Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

14. Doktor Moreau erklärt

»Und jetzt, Prendick, will ich es Ihnen erklären«, sagt Doktor Moreau, nachdem wir gegessen und getrunken hatten. »Ich muß gestehen, Sie sind der diktatorischste Gast, den ich je bewirtet habe. Ich warne Sie, dies ist das letzte, was ich tue, um Ihnen gefällig zu sein. Das nächste Mal, wenn Sie mit Selbstmord drohen, werde ich nicht mehr tun, was Sie verlangen – selbst um den Preis einiger persönlicher Unannehmlichkeiten.«

Er saß in meinem Schiffsstuhl, eine halb aufgerauchte Zigarre in den weißen, geschickt aussehenden Fingern. Das Licht der Lampe fiel auf sein weißes Haar; er blickte durch das kleine Fenster in den Sternenschein hinaus. Ich saß ihm so fern wie möglich, den Tisch zwischen uns, die Revolver zur Hand. Montgomery war nicht anwesend. Ich wünschte nicht, sie in einem so kleinen Zimmer beide gegen mich zu haben.

»Sie geben zu, daß das vivisezierte menschliche Wesen, wie Sie es nennen, schließlich doch nur der Puma ist?« fragte Moreau. Er hatte mich in das innere Zimmer geführt, um mich davon zu überzeugen, daß die Schreie, die ich gehört hatte, nicht von einem Menschen stammten.

»Es ist der Puma«, sagte ich, »noch lebendig, aber zerschnitten und verstümmelt; und ich hoffe, lebendiges Fleisch nie wieder in einem solchen Zustand zu sehen. Von allen gemein ...«

»Einerlei«, erwiderte Moreau. »Wenigstens verschonen Sie mich mit diesem jugendlichen Abscheu. Montgomery war genauso. Sie geben zu, es ist der Puma. Jetzt seien Sie ruhig, während ich Ihnen meinen physiologischen Vortrag abhasple.« Und alsbald begann er im Ton eines Mannes, der sich höchlich langweilt, wurde dann etwas lebhafter und setzte mir sein Werk auseinander. Er sprach sehr einfach und überzeugend. Hin und wieder verriet seine Stimme etwas Sarkasmus. Bald war mir heiß vor Scham über unsere Auseinandersetzung.

Die Geschöpfe, die ich gesehen hatte, waren keine Menschen, waren nie Menschen gewesen. Es waren Tiere – vermenschlichte Tiere – Triumphe der Vivisektion.

»Sie vergessen, was ein geschickter Vivisektor mit lebendigen Wesen alles vermag«, sagte Moreau. »Ich für mein Teil kann mir nicht erklären, warum das, was ich hier getan habe, nicht schon früher versucht wurde. Kleine Experimente sind natürlich gemacht worden – Amputationen, Zungenschnitte, Exzisionen. Natürlich wissen Sie, daß der Chirurg Schielen hervorrufen wie auch heilen kann. Ferner kann man durch Exzisionen eine ganze Reihe von sekundären Veränderungen, Pigmentstörungen, Modifikationen des Trieblebens, Wandlungen in der Sekretion der Fettgewebe bewirken. Ich zweifle nicht, daß Sie von diesen Dingen gehört haben?«

»Natürlich«, sagte ich. »Aber diese Ihre scheußlichen Geschöpfe ...«

»Alles zu seiner Zeit«, sagte er mit einer Handbewegung; »ich fange erst an. Das sind triviale Fälle der Veränderung. Die Chirurgie vermag Besseres als das. Es gibt sowohl ein Aufbauen wie ein Niederreißen und Verändern. Sie haben vielleicht von einer ganz gewöhnlichen Operation gehört, die man bei Fällen durchführt, bei denen die Nase arg entstellt wurde. Man schneidet ein Stück Haut aus der Stirn, klappt es auf die Nase herunter, und es verheilt in der neuen Lage. Dabei handelt es sich um eine Verpflanzung an ein und demselben Tier. Transplantation frisch gewonnenen Materials von einem anderen Tier ist gleichfalls möglich – bei Zähnen, zum Beispiel. Die Verpflanzung von Haut und Knochen erfolgt, um die Heilung zu erleichtern. Der Chirurg legt mitten in die Wunde Hautstückchen, die von einem anderen Tier genommen sind, oder Knochenfragmente von einem frisch getöteten Tier. Hunters Hahnensporn – vielleicht haben Sie davon gehört – wuchs am Nacken eines Stiers an. Denken Sie auch an die Rhinozerosratten der Algierzuaven – Monstra, die man erzeugte, indem man ein Stück vom Schwanz einer gewöhnlichen Ratte auf ihre Schnauze verpflanzte und es dort anheilen ließ.«

