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XVIII

»Sie wird morgen der ganzen Länge nach wieder aufgebaut«, sagte Balzac, der eben eintrat. »Der Schaden ist nicht so groß. Wir versuchten, die Mauer zu stützen, denn es handelte sich nur um die Zeit des Regens. Bei trockenem Wetter hätte sie sich noch lange halten können. Die Nachbarn meinten es auch. Nun werden wir besseren Backstein sowie römischen Zement nehmen.«

»Als Sie so eilig von uns Abschied nahmen«, sagte einer der Gäste, ohne dabei den Blick von Balzacs völlig mit Lehm beschmutzten, vom Regen aufgeweichten Kleidern zu lassen, »konnten wir Ihnen nicht danken für den hohen Genuß, den Sie uns durch Ihre kraftvolle und kühne Dichtung vom Kaiser bereitet haben. Nur Sie können so erzählen, daß es rührt, ergreift, daß man Tränen weinen möchte. So danke ich Ihnen«, und dabei erfaßt er Balzacs fette, nasse, kalte Hand, »im Namen aller.«

Kaum hat sich der Dichter im Lehnstuhl niedergelassen und begonnen, seine Hände über den Kerzenflammen zu wärmen, als eine zierliche, scharfäugige alte Frau, scheinbar die Dienerin, eilig eintritt und mit vorgebeugtem Kopf wie eine scheu gewordene, aufgeschreckte Henne flüstert oder vielmehr zischt: »Die Herren sind da! Die Herren sind da!«

»Wo bleibt denn François?« antwortet der Dichter, ohne weiter darauf einzugehen.

»Er wollte nicht öffnen, seien Sie nicht böse, liebster Herr, die Herren schelten, ich bin zu schwach, es waren drei. Verzeihen Sie mir gütigst.«

»Wo bleibt François?« wiederholt der Dichter, lauscht aber schon nach dem Vorraum, von wo man Stimmen hört, und sieht nach der außen ums Haus gelegten Treppe, die so leicht ist, daß man jeden Schritt deutlich vernimmt.

»Er kann nicht kommen, muß die Kleider wechseln, er triefte wie aus dem Wasser gezogen. Sein Rock hängt auf dem Ofen, deshalb schickte er mich.«

»Aber schweigen Sie nur! Wir werden schon alles gutmachen, und im übrigen öffnen Sie nie wieder ohne meinen ausdrücklichen Befehl.«

Schon traten drei Herren in schwarzer Redingote ein, alle mit langen, grünlich angelaufenen Nasen, alle mit grauen, schüchtern blickenden Augen und rotbackigen, wenn auch mageren Wängelchen, als wären es drei Brüder, so sehr ähnelten sie einander.

»Verzeihen Sie, wenn wir stören, wir haben es wiederholt versucht, immer vergebens«, sagt der magerste und rotbäckigste von ihnen, »vielleicht, dachten wir, treffen wir so spät abends den Herrn Marquis Balzac zu Hause. Dürfen wir Sie bescheiden um ein Wort unter vier Augen bitten?«

»Wenn Sie mich so aufrichtig fragen und ich ebenso aufrichtig antworten soll«, sagte der Dichter, seinen gewaltigen Körper, feucht wie er war, tiefer in seinen rotledernen Lehnstuhl vergrabend, »dann sage ich nein.«

»Wir sind bei dem elenden Wetter nicht zu unserm Vergnügen hergekommen«, sagt der zweite Besucher giftig.

»Aglae«, sagt Balzac zur Frau, die stumm inmitten der erstaunten Gäste steht und ihre roten, abgearbeiteten Hände hinter ihrer dunkelblauen Schürze zu verbergen sucht, »Aglae, gib den Herren je einen Regenschirm und führe sie hinaus. Sie sind sehr kurzsichtig, führe sie daher mit aller Vorsicht.«

»Kurzsichtig?« sagt der dritte. »Nicht im mindesten.«

»Ich habe angenommen, daß Sie kurzsichtig sind«, sagt Balzac und steht endlich auf, »und zwar in solchem Maße, daß Sie nicht bemerkt haben, daß ich Gäste bei mir habe. Kurz- oder schwachsichtig in einem Maße, daß Sie nicht sehen können, wie lästig Sie mir sind!«

