo immer ich ihn finde. Wenn ich dir sage: ›Das ist er‹, dann sieh zu, daß du auf ihn stürzt. – Und jetzt will ich zu den Männern und Frauen gehen, die versammelt sind.«

Einen Moment wurde der Eingang der Hütte verdunkelt, als der Hundemensch hinausging. Dann folgte ich und stellte mich fast genau dort auf, wo ich gestanden war, als ich Moreau und seinen Hetzhund während meiner Verfolgung gehört hatte. Aber jetzt war es Nacht, und die ganze miasmatische Schlucht rings um mich war schwarz, und dahinter sah ich statt eines grünen, sonnenbeleuchteten Hangs ein rotes Feuer vor mir, vor dem sich groteske, bucklige Gestalten hin und her bewegten. Weiter hinten standen die dichten Bäume wie eine schwarze Mauer. Der Mond glitt gerade am Rand der Schlucht entlang, und wie eine Stange stieg vor seinem Gesicht die Rauchsäule empor, die ewig aus der Fumarole der Insel strömte.

»Geh neben mir«, sagte ich, während ich mich aufraffte, und Seite an Seite gingen wir den schmalen Pfad hinunter, ohne uns um die Wesen zu kümmern, die uns aus den Hütten heraus ansahen.

Keiner am Feuer erhob sich, um mich zu grüßen. Die meisten beachteten mich – ostentativ – nicht. Ich blickte mich nach dem Hyänenschwein um, aber es war nicht da. Es kauerten insgesamt vielleicht zwanzig Tiermenschen dort und starrten ins Feuer oder sprachen miteinander.

»Er ist tot, er ist tot, der Herr ist tot«, sagte die Stimme des Affenmenschen rechts von mir. »Das Haus des Schmerzes – es gibt kein Haus des Schmerzes mehr.«

»Er ist nicht tot«, sagte ich mit lauter Stimme. »Eben jetzt beobachtet er uns.«

Das erschreckte sie. Zwanzig Augenpaare blickten mich an.

»Das Haus des Schmerzes ist fort«, sagte ich. »Es wird wiederkommen. Den Herrn könnt ihr nicht sehen. Und doch horcht er euch eben jetzt zu.«

»Wahr, wahr!« sagte der Hundemensch.

Die Tiermenschen wurden durch meine Sicherheit schwankend. Ein Tier kann wild und listig sein, aber um eine Lüge zu sagen, dazu gehört ein wirklicher Mensch. »Der Mann mit dem verbundenen Arm spricht ein seltsames Wort«, sagte einer vom Tiervolk.

»Ich sage euch, es ist so«, erklärte ich. »Der Herr und das Haus des Schmerzes werden wiederkommen. Wehe dem, der das Gesetz bricht!«

Sie blickten einander neugierig an. Mit gespielter Gleichgültigkeit begann ich müßig mit meinem Beil auf den Boden vor mir zu schlagen. Ich merkte, wie sie nach den tiefen Schnitten sahen, die ich in den Rasen machte.

Dann erhob der Satyr einen Einwand; ich antwortete ihm, und dann warf eines der gefleckten Wesen etwas ein, und es entspann sich eine lebhafte Diskussion um das Feuer herum. Mit jedem Moment fühlte ich mich sicherer. Ich sprach jetzt weniger stockend, ohne die Aufregung, die mich anfangs gehemmt hatte. Im Verlauf von etwa einer Stunde hatte ich wirklich einige von den Tiermenschen von der Wahrheit meiner Behauptungen überzeugt und die meisten anderen dazu gebracht, an ihrer Ansicht zu zweifeln. Ich hielt die Augen offen, um meinen Feind, das Hyänenschwein, zu entdecken, aber es erschien nicht. Hin und wieder erschreckte mich eine verdächtige Bewegung, aber meine Zuversicht wuchs rasch. Als dann der Mond vom Zenit niederstieg, begann einer der Zuhörer nach dem anderen zu gähnen (und sie zeigten im Licht des sinkenden Feuers die seltsamsten Zähne), und einer nach dem anderen zogen sie sich in die Höhlen der Schlucht zurück. Und ich fürchtete die Stille und das Dunkel und ging mit ihnen, denn ich wußte, ich war bei mehreren von ihnen sicherer als bei einem allein.