»Künstliche Ungeheuer!« sagte ich. »Also wollen Sie mir sagen ...«

»Ja. Diese Geschöpfe, die Sie gesehen haben, sind neu gestaltete und geformte Tiere. Dem – dem Studium der Bildung lebendiger Formen – ist mein Leben gewidmet gewesen. Ich habe jahrelang studiert und gewinne beständig an Wissen. Ich sehe, Sie schauen entsetzt drein, und doch erzähle ich Ihnen nichts Neues. Das alles lag schon vor Jahren im Bereich der Möglichkeiten der praktischen Anatomie, aber niemand hatte die Verwegenheit, daran zu rühren. Ich kann nicht nur die äußere Form eines Tieres verändern. Auch die Physiologie, den Stoffwechsel des Geschöpfes kann man einer dauernden Modifikation unterwerfen; sicherlich sind Ihnen die Impfung und andere Methoden der Inokulation mit lebendem oder totem Stoff vertraut. Ähnlich verhält es sich mit der Transfusion des Blutes, von der ich ausgegangen bin. Das alles sind vertraute Verfahren. Weniger bekannt und wahrscheinlich weit umfassender waren die Operationen jener mittelalterlichen Ärzte, die Zwerge und Krüppel und Schauungeheuer erzeugten; von ihrer Kunst haben sich noch einige Spuren in der Präliminarbehandlung des jungen Seiltänzers oder Schlangenmenschen erhalten. Victor Hugo schildert sie in L'Homme qui rit ... Aber vielleicht wird jetzt klar, was ich meine. Sie beginnen einzusehen, daß es möglich ist, Gewebe von einem Teil eines Tieres auf einen anderen, oder von einem Tier auf ein anderes zu übertragen, seine chemischen Reaktionen und Wachstumsmethoden zu ändern, die Gelenke seiner Gliedmaßen zu modifizieren und es sogar in seiner innersten Struktur zu verwandeln?

Und doch ist dieser außerordentliche Wissenszweig von modernen Forschern nie methodisch und gesondert untersucht worden, bis ich mich seiner annahm! Die meisten Beispiele, die Ihnen einfallen werden, sind gleichsam zufällig demonstriert worden – von Tyrannen, Verbrechern, von Pferde- und Hundezüchtern, von allerlei ungeübten, plumphändigen Menschen, die für ihre eigenen, unmittelbaren Zwecke arbeiteten. Ich war der erste, der diese Frage, in der antiseptischen Chirurgie wohl bewandert und mit wirklich wissenschaftlicher Kenntnis der Gesetze des Wachstums, in Angriff genommen hat.

Und doch sollte man annehmen, daß derartiges schon heimlich betrieben worden sein muß. Wesen wie die Siamesischen Zwillinge ... Und in den Gewölben der Inquisition. Ohne Frage war ihr Hauptziel kunstgerechtes Foltern, aber wenigstens einige der Inquisitoren müssen eine Spur von wissenschaftlichem Forschungsdrang gehabt haben.«

