Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

16. Wie das Tiervolk Blut kostete

Aber meine Unerfahrenheit als Schriftsteller schlägt durch, und ich schweife von meiner eigentlichen Erzählung ab. Als ich mit Montgomery gefrühstückt hatte, führte er mich über die Insel, um mir die Fumarole und die Quelle des heißen Baches zu zeigen, in dessen kochende Wasser ich am Tag vorher geraten war. Wir hatten beide Peitschen und geladene Revolver mit. Als wir durch ein belaubtes Dickicht gingen, hörten wir den Schrei eines Kaninchens. Wir standen still und lauschten, aber wir hörten nichts mehr und wanderten weiter, und bald vergaßen wir den Zwischenfall. Montgomery machte mich auf einige kleine, rosige Tiere mit langen Hinterbeinen aufmerksam, die durch das Buschwerk sprangen. Er sagte mir, das seien von Moreau erdachte Geschöpfe, die er aus der Nachkommenschaft des Tiervolks gemacht habe. Er hatte gemeint, sie würden als Fleischnahrung dienen können, aber die Angewohnheit der Kaninchen, ihre Jungen zu verschlingen, war hier durchgebrochen und hatte diese Absicht vereitelt. Mir waren schon während meiner Mondscheinflucht vor dem Leopardenmann und einmal auch am Tag vorher, als mich Moreau verfolgte, einige von diesen Geschöpfen begegnet. Zufällig sprang eines, das uns ausweichen wollte, in das Wurzelloch eines vom Wind gefällten Baumes. Ehe es wieder herausklettern konnte, gelang es uns, es zu fangen. Es fauchte wie eine Katze, kratzte, stieß kräftig mit den Hinterbeinen und versuchte zu beißen, aber seine Zähne waren zu schwach, es langte nur zu einem schmerzlosen Kneifen. Mir schien es ein ziemlich hübsches kleines Geschöpf zu sein, und da Montgomery behauptete, es zerstöre nie den Rasen durch Wühlen und sei sehr sauber, konnte ich es mir gut als Ersatz für das gewöhnliche Kaninchen in herrschaftlichen Parks vorstellen.

Wir sahen auch unterwegs noch einen Baumstumpf, dessen Rinde in langen Streifen abgerissen und der stark zersplittert war. Darauf machte Montgomery mich aufmerksam. »Nicht von Bäumen Rinde reißen; das ist das Gesetz«, sagte er. »Daraus machen sich einige viel!« fügte er ironisch hinzu. Darauf, glaube ich, trafen wir den Satyr und den Affenmenschen. Der Satyr war wohl einer Erinnerung Moreaus an das klassische Altertum entsprungen. Das Gesicht zeigte einen schafsartigen Ausdruck, seine Stimme war ein scharfes Blöken, seine unteren Extremitäten sahen satanisch aus. Er nagte an der Schote einer Hülsenfrucht, als er an uns vorbeikam. Beide grüßten Montgomery.

»Heil«, sagten sie, »dem anderen mit der Peitsche!«

»Jetzt ist ein dritter mit einer Peitsche da«, sagte Montgomery. »Also nehmt euch besser in acht!«

»Ist er nicht gemacht?« sagte der Affenmensch. »Er sagte – er sagte, er sei gemacht.«

Der Satyrmensch sah mich neugierig an. »Der dritte mit der Peitsche, der, der weinend ins Meer läuft, hat ein dünnes weißes Gesicht.«

»Er hat eine dünne lange Peitsche«, sagte Montgomery.

»Gestern blutete und weinte er«, erklärte der Satyr. »Du weinst und blutest nie. Der Herr weint und blutet nie.«

»Elender Bettler!« rief Montgomery. »Wenn du nicht aufpaßt, wirst du weinen und bluten.«

»Er hat fünf Finger; er ist ein Fünfmensch wie ich«, sagte der Affenmensch.

»Kommen Sie mit, Prendick«, meinte Montgomery und nahm meinen Arm; ich ging mit ihm weiter.

Der Satyr und der Affenmensch standen da und beobachteten uns und machten weitere Bemerkungen.

»Er sagt nichts«, stellte der Satyr fest. »Menschen haben Stimmen.«

»Gestern fragte er mich nach etwas zum Essen«, sagte der Affenmensch. »Er wußte nichts.« Dann sprachen sie unhörbar leise, und ich hörte den Satyr lachen.