»O bitte«, fängt nun wieder der erste, der höflichste, an. »Wir sind von den besten Absichten durchdrungen, brauchen Ihren Regenschirm nicht und werden Sie im gleichen Augenblick wieder allein mit Ihren werten Gästen lassen, in dem Sie mir diese fünf gestempelten Papiere einlösen. Wie sich die Herren hier alle überzeugen können, sind wir im Recht, ja wir sind sogar verpflichtet, zu kommen, zu mahnen und, wenn es leider sein muß, auch zu pfänden.« Hier wandte er sich zu der ganzen Gesellschaft, die zum Teil mit dem deutlichsten Ausdruck von Schadenfreude lächelte, zischelte oder, zum andern Teil, noch teuflischer, gar nichts sagte und bloß den dunkelrot gewordenen Dichter von der Seite ansah. »Bitte, meine lieben Herren, wollen Sie sich überzeugen. Hier Akzept vom 3. März, fällig am 3. Oktober, 64 000 Franken, hier quergeschrieben ein Autogramm unseres verehrten Barons von Balzac, hier ein zweites, vom 22. Mai, fällig am 22. Oktober, 2300 Franken ...«

»Ach was, geben Sie her, und machen Sie, daß Sie fortkommen«, sagte der Dichter.

»Ach was, Balzac«, sagte ebenso grob der zweite Mann, »wie wollen Sie uns bezahlt machen?«

»Meinetwegen legen Sie die Siegel an, nur packen Sie sich fort und stören Sie uns nicht länger.«

»Die Siegel? Sagen Sie doch freundlichst, wo? Können wir an das Klavier von Erard, das Sie da an den Fußboden mit Kreide aufgezeichnet haben, Siegel anlegen? Sollen wir die Tapete von Aubusson in Pfand nehmen oder das Deckengemälde von Delacroix, das seinen Wert hat? Das können Sie uns nicht zumuten. Hier hilft keine Dichterei. Wir bitten um reelle Werte.«

»Mein lieber Leo«, wandte sich Balzac an seinen Verleger, »kannst du mir für ein paar Tage aus der Verlegenheit helfen?«

»Wir wären aufrichtig dankbar«, sagte der dritte Gast, der in seiner Bosheit zischte wie eine Schlange. »Meine Herren, wir sind Angestellte, wir haben Frau und Kind, Geld ist Geld, wir tun nur unsere Pflicht.«

»Gewiß, gewiß«, sagten die andern Gäste im Chor.

»Nun, mein Freund, sieh zu, was du hast. Es genügt eine Anzahlung. Ich kenne die guten Herren, sie sind nicht so schlimm, wie sie sich geben«, sagte Balzac, der sich zu schämen und vor den Geldmenschen zu fürchten begann. Denn er appellierte an ihre Milde.

»Es tut mir leid«, sagte der Verleger, ein schöner, hellblonder, vierschrötiger Mann mit einer ganz zarten Stimme, die man dem Riesen nie zugetraut hätte. »Was ich habe, sind 5 Franken. Die hatte ich deinem Diener zugedacht.«

»Schön, das sind Witze«, sagten die Wucherer wie auf Kommando, »unsere Zeit ist nicht gestohlen. Wir können nicht ohne positives Ergebnis zurückkommen. Herr von Balzac hat bares Geld erhalten, und wir erwarten bares Geld zurück. An Geduld hat es uns nicht gefehlt. Wir sind zum fünften Male hier.«

»Bleiben Sie, wenn es Ihnen Spaß macht, trinken Sie und essen Sie, was beliebt ...« sagte Balzac.

Die Gäste und Balzac standen. Die drei Gläubiger setzten sich, nahmen die Teller in die Hand und drehten sie um, um auf der Rückseite die Marke des Porzellans zu sehen. Sie forschten mit einer Lupe nach dem Prägungsstempel der vergoldeten Aufsätze und Messer, wogen das Silbergeschirr in den Händen und flüsterten einander das Gewicht zu.

»Was soll das heißen?« fragte Balzac sehr erregt.

»Wir haben gewisse Rechte«, sagte der älteste der Gläubiger. »Sehen Sie doch, wozu der Streit? Alles ist in bester Ordnung und längst fällig.«

»Auf mich hat niemand Rechte als Gott und mein Vaterland«, antwortete Balzac. Aber sie ließen sich nicht stören.

Er wollte eine Champagnerflasche nehmen und sich oder seinen Freunden ein Glas einschenken, aber der Gläubiger packte die Flasche viel flinker und stellte sie hinter sich. Die Gäste nahmen Abschied, und Balzac hielt sie nicht zurück. Er begleitete sie zur Pforte, wo sie ihre Wagen bereits vorfanden. Auch ein großes Gefährt, das die Gläubiger hergebracht hatte, stand auf der Landstraße. Während man sich noch Abschiedsworte sagte, kamen die Gläubiger und schleppten zu zweit den schönen Tisch, den sie, mit den Füßen nach oben, in den Wagen legten. Der dritte brachte auf seinem Rücken, in ein Tafeltuch eingeschlagen, dumpf klirrendes Tafelgeschirr.