»Aber«, sagte ich. »Diese Dinger – diese Tiere sprechen!«

Er sagte: »Ja«, und ging dazu über, auseinanderzusetzen, daß die Möglichkeiten der Vivisektion nicht bloß auf physische Metamorphose beschränkt sind. Ein Schwein kann erzogen werden. Die geistige Struktur ist weit weniger festgelegt als die körperliche. Die Wissenschaft des Hypnotismus bietet die Möglichkeit, alte Instinkte durch neue Suggestionen zu ersetzen, die auf die ererbten fixen Ideen aufgepfropft werden oder sie verdrängen. Vieles von dem, was wir moralische Erziehung nennen, ist eine solche künstliche Veränderung und Perversion des Instinkts; Kampflust wird in mutige Selbstaufopferung umgebildet, unterdrückte Sinnlichkeit in religiöse Erregung. Und der große Unterschied zwischen Mensch und Affe liegt im Kehlkopf, sagte er, in der Unfähigkeit, fein unterschiedene Klangsymbole zu formen, durch die das Denken unterstützt wird. Darin konnte ich ihm nicht beistimmen, aber Moreau beachtete meinen Einwand überhaupt nicht. Er wiederholte, es sei so, und fuhr im Bericht von seiner Arbeit fort.

Aber ich fragte ihn, warum er die menschliche Gestalt zum Modell genommen habe. In dieser Wahl schien mir damals und scheint mir noch jetzt eine tiefe Bosheit zu liegen.

Er gestand, er habe die Form zufällig gewählt.

»Ich hätte ebensogut darauf hinarbeiten können, Schafe in Lamas und Lamas in Schafe zu verwandeln. Ich vermute, irgend etwas in der menschlichen Gestalt appelliert mächtiger an die künstlerische Veranlagung als es eine tierische Form kann. Aber ich habe mich nicht darauf beschränkt, Menschen zu machen. Ein- oder zweimal ...« Er schwieg vielleicht eine Minute lang. »Diese Jahre! Wie sie hingeglitten sind! Und da habe ich einen Tag verschwendet, um Ihnen das Leben zu retten, und jetzt verschwende ich eine Stunde, um meine Haltung zu erklären!«

»Aber«, sagte ich, »ich verstehe noch immer nicht. Wo bleibt Ihre Rechtfertigung dafür, daß Sie all diese Schmerzen verursachen? Das einzige, was in meinen Augen die Vivisektion entschuldigen könnte, wäre eine Anwendung ...«

»Ganz recht«, sagte er. »Aber Sie sehen, ich bin anderer Meinung. Wir vertreten verschiedene Grundsätze. Sie sind Materialist.«

»Ich bin kein Materialist«, begann ich hitzig.

»In meinen Augen – in meinen Augen. Denn gerade diese Frage des Schmerzes trennt uns. Solange ein sichtbarer oder hörbarer Schmerz Ihnen Übelkeit verursacht, solange Ihre eigenen Schmerzen Sie treiben, solange Schmerz für Sie mit Sünde zusammenhängt, solange, sage ich Ihnen, sind Sie ein Tier, das etwas weniger dunkel fühlt, was jedes andere Tier auch fühlt. Dieser Schmerz ...«

Ich zuckte über solche Sophisterei die Achsel.

»Oh! Aber es ist eine solche Kleinigkeit. Ein Geist, der sich dem, was die Wissenschaft uns zu lehren hat, wahrhaft öffnet, muß einsehen, daß es eine Kleinigkeit ist. Vielleicht kommt außer auf diesem kleinen Planeten, diesem Fleck kosmischen Staubes, den man längst nicht mehr sähe, ehe man den nächsten Stern erreichte – vielleicht, sage ich, kommt dies, was wir Schmerz nennen, sonst nirgends vor. Aber die Gesetze, die wir tastend suchen ... Ah, selbst auf unserer Erde, selbst unter lebenden Wesen, was ist da der Schmerz?«

Er zog, während er sprach, ein kleines Federmesser aus der Tasche, öffnete die kleinere Klinge und rückte seinen Stuhl so, daß ich seinen Schenkel sehen konnte. Dann wählte er bedachtsam eine Stelle, stieß das Messer in sein Bein und zog es wieder heraus.