So begann der längere Teil meines Aufenthalts auf Doktor Moreaus Insel. Aber von dieser Nacht bis zum Schluß geschah, abgesehen von unzähligen, kleinen, unangenehmen Einzelheiten und von der Qual einer unaufhörlichen Unruhe, nur eines, was zu berichten ist. Also will ich nur von diesem entscheidenden Ereignis erzählen, das sich während der zehn Monate zutrug, die ich als Vertrauter dieser halbmenschlichen Bestien verlebte. Vieles haftet mir im Gedächtnis, was ich berichten könnte, Dinge, die zu vergessen ich freudig meine rechte Hand hergäbe. Rückblickend erscheint es mir seltsam, wie schnell ich mich an die Art dieser Wesen anpaßte und meine Zuversicht wiedergewann. Ich bekam natürlich meinen Streit, und ich könnte noch ein paar Zahnnarben herzeigen, aber die Tiermenschen hatten bald einen gesunden Respekt vor meiner Art, Steine zu werfen, und vor meinem Beil. Und mein Bernhardinerhundemensch war mir ein treuer Freund und leistete mir unschätzbare Dienste. Die Rangordnung der Tiermenschen gründete sich einfach auf die Fähigkeit, möglichst tiefe Wunden beizubringen. Ja, ich kann – ohne Eitelkeit, hoffe ich – sagen, daß ich unter ihnen so etwas wie eine hervorragende Stellung einnahm. Einer oder zwei von ihnen, die ich bei verschiedenen Streitigkeiten ziemlich arg zugerichtet hatte, trugen mir das nach, aber ihr Groll machte sich, meist hinter meinem Rücken und in sicherer Entfernung wegen meiner Geschosse, in Grimassen Luft.

Das Hyänenschwein mied mich, und ich war stets auf der Hut vor ihm. Mein treuer Hundemensch haßte und fürchtete es intensiv. Ich glaube wirklich, daß das die Wurzel seiner Anhänglichkeit war. Mir war bald klar, daß jenes Ungeheuer Blut gekostet hatte wie der Leopardenmensch. Es bereitete sich ein Lager irgendwo im Walde und wurde zum Einzelgänger. Einmal versuchte ich, das Tiervolk zur Jagd darauf zu bewegen, aber mir fehlte die notwendige Autorität. Immer wieder versuchte ich, die Höhle des Hyänenschweins zu beschleichen und es unvermutet zu überfallen, aber stets war es auf der Hut, sah oder witterte mich und lief fort. Und es machte durch sein Lauern jeden Waldpfad für mich und meine Verbündeten gefährlich. Der Hundemensch wagte kaum, meine Seite zu verlassen.

Im ersten Monat war das Tiervolk so menschlich, daß ich für zwei oder drei Tierwesen außer meinem Hundefreund sogar freundschaftliche Duldung empfand. Das kleine, rosige Faultiergeschöpf entfaltete eine sonderbare Liebe zu mir und begann, mir überallhin zu folgen. Der Affenmensch jedoch plagte mich. Er nahm aufgrund seiner fünf Finger an, er sei meinesgleichen, und schnatterte ewig auf mich ein, schnatterte heillosen Unsinn. Eines an ihm unterhielt mich ein wenig. Er hatte eine phantastische Art, neue Worte zu bilden. Ich glaube, er stellte sich vor, sinnlose Namen herzuplappern sei gleichbedeutend mit richtigem Sprechen. Das nannte er: »große Dinge«, zum Unterschied von »kleinen Dingen« – den vernünftigen Alltagsinteressen des Lebens. Wenn ich einmal eine Bemerkung machte, die er nicht verstand, dann lobte er sie sehr, bat mich, sie noch einmal zu sagen, lernte sie auswendig und wiederholte sie – hier und dort mit einem verkehrten Wort – allen sanfteren vom Tiervolk. Was klar und verständlich war, verachtete er. Ich erfand ein paar sehr sonderbare »große Dinge« für seinen speziellen Gebrauch. Ich glaube jetzt, er war das albernste Geschöpf, das mir je begegnet ist; er hatte auf die wundervollste Art die verschiedensten Torheiten des Menschen entwickelt, ohne eine Spur von der natürlichen Narrheit eines Affen zu verlieren.

