Jakob Wassermann
Faber oder Die verlorenen Jahre
Jakob Wassermann

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12

Als Faber gegen neun Uhr abends nach Hause kam, gab ihm Fides den Brief Martinas. Abreise Martinas; darauf war er nicht vorbereitet. Sein Gesicht wurde totenbleich. Er sagte nichts; Fides ging wieder hinaus. Er nahm den Brief noch einmal in die Hand; unwillkürlich zählte er die Worte, die wenigen Worte. Der Ton war von unbefangener Herzlichkeit; es hieß unter anderem: »du kannst dir denken, was es für mich bedeutet, die Fürstin mal ganz für mich zu haben.« Das Schreiben schloß wie folgt: »Es steht noch nicht fest, wie lange wir fortbleiben werden, keinesfalls länger als zehn Tage. Fides wird alles für dich besorgen, meine beiden Männer könnten besser nicht aufgehoben sein. Leb wohl. Deine Martina.« »Deine« war zweimal unterstrichen.

Er saß, den Kopf in die Hand gestützt, da kam Fides wieder und erkundigte sich, ob er nichts brauche. Er bat um schwarzen Kaffee. Es dauerte nicht lange, und sie brachte den Kaffee, breitete das Tischtuch auf, stellte die Tasse hin, alles beinahe geräuschlos. Nicht nur still war sie, es machte auch den Eindruck, als wolle sie unsichtbar sein. Sie trug ein einfaches schwarzes Hauskleid und eine schneeweiße Schürze. So hatten auch ihre Züge etwas auffallend Reines, gleichsam Gescheuertes; der Blick unter den merkwürdig phantasievoll geschwungenen dichten Brauen war ruhig, ohne flimmernde Mitteilsucht, überhaupt ohne Betonung von Anwesenheit und Selbstsein.

»Haben Sie gestern abend nach Martinas Abreise auf mich gewartet?« fragte Faber.

»Ja. Ich bin bis gegen zwölf aufgeblieben,« erwiderte sie; »ich wollte nicht, daß sie den Brief so unpersönlich in die Hand bekamen; ich wollt ihn Ihnen selber geben. Aber Sie sind nicht heimgekommen.«

Kein Untertan von Tadel oder Forschen; nur Feststellung. Er schwieg. Als sie sich entfernen wollte, sagte er: »Möchten Sie mir nicht ein wenig Gesellschaft leisten? Vielleicht haben Sie Lust, auch eine Tasse zu trinken.«

»Gern,« sagte sie, holte eine zweite Tasse, nahm Platz und schenkte sich ein. Er blickte auf ihre Hände, die sehr gut geformt waren, schmal, etwas knochig, mit spitz zulaufenden Fingern und in der Bewegung von angenehmer Sparsamkeit. Er schüttelte den Kopf und sagte vor sich hin, immer die Hände betrachtend: »Ich hatte bisher die Empfindung, als ob Sie mir aus dem Weg gingen. Und nicht bloß das, als ob Sie es in feindseliger Weise täten. Das war wohl ein Irrtum von mir?«

»Ja. Dann waren Sie im Irrtum,« war die trockene Antwort.

»Umso besser. Im Hausgenossen möchte man kein Übelwollen wecken. Aber ich bin störrisch. Unbekannte Menschen machen mich verstockt. Der Unbekannte reizt mich, daß ich nein sage, auch wo ich ja sagen müßte. Mißtrauen liegt mir in der Natur; wie chronischer Fieberdunst. Fast in allen meinen Träumen werde ich ungerecht verfolgt.«

»Sonderbar. Und Sie haben eine so glückliche Jugend gehabt«, sagte Fides.