»Ohne Zweifel haben Sie derlei schon gesehen. Es tut nicht so weh wie ein Nadelstich. Aber was zeigt es? Im Bereich des Muskels ist Schmerzempfindung nicht nötig und nicht vorhanden; sie ist nur wenig nötig in der Haut, und nur hier und dort gibt es auf dem Schenkel schmerzempfindliche Stellen. Der Schmerz ist nichts anderes als unser innerer ärztlicher Ratgeber, um uns zu warnen und anzustacheln. Nicht alles lebendige Fleisch ist schmerzempfindlich, auch nicht alle Nerven sind es, nicht einmal alle Empfindungsnerven. In den Empfindungen des Sehnervs gibt es keine Spur von Schmerz, wirklichem Schmerz. Wenn Sie den Sehnerv verwunden, sehen Sie nur Lichtblitze, genau wie Erkrankung des Gehörnervs nur Summen in den Ohren hervorruft. Pflanzen fühlen keinen Schmerz; die niederen Tiere – es kann sein, daß solche Tiere wie der Seestern und der Krebs keinen Schmerz empfinden. Und dann die Menschen: je intelligenter sie werden, mit um so mehr Intelligenz werden sie für ihr eigenes Wohlbefinden sorgen, und um so weniger werden sie den Stachel nötig haben, der sie vor Gefahr warnen soll. Ich habe noch von keinem nutzlosen Ding gehört, das nicht durch die Evolution früher oder später aus dem Dasein ausgemerzt worden wäre. – Sie etwa? Und der Schmerz wird nutzlos.

Und dann bin ich ein religiöser Mensch, Prendick, wie es jeder vernünftige Mensch sein muß. Vielleicht bilde ich mir ein, mehr von den Wegen des Schöpfers dieser Welt gesehen zu haben als Sie – denn ich habe auf meine Weise mein ganzes Leben lang nach seinen Gesetzen gesucht, während Sie, wie ich höre, Schmetterlinge gesammelt haben. Und ich sage Ihnen, Schmerz und Lust haben mit Himmel und Hölle nichts zu tun. Schmerz und Lust – Bah! Was ist Ihre Theologenekstase anderes als Mahomets Huri im Dunkel? Dieser Wert, den Männer und Frauen auf Schmerz und Lust legen, Prendick, ist das Zeichen des Tiers in ihnen – das Zeichen des Tiers, von dem sie gekommen sind. Schmerz! Schmerz und Lust – sie gibt es nur, solange wir uns im Staube winden ...

Sie sehen, ich bin mit diesen Forschungen genau den Weg gegangen, den sie mich führten. Ich stellte eine Frage, ersann eine Methode, eine Antwort zu bekommen und stieß auf – eine neue Frage. War dies oder das möglich? Sie können sich vorstellen, was das für einen Forscher heißt, was für eine intellektuelle Leidenschaft ihn überkommt. Sie können sich jedoch nicht vorstellen, was für einen seltsamen, farblosen Genuß diese geistigen Wünsche schaffen. Das Wesen da vor Ihnen ist kein Tier mehr, kein Mitgeschöpf, sondern ein Problem. Mitleid – alles was ich davon weiß, ist, daß ich vor Jahren daran litt. Ich wollte – das war das einzige, was ich wollte – die äußerste Grenze der Gestaltungsmöglichkeit in einer lebenden Form finden.«

»Aber«, sagte ich, »die Sache ist ein Greuel –« »Bis auf diesen Tag hab' ich mich um die Ethik der Angelegenheit noch nie bekümmert. Das Studium der Natur macht den Menschen schließlich so gewissenlos, wie die Natur selbst ist. Ich bin vorwärts gegangen, ohne mich um irgend etwas anders zu kümmern als um die Frage, die ich verfolgte, und das Material ist ... in die Höhlen dort gewandert ... Es ist fast elf Jahre, seit wir hierherkamen, ich und Montgomery und sechs Kanaken. Ich erinnere mich an die grüne Stille der Insel und des Ozeans um uns, als wäre es gestern gewesen. Die Insel schien auf mich zu warten.

