Lewis Wallace
Ben Hur
Lewis Wallace

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Siebzehntes Kapitel.

Scheik Ilderim war ein Mann von zu großer Bedeutung, als daß er mit bescheidenem Aufzug hätte erscheinen können. Er mußte sein Ansehen wahren seinem Stamme gegenüber, wie es einem Fürsten und dem mächtigsten Patriarchen der ganzen Wüste östlich von Syrien geziemte. Anders geartet war sein Ruf bei den Bewohnern der Städte, diesen galt er als einer der reichsten Männer von nicht königlichem Range im ganzen Osten. Und da er in der Tat reich war, an Geld sowohl wie an Dienern, Kamelen, Pferden und Herden aller Art, hatte er eine besondere Vorliebe für einen gewissen Prunk und Staat, der nicht nur sein Ansehen bei Fremden erhöhte, sondern auch seinen persönlichen Stolz befriedigte und ihm ein behagliches Leben gewährte. Er besaß auch wirklich ein ansehnliches Douar oder Zeltdorf, das durch eine erprobte Leibwache geschützt wurde.

Ilderim beobachtete alle Gebräuche seines Volkes, ohne auch nur den unbedeutendsten abzuändern. Daher war sein Leben im Haine nur die Fortsetzung seines Lebens in der Wüste, noch mehr, es war die treue Verwirklichung der patriarchalischen Sitten der Vorzeit, das echte Hirtenleben des alten Israel.

Wie ein bevorzugter Gast wurde Ben Hur, als ihn Malluch verlassen hatte, in das Prachtzelt Ilderims geführt. Diener banden ihm die römischen Schuhe aus und vertauschten seine staubigen Oberkleider mit frischen aus weißem Linnen.

»Tritt im Namen Gottes ein und ruhe dich aus!« sagte der Wirt herzlich zu seinem Gaste in der Sprache des Marktplatzes von Jerusalem und geleitete ihn sofort zum Diwan.

»Ich will mich hierher setzen,« sprach er, mit der Hand hinzeigend, »und der Fremdling mag da Platz nehmen.«

Eine Magd entsprach dem Winke und ordnete mit flinker Hand die Kissen und Polster zur Stütze für den Rücken. Dann ließen sie sich zu beiden Seiten des Diwans nieder. Indes brachte ein Diener Wasser frisch vom See, wusch ihre Füße und trocknete sie mit Tüchern ab.

»In der Wüste«, begann Ilderim, seinen Bart zusammennehmend und mit den schlanken Fingern seiner Hand kämmend, »pflegt man zu sagen: »Ein guter Appetit verspricht ein langes Leben.« Hast du solchen?«

»Nach diesem Spruch, guter Scheik, werde ich hundert Jahre alt. Ich bin wie ein hungriger Wolf vor deiner Tür,« erwiderte Ben Hur.

»Nun, du sollst nicht fortgeschickt werden wie ein Wolf. Ich werde dir das beste meiner Herde geben.« Ilderim klatschte in die Hände.

»Suche den Fremden im Gastzelte auf und sage ihm, daß ich mir noch einem Gaste zurückgekehrt bin, der mit mir Brot brechen wird. Und wenn Balthasar, der Weise, erscheinen will, werden wir unser drei das Brot teilen, der Anteil der Vögel wird darum nicht geringer sein.«

Der Diener entfernte sich.

»Nun wollen wir der Ruhe pflegen.«

Ilderim streckte sich aus dem Diwan aus, wie noch heute die Kaufleute in den Bazars von Damaskus aus ihren Wollteppichen zu sitzen pflegen. Als er bequem saß, ließ er ab, den Bart zu streichen und sprach in ernstem Tone: »Daß du mein Gast bist und meinen Leban getrunken hast und bald auch mein Salz kosten wirst, sollte nicht verbieten zu fragen: Wer bist du?«

»Scheik Ilderim,« entgegnete Ben Hur, ruhig seinen festen Blick aushaltend, »ich bitte dich, nicht von mir zu denken, daß ich deine Frage unberechtigt finde; allein gab es in deinem Leben nie eine Zeit, wo die Beantwortung einer solchen Frage ein Verbrechen an dir selbst gewesen wäre?«

»Beim Glanze Salomos, ja!« antwortete Ilderim. »Verrat an sich selbst ist bisweilen ebenso verächtlich wie Verrat am ganzen Stamme.«

»Dank, Dank, guter Scheik!« rief Ben Hur aus. »Nie hat eine Antwort dir mehr Ehre gemacht als diese. Nun weiß ich, daß du zur Rechtfertigung des Vertrauens, um das ich dich bitte, nur eine feierliche Versicherung von meiner Seite verlangst und daß diese Versicherung dir mehr gilt als die Geschichte meines traurigen Lebens.«

Der Scheik seinerseits machte eine Verbeugung und Ben Hur beeilte sich, seinen Vorteil zu verfolgen.

»So beliebe es dir denn,« sagte er, »zu hören: Erstens, ich bin kein Römer, wie der Name, der dir als der meinige angegeben wurde, vermuten läßt.«

Ilderim umfaßte mit der Hand seinen wallenden Bart und blickte unter den dichten, zusammengezogenen Brauen, mit den Augen etwas blinzelnd, scharf auf den Sprecher.