»Glücklich? Ein dummes Wort: glücklich. Man sollte es nie auf den Zustand eines andern anwenden. Wer weiß vom Glück des Andern? Glückliche Jugend ... lassen Sie mal sehen. Wir haben Freiheit gehabt, mehr als wir begehrt haben. Wir sind sogar ohne Religion erzogen worden, damit unser Geist keinen Zwang erleiden sollte. Schließlich, die Religion fordert, daß man sich einem Gott oder einem Dogma unterwirft. Und Unterwerfung sollte uns erspart bleiben. Man hatte solche Furcht, uns einzuengen, solchen Eifer, uns Hemmungen aus dem Weg zu räumen, überzeugte uns mit solchem Nachdruck von der Machtvollkommenheit unseres eigenen Ichs, daß wir allesamt nichts Eiligeres zu tun hatten, als uns, jeder auf seine Manier, die Fesseln selber zu schmieden, vor denen man uns mit so viel Umsicht und Sorge bewahrt hatte. Der eine hat sich im ersten Rausch für seine Wissenschaft verblutet, der zweite hat sich für ein schlechtes Weib zugrunde gerichtet, die dritte hat sich ohne Herz in die Ehe verkauft und paktiert jetzt mit der Kirche, und ich? Meine Formel ist nicht so einfach. Die ist schwer zu finden. Ich wills gar nicht erst versuchen.«

