Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

9. Unheimliche Begegnungen

Ich wanderte durch das Gestrüpp, das den Hügel hinter dem Hause bedeckte, und achtete kaum darauf, wohin ich ging. Ich kam durch den Schatten dichter, geradstämmiger Bäume und befand mich alsbald auf der andern Seite des Hügelrückens, wo ich zu einem Bach niederstieg, der durch ein enges Tal floß. Ich stand still und horchte. Die Entfernung oder die dazwischen liegenden Dickichtmassen erstickten jeden Schall, der vielleicht noch aus der Ummauerung drang. Die Luft war still. Dann tauchte raschelnd ein Kaninchen auf und sprang den Hang vor mir hinauf und davon. Ich zögerte und setzte mich an den Rand des Schattens.

Die Stelle war hübsch. Der Bach war in der üppigen Vegetation der Ufer verborgen; nur an einer Stelle sah ich einen dreieckförmigen Ausschnitt seines glitzernden Wassers. Auf der anderen Seite entdeckte ich durch den bläulichen Nebel hindurch eine Wildnis von Bäumen und Schlinggewächsen und darüber das leuchtende Blau des Himmels. Hier und dort bezeichnete ein weißer oder roter Fleck die Blüte einer Luftpflanze. Ich ließ meine Augen eine Zeitlang über diese Szenerie wandern, und dann begann ich von neuem an die sonderbaren Eigenheiten von Montgomerys Diener zu denken. Aber es war zu heiß, um zusammenhängend zu denken; und bald verfiel ich in einen unruhigen Dämmerzustand zwischen Schlafen und Wachen.

Daraus weckte mich nach ich weiß nicht wie langer Zeit ein Rascheln in den Büschen am anderen Ufer. Einen Moment lang sah ich nichts als die wogenden Spitzen der Farne und Kräuter. Dann erschien plötzlich etwas am Ufer des Baches – erst konnte ich nicht erkennen, was es war. Es beugte den Kopf zum Wasser und begann zu trinken. Dann sah ich, daß es ein Mensch war, der wie ein Tier auf allen vieren ging!

Er war in bläuliches Tuch gekleidet, hatte kupferfarbene Haut und schwarzes Haar. Es schien, als wäre groteske Häßlichkeit das unabänderliche Merkmal dieser Insulaner. Ich konnte das Schlürfen der Lippen hören, als der Mensch trank.

Ich beugte mich vor, um ihn besser zu sehen, und ein Stück Lava, das meine Hand gelöst hatte, kollerte den Hang hinunter. Er blickte schuldbewußt auf, und seine Augen begegneten den meinen. Sofort sprang er auf die Füße, wischte sich mit seiner plumpen Hand den Mund und sah mich an. Seine Beine waren kaum halb so lang wie sein Rumpf. Wir starrten uns verwirrt an und verharrten so wohl eine Minute lang. Dann schlich der Kerl durch die Büsche rechts von mir davon, wobei er ein- oder zweimal stehenblieb, um zurückzublicken; ich hörte das Geräusch des Laubes in der Ferne schwächer werden und ersterben. Noch lange, nachdem er verschwunden war, blieb ich sitzen und starrte in die Richtung, die er eingeschlagen hatte. Meine schläfrige Ruhe war fort.

Ich erschrak über ein Geräusch hinter mir, wandte mich plötzlich um und sah den nickenden weißen Schwanz eines Kaninchens den Hang hinauf verschwinden. Ich sprang auf die Füße.

Die Erscheinung dieses grotesken, halbtierischen Geschöpfes vorhin hatte mir plötzlich die Stille des Nachmittags bevölkert. Ich sah mich ziemlich nervös um und bedauerte, daß ich unbewaffnet war. Dann fiel mir ein, daß der Mensch, den ich eben gesehen hatte, in bläuliches Tuch gekleidet war, daß er nicht nackt war, wie es ein Wilder gewesen wäre, und ich versuchte mir deshalb einzureden, daß er wahrscheinlich doch ein friedlicher Charakter sein müsse, trotz der stumpfen Wildheit seines Gesichts.

