Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XI

Das dritte Buch heißt Josephine. Ich schildere die junge Kreolin, schön, glänzend, lebenslustig, in erster Ehe mit Marquis Beauharnais verheiratet, der unter der Guillotine sein Leben läßt, während sie ihren Glanz mühsam durch die Wirren der Revolution rettet. Ich bringe diese reizendste aller eingewanderten Pariserinnen mit Bonaparte zusammen, dem finsteren, trockenen, aber leidenschaftlich in die schöne Witwe verliebten General. Ich lasse sie heiraten und drei Tage nachher sich trennen, da der Gatte sich seine Sporen verdienen muß. Und wie verdient er sie! Er wirft ganz Europa über den Haufen, nur auf einen Menschen scheint er keinen Eindruck zu machen, auf seine Gattin, auf Josephine. Ich lasse ihn folgenden kleinen Brief schreiben, es ist der 27. November 1796. Vergessen Sie nicht, wir haben schon den Willensmenschen vor uns, der am 18. Vendemiaire in die Massen seine prächtigen Kartätschen hineingefeuert hat, der zum Oberbefehlshaber in Italien ausersehen ist, der Montenotte und Millesimo geschlagen hat, der an der Brücke von Lodi an der Spitze seiner Truppen einen Sieg errungen hat, Rivoli, Solferino, Bassano heißen die unvergänglichen Schlachten des jungen Gottes. Er sehnt sich nach seiner jungen Frau, reitet weite Strecken, nur von seinem Adjutanten begleitet, und findet die Liebste nicht im Nest. Hier der Brief: »Ich komme in Mailand an, ich stürze in Deine Wohnung, um Dich zu sehen und in meine Arme zu schließen... Du bist nicht da. Du läufst herum, um Dich zu amüsieren. Du läufst fort, wenn ich komme. Du kümmerst Dich nicht mehr um Deinen lieben Napoleon. Deine Liebe war eine Laune. Deine Unbeständigkeit macht Dir ihn gleichgültig. An Gefahren gewöhnt, weiß ich, wie man dem Verdruß und dem Übel des Lebens abhilft! Das Unglück, das ich empfinde, ist unermeßlich. Ich hatte das Recht, damit nicht zu rechnen. Laufe Du nur dem Vergnügen nach. Die ganze Welt ist nur zu froh, wenn sie Dir gefällt, und Dein Mann allein ist sehr, sehr unglücklich.

Ich mache den Brief wieder auf, um Dir einen Kuß zu geben.« So war der Mann. Aber derselbe Mann hat in der Notre-Dame-Kirche die Krone aus der Hand des Papstes gerissen und sich und Josephine zum Kaiser und zur Kaiserin gekrönt. Die Siege sind nicht mehr zu zählen. Austerlitz, Jena, Auerstedt, Preußisch-Eylau, Regensburg, Aspern, Wagram. Am 14. Oktober 1809 hat Napoleon 100 Millionen Menschen unter seinem Zepter. Frankreich ist das größte Land der Welt. Napoleon der mächtigste aller Machthaber. Alle Welt liegt ihm zu Füßen, wie nur einem Dichter die Welt in den Geschöpfen seines Genies zu Füßen liegt.