Die Vorräte wurden gelandet, und das Haus wurde gebaut. Die Kanaken errichteten bei der Schlucht ein paar Hütten. Ich machte mich hier mit dem, was ich mitgebracht hatte, an die Arbeit. Erst passierten ein paar unangenehme Dinge. Ich begann mit einem Schaf und tötete es nach anderthalb Tagen, weil mir das Skalpell ausglitt; ich nahm ein anderes Schaf und machte daraus ein Wesen voll von Schmerz und Furcht und ließ es dann, zum Heilen verbunden, liegen. Es erschien mir ganz menschlich, als ich fertig war, aber später war ich unzufrieden damit; es erinnerte sich an mich und hatte unvorstellbare Angst und nur einen Schafsverstand. Je mehr ich es ansah, um so plumper schien es mir, bis ich das Ungeheuer schließlich aus seinem Elend erlöste. Diese Tiere ohne Mut, diese angstgeplagten, schmerzgetriebenen Wesen ohne einen Funken kämpferischer Energie, mit der sie der Qual entgegentreten können – die taugen nicht zur Umwandlung in Menschen.

Dann nahm ich einen Gorilla, und daraus machte ich, indem ich mit unendlicher Sorgfalt arbeitete und Schwierigkeit nach Schwierigkeit überwand, meinen ersten Menschen. Die ganze Woche lang formte ich Tag und Nacht an ihm. Hauptsächlich das Gehirn mußte umgebildet, viel mußte hinzugefügt, viel geändert werden. Ich fand, der Gorilla sei ein schönes Beispiel des Negertypus, als ich fertig war und er bandagiert, gebunden und reglos vor mir lag. Erst als es sicher war, daß er am Leben bleiben würde, verließ ich ihn und fand Montgomery so ziemlich in der gleichen Verfassung vor, in der Sie jetzt sind. Er hatte ein paar von den Schreien gehört, als das Tier menschlich wurde, Schreie wie die, die Sie so verstörten. Ich zog ihn anfangs nicht ganz ins Vertrauen. Und auch die Kanaken hatten etwas gemerkt. Sie waren bei meinem Anblick vor Angst außer sich. Montgomery gewann ich für mich – irgendwie, aber ich und er, wir hatten schwer zu tun, die Kanaken am Davonlaufen zu hindern. Schließlich taten sie's doch, und so verloren wir die Jacht. Ich habe viele Tage damit zugebracht, den Affenmenschen zu unterrichten – im ganzen drei oder vier Monate lang. Ich lehrte ihn die Rudimente des Englischen, vermittelte ihm einen Begriff vom Zählen, lehrte ihn sogar das Alphabet lesen. Aber da war er langsam – freilich, Idioten, die ich's ebenfalls gelehrt habe, waren mitunter noch langsamer. Er war geistig ein unbeschriebenes Blatt, hatte keine Erinnerung mehr von dem, was er gewesen war. Als seine Wunden geheilt waren und er nur noch etwas steif war, sich aber bereits ein wenig unterhalten konnte, brachte ich ihn da hinten hin und stellte ihn den Kanaken als interessantes Strandgut vor.

Sie hatten erst furchtbare Angst vor ihm – was mich ziemlich beleidigte, denn ich bildete mir etwas auf ihn ein –, aber sein Wesen schien so mild, und er war so sanftmütig, daß sie ihn nach einiger Zeit aufnahmen und seine Erziehung fortsetzten. Er lernte schnell, ahmte seine Lehrmeister nach und paßte sich an. Er baute sich eine Hütte, die mir besser schien als die Schuppen der Kanaken. Unter den Jungen war einer so etwas wie ein Missionar, und der lehrte das Geschöpf lesen und gab ihm einige rudimentäre Ideen von Moral, aber es scheint, die Sitten des Viehs waren nicht ganz so, wie man wünschen sollte.

Ich ruhte einige Tage von der Arbeit aus und hatte Lust, einen Bericht über die ganze Sache zu schreiben, um die englische Physiologie aufzuwecken. Dann traf ich das Geschöpf hoch in einem Baum sitzend, wie es auf zwei von den Kanaken einschnatterte, die ihn geärgert hatten. Ich drohte ihm, sagte ihm, ein solches Vorgehen sei nicht menschenwürdig, weckte sein Schamgefühl und entschloß mich, Besseres zu machen, ehe ich meine Arbeit in England vorstellte. Ich habe Besseres gemacht; aber irgendwie verkümmern die Geschöpfe wieder, das zähe Tierfleisch ist stärker, wächst nach ... Ich gedenke immer noch, Besseres zu machen. Dieser Puma ...