Und doch hatte mich die Erscheinung stark beunruhigt. Ich ging den Hang nach links hinauf, wendete den Kopf und blickte zwischen den Baumstämmen durch. Warum sollte ein Mensch auf allen vieren gehen und mit seinen Lippen trinken? Gleich darauf hörte ich wieder ein tierisches Klagen, und da ich es für das des Pumas hielt, wandte ich mich um und ging in der dem Schall diametral entgegengesetzten Richtung davon. Das führte mich zum Bach hinunter, den ich überschritt; und dann bahnte ich mir einen Weg durch das Unterholz.

Mich erschreckte ein großer, lebhafter Scharlachfleck am Boden, und als ich ihn näher betrachtete, sah ich, daß es eine sonderbare Schwammart war, verästelt und runzlig wie eine blättrige Flechte; aber bei der Berührung zerfloß sie zu Schleim. Und dann traf ich im Schatten einiger Farne auf etwas Unerfreuliches, den Leichnam eines Kaninchens, der mit glitzernden Fliegen bedeckt, aber noch warm war; der Kopf war abgerissen. Ich blieb beim Anblick des verspritzten Blutes erschrocken stehen. Hier zumindest war einer der Besucher der Insel umgebracht worden!

Spuren weiterer Gewalttat gab es nicht. Es sah aus, als sei das Kaninchen plötzlich angegriffen und getötet worden. Und als ich die kleine Leiche anstarrte, überlegte ich, wie die Sache wohl geschehen war. Die unbestimmte Angst, die ich verspürte, seit ich das unmenschliche Gesicht des Mannes am Bach gesehen hatte, wurde deutlicher, als ich dort stand. Ich erkannte, wie verwegen ich gewesen war, mich unter dieses unbekannte Volk zu wagen. Das Dickicht rings verwandelte sich in meiner Phantasie. Jeder Schatten wurde ein Hinterhalt, jedes Rascheln eine Drohung. Unsichtbare Wesen schienen mich zu beobachten.

Ich beschloß, zur Ummauerung am Strande zurückzukehren. Ich drehte mich plötzlich um und brach heftig – vielleicht sogar rasend – durch die Büsche, begierig, wieder offenen Raum vor mir zu haben.

Ich hielt gerade rechtzeitig inne, um nicht auf eine Lichtung hinauszulaufen, die vom Sturz eines Baumes herrührte; Sämlinge schossen schon hoch und rangen um den leeren Raum, und dahinter hatte sich das Dickicht von Stämmen, Schlingpflanzen und Schwamm und Blütenflecken schon wieder geschlossen. Vor mir, auf den morschen Überresten eines riesigen, gestürzten Baums, hockten, noch ohne meine Nähe zu ahnen, drei groteske menschliche Gestalten. Eine war offenbar weiblich. Die beiden anderen waren Männer. Sie waren nackt, bis auf scharlachfarbene Tuchbinden um die Mittelpartie, und ihre Haut war von stumpfer, rötlichgrauer Farbe, wie ich sie noch bei keinem Wilden gesehen hatte. Sie hatten fette, grobe Gesichter ohne Kinn, fliehende Stirnen und spärliches, borstiges Haar auf den Köpfen. Nie hatte ich bestialischer aussehende Geschöpfe gesehen.

Sie sprachen, oder wenigstens einer der Männer sprach zu den beiden anderen, und alle drei waren zu vertieft gewesen, um auf das Rascheln zu achten, als ich näher kam. Sie wiegten Köpfe und Schultern. Die Worte des Sprechers sprudelten rasch und schlampig hervor, und obgleich ich sie deutlich hören konnte, konnte ich nicht verstehen, was der Mann sagte. Er schien mir ein kompliziertes Rotwelsch zu sprechen. Plötzlich wurde seine Artikulation schriller; er breitete die Hände aus und erhob sich.