Der Diener François, in weißem Kamisol und gestickter Zipfelmütze, drohte den Fremden aus dem kleinen Fenster seiner Gärtnerhütte, doch sie hörten nicht auf ihn. Balzac, dem es weh tat, seine mühsam gesammelten Kostbarkeiten zu verlieren und noch zusehen zu müssen, wie die drei Herren sie sorgsam in seine Damastservietten einwickelten, trat bei François ein. Aber er konnte nicht hindern, daß sie die kostbarsten Stücke in der Hand fortschleppten, einen riesigen Aufsatz aus vergoldetem Silber mit allegorischen Figuren, feines, dünnes, weißes Sevresporzellan, das von berühmten Künstlern mit der Hand bemalt war; kein Teller, keine Tasse, keine Schale hatte das gleiche Dekor.

Balzac verließ die Gärtnerwohnung und stieg in sein Arbeitszimmer hinauf, vertiefte sich in dem stillen, leeren Räume in seine Schriften, sah das Bild der Gräfin in goldenem Rahmen an, gedachte seines Freundes Sebastian Peytel, des Mordes angeklagt in Bourg, und war nicht frei vom Gefühl der Schuld. Seine Kleider hingen ihm aufgeweicht und beschmiert am Körper. Den Einsturz der Mauer hatte er ganz vergessen, nun wurde er sich dessen bewußt und seufzte tief. Einer von den drei Gläubigern kam leise die Treppe herauf und pochte an Balzacs Tür, doch Balzac öffnete nicht, sondern verlöschte das Licht.

Es begann zu schneien. Unten schleppten die Männer die schön geschnitzten, schweren Stühle einen nach dem andern in ihren Wagen, und ihre Gesichter troffen trotz der Kälte von Schweiß.

Balzac hielt sein vom Regen feuchtes, schweres Beinkleid in der Hand. Als er unten die drei Gläubiger, gebückt unter ihrer Last, vorbeipilgern sah, konnte er es sich nicht versagen, einem von ihnen, und zwar dem jüngsten und giftigsten, seine Hose über den Nacken zu werfen, so geschickt, daß je ein Bein zur Rechten, eines zur Linken hing und ein dickes Bauchgespenst auf dem dürren, erbärmlichen Mann zu reiten schien. Der Mann, zu Tode erschreckt, blickte zum Himmel auf, als ob es Hosen regne, konnte aber Balzac in der Dunkelheit nicht erkennen und raste, über den glatten Lehmboden rutschend, unter lauten Rufen »Zu Hilfe, zu Hilfe!« dem Ausgang zu.

Balzac tröstete sich. Das Silbergeschirr der Herzogin de Castries war viel schöner als das eigene, und solches wollte er sich kaufen, sobald die dringendsten Schulden bezahlt waren. Auch kannte er eine Quelle, wo ein italienischer Goldschmied das wunderbarste Silbergeschirr aus einem florentinischen Schlosse zum bloßen Metallwerte verkaufte.

Bevor er sich nun (es war drei Uhr morgens) an die Arbeit setzte, blickte er hinaus. Sein Nußbaum bedeckte sich langsam mit Schnee, der sich zuerst in den Achseln der unteren Zweige, dann in denen der oberen, dann an den dickeren Zweigen und endlich an den feinsten Spitzen ansetzte.

Weit schweigt die tief herbstliche, im Mondschimmer licht schwebende Landschaft, die weißen Wälder von Ville d'Avrai, die Abhänge im durchscheinenden Schneeschleier, im silbern gesponnenen Dunst. Die Gegend so still, in die Nacht versunken, keine Häuser, keine Menschen, kein Vieh in der Nähe, die Wolken am östlichen Rande des dämmernden Himmels vereinigt und vom Morgenwinde zusammengescheucht, ein kleiner Bach mit ruhigem Rieseln in der Nähe, die Luft rein, stark bewegt, das Rauschen und Sausen der alten Bäume in der Stille deutlich vernehmbar von den fernen Wäldern her.

Balzac war an der Arbeit. Er zog seinen Atem tief, fast rasselnd ein, sein feistes, olivenfarbenes, rot getigertes Antlitz unter dem strotzenden, leicht angegrauten Haupthaar bedeckte sich mit Schweiß. Sein abwesender, großer Blick streifte über die noch kahlen, am Fußende grauen und feuchten Wände des Zimmers, den erloschenen, in die Mauer schlecht eingefügten prächtigen Marmorkamin aus cipoliotischem, perlenfarben und blutfarben geädertem Gestein. Sanft schimmerte der goldene Rahmen um das Porträt der geliebten Frau. Die Briefe seines Freundes knisterten unter dem Bilde, mit einem seidenen Faden gebunden.

Jetzt hatte Balzac seine volle Kraft wieder und wandte sich, in dem wollüstigen Gefühl von Müdigkeit und sinnlichstem Verlangen zugleich, seiner Arbeit wieder zu und schrieb.


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