Auf unserm Rückweg sahen wir das tote Kaninchen. Der rote Leib des armen kleinen Tieres war in Stücke zerrissen, viele von den Rippen entblößt, und die Wirbelsäule ohne Zweifel benagt.

Da stand Montgomery still. »Guter Gott!« sagte er, bückte sich und hob einige der zermalmten Halswirbel auf, um sie genauer zu prüfen. »Guter Gott!« wiederholte er. »Was kann das heißen?«

»Einer Ihrer Fleischfresser hat sich seiner früheren Gewohnheiten erinnert«, meinte ich nach einer Pause. »Dieser Halswirbel ist durchgebissen.«

Er stand da, mit weißem Gesicht, verzerrten Lippen und großen Augen. »Das gefällt mir nicht«, sagte er langsam.

»Ich habe etwas Ähnliches gesehen«, sagte ich, »am ersten Tag, nachdem ich angekommen war.«

»Zum Teufel! Was?«

»Ein Kaninchen, dem der Kopf abgerissen war.«

»Am Tag, als Sie ankamen?«

»Am Tag, als ich ankam. Im Gebüsch hinter der Ummauerung, als ich abends ausging. Der Kopf war vollständig abgerissen.«

Er pfiff lange und leise.

»Und was mehr ist, ich habe eine Idee, welches von Ihren Tieren das getan hatte. Es ist nur ein Verdacht, wissen Sie. Ehe ich das Kaninchen fand, sah ich eines Ihrer Ungeheuer aus dem Bach trinken.«

»Schlürfen?«

»Ja.«

»Nicht das Wasser schlürfen; das ist das Gesetz. Die Bestien kümmern sich viel ums Gesetz, eh – wenn Moreau nicht herumläuft?«

»Es war der Tiermensch, der mich gejagt hat.«

»Natürlich«, sagte Montgomery; »es gehört zu dieser Art von Fleischfressern. Nach dem Fressen trinken sie. Wegen des Blutgeschmacks, wissen Sie.«

»Wie sah das Vieh aus?« fragte er. »Würden Sie's wiedererkennen?« Er sah sich um; er stand über dem Rest des toten Kaninchens und seine Augen schweiften durch das schattige Grün, über die Verstecke und Hinterhalte des Waldes, die uns umgaben. »Der Blutgeschmack«, sagte er noch einmal.

Er zog seinen Revolver heraus, prüfte die Patronen und steckte ihn wieder ein. Dann begann er an seiner Unterlippe zu nagen.

»Ich glaube, ich würde das Tier wiedererkennen. Ich habe es betäubt. Es müßte eine schöne Beule an der Stirn haben.«

»Aber dann müssen wir beweisen, daß es das Kaninchen getötet hat«, sagte Montgomery. »Ich wollte, ich hätte die Kaninchen nie mitgebracht.«

Ich wäre weitergegangen, aber er blieb stehen und zerbrach sich den Kopf wegen des zerfleischten Kaninchens. Ich ging weiter, bis die Reste des Kaninchens nicht mehr zu sehen waren.

»Kommen Sie!« rief ich.

Dann wachte er auf und kam zu mir. »Sie sehen«, sagte er fast flüsternd, »man muß ihnen allen das Verbot einbleuen, irgend etwas zu essen, was auf dem Lande läuft. Wenn ein solches Tier zufällig Blut gekostet hat ...«

Wir gingen schweigend weiter. »Ich möchte wissen, was passiert ist«, sagte er vor sich hin. Dann nach einer Pause wieder: »Ich habe neulich etwas Törichtes getan. Mein Diener da ... dem hab' ich gezeigt, wie man ein Kaninchen häutet und kocht. Es ist merkwürdig ... Ich sah, wie er sich die Hände leckte ... Daran habe ich noch nie gedacht.«

Und dann: »Dem müssen wir ein Ende machen. Ich muß es Moreau sagen.«

Er konnte auf unserer Heimwanderung an nichts anderes denken.