Das ist also die Geschichte. All die Kanakenjungen sind jetzt tot. Einer fiel vom Langboot über Bord und einer starb an einer Wunde an der Ferse, die er sich irgendwie mit Pflanzensaft infiziert hatte. Drei gingen mit der Jacht durch und ertranken, wie ich vermute und hoffe. Der letzte ... wurde getötet. Nun – ich habe sie ersetzt. Montgomery trieb's erst ziemlich wie Sie, dann ...«

»Was wurde aus dem letzten?« fragte ich scharf, »dem Kanaken, der getötet wurde?«

»Die Sache ist die, nachdem ich eine Anzahl menschlicher Geschöpfe gemacht hatte, stellte ich ein Wesen her ...« Er zögerte.

»Ja?« sagte ich.

»Es wurde getötet.«

»Ich verstehe nicht«, sagte ich; »wollen Sie etwa sagen ...«

»Ja – es tötete den Kanaken. Es tötete verschiedenes andere, was es zu fassen bekam. Wir machten ein paar Tage Jagd darauf. Es kam durch einen Zufall frei – ich hatte nie daran gedacht, es fortzulassen. Es war nicht fertig. Es war nur ein Experiment: ein gliederloses Geschöpf mit einem furchtbaren Gesicht, das sich nach Schlangenart am Boden hinwand. Es war ungeheuer stark und rasend vor Schmerz, und es bewegte sich schaukelnd wie ein Tümmler. Es lauerte ein paar Tage im Wald und vernichtete alles, was ihm begegnete, bis wir es jagten. Und dann verkroch es sich im nördlichen Teil der Insel und wir teilten uns, um es einzuschließen. Montgomery bestand darauf, mit mir zu kommen. Der Kanake hatte eine Flinte, und als seine Leiche gefunden wurde, war einer der Läufe zu einem S gebogen und beinahe durchgebissen ... Montgomery erschoß das Untier ... Seither habe ich mich an das Ideal des Menschen gehalten – abgesehen von ein paar Kleinigkeiten.«

Er verstummte. Ich saß schweigend da und sah sein Gesicht an.

»So habe ich im ganzen zwanzig Jahre lang – wenn ich die neun Jahre in England zähle – gearbeitet, und dennoch ist da etwas, was mich unzufrieden läßt, was mich zu weiteren Versuchen herausfordert. Bisweilen erhebe ich mich über mein Niveau, bisweilen sinke ich darunter, aber nie erreiche ich das, wovon ich träume. Die menschliche Gestalt kann ich jetzt beinahe mit Leichtigkeit formen, so daß sie geschmeidig und anmutig ist oder derb und stark; aber oft hab' ich Mühe mit den Händen und Klauen – heikle Dinge, die ich nicht zu frei zu formen wage. Aber meine Hauptschwierigkeit liegt in der subtilen Veredlung und Umbildung des Gehirns. Die Intelligenz ist oft merkwürdig niedrig, und sie weist unerklärliche, unerwartete Lücken auf. Am schlimmsten ergeht es mir jedoch mit dem Sitz der Gefühle. Ich weiß nicht, wo er liegt, ich komme nicht daran heran. Wünsche, Sehnsuchtsäußerungen, Instinkte, die der Menschlichkeit Abbruch tun, ein seltsames verborgenes Reservoir, das plötzlich ausbricht und das ganze Wesen des Geschöpfes mit Wut, Haß oder Furcht überschwemmt. Diese meine Geschöpfe erschienen Ihnen seltsam und unheimlich, sowie Sie anfingen, sie zu beobachten; aber mir erscheinen sie, wenn ich sie gerade gemacht habe, unbestreitbar menschlich. Erst wenn ich sie später beobachte, beginne ich zu zweifeln. Erst stiehlt sich der eine, dann der andere tierische Zug wieder an die Oberfläche und springt mir ins Auge ... Aber ich werde noch siegen. Jedesmal, wenn ich ein lebendes Geschöpf ins Bad des brennenden Schmerzes tauche, sage ich mir: Diesmal will ich das Tier ganz ausbrennen, diesmal will ich ein vernünftiges Wesen schaffen. Was sind schließlich zehn Jahre? Am Menschen ist hunderttausend Jahre lang geschaffen worden.«

