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8. Der Schrei des Pumas

Montgomery unterbrach meine wirren Mystifikationen und argwöhnischen Vermutungen, und sein grotesker Diener folgte ihm mit einem Tablett, auf dem Brot, etwas Gemüse und andere Eßwaren, eine Flasche Whisky, ein Krug Wasser, drei Gläser und Messer lagen und standen. Ich blickte schräg nach diesem seltsamen Geschöpf und merkte, daß es mich mit seinen wunderlichen, rastlosen Augen beobachtete. Montgomery sagte, er wolle mit mir frühstücken, Moreau sei jedoch durch vorbereitende Arbeiten zu sehr in Anspruch genommen.

»Moreau!« sagte ich; »den Namen kenne ich.«

»Den Teufel kennen Sie ihn!« sagte er. »Was für ein Esel ich bin, ihn Ihnen zu nennen. Ich hätte's mir denken können. Auf jeden Fall wird er Ihnen eine Ahnung von unseren – Geheimnissen geben. Whisky?«

»Nein, danke – ich bin Abstinenzler.«

»Ich wollte, ich wär's gewesen. Aber es nützt nichts, die Tür zu verschließen, wenn der Gaul erst gestohlen ist. Das verdammte Zeug ist schuld, daß ich hier bin. Das und 'ne Nebelnacht. Ich hielt es damals für ein Glück, als Moreau mir anbot, mich mitzunehmen. Es ist seltsam ...«

»Montgomery«, sagte ich plötzlich, als sich die äußere Tür schloß; »warum hat Ihr Diener spitze Ohren?«

»Verdammt!« sagte er, an seinem ersten Bissen kauend. Er starrte mich einen Moment an, und dann wiederholte er: »Spitze Ohren?«

»Kleine Spitzen dran«, sagte ich so ruhig wie möglich, aber mein Atem stockte; »und ein feiner schwarzer Pelz an den Rändern.«

Er schenkte sich mit großem Bedacht Whisky und Wasser ein. »Ich hatte den Eindruck, als verdecke sein Haar die Ohren.«

»Ich sah sie, als er sich neben mir bückte, um den Kaffee auf den Tisch zu stellen, den Sie mir schickten. Und seine Augen leuchten im Dunkeln.«

Mittlerweile hatte Montgomery sich von der Überrumpelung durch meine Frage erholt. »Ich habe mir doch immer gedacht«, sagte er überlegt, und sein Lispeln verstärkte sich, »daß etwas mit seinen Ohren war. Nach der Art, wie er sie verdeckt hielt ... Wie sahen sie aus?«

Ich war überzeugt, daß seine Unwissenheit gespielt war. Und doch konnte ich dem Mann nicht gut sagen, daß ich ihn für einen Lügner hielt. »Spitz«, sagte ich; »ziemlich klein und pelzig – ausgesprochen pelzig. Aber der ganze Mann ist eines der seltsamsten Wesen, die mir je vor Augen gekommen sind.«

Ein scharfer, heiserer Schrei tierischen Schmerzes drang aus dem Hof hinter uns. Die Tiefe und die Lautstärke ließen auf den Puma schließen. Ich sah Montgomery zusammenzucken.

»Ja?« sagte er.

»Wo haben Sie das Geschöpf aufgelesen?«

»Err – San Francisco ... Er ist ein häßliches Vieh, das gebe ich zu. Mit halbem Verstand, wissen Sie. Kann sich nicht besinnen, wo er hergekommen ist. Aber ich bin an ihn gewöhnt, wissen Sie. Wir beide. Was für 'nen Eindruck macht er Ihnen?«

»Er ist unnatürlich«, sagte ich. »Er hat etwas ... Halten Sie mich nicht für albern, aber ich habe ein scheußliches Gefühl, meine Muskeln ziehen sich zusammen, wenn er mir nahe kommt. Es ist etwas ... kurz, er hat etwas Teuflisches.«

Montgomery hatte mit dem Essen aufgehört, während ich dies sagte. »Komisch«, sagte er. »Das kann ich nicht finden.«

Er begann wieder zu essen. »Ich hatte keine Ahnung davon«, sagte er kauend. »Die Mannschaft auf dem Schoner ... muß auch so empfunden haben ... Hetzten den armen Teufel ... Haben Sie den Kapitän gesehen?«

Plötzlich heulte der Puma wieder, diesmal schmerzlicher. Montgomery fluchte leise. Ich hatte Lust, ihn wegen der Leute am Strande anzugehen. Dann stieß das arme Vieh drinnen eine Reihe kurzer, scharfer Schreie aus.

»Ihre Leute am Strande«, sagte ich; »was für eine Rasse ist das?«

»Ausgezeichnete Kerle, nicht wahr?« erwiderte Montgomery abwesend und runzelte die Stirn, als das Tier scharf aufschrie. Ich sagte nichts mehr. Es folgte ein weiterer Schrei, schlimmer als der vorige. Montgomery sah mich mit seinen stumpfen grauen Augen an und trank noch etwas Whisky. Er versuchte mich in eine Diskussion über den Alkohol zu ziehen und beteuerte, er habe mir damit das Leben gerettet. Er schien Gewicht darauf legen zu wollen, daß ich ihm mein Leben verdankte. Ich antwortete ihm zerstreut. Dann war unser Mahl zu Ende, und das ungestalte Monstrum mit den spitzen Ohren räumte ab. Montgomery ließ mich wieder allein im Zimmer. Er war die ganze Zeit in einem Zustand schlecht beherrschter Gereiztheit über das Geheul des vivisezierten Pumas. Er sprach von seinem merkwürdigen Mangel an Nerven und überließ die auf der Hand liegende Erklärung für diesen Zustand mir.

Ich fand selber, daß die Schreie besonders enervierend waren, und sie nahmen an Tiefe und Intensität zu, als der Nachmittag vorrückte. Ihre beständige Wiederholung störte schließlich mein Gleichgewicht. Ich warf eine Horazübersetzung, in der ich gelesen hatte, hin und begann, die Fäuste zu ballen, mir die Lippen zu beißen und im Zimmer hin und her zu gehen. Dann hielt ich mir die Ohren zu.

Die aufwühlende Wirkung dieser Schreie auf mich wuchs beständig, sie wurden schließlich zu einem so vollendeten Ausdruck des Leidens, daß ich es in dem geschlossenen Raum nicht mehr aushielt. Ich trat aus der Tür in die schläfrige Hitze des Spätnachmittags hinaus, ging am Haupteingang vorbei – der, wie ich sah, wieder verschlossen war – und bog um die Mauerecke.

Das Schreien klang draußen noch lauter. Es war, als hätte aller Schmerz der Welt eine Stimme gefunden. Und doch – hätte ich gewußt, daß im Nebenzimmer solcher Schmerz zugefügt wurde, und wäre er stumm ertragen worden, ich glaube – so habe ich mir seither gedacht – ich hätte es ganz gut aushalten können. Erst, wenn das Leiden Ausdruck findet und unsere Nerven erbeben macht, quält uns das Mitleid. Aber trotz des hellen Sonnenscheins und der grünen Fächer der Bäume, die sich in der kühlenden Seebrise wiegten, schien mir die Welt ein Wirrsal zu sein, besudelt mit schwarzen und roten Phantasmen, bis ich außer Hörweite des Hauses und der bunten Mauer war.


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