Moreau nahm die Sache noch ernster als Montgomery, und ich brauche kaum zu sagen, daß mich die offensichtliche Bestürzung der beiden ansteckte. »Wir müssen ein Exempel statuieren«, sagte Moreau. »Ich für meinen Teil zweifle nicht, daß der Leopardenmensch der Sünder war. Aber wie können wir es beweisen? Ich wollte, Montgomery, Sie hätten Ihren Appetit auf Fleisch bezwungen und keine so aufregenden Neuigkeiten eingeführt. Wir können dadurch noch in die Klemme kommen.«

»Ich bin ein alberner Esel gewesen«, antwortete Montgomery. »Aber jetzt ist es geschehen. Und Sie sagten, ich könnte die Kaninchen haben, wissen Sie.«

»Wir müssen die Sache sofort untersuchen«, sagte Moreau. »Ich denke, M'ling wird für sich selber sorgen können?«

»Ich bin M'lings nicht so sicher«, erwiderte Montgomery. »Ich denke, ich sollte ihn kennen.«

Am Nachmittag gingen Moreau, Montgomery, ich und M'ling über die Insel zu den Hütten in der Schlucht. Die beiden Wissenschaftler und ich waren bewaffnet. M'ling trug das kleine Beil, das er benutzte, um Feuerholz zu spalten, und ein paar Drahtschlingen. Moreau hatte sich ein großes Kuhhirtenhorn über die Schulter gehängt. »Sie werden eine Versammlung der Tiermenschen sehen«, sagte Montgomery. »Es ist ein hübscher Anblick.« Moreau sprach unterwegs kein Wort, aber seine Miene war grimmig verbissen.

Wir kamen durch die Schlucht, in der der Heißwasserbach dampfte, und folgten dem gewundenen Pfad durch das Rohrgebüsch, bis wir eine weite Fläche erreichten, die mit einer dicken gelben, pulvrigen Substanz bedeckt war; ich glaube, es war Schwefel. Hinter einer mit Unkraut bewachsenen Böschung glitzerte das Meer. Wir kamen zu einer flachen, ovalen Lichtung, und hier machten wir vier halt. Dann stieß Moreau ins Horn und brach die schläfrige Stille des tropischen Nachmittags. Er mußte starke Lungen haben. Der dröhnende Schall wuchs und wuchs infolge der Echos bis zu einer zuletzt ohrenbetäubenden Intensität. »Ah«, sagte Moreau, als er das krumme Instrument wieder fallen ließ.

Sofort krachte es im gelben Schilf, und Stimmen schallten aus den dichten, grünen Dschungeln, die den Morast bedeckten, durch den ich am Tag vorher gelaufen war. Dann erschienen an drei oder vier Punkten die grotesken Gestalten der Tiermenschen am Rand der schwefligen Fläche und eilten auf uns zu. Ich konnte mich eines schleichenden Grauens nicht erwehren, als ich erst einen und dann den andern aus den Bäumen und dem Schilf hervortraben und mit schlenkernden Bewegungen über den heißen Staub daherkommen sah. Aber Moreau und Montgomery standen ganz ruhig da, und ich hielt mich dicht neben ihnen. Der erste, der bei uns ankam, war der Satyr, seltsam unreal, obgleich er einen Schatten warf und mit den Hufen den Staub aufwirbelte; hinter ihm kroch ein monströser Lümmel aus dem Gebüsch, ein Mischwesen aus Pferd und Rhinozeros, das einen Strohhalm kaute; dann erschienen die Schweinefrau und zwei Wolfsfrauen; dann die Füchsin-Bärin-Hexe mit den roten Augen im spitzen, roten Gesicht und dann weitere – alle liefen eilig. Wenn sie herankamen, verbeugten sie sich demütig vor Moreau und begannen, ohne Rücksicht aufeinander, Fragmente aus der zweiten Hälfte der Gesetzeslitanei zu singen. »Sein ist die Hand, die verwundet, Sein ist die Hand, die heilt«, und so weiter.

Sobald sie bis auf eine bestimmte Entfernung – vielleicht dreißig Meter – herangekommen waren, machten sie halt, beugten sich auf Knie und Ellbogen und streuten sich den heißen Staub über die Köpfe. Man stelle sich die Szene vor, wenn man kann! Wir drei blaugekleideten Männer standen mit unserem ungestalten, schwarzgesichtigen Begleiter auf einer weiten Fläche sonnenbeleuchteten, gelben Staubes unter blendend blauem Himmel, und um uns dieser Kreis kauernder und gestikulierender Monstrositäten, einige fast menschlich, einige wie Krüppel, einige so seltsam verrenkt, daß sie Gestalten aus unseren wildesten Träumen glichen. Und dahinter auf einer Seite das Schilf, auf der andern ein dichtes Wirrwarr von Palmen, die uns von der Schlucht mit den Hütten trennten, und im Norden der dunstige Horizont des Großen Ozeans.