Da begannen die anderen im Chor zu schwätzen, während sie gleichfalls aufstanden, die Hände ausbreiteten und sich im Rhythmus ihres Singsangs hin und her wiegten. Mir fiel die abnorme Kürze ihrer Beine und die Plumpheit und Schlaffheit ihrer Füße auf. Alle drei begannen sich langsam im Kreis zu bewegen und mit den Füßen zu stampfen und die Arme zu schwingen; eine Art Melodie schlich sich in ihre rhythmische Rezitation, und ein Refrain – er klang etwa wie »Alula« oder »Balula«. Ihre Augen begannen zu funkeln, und ihre häßlichen Gesichter erhellten sich und zeigten den Ausdruck einer unheimlichen Freude. Aus ihren lippenlosen Mündern tropfte Speichel.

Plötzlich, als ich noch ihre grotesken und unerklärlichen Gesten beobachtete, merkte ich zum erstenmal klar, was mich so verstört hatte, was mir die beiden unvereinbaren und widerstreitenden Eindrücke äußerster Fremdartigkeit und seltsamster Vertrautheit vermittelt hatte. Die drei mit diesem geheimnisvollen Ritus beschäftigten Geschöpfe besaßen zwar menschliche Gestalt, erinnerten jedoch auf die seltsamste Weise an Haustiere. All diese Geschöpfe trugen trotz ihrer menschlichen Form und trotz der Andeutung von Kleidung in sich, in ihre Bewegungen, in den Ausdruck ihrer Gesichter, in ihr ganzes Wesen hinein verwoben, das unverkennbare Zeichen eines Tiers: immer wieder mußte ich bei ihrem Anblick an Schweine denken.

Ich stand da, überwältigt von dieser verblüffenden Entdeckung, und dann stürzten die furchtbarsten Fragen auf mich ein. Die Geschöpfe begannen in die Luft zu springen, erst eines und dann auch die anderen; sie schrien und grunzten. Dann glitt eines aus und stand einen Moment auf allen vieren; freilich erhob es sich sofort. Aber der flüchtige Blick auf das echte Tiertum dieser Ungeheuer war genug.

Ich wandte mich so geräuschlos wie möglich um, und erstarrte vor Angst, entdeckt zu werden, jedesmal, wenn ein Zweig knackte oder ein Blatt raschelte, als ich in die Büsche zurückwich. Es dauerte lange, ehe ich kühner wurde und mich frei zu bewegen wagte.

Mein einziger Gedanke war im Moment, von diesen widrigen Wesen fortzukommen, und ich achtete nicht darauf, daß ich auf einen kaum erkennbaren Pfad zwischen den Bäumen geraten war. Dann, als ich plötzlich über eine kleine Lichtung kam, sah ich mit unangenehmem Schreck zwei plumpe Beine zwischen den Bäumen, die mit geräuschlosen Schritten parallel zu meinem Weg gingen. Kopf und Oberleib waren hinter einem Gewirr von Schlingpflanzen verborgen. Ich blieb unvermittelt stehen. Die Füße ebenfalls. Ich war so nervös, daß ich den Impuls zu jäher Flucht nur mit größter Mühe beherrschte.

Dann blickte ich scharf hin und erkannte durch das verschlungene Netzwerk Kopf und Rumpf des Viehs, das ich hatte trinken sehen. Es bewegte den Kopf. In seinen Augen blitzte es smaragden, als es mich aus dem Schatten der Bäume heraus ansah, ein Aufleuchten, das verschwand, als es den Kopf wieder wandte. Es stand einen Moment regungslos, und dann begann es mit geräuschlosen Füßen durch die grüne Wirrnis zu laufen. Im nächsten Moment war es hinter einigen Büschen verschwunden. Ich konnte es nicht sehen, aber ich fühlte, daß es stehengeblieben war und mich wieder beobachtete.