Napoleon ist unersättlich wie die ewigen Götter. Wo wäre denn sonst ein Grund für unser Leben, als daß die Götter nicht satt zu bekommen sind an unsern Leiden, Freuden? Wir sind für sie wie die Gänge eines Soupers, das von Mitternacht bis Mitternacht aller Tage dauert. Der Wechsel, unser Verschwinden, unser Sturz erfreut und amüsiert sie, und so erfreut sie auch das große Essen, la grande pièce , genannt Napoleon. Am 26. Oktober 1809 ist er in Fontainebleau gegen neun Uhr morgens. Josephine trifft um fünf Uhr nachmittags da ein. In den dreizehn Jahren hat sich das Gefühl der Frau gewendet. Sie liebte heute Napoleon, und Napoleon liebte sie nicht mehr. Mit andern Worten, sie war um dreizehn Jahre älter geworden, und Napoleon kommandierte nicht mehr eine Brigade, sondern die Welt von der Nordsee bis nach Malta. Die Angst, ihren Gatten und damit ihre Stellung zu verlieren, vermehrte ihre Liebe zu ihm ins Unermeßliche. Ihr Gatte war es, der jetzt gewünscht hätte, sie möchte ihm untreu sein. Aber sie hütete sich wohl davor. Sie war jetzt ein Muster von Milde, Unterwürfigkeit. Sie war ganz Resignation und Güte. Unablässig suchte sie seinen Wünschen entgegenzukommen. Er fühlte sich verlegen, wenn er sie so demütig und ergeben sah. Er machte sich Vorwürfe, aber der Wille entscheidet; sein Entschluß war gefaßt, seit Anfang 1809 war für das offiziöse Frankreich Josephine nicht mehr auf der Welt, der Moniteur unterließ es auf Befehl des Kaisers, ihr an ihrem Geburtstage die offizielle Gratulation darzubringen. Die alternde Frau suchte sich der Schwiegermutter zu nähern, aber sie fand im Unglück keine Stütze bei ihr. Die Unglücklichen sind immer im Unrecht.

Inmitten der unerhörtesten Feste bereitet sich die Trennung vor. Josephine ahnt, was kommt. Sie ist voll trüber Gedanken. Kein lautes Wort. Keine feste Haltung mehr. Glaubt sie sich unbemerkt, füllen sich ihre immer noch schönen Augen mit Tränen. Sie forscht ihre Umgebung aus. Niemand will ihr Rede stehen. Ich kenne das, ich habe das an dem teuersten Menschen miterlebt. Ich war Napoleon, und sie war Josephine. Meine Freunde wissen, wen ich meine.

Am 9. Dezember kommt ihr Stiefsohn Eugen aus Mailand. Er ist vom Kaiser berufen worden, er soll ihr eröffnen, was er selbst ihr nicht zu sagen wagt. Die Scheidung ist beschlossen. Sie liebt ihn mit den letzten Fasern ihres Herzens. Gibt es eine grausame Ader im Gewebe des menschlichen Herzens, die zwingt, den zu lieben, der einem Schmerzen bereitet? Ich kannte eine, die sagte mir das sublime Wort: Je veux tes peines !

Am 15. Dezember finden sich Erzkanzler Fürst Cambacérès und die kaiserlichen Hausminister in den Tuilerien ein. Die Mutter des Kaisers, ihre Kinder, der Kaiser und seine Brüder. Die Kaiserin und ihre schöne Tochter Hortense tragen Trauerkleidung mitten in dem Gold der Uniformen und dem Geriesel der Federn der Tschakos, dem Glänze der vergoldeten Degen. Ich schildere hier den ganzen Prunk des Kaiserreichs, die Züge und Charaktere der ganzen Familie des Kaisers in einer einzigen großen Szene. Der Kaiser spricht:

»Seit langem bin ich der Hoffnung beraubt, in meiner Ehe mit meiner geliebten Gattin, der Kaiserin Josephine, Kinder zu bekommen. Dieser Umstand hat mich bestimmt, die Verbindung mit ihr aufzugeben, eine neue Ehe zu schließen. In einem Alter von 40 Jahren«, schließt er, und seine übermenschenhaft klugen Augen funkeln ihr düsteres Feuer über die glanzvolle, totenstille Versammlung, »kann ich mich noch der Hoffnung hingeben, daß die Vorsehung mir Kinder schenken wird. Daß ich lange genug leben werde, um sie in meinem Geiste erziehen zu können.«

Nun sollte Josephine sprechen, das Programm war wie alles an diesem zeremoniösesten aller Höfe vorgezeichnet, aber man hatte mit ihrem Schmerze nicht gerechnet, und sie konnte nicht das Protokoll vorlesen, das ihr Sohn für sie aufgesetzt und auf einen Bogen Papier geschrieben hatte, den sie nun in ihren kleinen, schwarz behandschuhten Händchen hielt. Nun bringt sie, auf einen Blick des Gatten, den sie so oft in ihren Armen gehalten und der sie nun nicht zu erkennen scheint, nun bringt sie, während ihre zitternde Hand kaum das Papier halten kann, die ersten Worte des Protokolls hervor. Aber es ist unmöglich, sie zu verstehen. Tränen – schmerzlichere, liebevollere hat eine Kaiserin nie geweint – ersticken ihre Stimme. Das Papier fällt auf den Boden.