»Zweiundsechzig, dreiundsechzig«, zählte Moreau. »Es fehlen noch vier.«

»Ich sehe den Leopardenmenschen nicht«, sagte ich.

Darauf stieß Moreau noch einmal in das große Horn, und bei dem Schall wanden sich alle Tiermenschen am Boden. Da kam aus dem Rohrdickicht, dicht gegen den Boden gedrückt und bemüht, hinter Moreaus Rücken in den Kreis seiner sich in den Staub werfenden Genossen zu gelangen, der Leopardenmensch geschlichen. Ich sah, daß seine Stirn eine Beule trug. Der letzte vom Tiervolk, der eintraf, war der kleine Affenmensch. Die früher angekommenen Tiere, denen noch heiß war vom Kriechen, schossen giftige Blicke gegen ihn.

»Aufhören«, sagte Moreau mit seiner festen, lauten Stimme, und die Tiermenschen setzten sich auf ihre Hintern und ruhten von ihrer Anbetung aus.

»Wo ist der Sprecher des Gesetzes?« fragte Moreau, und das haarige graue Ungeheuer beugte das Gesicht in den Staub.

»Sage die Worte«, befahl Moreau, und alsbald begann die ganze kniende Versammlung sich hin und her zu wiegen, den Schwefel mit den Händen aufzuwühlen, erst mit der Rechten, dann mit der Linken, und ihre seltsame Litanei noch einmal zu singen.

Als sie sagten: »Essen weder Fleisch noch Fisch; das ist das Gesetz«, hielt Moreau seine dünne, weiße Hand hoch. »Halt!« rief er, und eine absolute Stille senkte sich über alle.

Ich glaube, alle wußten und fürchteten, was nun kam. Ich blickte rings auf ihre seltsamen Gesichter. Als ich sah, wie sie sich wanden, und die verstohlene Furcht in den glänzenden Augen entdeckte, wunderte ich mich, wie ich sie je hatte für Menschen halten können.

»Das Gesetz ist gebrochen worden«, sagte Moreau.

»Keiner entkommt«, rief das gesichtlose Geschöpf mit dem silbrigen Haar. »Keiner entkommt«, wiederholte der kniende Kreis des Tiervolks.

»Wer ist es?« rief Moreau und blickte rings in ihre Gesichter und knallte mit der Peitsche. Mir schien, das Hyänenschwein sah bedrückt aus, ebenso der Leopardenmensch. Moreau blieb vor diesem Geschöpf stehen; es wand sich vor ihm in Erinnerung und Furcht unendlicher Qual.

»Wer ist es?« wiederholte Moreau mit Donnerstimme.

»Böse ist der, der das Gesetz bricht«, sang der Sprecher des Gesetzes.

Moreau blickte dem Leopardenmenschen in die Augen und schien die Seele selber aus dem Geschöpf herauszuziehen.

»Wer das Gesetz bricht ...«, sagte Moreau, während er den Blick von seinem Opfer wandte und sich zu uns drehte. Mir schien, daß in seiner Stimme ein Anflug von Triumph lag.

» ... geht zurück in das Haus des Schmerzes«, riefen sie alle; »geht zurück in das Haus des Schmerzes, o Herr!«

»Zurück in das Haus des Schmerzes – zurück in das Haus des Schmerzes«, schnatterte der Affenmensch, als wäre ihm die Vorstellung angenehm.

»Hörst du's?« fragte Moreau, indem er sich wieder an den Verbrecher wandte, »mein Freun ... Hallo!«

Denn der Leopardenmensch war, sowie Moreaus Auge ihn nicht mehr bannte, stracks von den Knien aufgesprungen und stürzte jetzt mit flammenden Augen – seine katzenartigen Fangzähne blitzten unter den Lippen hervor – auf seinen Peiniger zu. Ich bin überzeugt, nur der Wahnsinn unerträglicher Furcht hatte diesen Angriff eingeben können. Sämtliche der sechzig Ungeheuer um uns herum schienen sich zu erheben. Ich zog den Revolver. Die beiden Gestalten stießen zusammen. Ich sah Moreau vom Schlage des Leopardenmenschen zurücktaumeln. Rings um uns erhob sich ein furchtbares Schreien und Heulen. Einen Moment glaubte ich, es sei eine allgemeine Empörung.

