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6. Die verdächtigen Bootsleute

Aber die Insulaner faßten, als sie mich so dahintreiben sahen, Mitleid mit mir. Ich wurde sehr langsam nach Osten getragen, schräg auf die Insel zu, und plötzlich sah ich mit hysterischer Erleichterung das Boot wenden und zu mir zurückfahren. Es war schwer beladen, und als es herankam, konnte ich sehen, daß Montgomerys Gefährte mit dem weißen Haar und den breiten Schultern mit den Hunden und mehreren Packkisten zusammengedrängt im Heck saß. Dieser Mensch starrte mich fest an, ohne sich zu rühren oder zu sprechen. Der Krüppel mit dem schwarzen Gesicht, der neben dem Pumakäfig im Bug kauerte, starrte mich ebenso unbeweglich an. Außerdem waren noch drei Leute vorhanden, seltsame, tierisch aussehende Gesellen, die von den Hetzhunden wild angeknurrt wurden. Montgomery steuerte und brachte das Boot zu mir her; er stand auf und befestigte meine Bootsleine an seiner Ruderpinne, um mich ins Schlepptau zu nehmen – denn es war kein Platz an Bord.

Ich hatte mich mittlerweile von meiner hysterischen Phase erholt und beantwortete seinen Ruf, als er herankam, ziemlich beherzt. Ich sagte ihm, das Boot sei fast voll, und er reichte mir eine Wasserschaufel. Ich wurde nach hinten geschleudert, als das Seil zwischen den beiden Booten sich spannte. Eine Zeitlang hatte ich mit dem Schöpfen zu tun.

Erst als ich das Wasser entfernt hatte – das Boot war im übrigen vollständig heil –, hatte ich Muße, mir die Leute im Langboot wieder anzusehen.

Der weißhaarige Mensch blickte mich noch immer unverwandt an, aber, wie es mir jetzt vorkam, mit dem Ausdruck einiger Besorgnis. Als meine Augen den seinen begegneten, blickte er auf den Hund nieder, der ihm zwischen den Knien saß. Es war, wie ich schon sagte, ein mächtig gebauter Mann mit schöner Stirn und etwas derben Zügen, aber seine Augen zeigten das merkwürdige Überhängen der Haut über die Lider, wie es oft mit den vorrückenden Jahren kommt, und die herabgezogenen Mundwinkel gaben ihm den Ausdruck kampflustiger Entschlossenheit. Er sprach mit Montgomery in zu leisem Ton, als daß ich seine Worte hätte verstehen können. Von ihm wanderten meine Augen zu den drei Bootsleuten: es war eine seltsame Mannschaft. Ich sah nur ihre Gesichter, aber in ihren Gesichtern lag etwas – ich weiß nicht, was –, das mir einen wunderlichen Krampf des Widerwillens verursachte. Ich sah sie fest an, und der Ekel verging nicht, obgleich ich nicht einsah, was ihn veranlaßte. Es schienen mir braune Menschen zu sein, aber ihre Glieder waren sonderbarerweise in dünnes, schmutziges weißes Zeug gehüllt – bis hinunter zu den Fingern und Füßen. Ich habe Männer nie so eingewickelt gesehen, und Frauen nur im Osten. Sie trugen auch Turbans, und darunter blickten mich ihre gnomenhaften Gesichter an, Gesichter mit vorspringendem Unterkiefer und glänzenden Augen. Sie hatten schlichtes schwarzes Haar, fast wie Pferdehaar, und wie sie dasaßen, schienen sie an Größe alle Menschenrassen zu überragen, die ich je gesehen habe. Der weißhaarige Mann, der, wie ich wußte, gute sechs Fuß maß, war im Sitzen einen Kopf kleiner als der kleinste von den dreien. Später fand ich, daß in Wirklichkeit keiner größer war als ich, aber ihr Rumpf war abnorm lang und die Schenkelpartie kurz und merkwürdig gewunden. Auf jeden Fall war es eine verblüffend häßliche Gesellschaft, und über ihren Köpfen, unter der vorderen Rahe, blickte mich der Mann mit dem schwarzen Gesicht an, dessen Augen im Dunkel leuchteten.