»Zweitens,« fuhr Ben Hur fort, »ich bin ein Israelite aus dem Stamme Juda.«

Der Scheik zog seine Brauen etwas in die Höhe.

»Nicht nur das, Scheik! Ich bin ein Jude, der gegen Rom eine Beschwerde hat, der gegenüber die deinige nur wie der Kummer eines Kindes erscheint.«

Der Greis strich mit nervöser Hast seinen Bart und senkte die Brauen so tief, daß selbst das Blinzeln der Augen darunter verschwand.

»Ferner: ich schwöre dir, Scheik Ilderim – ich schwöre es beim Bunde, den der Herr mit meinen Vätern geschlossen – wenn du mir nur zur Rache hilfst, die ich suche, so soll der Gewinn und der Ruhm des Rennens dein sein.«

Ilderims Brauen verloren den strengen Ausdruck, sein Kopf hob sich, sein Antlitz begann zu strahlen. Man konnte beinahe mit den Augen die Befriedigung sehen, die in ihn eingekehrt war.

»Genug!« sagte er. »Wenn an der Wurzel deiner Zunge eine Lüge verborgen liegt, dann wäre selbst Salomo vor dir nicht sicher gewesen. Daß du kein Römer bist, daß du als Jude eine Beschwerde gegen Rom hast und mit Racheplänen umgehst, glaube ich dir; und in dieser Hinsicht sage ich: Genug! Aber was deine Fertigkeit betrifft: welche Erfahrung hast du im Wagenrennen? And die Pferde – verstehst du sie zu gefügigen Werkzeugen deines Willens zu machen? Kannst du sie lehren, dich zu kennen, auf deinen Ruf zu kommen, wenn du es sagst, zu rennen, bis Kraft und Atem sie verläßt? Und zumal, kannst du sie in Augenblicken der Gefahr durch einen schrillen, aus deinem tiefsten Innern dringenden Laut anspornen, daß sie auch das Unmögliche vollbringen? Diese Gabe, mein Sohn, ist nicht jedem gegeben! – Heda!«

Ein Diener trat ein. »Laß meine Araber kommen!«

Der Mann schob den Vorhang, der das Zelt teilte, etwas zurück. Dadurch wurde eine Gruppe Pferde sichtbar, die einen Augenblick unschlüssig an ihrem Platze stehn blieben, wie um sich der Einladung zu vergewissern.

»Kommt,« rief Ilderim ihnen zu. »Was steht ihr dort? Was habe ich, was nicht euer ist? Kommt, sag' ich!«

Sie schritten langsam herein.

»Sohn Israels,« nahm der Scheik wieder das Wort, »dein Moses war ein mächtiger Mann, aber ich muß lachen, wenn ich daran denke, daß er deinen Vätern den schwerfälligen Ochsen und den stumpfsinnigen, trägen Esel gestattete, den Besitz von Pferden aber untersagte. Glaubst du, er hätte es getan, wenn er nur dieses hier und dieses und jenes gesehen hätte?« Bei diesen Worten legte er dem ihm zunächst stehenden Pferde die Hand auf die Stirn und streichelte es mit unendlichem Stolze und voll Zärtlichkeit.

»Du urteilst falsch, Scheik, ganz falsch!« sagte Ben Hur mit Wärme. »Moses ist ein Krieger ebensogut wie ein gottgeliebter Gesetzgeber; und in den Krieg ziehen – ah, was heißt es anders als alle ihm dienenden Geschöpfe lieben, diese da mit den anderen?«

»Wisse,« sagte der Scheik, »Gott gab dem ersten Araber eine unermeßliche Sandwüste mit einigen baumlosen Bergen und vereinzelten Quellen bitteren Wassers und sprach zu ihm: »Sieh, dein Land.« Und als der Arme klagte, erbarmte sich der Allmächtige seiner und sprach wieder: »Sei guten Mutes! Denn ich will dich zweifach vor den anderen Menschen segnen.« Der Araber hörte es, dankte und machte sich voll Glauben auf den Weg, die Segnungen zu finden. Er wanderte zuerst allen Grenzen entlang und fand nichts. Dann bahnte er sich einen Pfad in die Wüste hinein und wanderte weiter und weiter – und sieh, im Herzen der Wüste war eine grüne Insel, herrlich anzusehen, und im Herzen der Insel war eine Herde Kamele und eine Herde Pferde! Er nahm sie freudig in Besitz und pflegte sie mit Sorgfalt als das, was sie waren, die besten Gaben Gottes. Und aus jener grünen Insel stammen alle Pferde der Erde. Sie kamen selbst bis zu den Weiden Nisäas und nordwärts bis in die düsteren Täler, die beständig von den Stürmen des Meeres der kalten Winde gepeitscht werden. Bezweifle nicht die Wahrheit der Erzählung, oder wenn du es tust, soll nie wieder ein Amulett für einen Araber Zauberkraft besitzen. Ja, ich will dir auch die Beweise vorlegen.«

Er klatschte in die Hände.

