Gustav Weil
Tausend und eine Nacht, Vierter Band
Gustav Weil

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das tugendhafte israelitische Ehepaar.

Man erzählt ferner: Einst lebte unter den Söhnen Israels ein sehr tugendhafter und gottesfürchtiger Mann, der sein Herz allen weltlichen Dingen verschlossen hatte, auch seine treue Gattin teilte seine Frömmigkeit und seine Duldung. Sie ernährten sich lange von ihrer Hände Arbeit, flochten den ganzen Tag Fächer, Mückenwehrer und dergleichen, damit ging der Mann abends auf die Straßen und Märkte, bis er sie verkaufte, und brachte für das Geld Lebensmittel nach Hause. Als der Mann eines Tages nach vollendeter Arbeit in einer Straße umherging, wo er Käufer suchte, sah ihn die Frau eines vornehmen Weltmannes und fand ihn so schön und ehrwürdig, daß sie sich leidenschaftlich zu ihm hingezogen fühlte. Da ihr Mann gerade abwesend war, sagte sie zu ihrer Dienerin: »Kannst du vielleicht ein Mittel erfinden, den Mann, der da vorübergeht, hereinzubringen und zu veranstalten, daß er unbemerkt die Nacht bei mir zubringe?« Die Dienerin ging zu ihm auf die Straße, rief ihm nach, sie wollte ihm etwas abkaufen, und lockte ihn so bis zur Haustür. Dann sagte sie ihm: »Komm herein, setze dich auf die Bank hier, daß ich deine Waren meiner Herrin zeige, damit sie aussuche, was sie zu kaufen wünscht.« Da der Mann kein Mißtrauen hegte, folgte er der Dienerin ins Haus, ohne irgend ein Übel zu befürchten. Aber kaum hatte er sich niedergesetzt, verschloß die Dienerin die Haustür und ihre Herrin kam aus ihrem Gemach, zog ihn zu sich hinein und sagte: »Wie lange wünsche ich schon mit dir allein zu sein! Mit welcher Ungeduld erwartete ich diesen Augenblick! Sieh, das Zimmer ist beräuchert, das Essen ist bereit, der Herr des Hauses kommt heute Nacht nicht nach Hause, und ich liebe dich von ganzem Herzen. Wie manche Könige und Große und Reiche haben schon um meine Liebe sich beworben; aber du bist der erste Mann, dem ich eine solche Gunst bezeige.« Die Frau sprach noch vieles in diesem Sinne, aber der Mann hob seinen Kopf nicht in die Höhe, weil er vor Gott sich scheute und seine schwere Strafe befürchtete. Als er aber kein Mittel sah, sie loszuwerden, sagte er. »Ich habe eine Bitte an dich.« – »Worin besteht sie?« – »Gib mir reines Wasser und laß mich auf der Terrasse deines Hauses waschen und etwas verrichten, was ich dir jetzt nicht sagen kann.« – »Das Haus ist groß und hat der verborgenen Winkel gar viele, sowie auch ein Reinigungszimmer, du brauchst nicht auf die Terrasse zu gehen.« – »Ich muß den höchsten Platz im Haus besteigen.« Da rief sie eine Dienerin und sagte zu ihr: »Geh' mit dem Mann auf die Terrasse des Hauses und nimm ein Waschbecken voll Wasser mit!« Als der Mann auf der Terrasse war, wusch er sich, betete, blickte dann auf die Straße hinunter und merkte wohl, daß, wenn er hinunterspringen wollte, er zerstückelt auf den Boden kommen würde. Doch dachte er an die große Sünde, die er begehen wollte, und an deren harte Strafe, und entschlossen, sein Leben zu opfern, rief er aus: »Mein Gott und Herr! Du siehst meine Lage und weißt, daß ich gerne mein Leben hingebe, um dein Wohlgefallen zu erlangen, doch bist du ja allmächtig.« Als er diese Worte vollendet hatte, warf er sich von der Terrasse herunter; aber Gott schickte einen Engel, der ihn auf seine Flügel nahm und sanft auf die Erde niederließ, ohne daß er sich nur im mindesten beschädigte.

Als der fromme Mann den Boden erreichte, dankte er Gott, der ihn für sein Vertrauen so reichlich belohnt, und ging mit leerer Hand zu seiner Gattin. Sie fragte ihn, warum er so lange ausgeblieben und was er mit der mitgenommenen Arbeit angefangen? Er erzählte ihr, was ihm für eine Versuchung zugestoßen und wie ihn Gott auf eine wunderbare Weise gerettet. Die Frau sagte hierauf: »Da unsere Nachbarn wissen, daß wir jeden Tag fasten und abends Feuer machen, um unser Abendessen zu kochen, so wollen wir in Gottes Namen auch diesen Abend Feuer anzünden, um ihnen unsere Armut zu verbergen; wir aber wollen auch diese Nacht fortfasten.« Sie ging dann und machte ein großes Feuer, um die Nachbarn zu täuschen; dann wusch sie sich und betete mit ihrem Mann das Nachtgebet. Auf einmal kam eine ihrer Nachbarinnen, um Feuer bei ihr zu holen. Die Jüdin sagte ihr, sie möchte nur an den Ofen gehen. Als die Nachbarin aber an den Ofen trat, rief sie der Jüdin, sie möchte doch schnell ihr Brot aus dem Ofen nehmen, ehe es verbrenne. Die Jüdin sagte zu ihrem Manne: »Hast du gehört, was diese Frau sagte?« Er erwiderte: »Geh' einmal und sieh nach!« Die Frau stand auf und ging an den Ofen, und siehe da, er war mit Brot gefüllt von dem allerfeinsten und weißesten Mehl. Sie brachte es, Gott dankend, ihrem Mann und sie aßen miteinander davon. Dann sagte sie: »Laß uns zu Gott beten, daß er uns etwas beschere, wodurch wir diesem armseligen Leben und dieser harten Arbeit enthoben werden, damit wir uns ganz seinem Dienst hingeben können.« Als sie miteinander gebetet hatten, spaltete sich auf einmal das Dach des Hauses, und es fiel ein Rubin herunter, der das ganze Haus beleuchtete. Sie freuten sich über alle Maßen mit dieser Gabe Gottes und dankten ihm immer mehr für seine Huld. Als sie aber spät in der Nacht einschliefen, träumte die Frau, sie befinde sich im Paradies, wo sie viele Kanzeln und unzählige Throne aufgestellt sah. Sie fragte, für wen dies wäre. Man sagte ihr: »Die Kanzeln sind für die Propheten, und die Thron für die Aufrichtigen und Frommen.« Sie fragte dann nach dem Throne ihres Gatten. Man zeigte ihn ihr, und sie bemerkte eine Spalte auf einer Seite. Sie fragte: »Was bedeutet diese Spalte?« Man antwortete ihr: »Sie bedeutet den Rubin, der euch vom Himmel gesandt worden.« Hierauf erwachte die Frau aus ihrem Traum und weinte und war sehr traurig wegen des mangelhaften Thrones ihres Gatten mitten unter makellosen der anderen Frommen, und sie sagte zu ihrem Manne: »Bete zu Gott, daß er diesen Rubin wieder zurücknehme; es ist besser, diese wenigen Tage noch Armut und Hunger zu ertragen, als unter den vortrefflichen Männern auf einem mangelhaften Thron sitzen.« Der Mann betete, der Rubin flog wieder durch das Dach fort, und das fromme Ehepaar lebte in Armut und Gottesverehrung, bis sie der Herr zu sich rief.


 << zurück weiter >>