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VI

Was der Dichter will: das Geschehene ungeschehen machen, das Fürchterliche, eben Erlebte vergessen – beides ist unmöglich. Vergebens läutet er jetzt seinem treuen François, der ihm ohne weitere Weisung eine kupferne Kanne mit stärkstem türkischem Kaffee bringt, wie es Balzac um Mitternacht gewohnt ist. Vergebens, daß der Dichter seine breiten Hände vor sein glühendes Gesicht legt, um sich in Dunkel zu hüllen. Vergebens, daß er, um näher, inniger zu sich und seinem Werk zurückzukehren, sich lange in dem geschliffenen Glase des Porträts wie in einem richtigen Spiegel betrachtet.

Er sieht seinen gewaltigen Schädel, die schwarzen, schwer gelockten Haare, mit grauen Strähnen schon vermengt, aber noch hart wie Roßhaar, blank wie Indianerhaar in der herrlichen Freiheit Amerikas, die einem Balzac nie beschieden ist. Sein Hals, wie er aus dem offenen Arbeitshemd und aus dem Silberschimmer der seidenen Kutte auftaucht, ist licht, faltenlos, rund wie eine Marmorsäule oder wie der Hals der geliebten Hanska. Ausgewölbt und breit im Bogen, von düsteren Falten quer durchzogen die Stirne. Die Wangen voll, olivenfarbig, mit roten Flecken getigert, die Nase eckig und hart. Eine tiefe Falte um den Mund, schräg herab. Fleischig, sinnlich und schelmisch zugleich sind die Lippen unter dem hängenden buschigen Barte. Jetzt erblickt der Dichter seine Augen, braun, von goldenen Funken gesprenkelt wie die eines Luchses, aber scharf, ohne Ermüden selbst jetzt nach dieser schweren Nacht. Sein Wille, der sich in dem machtvollen, aufwärts gerichteten Kinn ausspricht, ist nicht zu brechen.

Ruhig, massig, unerschütterlich steht der Dichter da. Sein Plan ist gefaßt, die Entscheidung für Peytel gefallen. Er wird, da er Peytel nicht vergessen, das Erlebte nicht auslöschen kann, dem Unschuldigen helfen, am nächsten Morgen nach Paris fahren, seinen früheren Chef, den Notar Marville, aufsuchen, damit er für Peytel plädiere.

Jetzt kann Balzac bis zum Morgen arbeiten. Er ist sehr glücklich in seiner Arbeit. Gegen 5 Uhr sammelt er sich zu einem Briefe an die Gräfin Hanska. Von Peytel will er schweigen und der sehr geliebten Frau die schrecklichen Bilder ersparen. Dies der Brief:

 

Les Jardies, 4. November 38

Seit ich Ihnen zuletzt geschrieben, habe ich wie ein Rasender gearbeitet. Denn in diesen letzten Jahren gilt es siegen oder in unfruchtbarem Erfolg ersticken. Ich hatte für die »Presse« den Anfang der »Torpille« geschrieben, aber die »Presse« wollte es nicht. Ich habe den Anfang vom »Landpfarrer« geschrieben, das religiöse Gegenstück zu dem philosophischen Buch »Der Landarzt«. Ich habe das Vorwort zu den beiden demnächst erscheinenden Bänden, welche »Die ausgezeichnete Frau«, das »Haus Nucingen« und »Die Torpille« enthalten, verfaßt. Ich habe soeben die zwei Oktavbände »Wer Land hat, hat Krieg« vollendet, ferner für den Constitutionel den Schluß vom »Antiquitätenkabinett« unter dem Titel »Provinzrivalitäten« geschrieben. Nicht wahr, Sie verstehen, daß ich Ihnen unter dieser Lawine von Ideen und Arbeiten keine zwei Zeilen schreiben konnte?

Wenn Sie wüßten, daß meine Verleger mir kein Geld geben wollen, daß ich drauf und dran bin, das Geschäft mit ihnen rückgängig zu machen, daß ich, um es rückgängig zu machen, 50 000 Franken brauche, daß aber im ganzen Buchhandel keine 50 000 aufzutreiben sind und daß, nachdem ich geglaubt habe, mein Leben sei nun in ruhige und glatte Bahnen gekommen, es mehr denn je gefährdet ist.

Sie können ja nicht wissen, wie ein derartig ausgefülltes literarisches Leben wie das meine aus der Nähe aussieht. Was man Ihnen auch über mein Schreiben sagen mag oder was Sie davon halten mögen, seien Sie überzeugt, daß ich Tag und Nacht arbeite. Daß meine phänomenale Produktionskraft sich verdoppelt, verdreifacht hat. Daß ich es dahin gebracht habe, mehrere Druckbände in einer Nacht zu korrigieren, nachdem ich sie in zweiundeinemhalben Tag geschrieben habe!

Endlich sind die Manuskripte alle im Druck und die Korrekturbogen im Rollen.

Man wird mir nicht an Schnelligkeit zuvorkommen, denn nicht die mechanische Maschine mit ihren tausend Armen, sondern das Gehirn Ihres armen Freundes eilt voran!«


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