Ich sah das wütende Gesicht des Leopardenmenschen, der an mir vorbeirannte. M'ling folgte ihm auf den Fersen. Ich sah die gelben Augen des Hyänenschweins vor Aufregung blitzen; es sah aus, als sei es halb entschlossen, mich anzufallen. Auch der Satyr funkelte mich über die krummen Schultern des Hyänenschweins her an. Ich hörte Moreaus Pistole krachen und sah den Feuerstrahl durch den Tumult zucken. Die ganze Menge schwenkte herum, und auch ich wurde von dieser Bewegung mitgerissen. In der nächsten Sekunde lief ich, ein einzelner in einer tobenden, schreienden Schar, hinter dem fliehenden Leopardenmenschen her.

Das ist alles, was ich bestimmt sagen kann. Ich sah, wie der Leopardenmensch auf Moreau einschlug, und dann wirbelte alles um mich herum, bis ich Hals über Kopf davonlief.

M'ling war der erste, dem Flüchtling knapp auf den Fersen. Hinter ihm liefen, schon mit lang heraushängenden Zungen, in großen Sprüngen, die Wolfsfrauen. Das Schweinevolk folgte und quietschte vor Aufregung; dann kamen die beiden Stiermenschen in ihren weißen Bandagen. Dahinter rannte dann Moreau in einem Knäuel von Tiervolk; sein breitrandiger Strohhut war ihm davongeflogen, den Revolver hielt er in der Hand, sein dünnes weißes Haar wehte in der Luft. Das Hyänenschwein lief im gleichen Schritt neben mir her und sah mich aus seinen Raubtieraugen verstohlen an; die anderen kamen trappelnd und schreiend hinter uns.

Der Leopardenmensch brach durch das hohe Schilf, das hinter ihm zurückschnellte und M'ling ins Gesicht rasselte. Wir anderen, die wir hinterdrein liefen, fanden einen ausgetretenen Pfad vor, als wir das Gebüsch erreichten. Die Jagd ging vielleicht eine Viertelmeile weit durch das Gebüsch und tauchte dann in ein dichteres Dickicht hinein, das uns beträchtlich aufhielt, obgleich wir in geschlossener Formation durchbrachen – Laubmassen schnellten uns ins Gesicht, tückische Schlingpflanzen fingen uns unterm Kinn oder schlangen sich um unsere Knöchel, dornige Pflanzen hakten sich zugleich in Kleider und Fleisch und zerrissen uns die Haut.

»Hier ist er auf allen vieren durchgebrochen«, keuchte Moreau, der jetzt gerade vor mir war.

»Keiner entkommt«, sagte der Wolfbär und lachte mir frohlockend vor Jagdlust ins Gesicht.

Wir stürmten weiter, diesmal über Felsbrocken, und sahen unser Wild vor uns, wie es auf allen vieren davonlief und uns über die Schulter her anknurrte. Da heulte das Wolfsvolk vor Wonne. Das Geschöpf war noch bekleidet, und in der Ferne sah sein Gesicht noch menschlich aus, aber die Haltung der vier Gliedmaßen war die einer Katze, und das verstohlene Senken der Schulter verriet deutlich die Angst des gejagten Tieres. Es sprang über einige gelbblühende Dornenbüsche und war verschwunden. M'ling war beinahe über den Platz hinüber.

Die meisten von uns kamen nicht mehr so schnell vorwärts wie am Beginn der Jagd und waren in gleichmäßiges Schrittempo gefallen. Ich sah, als wir über den offenen Platz liefen, daß die Meute sich aus einer Kolonne in eine langgezogene Linie verwandelt hatte. Das Hyänenschwein lief noch dicht neben mir und beobachtete mich im Laufen, wobei es die Schnauze von Zeit zu Zeit zu einem knurrenden Lachen zusammenzog.

Am Rand der Felsfläche hatte der Leopardenmensch, der merkte, daß er auf die Landzunge loslief, auf der er mich am Abend meiner Landung beschlichen hatte, im Unterholz einen Haken geschlagen. Aber Montgomery hatte das Manöver gesehen und machte ebenfalls kehrt.

