Gustav Weil
Tausend und eine Nacht, Vierter Band
Gustav Weil

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Die Frau mit dem Bären.

Ferner wird erzählt: Zur Zeit der Regierung Hakems in Ägypten lebte in Kahirah ein Metzger, Namens Wardan. Jeden Tag kam eine Frau zu ihm mit einem Dinar, der so schwer war als dritthalb gewöhnliche ägyptische Dinare, kaufte dafür Hammelfleisch und ließ es von einem Lastträger in einem Korb forttragen. Als dies lange so fortdauerte, fing Wardan an, über den regelmäßigen Besuch und das eigene Geld dieser Frau zu erstaunen. Er fragte daher einst in ihrer Abwesenheit den Träger, der jeden Tag mit ihr ging, wohin er das Fleisch trage. Der Träger antwortete: »Mir selbst ist diese Frau ganz unbegreiflich; jeden Tag belädt sie mich hier bei dir mit Fleisch, dann kauft sie verschiedene andere Speisen ein: Frische und dürre Früchte, Lichter, Wein u.s.w., und läßt mich alles in die Nähe der Gärten des Veziers tragen. Dort angelangt, bindet sie mir die Augen zu, so daß ich nicht weiß, wohin ich meinen Fuß stelle, führt mich eine Strecke weit an der Hand, dann sagt sie mir. »Lege hier ab!« Ich lege nun alles Eingekaufte in einen Korb, der ihr gehört, und sie führt mich wieder mit meinem leeren Korb an der Hand bis an die Stelle, wo sie mir die Augen zugebunden. Hier nimmt sie mir meine Augenbinde herunter und gibt mir zehn Drachmen.« Als Wardan dies hörte, sagte er: »Gott stehe dir bei! Das machte mich noch neugieriger.« Ich dachte nun (so erzählt er selbst) die ganze Nacht sehr unruhig über diese Frau nach, und als sie am folgenden Morgen wie gewöhnlich wiederkam und Fleisch kaufte und mit dem Träger wegging, überließ ich meinen Laden dem Jungen und folgte ihr, ohne von ihr bemerkt zu werden, bis zur Stadt hinaus in die Nähe der Gärten der Veziere. Ich sah, wie sie dem Träger die Augen verband, und folgte ihr dann noch heimlich gegen das Gebirge zu.

Die Frau nahm nun vor einem großen Felsen dem Träger seine Last ab und leerte sie in einen Korb; ich näherte mich indessen dem Felsen und fand eine Treppe in denselben gehauen; ich stieg hinunter und kam in einen langen Gang, der sehr hell beleuchtet war: endlich fand ich eine Art Gemach mit einer Tür. Ich versteckte mich hinter der Tür des Gemachs und sah bald, wie die Frau das Fleisch zerschnitt, die besten Stücke in einen Topf legte und das übrige einem großen Bären zuwarf, der alles auffraß. Als das Fleisch im Topf gekocht war, aß sie, brachte dann Wein und Früchte, trank selbst, gab dem Bären aus einer goldenen Schüssel zu trinken und liebkoste ihn, bis sie einschliefen. Voll Ärger über das Leben dieser Frau ging ich mit einem Messer, das so scharf war, daß es Knochen noch schneller als Fleisch durchschnitt, in das Gemach und hieb dem Bären den Kopf ab. Vom Gestöhne des Tiers erwachte die Frau und schrie: »O Wardan! Ist das der Lohn des Guten, das ich dir getan?« Ich sagte ihr: »O Feindin deiner selbst! Gibt es nicht Männer genug auf der Welt, daß du in Gesellschaft eines Tieres leben mußt?« Sie beugte ihren Kopf zur Erde, antwortete nicht und richtete stets ihre Blicke auf den geschlachteten Bären. Nach einer Weile sagte sie: »Höre mich an, Wardan, und es wird dir gut gehen und du wirst reich werden für dein ganzes Leben lang; schlachte mich, wie du diesen Bären geschlachtet, nimm von meinem Schatz hier soviel du brauchst, und gehe deines Weges!« Da sagte ich ihr: »Bin ich nicht besser als dieses Tier? Warum willst du sterben? Ich will dich heiraten, und wir können zusammen von diesem Schatz leben.« – »Das kann nicht sein, Wardan«, erwiderte sie; »wie kann ich diesen Bären überleben? Bei Gott, wenn du mich nicht schlachtest, so werde ich dir nach deinem Leben trachten und du wirst dem Tod nicht entgehen!« Da zog ich sie an den Haaren herbei und schlachtete sie, und sie fuhr mit dem Fluch Gottes, der Engel und der Menschen in die Hölle. Dann sah ich mich in ihrer Wohnung um und fand eine unbeschreibliche Masse Gold und Perlen und Edelsteine. Ich nahm den Korb des Trägers, legte so viel hinein, als ich tragen konnte, deckte ihn mit einem Tuch, das ich bei mir hatte, zu, und ging in einem fort bis an das Siegestor. Da begegneten mir zehn Offiziere aus dem Palast des Kalifen Hakem, und Hakem selbst an ihrer Spitze. Er fragte mich: »Hast du den Bären und die Frau getötet?« Als ich diese Frage bejahte, sagte er: »Nimm den Korb vom Kopf, sei guten Mutes, was darin ist, gehört dir, niemand kann dich dessen berauben.« Ich legte den Korb vor ihm nieder, er deckte ihn auf, und als er sah, was darin war, fuhr er fort: »Erzähle mir, wie du es gemacht.« Als ich ihm alles erzählt hatte, sagte er: »Du hast die Wahrheit gesprochen; nun, Wardan, komme mit mir und überliefere mir den übrigen Schatz.« Ich ging mit ihm und fand die Falltüre geschlossen. Aber Hakem sagte mir: »Dieser Schatz kann auf deinen Namen geöffnet werden.« Da näherte ich mich der Falltüre, rief den Namen Gottes an, und siehe da, die Türe öffnete sich von selbst. Dann sagte Hakem: »Steige jetzt hinunter und hole heraus, was darin ist, denn dies kann nur durch dich geschehen; dieser Schatz ist für dich hier niedergelegt worden, ich habe es so in meinen Büchern geschrieben gefunden und den Augenblick erwartet, bis es eintraf.« Ich stieg hinunter und holte den Schatz herauf; Hakem ließ Lasttiere kommen, um ihn in sein Schloß zu bringen; mir aber ließ er den Korb mit allem, was darin war, und ich ging damit auf den Bazar, der später unter dem Namen Wardans-Bazar bekannt wurde. Das ist ein sonderbares und höchst merkwürdiges Ereignis.


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