So ging es mir in den ersten Wochen meiner Einsamkeit unter diesen Bestien. In dieser Zeit achteten sie die vom Gesetz eingeführten Sitten und benahmen sich mit Anstand. Einmal fand ich wieder ein zerrissenes Kaninchen – das Hyänenschwein war der Täter, davon bin ich überzeugt –, aber das war alles. Erst gegen Mai merkte ich eine zunehmende Veränderung in ihrer Sprache und Haltung; ihre Aussprache wurde heiserer, und sie redeten auch nicht mehr so gerne. Das Schnattern meines Affenmenschen nahm an Umfang zu, wurde aber immer unverständlicher, immer affenartiger. Einige von den anderen schienen ihre Gewalt über die Sprache ganz zu verlieren, obgleich sie noch erfaßten, was ich ihnen sagte. Kann man sich vorstellen, wie die einst klare und genaue Sprache gleichsam ausgehöhlt wird, Gestalt und Klangwert verliert und wieder zu bloßen Schallmassen wird! Auch der aufrechte Gang bereitete den Tiermenschen wachsende Schwierigkeit. Obgleich sie sich offenbar schämten, traf ich doch hin und wieder den einen oder anderen, wie er gerade auf den Zehen und Fingerspitzen lief und ganz außerstande war, sich wieder aufzurichten. Sie bewegten sich plumper, tranken schlürfend, aßen nagend, wurden mit jedem Tag gemeiner. Ich verstand besser denn je, was Moreau mit »zäher Tiernatur« gemeint hatte. Sie wurden wieder zu Tieren, und zwar sehr rasch.

Einige von ihnen – die Pioniere waren, wie ich mit einiger Überraschung bemerkte, lauter Weibchen – begannen den Anstand zu mißachten – zumeist absichtlich. Andere verstießen sogar öffentlich gegen die Institution der Monogamie. Die Tradition des Gesetzes verlor sichtbar an Kraft. Mein Hundemensch wurde unmerklich immer mehr wieder zum Hund; Tag für Tag wurde er stummer, behaarter. Ich merkte den Übergang vom beinahe menschlichen Gefährten an meiner Seite zum schnappenden Hund kaum. Da die Gleichgültigkeit und Desorganisation von Tag zu Tag zunahm, wurde die Schlucht mit ihren Wohnungen, die nie sehr sauber gewesen waren, so ekelhaft, daß ich sie verließ, über die Insel ging und mir mitten in den Ruinen von Moreaus Behausung aus Zweigen eine Hütte baute. Die Erinnerung an den Schmerz, fand ich, schützte den Ort am besten vor dem Tiervolk.

Es wäre unmöglich, jede Phase der Rückwandlung dieser Ungeheuer im einzelnen zu schildern; zu erzählen, wie sie Tag für Tag die Ähnlichkeit mit dem Menschen verloren; wie sie die Bandagen und Hüllen abwarfen und schließlich jeden Fetzen von Kleidung fallen ließen; wie sich das Haar auf ihren entblößten Gliedern auszubreiten begann; wie ihre Stirnen niedriger wurden und ihre Gesichter vortraten; wie mir die quasimenschliche Vertrautheit, die ich in den ersten Monaten meiner Einsamkeit gegenüber einigen von ihnen empfunden hatte, in der Erinnerung ein Greuel wurde.

Der Wandel war langsam und unvermeidlich. Für sie wie für mich kam er ohne bestimmten Anstoß. Ich bewegte mich noch immer ungefährdet unter ihnen, weil die Rückverwandlung in das Tierische so allmählich vor sich ging. Aber ich begann zu fürchten, daß der letzte, entscheidende Ruck nun bald kommen müsse. Mein Bernhardinermensch folgte mir zur Ummauerung, und seine Wachsamkeit ermöglichte es mir, zuzeiten beinahe in Frieden zu schlafen. Das kleine Faultierwesen wurde scheu und verließ mich, um noch einmal zu seinem natürlichen Leben unter den Baumzweigen zurückzukehren.