So half ich keuchend, gegen Felsen taumelnd, von Dornenranken zerrissen, behindert von Farnen und Schilf, bei der Verfolgung des Leopardenmenschen, der das Gesetz gebrochen hatte, und das Hyänenschwein lief mir wild lachend zur Seite. Ich stolperte vorwärts, der Kopf wirbelte mir und das Herz pochte gegen meine Rippen; ich war todmüde und wagte doch nicht, die anderen aus dem Auge zu verlieren, um nicht mit diesem furchtbaren Gefährten allein zu bleiben. Ich stolperte trotz unendlicher Ermattung und trotz der brütenden Hitze des tropischen Nachmittags weiter.

Und schließlich ließ die Wut der Verfolger nach. Wir hatten das elende Geschöpf in einem Winkel der Insel eingeschlossen. Moreau ordnete uns, die Peitsche in der Hand, in eine unregelmäßige Linie, und wir rückten jetzt langsam vor, während wir einander dabei zuriefen, und zogen einen Kordon um unser Opfer. Es lauerte geräuschlos und unsichtbar in den Büschen, durch die ich bei jener nächtlichen Verfolgung vor ihm geflohen war.

»Ruhig!« rief Moreau, »ruhig!«, als wir das Gewirr von Unterholz erreichten und das Tier einschlossen.

»Achtung vor 'nem Ausfall!« tönte Montgomerys Stimme hinter uns aus dem Dickicht.

Ich stand auf dem Hang über den Büschen. Montgomery und Moreau gingen unten am Strand entlang. Langsam drangen wir durch das Netzwerk von Zweigen und Laub vor. Der Leopardenmensch verhielt sich still.

»Zurück in das Haus des Schmerzes, in das Haus des Schmerzes, in das Haus des Schmerzes!« bellte die Stimme des Affenmenschen einige zwanzig Meter rechts von mir.

Als ich das hörte, vergab ich dem armen Geschöpf alle Furcht, die es mir eingeflößt hatte. Ebenfalls rechts von mir brachen unter dem schweren Tritt des Pferderhinozeros die Äste und die Zweige schnellten zurück. Dann sah ich plötzlich durch das gezackte Laub hindurch im Halbdunkel unter dem üppigen Grün das Geschöpf, das wir jagten. Ich blieb stehen. Es hatte sich so klein wie möglich gemacht und blickte mich mit seinen leuchtenden grünen Augen an.

Es mag als ein seltsamer Widerspruch erscheinen – ich kann die Tatsache nicht erklären –, aber jetzt, da ich das Wesen dort in einer ganz und gar tierischen Haltung sah, mit seinen funkelnden Augen, und das unvollkommen menschliche Gesicht vor Angst verzerrt, da empfand ich wieder, wie sehr menschlich es doch war. Noch einen Moment, und die anderen Verfolger mußten es sehen, und es würde überwältigt und gefangen, um noch einmal die furchtbaren Qualen innerhalb der Ummauerung zu erfahren. Rasch zog ich den Revolver heraus, zielte zwischen die angsterfüllten Augen und feuerte.

In diesem Augenblick sah das Hyänenschwein das Geschöpf, warf sich mit einem gierigen Schrei darauf und schlug ihm blutdurstige Zähne in den Nacken. Rings um mich schwankten und krachten die grünen Massen des Dickichts, als das Tiervolk herbeistürzte. Ein Gesicht nach dem andern tauchte auf.

»Töten Sie's nicht, Prendick«, rief Moreau. »Töten Sie's nicht!« Und ich sah, wie er sich bückte, als er unter dem Laub der großen Farne durchbrach.

Im nächsten Moment hatte er das Hyänenschwein mit dem Griff seiner Peitsche zurückgeschlagen, und er und Montgomery hielten das aufgeregte, fleischfressende Tiervolk, und besonders M'ling, von dem noch zuckenden Leichnam ab. Das haarige graue Wesen kroch, nach der Leiche schnüffelnd, unter meinem Arm durch. Die anderen Tiere stießen mich beiseite, um besser sehen zu können.

»Verdammt, Prendick!« rief Moreau. »Ich wollte ihn haben.«

»Tut mir leid«, sagte ich, obgleich es mir nicht leid tat. »Es ist ganz spontan geschehen.« Ich fühlte mich krank vor Anstrengung und Aufregung. Ich drehte mich um, arbeitete mich aus dem Haufen des mich umdrängenden Tiervolkes heraus und ging allein den Hang hinauf zum höher gelegenen Teil der Landzunge. Ich hörte Moreaus gebieterische Stimme und knackende Geräusche, als die drei weißbandagierten Stiermenschen das Opfer zum Wasser hinunterschleppten.