Als ich sie anstarrte, begegneten sie meinem Blick, und dann wandten sie sich einer nach dem anderen ab, und nun blickten sie mich merkwürdig verstohlen an. Mir kam der Gedanke, ich belästige sie vielleicht, und ich widmete meine Aufmerksamkeit der Insel, der wir uns näherten.

Sie war niedrig und mit dichter Vegetation bedeckt, hauptsächlich einer Palmenart, die mir neu war. An einem Punkt stieg dünner weißer Rauch schräg in eine ungeheure Höhe und verästelte sich dann wie eine Daunenfeder. Wir waren jetzt im Halbrund einer weiten Bucht, zu deren beiden Seiten sich ein niedriges Vorgebirge erhob. Der Strand war schmutziger grauer Sand und stieg steil zu einem Hügelrücken empor, der etwa sechzig bis siebzig Fuß über dem Wasserspiegel lag und unregelmäßig mit Bäumen und Unterholz bewachsen war. Auf halbem Weg zu der Anhöhe befand sich eine viereckige, bunte Steinmauer, die, wie ich später herausfand, zum Teil aus Korallen, zum Teil aus bimssteinartiger Lava gebaut war. Zwei strohgedeckte Dächer ragten aus dieser Mauer heraus.

Ein Mann stand am Wasserrand und erwartete uns. Als wir noch weit ab waren, glaubte ich, noch andere und sehr groteske Geschöpfe auf dem Abhang in die Gebüsche huschen zu sehen; sie waren jedoch verschwunden, als wir näher kamen. Dieser Mann war von mittlerer Größe und hatte ein schwarzes, negroides Gesicht, einen großen, fast lippenlosen Mund, ungewöhnlich dünne Arme, lange, dünne Füße und O-Beine, und er stand da, den schweren Kopf vorgeschoben, und starrte uns an. Er war wie Montgomery und sein weißhaariger Gefährte in Jackett und Hosen aus blauer Serge gekleidet.

Als wir noch näher kamen, begann dieses Wesen auf dem Strand hin- und herzulaufen und die groteskesten Bewegungen zu machen. Auf ein Kommandowort von Montgomery sprangen die vier Leute im Langboot mit sonderbar linkischen Gesten auf und holten die Segel ein. Montgomery steuerte einen schmalen, kleinen Anlegeplatz an, der in den Strand gegraben war. Dann eilte der Mann auf dem Strand zu uns. Dieser Anlegeplatz war eigentlich nichts als ein Graben, der bei diesem Flutstand gerade lang genug war, um das Langboot aufzunehmen.

Ich hörte den Bug auf dem Sand knirschen, hielt mein Boot mit der Schöpfkelle vom Steuerruder des großen ab, band das Tau los und landete. Die drei eingemummten Männer kletterten mit ungeheuer plumpen Bewegungen auf den Sand hinaus und begannen sofort unter Mithilfe des Mannes am Strand die Ladung zu landen. Mir fielen besonders die sonderbaren Beinbewegungen der drei bandagierten Bootsleute auf – sie waren nicht steif, aber irgendwie merkwürdig verrenkt, beinahe so, als säßen die Gelenke verkehrt. Die Hunde knurrten diese Leute weiter an und zerrten an ihren Ketten, als der weißhaarige Mann mit ihnen an Land ging.

Die drei großen Burschen sprachen miteinander in sonderbaren Gutturallauten, und der Mann, der am Strand auf uns gewartet hatte, begann aufgeregt mit ihnen zu schwatzen – eine fremde Sprache, wie mir schien –, als sie die Hand an einige beim Heck aufgehäufte Ballen legten. Irgendwo hatte ich eine solche Stimme schon gehört, aber ich konnte mich nicht besinnen, wo. Der weißhaarige Mann stand da, bändigte sechs Hunde und schrie Befehle, die ihren Lärm übertönten. Montgomery ging gleichfalls an Land, und alle begannen mit dem Löschen. Ich war aufgrund meines langen Fastens und der Sonne, die mir auf den bloßen Kopf brannte, zu schwach, um Hilfe anzubieten.

