Jakob Wassermann
Faber oder Die verlorenen Jahre
Jakob Wassermann

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18

Der Raum hatte dieselben Ausmaße wie Fabers Schlafzimmer und war ebenfalls einfenstrig. Es herrschte eine beabsichtigte Schmucklosigkeit darin; außer dem notwendigsten Mobiliar nichts zu bequemer Muße; auch kein Bild, nichts Buntes; nicht einmal Blumen. Fides selbst hatte dem Zimmer allmählich den Charakter einer Zelle verliehen; es stand dies mit ihren Gewohnheiten im Einklang. Vielleicht hing sie auch nicht an Gegenständen oder wollte nicht durch Gegenstände an Vergangenes erinnert werden. Jedenfalls erregte diese Kargheit Fabers Verwunderung, schon durch den Kontrast zu den übrigen Zimmern, in denen Martinas Liebe für heitere Farben zum Ausdruck kam. Hier war, ganz sichtlich, Martinas Reich zu Ende.

Fides stand vor einer offenen Lade, um eine Schürze herauszunehmen. Sie wandte ihm mit fragendem Blick das Gesicht zu. Die niedrig über die Augen gezogenen schwarzen Brauen hoben sich empor; es mißfiel ihr, daß er in ihre Stube kam.

Wie um diese Regung in ihr zu ersticken und ihr zur Äußerung nicht die Zeit zu lassen, trat er rasch vor sie hin, ergriff ihre Hände und sagte: »Wie haben Sie das fertig gebracht, Fides? Wie ist es Ihnen gelungen, ein solches Stück Holz an Verstocktheit zu erweichen?«

Sie zog ihre Hände zurück. »Soll ich Ihnen alle meine Worte wiederholen?« fragte sie kopfschüttelnd; »das ist doch unmöglich. Man sagt, was einem der Moment eingibt; man verläßt sich auf den guten Geist. Zufällig, oder wenn Sie wollen, instinktiv, hab ich die Stelle getroffen, wo ich ihn fassen konnte. Aber müßt ichs zum zweitenmal tun, ich könnts nicht mehr. Jammervoll, in so ein verstörtes Sündergesicht zu schauen. Es erniedrigt einen selber. Nein, ich könnts nicht mehr. Lieber auf und davon.«

Sie fröstelte im Drandenken. Fabers Blick ruhte auf ihr. Es war als fürchte sie den Blick und nicht minder sein Schweigen, und sie fuhr hastig fort: »Ihm mit Vorhaltungen zu kommen, hab ich mich gehütet. Auch die schlimme Lage, in die er seine Großmutter, seine Tante versetzt, habe ich kaum angedeutet. Hauptsächlich habe ich ihn gebeten, sich nicht selber zugrunde zu richten. Irgend etwas an mir schien ihm Eindruck zu machen; das habe ich benutzt, um ihm zu versichern, daß ich viel von ihm hielte und viel von ihm erwarte, zum Unterschied von andern, und daß er wahrscheinlich selbst noch nicht wisse, wieviel Gutes und Tüchtiges in ihm verborgen sei. Und so ähnlich eben. Ich habe ihn mit Achtung behandelt, sogar sein dummes Verbrechen mit Achtung. Er sah mich immerfort starr an, und sein Mißtrauen lag wie ein dicker Klotz vor mir. Auch Sie sehen mich erstaunt an. Sein Verbrechen mit Achtung behandelt; das verübeln Sie mir am Ende und meinen, ich hätte einen Kniff angewendet –«

»O nein, wo denken Sie hin«, sagte Faber leise.

»Wenn jemand etwas so Unbegreifliches begeht, von unserm Standpunkt aus Unbegreifliches, nimmt er doch ein ganzes Verhängnis damit auf sich. Es ist wie eine Krankheit, die er lebenslänglich trägt, ein ewiger Aussatz. Dazu gehört schließlich ein gewisser Mut, ein gewisser Entschluß. Das habe ich ihm gesagt, um das mit der Achtung zu erklären. Es ist freilich eine finstere und qualvolle Achtung, und ich gab mir Mühe, ihm zu beweisen, daß man sie nur dem gewährt, dem man die bessere, die edlere schenken möchte. Er hat begonnen, mir zu glauben; an seinem Glauben konnt ich mich dann langsam weitertasten bis zu seinem Gewissen heran. Gräbt man tief genug in einem Menschen, so trifft man, davon bin ich überzeugt, als tiefstes und stärkstes sein Bedürfnis nach Achtung. Es ist tiefer und stärker als das nach Liebe; wirklich; ich habe viel darüber nachgedacht. Würden die Menschen einander auf natürliche Weise achten, so geschähe nicht der hundertste Teil des Unglücks, das noch immer durch Liebe entsteht. Davon bin ich überzeugt. Sie nicht?«

»Es kann wohl sein«, sagte Faber.

Sie standen da, beide plötzlich stumm. Faber machte eine Bewegung, von der er selbst nichts wußte, wie im Traum. Er schlang seine Arme um Fides und zog sie an sich. Er hatte die Augen dabei geschlossen und seufzte. Fides vermochte der Kraft seiner Arme nicht zu widerstehen; doch es riß sie hin; auch sie schloß die Augen, flammend und betäubt. Ihr Kopf fiel auf seine Schulter wie eine Frucht, die man bricht. So küßten sie sich. Einen Augenblick nachher gab sie einen dumpfen Ton von sich, als ob sie sich verwundet fühle, rang sich stöhnend aus der Umklammerung, und so weiß im Gesicht, daß es wie Glut wirkte, hob sie die gefalteten Hände feierlich beschwörend bis an die Stirn.

Mit Schritten wie einer, der um das Gleichgewicht kämpft, taumelte Faber hinaus.


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