Es war jetzt nicht schwer, allein zu sein. Das Tiervolk bekundete eine ganz menschliche Neugier für die Leiche und folgte ihr in dichter Schar; die Geschöpfe knurrten und beschnüffelten sie, als die Stiermenschen sie den Strand hinunterschleiften. Ich ging zu der Landzunge und beobachtete die Stiermenschen, wie sie, schwarz vor dem Abendhimmel, die schwere Last ins Meer hinaustrugen, und wie eine Eingebung überkam mich die Einsicht in die unsägliche Zwecklosigkeit der Vorgänge auf dieser Insel. Am Strand zwischen den Felsen unter mir standen der Affenmensch, das Hyänenschwein und noch ein paar andere vom Tiervolk um Moreau und Montgomery herum. Sie waren alle äußerst aufgeregt und flossen über von Beteuerungen ihrer Treue gegen das Gesetz. Und doch war ich absolut überzeugt, daß das Hyänenschwein am Töten der Kaninchen beteiligt gewesen war. Eine seltsame Gewißheit überkam mich, daß ich hier – wenn auch in groben Linien und grotesken Formen – im kleinen die ganze Bilanz des menschlichen Lebens vor mir hatte, das ganze Zusammenspiel von Instinkt, Vernunft und Schicksal in seiner einfachsten Form. Der Leopardenmensch war zufällig zugrunde gegangen. Das war der ganze Unterschied.

Die armen Tiere! Ich begann die gemeinere Seite von Moreaus Grausamkeit zu sehen. Ich hatte bisher noch nicht an den Schmerz und die Unruhe gedacht, die diese armen Opfer befielen, nachdem sie aus Moreaus Händen gekommen waren. Mir hatte nur vor den Tagen der wirklichen Peinigung im Hause geschaudert. Aber jetzt schien mir das der geringere Teil. Vorher waren sie Tiere gewesen; ihre Instinkte waren ihrer Umgebung angepaßt, und sie selbst so glücklich, wie lebendige Wesen nur sein können. Jetzt stolperten sie in den Fesseln der Menschlichkeit dahin, lebten in einer Angst, die niemals starb, von einem Gesetz gequält, das sie nicht verstanden; ihre halbmenschliche Existenz begann in Qualen, war ein einziger langer, innerer Kampf, eine einzige lange Furcht vor Moreau – und wozu? Die Nutzlosigkeit regte mich auf.

Hätte Moreau irgendein verständliches Ziel gehabt, so hätte ich wenigstens ein wenig mit ihm sympathisieren können. So empfindlich gegen den Schmerz bin ich nicht. Ich hätte ihm vielleicht sogar teilweise verziehen, wenn sein Motiv Haß gewesen wäre. Aber er war so verantwortungslos, so absolut gleichgültig. Seine Wißbegierde, seine tollen, ziellosen Forschungen trieben ihn vorwärts, und die von ihm geschaffenen Wesen wurden ausgesetzt, um ein Jahr oder so zu leben; um zu kämpfen, zu irren und zu leiden; um schließlich in Schmerzen zu sterben. Sie waren elend, der alte tierische Haß drängte sie, sich gegenseitig zu beunruhigen; nur das Gesetz hielt sie von einem kurzen, heißen Kampf und der klaren Entscheidung ihrer natürlichen Feindseligkeiten zurück.

In diesen Tagen entsprach meine Furcht vor dem Tiervolk meiner persönlichen Furcht für Moreau. Ich verfiel in einen krankhaften, leidenden Zustand, der auf meinem Geist dauernde Narben zurückgelassen hat. Ich muß gestehen, daß ich den Glauben an die Gesundheit der Welt verlor, als ich sah, daß diese Welt die schmerzhafte Unordnung dieser Insel duldete. Ein blindes Schicksal, ein ungeheurer, erbarmungsloser Mechanismus schien dieses Dasein zu formen, und Moreau (durch seine Leidenschaft für die Forschung), Montgomery (durch seine Leidenschaft für das Trinken), ich und das Tiervolk mit seinen Instinkten und geistigen Beschränkungen wurden erbarmungslos, unvermeidlich in dem unendlich komplizierten, nie ruhenden Räderwerk zerrissen und zermalmt. Aber dieser Zustand kam nicht über Nacht ... Ich glaube wirklich, ich greife ein wenig vor, wenn ich jetzt schon davon rede.


 << zurück weiter >>