Mit gespannter Aufmerksamkeit lauschend, wodurch das kluge Gesicht wie von innen beleuchtet schien, ließ Fides keinen Blick von ihm. Diese Bereitschaft und Begierde zu hören war es jedenfalls, die ihn weiter trieb. Er begann, ihr von seiner Kindheit zu erzählen. Es waren Vorgänge und Stimmungen, deren er sich jetzt vielleicht zum erstenmal erinnerte, befehligt von dem lebendig auf ihn gerichteten Auge. Er sagte, er sei als Knabe so lieblos gewesen, daß er mit einer Art Wollust die Schwächen der Menschen vor sich und andern entblößt habe; keine Leistung habe ihm Respekt abgenötigt; das erste Wort, die erste Regung sei immer der Spott gewesen; nicht zu glauben, nicht zu bewundern, nicht anzuerkennen hätten er und die Geschwister sich geradezu zur Übung gemacht, und sie hätten noch nicht ordentlich lesen können, da hätten sie bereits ein satirisches Witzblatt verfaßt, zu dem jeder allwöchentlich seine Beiträge an Karikaturen und Parodien lieferte. Einmal sei ein geistlicher Herr ins Haus gekommen, der dem Vater eine Botschaft zu bringen hatte; die Eltern seien fortgewesen; er hätte sich freundlich in ein Gespräch mit den Kindern begeben, von denen Karl, der älteste, damals zwölf Jahre gezählt habe; nach kurzer Zeit hätten sie dem guten hochbejahrten Priester eine solche Menge blasphemischer Unflätigkeiten aufgetischt, daß der, unter schallendem Gelächter der Vier, sich fortwährend bekreuzigt und zum Schluß die Flucht ergriffen habe. Die Mutter habe sich darüber königlich amüsiert und die schüchternen Bedenken des Vaters nicht gelten lassen wollen. Einmal habe der Vater von einem seiner Bekannten ein schönes altes Bild zum Geschenk erhalten, an dem er große Freude hatte und das er im Wohnzimmer aufhing. Der betreffende Mann, der dem Vater das Gemälde geschenkt, war namentlich Eugen und Klara aus irgendeinem Grund unleidlich; es war ein ruhmrediger, alberner und geschwätziger Mensch, dessen Anständigkeit und freundschaftliche Gesinnung der Vater stets vor den beiden verteidigen mußte. Aber die hegten ihren unausrottbaren Haß, und eines Tages benutzten sie den Umstand, daß sie, wie so oft, wieder allein in der Wohnung waren, nahmen das Flaubertgewehr, das sich Karl gekauft hatte, und machten das Ölbild an der Wand so lange zur Zielscheibe ihrer Schießversuche, bis es wie ein Sieb durchlöchert und vollständig vernichtet war. Das waren nicht bloß törichte und ausgelassene Knabenstreiche; es war mehr, viel mehr, sagte Eugen mit bohrendem Gesichtsausdruck; es war so etwas wie die Raserei der Gesetzlosigkeit. Denn in diesem wie in jedem ähnlichen Fall war von Strafe oder nur Zurechtweisung nie die Rede. Das Höchste, wozu es kam, war Verhandlung und Kritik. Dies geduldige Wenn und Aber, dies nachsichtiggewährende Verstehen und Betrachten habe Anreiz auf Anreiz gezüchtet, alle Gewissensmahnung erstickt, alle Dämme unterhöhlt. Er insbesondere sei dadurch in immer wilderes und wüsteres Trotzwesen geraten, als ob es der geheime Wunsch und Wille in ihm gewesen sei, auf den endlichen Widerstand zu stoßen, der die schmerzhaft wuchernden Kräfte beschneiden sollte. Er entsinne sich, daß er schon als Siebenjähriger ein leidenschaftlicher Leugner alles persönlichen Eigentums gewesen sei; nicht infolge von Lehre und Belehrung, Gespräch der Erwachsenen und äußere Beeinflussung, nein, von innen her, von innerem Aufrührer- und Zerstörertum her. Er sei in krankhafte Wutanfälle verfallen, wenn jemand in seiner Umgebung behauptet hatte, dieser oder jener Gegenstand »gehöre« ihm, diese oder jene Sache »besitze« er; dann war er nur von dem Bestreben erfüllt, ihm den Besitz zu entreißen oder wenigstens streitig zu machen, und bei vielen Anlässen solcher Art sei es zwischen ihm und den Geschwistern zu nicht immer harmlosen Kämpfen gekommen; einmal, als Roderich eine Taschenuhr zum Geburtstag erhalten, sei er mit dem Messer auf diesen losgegangen, habe ihn der Uhr beraubt und, damit sie keinem »gehöre«, aus dem Fenster auf die Straße geschleudert. Er entsinne sich, daß eines Tages der Verdacht aufgetaucht sei, ein Patient des Vaters, ein Handlungs-Kommis, der seit einiger Zeit regelmäßig zur Ordination kam, verübe im Wartezimmer regelmäßig kleine Diebstähle. Bald fehlte ein Album, bald ein Bronzefigürchen, bald eine Porzellanschale. Als die Eltern den Fall miteinander besprachen und erwogen, ob die polizeiliche Anzeige zu erstatten sei, habe er sich heftig dawider aufgelehnt und zugleich den wahnwitzigen Plan gefaßt, nicht nur den Mann zu warnen, sondern auch dem Vater Geld zu entwenden und es dem Dieb heimlich zuzustecken. Beides habe er getan und es nachher dem Vater gestanden. Er erinnere sich noch sehr wohl der betrübten Ratlosigkeit im Gesicht des Vaters; es habe ihn plötzlich gereut und er habe sich in seiner stets ausschweifenden Weise zu Boden geworfen und geschluchzt. Das alles scheine so fern, sagte Eugen mit melancholischer Bedächtigkeit, doch im Grunde sei es nah und gegenwärtig, weil zu tiefst mit dem Gewordenen verwachsen. Wenn ein reifer Mensch von seiner Kindheit spreche, so husche ihm die entlegene Vergangenheit schattenhaft vorbei, tückisch verkürzt, möchte er fast sagen; aber während man es lebe, sei es über unendlich viele Tage und Nächte ausgedehnt; überhaupt, so finde er, sei das Kindheitsalter das längste, das verweilendste und in der Entfaltung quälendste von allen menschlichen Altern, und wo der Dreißigjährige einen Augenblick der Finsternis, der Verstörung, des verbrecherischen Antriebes habe, da sei der Knabe in eine Ewigkeit verdammt und die Stunde habe ein ganz anderes Gewicht und einen unvergleichlich wichtigeren Verlauf. Wenn er zurückschaue, tue er es ungern, aber wenn er es tue, wolle es ihn bedünken, daß er auf einem kalten, kahlen, schaurig einsamen Weg ohne Aussicht auf Umkehr und Rückweg gegangen sei, und aufs Verderben zu, blind und wild; aber im Moment, wo ihm zumute gewesen, als müsse er die ganze Welt wie eine gekochte Kastanie in die Luft springen lassen, sei ihm Martina begegnet.

Er schwieg, und Fides unterbrach sein Schweigen nicht. Ihre Lider waren gesenkt; ihre Züge zeigten intensives Nachdenken; mit der rechten Hand zerkrümelte sie ein Stückchen Biskuit auf dem Tischtuch.

»Ohne Martina gehts wieder auf den alten kalten kahlen Weg,« sagte er nach einer langen Pause; »in den sechs Jahren hab ich die Gefahr heimlich wachsen sehen und konnte mich nicht wehren. Es war wie wenns langsam finster wird. Sieben Jahre lang war Tag gewesen, und als ich von ihr fort mußte, begann schon das Licht zu schwinden. Und nach abermals sieben Jahren ... Die sind jetzt bald um.« Eine tiefe senkrechte Kerbe entstand auf seiner Stirn. »Sie denken sich wahrscheinlich: trauriges Zerrbild; ein Mann, der so ausschließlich auf die Liebe zu einem Weib gestellt ist. Das denken Sie doch, was?«

Fides schüttelte langsam den Kopf.

