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Dritter Teil

I

In diesem zu zeitloser Dauer ausgesponnenen Augenblick wurde der Dichter durch Lablanche geweckt. Peytel wünschte seinen Besuch, wenn möglich sofort. Sie eilten zum Gefängnis. Balzac, unordentlich gekleidet, knöpfte auf dem Wege die Weste und die bauschigen Beinkleider fester, während sein Schritt stärker auf den Boden trat und sein vom Schlafe noch gedunsenes Gesicht in der kalten Luft sich schnell belebte. Er sah Lablanche fest an und erwartete, daß der Anwalt, der offenbar sehr erregt war, zu sprechen beginne, dieser aber schwieg, ganz gegen seine Gewohnheit.

Das Zellengefängnis fanden sie trotz der späten Stunde noch voller Leben, die Korridore heller als sonst beleuchtet, ein starkes Aufgebot von Gendarmen vor dem Portal, im Hofe der Conciergerie eine Menge Männer um ein mäßig hohes Gerüst versammelt, das aber schon vollendet schien, denn einzelne Hammerschläge klangen nur so, als würden sie spielend und nur, um die Sicherheit des Gerüstes zu bekunden, ausgeführt. Der Anwalt und Balzac wurden unverzüglich auf den Passierschein des Präsidenten hin durch den Eingang gelassen, man gab ihnen auch ohne weiteres den Durchgang durch drei gut bewachte eiserne Gittertüren frei, die in einen abgelegenen Trakt des Gefängnisses führten. Denn Peytel war nicht mehr in dem Raum, den er bis zu seiner Verurteilung bewohnt hatte.

In der neuen Zelle, die nun vor dem Anwalt und dem Dichter aufgeschlossen wird, ist nichts von dem furchtbaren Geruch nach Urin und faulendem Kohl zu spüren, der das alte Gemach verpestet hat. Aber etwas anderes, Grauen- und Furchterweckendes geht von der kleinen, sauber gehaltenen Kammer mit dem abschüssigen Fußboden aus, die nichts enthält als, in die Wand zu einer kleinen Höhlung eingelassen, ein auf Eisenstäben zurückschlagbares Lager. Es muß hart sein, da es nur aus einer von innen her kräftig versteiften, vier Finger hohen Matratze besteht. Ferner sieht der Dichter ein Kreuz aus schwarzem Holze, ohne den Heiland, an der Fensterwand, jedoch so hoch oben, daß auch ein gut gewachsener Mann es mit ausgestrecktem Arme nicht erreichen oder herunterreißen kann. Kein Tisch, keine Bank, kein Waschgerät.

Ihnen entgegen tritt Peytel im grauen, warmen Gefängniskleide, mit sehr blassen, aber völlig ruhigen Zügen. Als Lablanche fragt, ob Peytel etwas brauche, verneint er zuerst, dann ergreift er einen ziemlich großen, hellgrauen eisernen Krug, der in der Ecke steht, gießt den Inhalt – es ist sonderbarerweise roter Wein – in ein dreieckiges Loch, das, in den Steinfußboden der Zelle eingelassen, als Ausguß dient, gibt den Krug, indem er sich von der Hand ein paar verspritzte Tröpfchen abwischt, Lablanche in die Hand und sagt mit einer etwas heiseren Stimme: »Doch, mein Lieber! Kann ich von meinem eigenen Wein haben, wird es mir recht sein.« – »Gewiß, mit größter Leichtigkeit. Man hat ihn schon vorbereitet«, antwortet Lablanche. »Sie sehen, wir haben Ihren Wunsch erfüllt. Nun erfüllen Sie auch den unsern. Wir glauben alle noch an einen Erfolg unserer Schrift, mir erscheint er fast sicher, und der Bote verspätet sich nur infolge der schlechten Wege. Trotzdem ...«

»Was soll's?« sagt Peytel heiser.

»Sie wissen es doch. Der Geistliche, Abbé Moncelle ...«

»Ach, Moncelle! Genügt Balzac nicht? Er ist ein so prachtvoller Mönch wie nur ein anderer.«

»Sie scherzen!«

»Nicht im mindesten. Ich werde meine Sachen mit dem Himmel regeln, ich bin Notar und weiß, was ich Gott schuldig bin.«

»Unser Kassationsgesuch ist doch nicht etwa verworfen?« fragt Balzac entsetzt. Er ist durch diese Nachricht so vernichtet, so niedergeschmettert im wahrsten Sinn, daß er eine Stütze sucht und keine andere findet als die in die Wand eingelassene Matratze, an der er sich festhalten will, die sich aber aus ihrer aufrechten Lage in den Scharnieren rasselnd löst und klirrend niederfährt.

»Ich habe gebeten, Sie zu verschonen, Herr von Balzac, und Ihren Besuch habe ich mir erst für heute vorbehalten. Behaglichkeit werden Sie von meinem Besuchszimmer nicht erwarten, der Boden ist kalt, von dem vergossenen Weine schlüpfrig, kaum daß man sich halten kann. Aber es ist geheizt, durch diese Öffnung kommt warme Luft, man wird die Nacht überdauern können. Bloß heißt es mit Vorsicht auf den schlüpfrigen Boden treten, damit man nicht ausgleitet.«

Er spricht noch lange, Dinge ohne Wichtigkeit und Beziehung berührend, während Balzac immer tiefer in seine Kleider versinkt, immer stärker trotz seines dicken Überrockes friert. Er fühlt seine Beine nicht mehr sicher unter sich, nun hat er sich auf der knarrenden, aber fest gebauten Matratze niedergelassen und starrt den schwatzenden Notar an.

Dieser fährt fort: »Nun, lieber Lablanche, erfüllen Sie unsern Wunsch, schicken Sie uns das Verlangte, lassen Sie uns dann bis morgen allein. Will unser Herrgott Wunder tun, hat er bis dahin Zeit. Wenn nicht, dann wird mir Ihr Besuch willkommen sein, und der Form wegen werde ich auch den Abbe empfangen. Mehr darf von mir billigerweise nicht verlangt werden.«

Lablanche verläßt mit einer stummen Verbeugung die Zelle. Nun wendet sich der Verurteilte Balzac zu.


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