Was um alles in der Welt war das – Mensch oder Tier? Was wollte es von mir? Ich hatte keine Waffe, nicht einmal einen Stock. Flucht wäre Wahnsinn gewesen. Auf jeden Fall fehlte dem Wesen der Mut, mich anzugreifen. Ich biß die Zähne zusammen und ging gerade darauf zu. Ich wollte ihm die Furcht nicht zeigen, die mir das Rückgrat lähmte. Ich zwängte mich durch ein Dickicht großer, weißblütiger Büsche und sah das Ungeheuer zwanzig Meter dahinter; es blickte mich über die Schulter an und zögerte. Ich ging einen oder zwei Schritte weiter und sah ihm fest in die Augen.

»Wer bist du?« fragte ich. Es versuchte, meinem Blick zu begegnen.

»Nein!« sagte es plötzlich, wandte sich und sprang von mir fort ins Unterholz. Dann wandte es sich von neuem und starrte mich an. Seine Augen glänzten hell aus der Dämmerung unter den Bäumen.

Mir klopfte das Herz im Halse, aber ich fühlte, daß meine einzige Chance Verwegenheit war, und ich ging unverwandt auf das Wesen zu. Es wandte sich wieder und verschwand im dunklen Gesträuch. Noch einmal meinte ich, das Glitzern seiner Augen zu erkennen. Doch dann war da nichts mehr.

Zum ersten Male wurde mir klar, welche Folgen die späte Stunde für mich haben konnte. Die Sonne war schon seit einigen Minuten untergegangen, die schnelle Dämmerung der Tropen verblich am östlichen Himmel, und ein erster Nachtfalter flatterte mir still am Kopf vorbei. Wollte ich nicht die Nacht inmitten der unbekannten Gefahren des geheimnisvollen Waldes verbringen, so mußte ich zur Ummauerung zurückeilen.

Der Gedanke an eine Rückkehr in diese schmerzerfüllte Zuflucht war mir äußerst zuwider, aber noch unangenehmer war der, im Freien von der Dunkelheit überrascht zu werden, und von allem, was dieses Dunkel verbergen mochte. Ich warf noch einen Blick in die blauen Schatten, die dieses merkwürdige Geschöpf verschlungen hatten, und suchte dann den Weg hinunter zum Bach zurück, wobei ich, meiner Meinung nach, die Richtung einschlug, aus der ich gekommen war.

Ich strebte, von all diesen Dingen beunruhigt, ungeduldig vorwärts und befand mich plötzlich auf einem ebenen Platz unter zersplitterten Bäumen. Die farblose Klarheit, die der Sonnenuntergangsröte folgt, wurde dunkler. Der blaue Himmel färbte sich intensiver, und die kleinen Sterne erschienen einer nach dem anderen; die Zwischenräume zwischen den Bäumen, die Lücken im Busch, die im blauen Tageslicht nebelblau gewesen waren, wurden schwarz und geheimnisvoll.

Ich eilte weiter. Jede Farbe verlosch. Die Baumwipfel hoben sich tintenschwarz von dem leuchtendblauen Himmel ab, und alles, was sich darunter befand, verschmolz in gestaltlosem Dunkel. Dann wurden die Bäume spärlicher, das strauchige Unterholz üppiger. Schließlich kam ich auf eine einsame Lichtung, die mit weißem Sand bedeckt war, und dann folgte wieder eine Strecke verwachsenen Buschwerks.

Ich erschrak von einem leisen Rascheln zu meiner rechten Hand. Erst dachte ich, es sei Einbildung, denn sooft ich stillestand, war alles ruhig, nur die Abendbrise strich durch die Baumwipfel. Wenn ich dann wieder weiterging, folgte meinen Schritten etwas wie ein Echo.