»Aber es ist nicht das,« fuhr er fort; »Liebe; damit ist eben gar nichts gesagt.« Wieder schwieg er eine Zeitlang, dann fragte er plötzlich: »Wie haben Sie eigentlich Martina kennengelernt, unter welchen Umständen? Darf ich das wissen?«

Fides errötete jäh. Gleich darauf wich alle Farbe aus ihrem Gesicht. »Dazu müßte ich zu weit zurückgreifen,« gab sie leise zur Antwort; »es setzt zu viel von meinem Leben voraus.«

»Verzeihen Sie,« lenkte Faber etwas erschrocken ein, »ich möchte nicht indiskret erscheinen –«

Sie machte eine abwehrende Geste. »Es gibt Dinge, die nur vertragen, das man darüber schweigt. Aber das kann ja ohnedies geschehen. Als ich Martina zum erstenmal sah, lag ich im Spital. Die Fürstin hatte sie zu mir geschickt. Ich war sehr krank damals. Es war mehr ein Verlust des Lebensmutes und der Gemütskräfte als sonst etwas. Das körperliche Übel, mein Herz wollte nicht mehr recht arbeiten, spielte daneben kaum eine Rolle. Die Fürstin, sie kannte mich längst, meinen Namen und mein Leben, hatte natürlich gewußt, was sie tat, indem sie gerade Martina veranlaßte, zu mir zu kommen. Wenn es irgendein Heilmittel für einen Menschen gibt, so findet sie es, und in jeder Schicksalslage. Sie hat die Eingebung. Sie stellt sich einen Menschen vor, sein Leiden, sein Tun, seine Schuld, sie gewinnt das untrüglichste Bild von ihm und faßt ihren Beschluß, der dann wirklich wie von oben kommt und wie höhere Botschaft ist. Ich erinnere mich noch, wie die Tür aufging und Martina eintrat. Mein erstes Gefühl war Erstaunen. Wie ist das möglich? dachte ich, so etwas Strahlendes existiert noch in der Welt, in dieser Welt? Sie setzt sich an mein Bett; sie plaudert; sie nimmt meine Hand; sie lacht; sie ist zärtlich, und nach einer Viertelstunde komme ich mir verwandelt vor. Ein Stein war einem in die Brust gesenkt; das ganze Innere war Stein geworden; auf einmal löst sichs, das Leben fängt wieder an zu fließen.«

Faber hing an ihren ernst und bestimmt redenden Lippen. »Kann ich mir gut denken,« murmelte er und legte beide Hände gekreuzt auf den Tisch.

»Ich hatte damals nicht die geringste Lust, wieder in Beziehung zu einem Menschen zu treten, nicht die allergeringste,« fuhr Fides fort, und Faber merkte ihr an, daß sie nur mit Überwindung von dieser Zeit sprach, mit tiefem Widerstreben von sich selber; »ich kann nicht beschreiben, wie es mit mir war. Ich wollte einfach nicht mehr die Mühe haben. Wenn nach der so und sovielten schlaflosen Nacht wieder ein Tag anbrach, graute mir; jeder Stundenschlag war Grauen. Martina trug mich heraus. Es war plötzlich eine andere Welt, und sie konnte mich die frühere vergessen lassen. Dabei geschah nichts. Es war keine Absicht dabei, kein Plan; kein Zureden; kein vorgenommenes Wirken; es gelang nur, weil sie so durch und durch arglos ist, so ganz bescheidene Natur und weil alles was sie spricht und tut, aus der Natur kommt, so daß man nie zweifelt, sich nie sträubt; eine solche Erscheinung war mir vollständig neu. Später, als ich schon hier im Hause war, und es nötig wurde, daß ich mir ein wenig Kleider und Wäsche versorgte, ging sie mit mir in die Geschäfte; auch mußte ich ein paarmal wegen meiner Papiere zu den Behörden; es war immer wie ein Vergnügungsausflug; wir lachten auf der Straße wie die Schulmädchen; ich hatte auf einmal Freude daran, ein Kleid und einen Hut zu kaufen; derselbe Polizeibeamte, der mich mürrisch angelassen hätte, wär ich allein gewesen, war verständig und freundlich, weil sie dabei stand. Ihr fügen sich die Menschen; vor ihr verstecken sie ihre schlechten Eigenschaften; kein Lügner kann lügen, wenn sie ihn anschaut. Und sie weiß es nicht; sie ist immer arglos. Nun leb ich so viele Monate mit ihr, und noch nicht ein einziges Mal hat sie mich nach der Vergangenheit gefragt, auch nicht mit einem Blick. Sie nimmt einen an und auf und begnügt sich mit dem, was man ist. Und darüber täuscht sie sich nicht, über das Wesentliche gibt es keine Täuschung bei ihr.«