Natürlich entarteten diese Geschöpfe nicht zu solchen Tieren, wie der Leser sie in zoologischen Gärten gesehen hat – zu gewöhnlichen Bären, Wölfen, Tigern, Ochsen, Schweinen und Affen. Immer noch hatte ein jedes etwas Fremdartiges an sich; in jedem hatte Moreau ein oder mehrere Tiere miteinander verschmolzen; eins war vielleicht hauptsächlich bärenartig, ein anderes katzenartig, ein drittes stierartig, aber jedes war mit anderen Geschöpfen vermischt – eine Art allgemeinen Tiertums drang aber durch die spezifischen Anlagen hindurch. Und die verschwindenden Fetzen des Menschlichen erschreckten mich immer noch hin und wieder, vielleicht ein momentanes Wiedererwachen der Sprache, eine unerwartete Behendigkeit der Vorderfüße, ein erbärmlicher Versuch, aufrecht zu gehen.

Auch ich muß seltsame Wandlungen durchgemacht haben. Die Kleider hingen als gelbe Fetzen an mir herab, durch deren Risse die wettergegerbte Haut leuchtete. Mein Haar wurde lang und verfilzte sich. Man sagt mir, meine Augen hätten noch immer einen seltsamen Glanz, seien wachsam und flink.

Zuerst verbrachte ich die Tagesstunden am südlichen Strand, wo ich nach einem Schiff ausschaute, auf ein Schiff hoffte und um ein Schiff betete. Ich rechnete darauf, die Ipecacuanha werde im Lauf des Jahres zurückkommen, aber sie kam nicht. Fünfmal sah ich Segel und dreimal Rauch, aber nie berührte ein Schiff die Insel. Ich hatte stets ein Feuer bereit, aber ohne Zweifel erklärte man es sich, sofern man es sah, immer mit dem vulkanischen Charakter der Insel.

Erst im September oder Oktober begann ich daran zu denken, ein Floß zu bauen. Mittlerweile war mein Arm geheilt, und meine beiden Hände waren wieder benutzbar. Zuerst fand ich meine Hilflosigkeit entsetzlich. Ich hatte nie Zimmermannsarbeit oder dergleichen getan, und ich verbrachte Tag um Tag damit, Holz zu fällen und zusammenzubinden. Ich hatte keine Taue und fand nichts, womit ich Stricke hätte machen können; keins der zahlreichen Schlinggewächse war geschmeidig und stark genug, und all meine wissenschaftliche Bildung half mir nichts. Ich verbrachte mehr als zwei Wochen damit, unter den schwarzen Ruinen der Ummauerung und auf dem Strand, wo die Boote verbrannt worden waren, nach Nägeln und anderen kleinen Metallstücken zu suchen, die nützlich sein konnten. Hin und wieder beobachtete mich ein Tiergeschöpf und sprang davon, wenn ich es rief. Es kam eine Zeit der Gewitterstürme und heftigen Regen, die meine Arbeit sehr verzögerte – aber schließlich wurde mein Floß fertig.

Ich war entzückt davon. Aber mit einem Mangel an praktischem Sinn, der mir stets alles verdorben hat, hatte ich es eine Meile oder mehr vom Strand entfernt gebaut, und ehe ich es zum Wasser hinuntergeschleppt hatte, war das Ding in Stücke gefallen. Vielleicht ist es gut, daß es mir erspart blieb, es vom Stapel zu lassen. Aber damals war meine Verzweiflung über den Mißerfolg so groß, daß ich einige Tage einfach am Strand saß und aufs Wasser starrte und an den Tod dachte.

Aber ich wollte nicht sterben, und ein Zwischenfall warnte mich auf unmißverständliche Weise davor, die Tage so verstreichen zu lassen – denn jeder neue Tag erhöhte die Gefährlichkeit der Tiergeschöpfe. Ich lag im Schatten der Ummauerung und starrte aufs Meer hinaus, als ich erschrak, weil etwas Kaltes die Haut meiner Ferse berührte. Ich fuhr herum und sah, wie mir das kleine, rosige Faultiergeschöpf ins Gesicht blinzelte. Es hatte die Sprache und die Behendigkeit längst verloren, und das strähnige Haar des kleinen Tiers wurde von Tag zu Tag dichter, und seine steifen Klauen wuchsen schiefer. Es machte ein stöhnendes Geräusch, als es meine Aufmerksamkeit geweckt hatte, ging ein kleines Stück zu den Büschen hin und blickte zu mir zurück.