Stoßweise bricht es aus der gequälten Kreatur: »Ihr seht in mir eine unglückliche Frau... vor Euch... Ich werde bald sterben... die Scheidung tötet mich... Tut, was Ihr wollt, ich werde mich allem unterwerfen.«

Ihr Sohn, der König von Italien, hebt das Papier auf. Er gibt es ihr, mit einer fieberhaften Handbewegung reicht sie es dem Minister, der es an ihrer Statt verliest.

Das ist eine Szene des privaten Lebens, eine Szene der Weltgeschichte zugleich. Sie müssen in dem Alten Testamente nachlesen, um eine Begegnung von solcher Einfachheit wiederzufinden. Ich habe bei diesem Werke bloß nachzuschreiben. Gedichtet haben diese Ballade Gott und Napoleon. Jede Idee wird ihnen zur Handlung, jeder Gedanke zur wirklichen, atmenden Gestalt.

In einer viel niedrigeren Sphäre werden Sie eine ähnliche Szene in meiner Eugenie Grandet wiedererkennen.

Auch ich habe dies erlebt.

Einmal ist es mir begegnet, daß ich meine Seele in einem zweiten Körper wiederfand, daß ich eine Frau liebte und sie mich. Ich nannte sie dilecta . Wir gaben einander alles, wir nahmen voneinander alles. 25 Jahre standen zwischen uns. Sie war eine Greisin, ich fast noch ein Knabe. Sie wurde krank. Sie schämte sich, mich zu sehen, so starb sie in der Einsamkeit. Keuscher hat Lucrezia nicht ihren Tod gefunden. Ich habe aus dem Munde einer andern unglücklichen Frau einmal ein Wort gehört, das diese zu ihrem Geliebten sprach. Ich werde es Ihnen sagen, Sie werden es ebensowenig vergessen wie ich. Ich traf sie, das lebende Ebenbild meiner dilecta , auf der Anklagebank des Geschworenengerichtshofes in Paris. Sie war die Nichte eines Marschalls von Frankreich, 45 Jahre alt, immer noch schön. Immer noch, bedenken Sie wohl. Sie hatte für ihren Geliebten Wechsel gefälscht. Er war geflohen, mit den Dirnen, für die er das Geld brauchte, sie stand allein. Sie nahm alles auf sich. Sie war in die Klauen von Wucherern geraten, aus solchen Schulden macht man sich nicht frei. Sie war die Frau eines Deputierten, eines Chefingenieurs der Brücken und Wege. Sie lebte in Wohlstand. Sie liebte und wurde nicht geliebt. Sie konnte nicht von sich das große Wort sagen, das auf dem Leichenstein so mancher Schönen steht: »Ich liebte, ward geliebt und starb.« Ihr Wort ist viel tiefer, viel bitterer, viel wahrer: » Je ne te demande que de me tromper assez bien, pour que je me croie aimée. « Was aus dieser Frau wurde, weiß ich nicht. Hätte sie nicht gefälscht, sondern gemordet, mein Herz hätte sie auch dann freigesprochen.

Aber nicht von mir ist die Rede, sondern von Napoleon. So steht ein Mann gegen den Strom der Welt. Barmherzigkeit kennt man nicht. Notwendigkeit ist alles. Dieser Notwendigkeit hat Napoleon gehorcht. Er hat befohlen, sich geschieden, sich vereinigt, und alles war ihm untertan. Aber sein Wille war nicht erleuchtet, er konnte den wechselnden Appetit der gelangweilten Götter nicht verstehen. Und unfähig, sich den veränderten Notwendigkeiten unterzuordnen, unfähig, sich anzupassen, unfähig, zu begreifen, daß ein einzelner sich über seine Grenzen nicht ausdehnen kann und daß Leben soviel heißt wie Grenzen haben oder an Gott glauben (was das gleiche ist), unfähig, sage ich, zu vergessen, zu verzichten, muß er tiefer stürzen als je ein Mensch zuvor.


 << zurück weiter >>