Er dachte nach. »Aber ich komme der Sache näher. Dieser mein Puma ...«

Nach einem Schweigen: »Und sie entwickeln sich wieder rückwärts. Sobald ich meine Geschöpfe sich selbst überlasse, beginnt das Tier sich wieder geltend zu machen ...«

Ein zweites langes Schweigen.

»Und dann bringen Sie die Wesen, die Sie machen, in diese Höhlen?« fragte ich.

»Sie gehen hin. Ich werfe sie hinaus, sobald ich das Tier in ihnen zu fühlen beginne, und dann wandern sie gleich dorthin. Sie fürchten alle dies Haus und mich. Was Sie da drüben gesehen haben, ist eine Parodie der Menschheit. Montgomery weiß darüber Bescheid, denn er kümmert sich darum. Er hat einen oder zwei von den Geschöpfen zu unserem Dienst abgerichtet. Er schämt sich, aber er hat ein paar von diesen Bestien beinahe lieb. Das ist seine Sache, nicht meine. Wenn ich sie sehe, quält mich nur das Gefühl des Mißerfolgs. Ich interessiere mich nicht für sie. Ich denke mir, sie folgen der Richtung, die der Kanaken-Missionar ihnen angegeben hat, und ihr Leben gleicht der Karikatur eines vernünftigen Lebens – die armen Bestien! Sie haben etwas, das sie das Gesetz nennen. Sie singen Hymnen. Sie bauen ihre Hütten, sammeln Früchte und heiraten sogar. Aber ich durchschaue das alles, sehe ihnen bis in die Seelen, und sehe nichts als die Seelen von Tieren, Tieren, die untergehen – und die Lust, zu leben und zufrieden zu sein ... Und doch sind sie merkwürdig. Kompliziert, wie alles Lebendige. Sie haben so etwas wie Ehrgeiz, der teils aus Eitelkeit, teils aus übermäßiger Geschlechtserregung, teils aus überschüssiger Neugier entstanden sein dürfte. Mir ist es nur Hohn ... Ich habe einige Hoffnung mit diesem Puma; ich habe an seinem Kopf und Gehirn schwer gearbeitet ...«

»Und jetzt«, sagte er nach einem langen Schweigen, währenddessen jeder seinen eigenen Gedanken folgte, »was meinen Sie? Haben Sie immer noch Angst vor mir?«

Ich schaute ihn an und sah nur einen Mann mit weißem Gesicht und weißem Haar und ruhigen Augen. Abgesehen von seiner Heiterkeit, beinahe einem Anflug von Schönheit, der von der gesetzten Ruhe und von seinem stattlichen Körperbau herrührte, sah er aus wie hundert andere behagliche alte Herren. Dann schauderte mir. Als Antwort auf seine zweite Frage hielt ich ihm die beiden Revolver hin.

»Behalten Sie sie«, sagte er und gähnte. Er stand auf, sah mich einen Moment an und lächelte. »Sie haben zwei ereignisreiche Tage gehabt«, sagte er. »Ich würde etwas Schlaf anraten. Freut mich, daß alles klar ist. Gute Nacht.«

Er sann einen Moment nach, dann ging er zur inneren Tür hinaus. Ich drehte sofort den Schlüssel in der äußeren.

Ich setzte mich noch einmal und blieb eine Zeitlang in flauer Stimmung sitzen, so müde, daß ich einfach nicht weiterdenken konnte. Das schwarze Fenster starrte mich wie ein Auge an. Zuletzt raffte ich mich auf, blies die Lampe aus und stieg in die Hängematte. Ich schlief sehr bald ein.


 << zurück weiter >>