Zuerst verstand ich nicht, aber dann schien mir, als wolle es, ich sollte ihm folgen, und schließlich ging ich ihm langsam nach – denn der Tag war heiß. Als es die Bäume erreichte, kletterte es hinauf, denn unter den schwingenden Lianen konnte es besser wandern als auf dem Boden.

Und plötzlich stieß ich auf einem zertrampelten Rasenfleck auf eine furchtbare Gruppe. Mein Bernhardinergeschöpf lag tot auf dem Boden, und bei seiner Leiche kauerte das Hyänenschwein, riß mit mißgestalteten Klauen an dem zitternden Fleisch und nagte daran und knurrte vor Vergnügen. Als ich herankam, hob das Ungeheuer die flackernden Augen zu mir auf, seine Lippen traten bebend von den blutbefleckten Zähnen zurück, und es knurrte drohend. Es fürchtete sich nicht, noch schämte es sich; die letzte Spur menschlicher Beimischung war verschwunden. Ich ging noch einen Schritt weiter, blieb stehen und zog meinen Revolver.

Die Bestie machte keine Anstalten zum Rückzug. Aber sie legte die Ohren zurück, ihr Haar sträubte sich, und der Leib krümmte sich zusammen. Ich zielte zwischen die Augen und feuerte. Im selben Moment sprang das Ungeheuer auf mich los, und ich wurde wie ein Kegel gefällt. Es griff mit seinen verkrüppelten Klauen nach mir und schlug mich ins Gesicht. Sein Sprung trug es über mich weg. Ich fiel unter seinem Hinterleib, aber zum Glück hatte ich es getroffen, und es war im Sprung verendet. Ich kroch unter der unsauberen Last hervor und stand zitternd auf und starrte die zuckende Leiche an. Diese Gefahr wenigstens war vorüber. Aber dies, das war mir klar, war nur der erste einer Reihe von Rückfällen, die kommen mußten.

Ich verbrannte beide Leichen auf einem Scheiterhaufen aus Buschholz. Jetzt freilich sah ich, daß mein Tod nur eine Frage der Zeit wäre, wenn ich die Insel nicht verließe. Die Bestien waren mittlerweile mit ein oder zwei Ausnahmen aus der Schlucht fortgezogen und hatten sich nach ihrem Geschmack in den Dickichten der Insel ein Lager gesucht. Nur wenige schweiften am Tage umher; die meisten schliefen, und einem Neuankömmling wäre die Insel verlassen erschienen; aber nachts erdröhnte die Luft häßlich von ihren Rufen und ihrem Geheul. Ich hatte fast Lust, ein Blutbad unter ihnen anzurichten – Fallen zu bauen oder mit meinem Messer gegen sie zu kämpfen. Hätte ich genug Patronen besessen, so hätte ich nicht gezögert, mit dem Töten zu beginnen. Jetzt konnten von den gefährlichen Fleischfressern kaum noch zwanzig übrig sein; die tapfersten von ihnen waren tot. Nach dem Tode dieses meines armen Hundes, meines letzten Freundes, nahm ich auch bis zu einem gewissen Grad die Gewohnheit an, am Tage zu schlafen, um nachts auf der Hut zu sein. Ich baute meine Höhle in den Mauern von Moreaus Haus so um, daß alles, was etwa einzudringen versuchte, beträchtlichen Lärm machen mußte. Die Geschöpfe hatten auch vergessen, wie man Feuer machte, und ihre Furcht davor zurückgewonnen. Ich versuchte noch einmal, diesmal beinahe leidenschaftlich, ein Floß für meine Flucht zusammenzuzimmern.

Ich stieß auf tausend Schwierigkeiten. Ich bin ein außerordentlich ungeschickter Mensch, aber schließlich gelang es mir doch, ein halbwegs solides Floß zusammenzubasteln, denn diesmal gab ich auf die Stärke acht. Das einzige unüberwindliche Hindernis war, daß ich kein Gefäß für Trinkwasser hatte. Ich hätte mich sogar in der Töpferei versucht, aber auf der Insel gab es keinen Ton. Ich ging grübelnd hin und her und versuchte mit aller Macht, diese letzte Schwierigkeit zu lösen. Bisweilen gab ich mich wilden Ausbrüchen der Wut hin und zerhackte und zersplitterte in meiner unerträglichen Gereiztheit irgendeinen unglücklichen Baum. Aber mir fiel nichts ein.