Ich zog mich vom Dickicht zurück, hielt mich auf offenem Grund und versuchte hin und wieder dieses Wesen, wenn es existierte, durch plötzliche Wendungen zu überraschen, sobald es auf mich zuschlich. Ich sah nichts, und trotzdem wuchs das Gefühl, daß noch jemand da war, beständig. Ich ging schneller und kam nach einiger Zeit zu einem sanften Hügelrücken; ich überschritt ihn, wandte mich scharf und blickte von der anderen Seite unverwandt hinauf. Der Rand stand schwarz und scharfumrissen vor dem dunklen Himmel.

Und gleich darauf schob sich einen Moment eine unförmige Masse vor die Himmelslinie und verschwand wieder. Ich war überzeugt, daß mich mein braungesichtiger Gegner neuerlich beschlich. Und zugleich damit erhielt ich die unangenehme Gewißheit, daß ich den Weg verloren hatte.

Eine Zeitlang eilte ich, von den unsichtbaren Schritten verfolgt, in hoffnungsloser Ungewißheit weiter. Was es auch war, dem Wesen fehlte es entweder an Mut, mich anzugreifen, oder es wartete, um mich an einer günstigen Stelle zu packen. Ich hielt mich sorgsam auf offenem Terrain. Ab und zu drehte ich mich um und horchte, und dann versuchte ich mir einzureden, daß mein Verfolger die Jagd aufgegeben habe oder nichts als ein Geschöpf meiner aufgeregten Phantasie sei. Da hörte ich das Rauschen des Meeres. Ich beschleunigte meine Schritte, dann lief ich, und sofort hörte ich hinter mir ein Stolpern.

Ich wandte mich plötzlich und starrte auf die Bäume hinter mir. Ein schwarzer Schatten schien sich mit einem anderen zu vereinigen. Ich horchte starr und hörte nichts als das Pochen des Blutes in meinen Ohren. Ich dachte, meine Nerven seien abgespannt und meine Phantasie täusche mich; ich wandte mich entschlossen wieder dem Rauschen des Meeres zu.

Nach etwa einer Minute erreichte ich eine kahle niedrige Landzunge, die in das düstere Wasser hineinragte. Die Nacht war ruhig und klar, und der Widerschein der Sterne zitterte im ruhigen Heben des Meeres. Eine Strecke weit draußen leuchtete die Brandung auf einem unregelmäßigen Band von Riffen in einem bleichen, eigenartigen Licht. Ich sah, wie sich im Westen das Zodiakallicht mit dem gelben Glanz des Abendsterns mischte. Die Küste fiel gegen Osten ab, und nach Westen zu war sie durch den Rücken des Vorgebirges verborgen. Dann besann ich mich auf die Tatsache, daß der Strand bei Moreaus Haus nach Westen lag.

Hinter mir brach ein Ast, und ich hörte ein Rascheln. Ich wandte mich um und stand vor den dunklen Bäumen. Ich konnte nichts sehen – und dennoch sah ich zuviel. Jeder Umriß im Dunkel wurde zu einer unheilvollen, lauernden Gestalt. So stand ich vielleicht eine Minute lang, und dann wandte ich mich, immer noch mit einem Auge auf den Bäumen, nach Westen, um über die Landzunge hinüberzugehen. Und sowie ich mich bewegte, bewegte sich auch einer der Schatten und folgte mir.

Mein Herz schlug rasch. Dann wurde die weite Fläche einer sich nach Westen öffnenden Bucht sichtbar und ich stand wieder still. Der geräuschlose Schatten hielt ein Dutzend Meter hinter mir. Ein kleiner Lichtpunkt glänzte an der ferneren Biegung des Ufers, und die graue Fläche der Sandbucht lag blaß unter dem Sternenlicht. Vielleicht zwei Meilen weit weg war jener kleine Lichtpunkt. Um an den Strand zu kommen, mußte ich durch den Wald gehen, wo die Schatten lauerten, und dann einen mit Sträuchern bewachsenen Hang hinunter.