»Ja, das ist wahr; so ist sie, genau so ist sie,« sagte Faber mit grübelnder Miene. »Daß sie nie gefragt hat, das ist echt Martina. Sie hätten nichts Bezeichnenderes hervorheben können. Sie ist nämlich in einem fast lächerlichen Grade unneugierig. Es geht so weit, daß sie um Dinge zu fragen vergißt, schlechtweg vergißt, die zu erfahren für sie wichtig und nützlich wäre. Ich hab mich früher oft geärgert, wenn sie niemals und nach nichts fragte. Man konnte bisweilen glauben, sie interessiere sich gar nicht für einen, auch für die nicht, die ihr nah standen.«

Fides lächelte. »Unneugierig nennen Sie es,« sagte sie, »und das ist bei einer Frau schon etwas Seltenes. Es rührt aber davon her, daß sie den Krampf nicht kennt. Fast alle Menschen heute sind verkrampft. Sie ist frei davon; sie ist nie gespannt, und wer nicht gespannt ist, ist auch nicht neugierig, natürlicherweise.«

»Aber haben Sie nicht doch gewünscht, sie möchte fragen?« forschte Faber; »ist Ihnen die Zurückhaltung nicht wie Mangel an Teilnahme erschienen? Man erlöst sich doch, wenn man sich einem Freund mitteilen kann.«

»Nein, ich hatte nicht den Wunsch,« erwiderte Fides leise; »wozu das Vergangene aufdecken, wenn es so düster ist? In Martinas Nähe und mit ihr bin ich immer ruhiger geworden; manchmal war mir, als hätte sich das Schreckliche in einem früheren Dasein von mir abgespielt. Sobald ich längere Zeit allein bin, freilich, steht alles wieder da, und ich weiß, es ist geschehen, es ist mir geschehen.«

Sie hob den Blick und begegnete seinem. Sie sahen einander an, jeder mit dem eigenen Schicksal beschäftigt. Es war außerordentlich still im Haus und auf der Straße. Nur feiner Regen knisterte kaum vernehmlich an die Fensterscheiben. Aber wenn man lange hinhörte, wirkte es wie heftiges Gepoch.

»Haben Sie einmal den Namen Heinrich Kapruner gehört?« fragte Fides plötzlich mit veränderter, rauher Stimme, ohne von seinem Blick zu lassen.

Er besann sich. Ja, er habe den Namen gehört. Ob sie den Revolutionär und radikalen Propheten meine? Er habe in ausländischen Zeitungen von ihm gelesen. »Man hat ihn erschossen, wenn ich mich recht erinnere«, fügte er hinzu.

»Erschossen? Nein. Erschlagen. Massakriert.« Sie war weiß wie das Tischtuch. Sie senkte die Lider und brachte nach einer Weile mühsam hervor: »Ich bin seine Witwe.«

Sie verstummte, und Faber wagte nicht, das Schweigen zu brechen. Er betrachtete ihre nervös bewegte Hand und wartete. Es schien, daß es sie danach drängte, zu reden und daß sie durch die Nennung jenes Namens schon zu weit gegangen war, um noch zurück zu können. Es schien auch, daß die Offenheit, mit der ihr Faber von seinen Knabenjahren erzählt hatte, das Verlangen in ihr erweckte, sein Vertrauen zu erwidern.

So begann sie mit angenehmer, dunkel gefärbter Stimme und in gleichmäßigem Rhythmus zu berichten.


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