Und dann kam ein Tag, ein wundervoller Tag, den ich in Ekstase verbrachte. Ich sah ein Segel im Südwesten, das kleine Segel eines Schoners, und alsbald zündete ich einen großen Haufen von Buschholz an und stand in dessen Hitze und in der Hitze der Mittagssonne daneben und spähte nach dem Schiff. Den ganzen Tag lang beobachtete ich dieses Segel und aß und trank nichts, so daß mir der Kopf wirbelte; und die Tiere kamen und starrten mich an, und es war, als wunderten sie sich, und sie gingen wieder weg. Das Boot war noch fern, als die Nacht kam. Die ganze Nacht hindurch rackerte ich mich ab, um mein Feuer hell und hoch zu halten, und die Augen der Bestien leuchteten verwundert aus dem Dunkel. In der Morgendämmerung lag das Segel näher, und ich sah, daß es sich um das schmutzige Rahsegel eines kleinen Boots handelte. Meine Augen waren müde, und ich starrte und konnte ihnen nicht glauben. Zwei Menschen waren im Boot, der eine saß im Bug, der andere am Steuer. Aber das Boot segelte merkwürdig. Der Bug war nicht vor den Wind gestellt; es gierte hin und her und fiel ab.

Als der Tag heller wurde, winkte ich den Leuten mit dem letzten Fetzen meiner Jacke; aber sie beachteten mich nicht und saßen einander noch immer still gegenüber. Ich ging zum niedrigsten Punkt des niedrigen Vorgebirges und gestikulierte und rief. Es kam keine Antwort, und das Boot beharrte in seinem ziellosen Lauf und trieb langsam, sehr langsam in die Bucht. Plötzlich flog aus dem Boot ein großer weißer Vogel auf, und keiner der beiden Männer rührte sich oder beachtete ihn. Der Vogel kreiste herum und schwebte mit weit ausgebreiteten Flügeln über mich hin.

Da hörte ich auf zu rufen und setzte mich auf der Landzunge hin und stützte das Kinn in die Hände und starrte hinaus. Langsam, langsam trieb das Boot nach Westen vorbei. Ich wäre hinausgeschwommen, aber irgend etwas, eine kalte, unbestimmte Furcht hielt mich zurück. Nachmittags wurde der Kahn von der Flut hereingespült, und er blieb hundert Meter westlich von den Ruinen der Ummauerung liegen.

Die Männer darin waren tot, waren schon so lange tot, daß sie in Stücke fielen, als ich das Boot auf die Seite kippte und sie herauszerrte. Einer hatte einen Schopf roten Haars wie der Kapitän der Ipecacuanha, und auf dem Boden des Boots lag eine schmutzige weiße Mütze. Als ich bei dem Boot stand, kamen drei der Bestien aus den Büschen geschlichen und schnüffelten an mir herum. Mich überkam einer meiner Ekelanfälle. Ich stieß das kleine Boot den Strand hinunter und kletterte an Bord. Zwei von den Bestien waren Wolftiere, und sie kamen mit bebenden Nüstern und glitzernden Augen heran; die dritte war das furchtbare Mischwesen aus Bär und Bulle.

Als ich sie so herankommen sah, und sie einander anknurren hörte, befiel mich ein wahnsinniges Grauen. Ich wandte ihnen den Rücken zu, strich das Segel und begann aufs Meer hinaus zu paddeln. Ich konnte es nicht über mich bringen, zurückzublicken.

Aber ich blieb diese Nacht zwischen Riff und Insel liegen, und am nächsten Morgen steuerte ich die Mündung des Baches an und füllte das leere Faß an Bord mit Wasser. Dann sammelte ich mit meinem letzten Rest an Geduld einen Vorrat an Früchten und tötete mit meinen drei letzten Patronen zwei Kaninchen. Währenddessen hatte ich das Boot aus Furcht vor den Ungeheuern an einem Vorsprung des Riffs verankert.


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