Ich konnte das Wesen jetzt etwas deutlicher sehen. Es war kein Tier, denn es stand aufrecht. Da öffnete ich den Mund zum Sprechen und entdeckte, daß mir Schleim die Stimme erstickte. Ich versuchte es noch einmal und rief: »Wer ist da?« Es kam keine Antwort. Ich ging einen Schritt weiter. Das Wesen rührte sich nicht; spannte nur jeden Muskel. Mein Fuß stieß an einen Stein.

Da kam mir eine Idee. Ohne die Augen von der schwarzen Gestalt vor mir abzuwenden, bückte ich mich und hob den Stein auf. Aber bei meiner Bewegung wandte sich das Wesen unvermittelt, wie ein Hund, und schlich schräg ins Dunkel hinein. Dann fiel mir ein Schuljungenmittel gegen große Hunde ein; ich knotete den Stein in mein Taschentuch und schlang es mir ums Handgelenk. Ich hörte eine Bewegung im Unterholz, als ob das Wesen auf dem Rückzug sei. Da ließen meine Anspannung und Erregung plötzlich nach; ich brach in Schweiß aus und begann zu zittern, als mein Gegner floh, und ich diese Waffe in der Hand hatte.

Es dauerte einige Zeit, ehe ich den Entschluß fassen konnte, durch die Bäume und Büsche an der Flanke der Landzunge zum Strand hinunterzugehen. Schließlich lief ich los, und als ich aus dem Dickicht auf den Sand hinausrannte, hörte ich jemand anderen mir krachend nachstürzen.

Da verlor ich vor Angst vollständig den Kopf und begann den Sand entlang zu laufen. Sofort hörte ich das schnelle Geräusch weicher verfolgender Füße. Ich stieß einen wilden Schrei aus und verdoppelte meine Geschwindigkeit. Ein paar dunkle, schwarze Wesen, etwa drei- oder viermal so groß wie Kaninchen, hüpften vom Strand zu den Büschen hinauf, als ich vorüberlief. Solange ich lebe, werde ich an das Grauen dieser Jagd denken. Ich lief nah am Rande des Wassers und hörte von Zeit zu Zeit das Klatschen der Füße, die mich einholten. Fern, hoffnungslos fern war das gelbe Licht. Die Nacht um mich herum war schwarz und still. Klatsch, klatsch, kamen die Füße näher. Ich fühlte, wie mir die Luft ausging, denn ich war völlig untrainiert; der Atem pfiff, wenn ich ihn einzog, und in der Seite fühlte ich messerscharfen Schmerz. Ich wußte, das Wesen würde mich längst, ehe ich die Ummauerung erreichte, einholen – und verzweifelt und nach Atem ringend drehte ich mich um, stürzte darauf zu und traf es, als es herankam – traf es mit all meiner Kraft. Der Stein rutschte dabei aus der Schlinge heraus.

Als ich mich umwandte, erhob sich das Geschöpf, das auf allen vieren gelaufen war, und das Geschoß schlug genau gegen seine linke Schläfe. Der Schädel dröhnte laut und der Tiermensch stürzte auf mich zu, warf mich mit den Händen zurück, stolperte an mir vorbei und stürzte kopfüber auf den Sand, mit dem Gesicht ins Wasser. Und dort blieb er liegen.

Ich konnte mich nicht dazu überwinden, mich dem schwarzen Haufen zu nähern. Ich ließ ihn dort liegen, wo das Wasser sich unter den stillen Sternen um ihn herum kräuselte, und setzte meinen Weg fort, auf das gelbe Licht des Hauses zu. Und dann hörte ich plötzlich mit Erleichterung das jämmerliche Klagen des Pumas, das Geräusch, das mich ursprünglich hinausgetrieben hatte, diese geheimnisvolle Insel zu erforschen. Obgleich ich schwach und furchtbar ermattet war, nahm ich all meine Kraft zusammen und begann wieder, auf das Licht zuzulaufen. Mir war, als riefe mich eine Stimme.


 << zurück weiter >>