Plötzlich schien sich der Weißhaarige meiner Gegenwart zu erinnern, und er trat zu mir. »Sie sehen aus«, sagte er, »als hätten Sie kaum etwas gefrühstückt.«

Seine kleinen Augen glänzten schwarz unter den schweren Brauen. »Da muß ich mich entschuldigen. Sie sind jetzt unser Gast, und wir müssen es Ihnen behaglich machen – obgleich Sie uneingeladen sind, wie Sie wissen.«

Er sah mir scharf ins Gesicht. »Montgomery sagt, Sie sind ein gebildeter Mann, Mr. Prendick – er meint, Sie verstehen etwas von den Naturwissenschaften. Darf ich fragen, was das bedeutet?«

Ich sagte ihm, ich hätte einige Jahre auf dem Royal College of Science studiert und unter Huxley ein wenig biologische Forschungen getrieben. Da hob er leicht die Augenbrauen.

»Das ändert den Fall ein wenig, Mr. Prendick«, sagte er mit einer Spur mehr Achtung in der Stimme. »Zufällig sind wir hier Biologen. Dies ist eine biologische Station – gewissermaßen.« Sein Auge ruhte auf den Leuten in Weiß, die den Pumakäfig auf Rollen zu dem ummauerten Hof hinaufschleppten. »Wenigstens ich und Montgomery sind Biologen«, fügte er hinzu.

Und dann: »Wann Sie von hier wieder fortkommen können, weiß ich nicht. Wir liegen abseits aller Schiffsrouten. Wir sehen nur alle Jahre oder so einmal ein Schiff.«

Er ließ mich unvermittelt stehen, ging den Strand hinauf und betrat, glaube ich, den ummauerten Hof. Die beiden anderen Leute waren mit Montgomery beschäftigt, auf einem niedrigen Blockwagen Pakete aufzutürmen. Das Lama und die Kaninchenställe waren noch im Boot, die Hetzhunde noch an die Ruderbänke gefesselt. Als der Haufen vollständig war, faßten alle drei an dem Blockwagen an und begannen, die tonnenschwere Last berganzuschieben. Dann verließ Montgomery sie, kam zu mir zurück und hielt mir die Hand hin.

»Ich für meinen Teil«, sagte er, »bin froh. Der Kapitän war ein alberner Esel. Der hätte Ihnen die Hölle heiß gemacht.«

»Sie«, sagte ich, »haben mich zum zweitenmal gerettet.«

»Das kommt darauf an. Sie werden diese Insel verdammt verrückt finden, das verspreche ich Ihnen. Ich würde sorgfältig aufpassen, wohin ich ginge, wenn ich Sie wäre. Er ...« Er zögerte und schien doch nicht aussprechen zu wollen, was ihm auf den Lippen lag. »Könnten Sie mir mit diesen Kaninchen helfen?« fragte er.

Was er mit den Kaninchen tat, war sonderbar. Ich watete mit ihm ins Wasser und half ihm, einen von den Käfigen an Land zu ziehen. Kaum war das geschehen, so öffnete er die Tür, kippte den Behälter und schüttete dessen lebenden Inhalt auf den Boden. Die Tiere fielen in einem wirren Haufen eins übers andere. Er klatschte in die Hände, und sofort sprangen sie hüpfend davon, zwanzig oder dreißig, meine ich, den Strand hinauf. »Wachst und mehrt euch, meine Freunde«, sagte Montgomery. »Füllt die Insel. Bislang haben wir hier ein wenig Mangel an Fleisch gehabt.«

Während ich die Kaninchen verschwinden sah, kehrte der Weißhaarige mit einer Brandy-Flasche und etwas Zwieback zurück. »Für den ersten Hunger, Prendick«, sagte er in weit vertrauterem Ton als vorher.

Ich machte keine Umstände, sondern fiel sofort über die Biskuits her, während der weißhaarige Mann Montgomery noch einige zwanzig Kaninchen mehr befreien half. Drei große Käfige jedoch folgten dem Puma zum Haus hinauf. Den Brandy rührte ich nicht an, denn ich bin seit meiner Geburt Abstinenzler gewesen.


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