»Bring mir die Register des Stammes,« befahl er dem eintretenden Diener.

Bis diese gebracht wurden, spielte der Scheik mit den Pferden, streichelte sie am Kopfe, kämmte ihre Stirnlocken mit seinen Fingern und gab jedem ein Zeichen seines Wohlwollens. Bald erschienen sechs Diener mit Kisten aus Zedernholz, die mit starken Messingbändern beschlagen und mit ebensolchen Scharnieren und Schlössern versehen waren.

»Nein,« sprach Ilderim, als sie alle neben den Diwan hingesetzt hatten, »ich meinte nicht alle; nur das der Pferde – jene Kiste dort! Öffnet sie und tragt die anderen wieder zurück!« Die Kiste wurde eröffnet. Sie enthielt eine Menge von Elfenbeintäfelchen, die an Ringen aus Silberdraht aufgereiht waren. Da die Täfelchen kaum dicker als Oblaten waren, hielt jeder Ring mehrere Hundert derselben.

»Ich weiß,« sprach Ilderim, einige Ringe in die Hand nehmend, »ich weiß, mein Sohn, mit welcher Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit die Schriftgelehrten des Tempels in der heiligen Stadt die Namen der Neugeborenen eintragen, daß jeder Sohn Israels sein Geschlecht bis zum Anfange zurückverfolgen kann, wenn es auch bis in die Zeit vor den Patriarchen reichen sollte. Meine Väter – möge ihr Andenken stets lebendig bleiben! – hielten es nicht für sündhaft, diese Idee zu entlehnen und auf ihre stummen Gehilfen zu übertragen. Sieh diese Täfelchen!« Ben Hur nahm die Ringe und legte die Täfelchen auseinander. Er sah, daß sie arabische Hieroglyphen trugen, die eine ungeübte Hand mit einer glühenden Metallspitze auf die glatte Fläche eingebrannt hatte.

»Kannst du sie lesen, Sohn Israels?«

»Nein! Du mußt mir ihre Bedeutung erklären.«

»So wisse denn: jedes Täfelchen bewahrt den Namen eines Füllens reiner Rasse, das seit Hunderten von Jahren meinen Vätern geboren wurde, ebenso die Namen der Eltern. Nimm sie in die Hand und beachte ihr Alter, damit du um so williger glaubst.«

Einige der Täfelchen waren beinahe ganz abgenutzt und unleserlich; alle waren gelb vor Alter.

»In der Kiste hier, kann ich dir sagen, bewahre ich die vollständige Geschichte meiner Pferde auf; ich sage vollständige Geschichte, weil sie beglaubigt ist, wie selten die Menschengeschichte. Sie zeigt die Abstammung aller dieser Tiere – dieses hier und jenes, das eben um deine Beachtung und Liebkosung bittet. Und diesen Pferden verdanke ich, daß mein Alter den Schrecken nicht vermindert hat, den mein Erscheinen auf den Verkehrsstraßen zwischen den Städten verbreitet. Und es mag dir genügen, wenn ich dir sage, daß sie noch nie auf der Flucht eingeholt worden und, beim Schwerts Salomos, auch nie in der Verfolgung zurückgeblieben sind! Das, wohlgemerkt, war im Wüstensande und unter dem Sattel. Aber jetzt bin ich – ich weiß nicht wie – besorgt, denn sie sind das erstemal eingespannt und der Vorbedingungen des Erfolges gibt es so viele. Den nötigen Ehrgeiz, die Schnelligkeit und die Ausdauer besitzen sie. Finde ich nur für sie einen Meister, so gewinnen sie. Sohn Israels! bist du der Mann, so schwöre ich, es soll ein glücklicher Tag sein, der dich hierherführte. Nun sprich von dir selbst!«

»Jetzt begreife ich,« sagte Ben Hur, »warum bei dem Araber gleich nach den Kindern das Pferd als nächster Gegenstand seiner Liebe kommt, und weiß auch, warum die arabischen Pferde die besten der Welt sind. Doch höre mich an, guter Scheik. Morgen will ich auf einer dieser Wiesenflächen dir eine Probe meines Könnens geben, für heute aber muß ich dir folgendes sagen: Diese deine Kinder der Wüste mögen einzeln die Schnelligkeit des Adlers und die Ausdauer des Löwen besitzen, aber ich sage dir, sie werden deine Erwartungen täuschen, wenn sie nicht gewöhnt werden, zusammen unter dem Joche zu laufen. Denn bedenke, Scheik, daß bei jedem Viergespann ein Pferd das schnellste und eines das langsamste ist. Und während das Rennen sich immer nach dem langsamsten entscheidet, bereitet das schnellste stets die Schwierigkeit. Gelingt es mir nun, die Tiere meinem Willen zu unterwerfen und dahinzubringen, daß alle vier wie eines laufen, dann sollst du die Sesterzien und den Siegeskranz und ich werde meine Rache haben. Was sagst du dazu?«

Ilderim hörte aufmerksam zu und strich sich den Bart. Als Ben Hur geendet hatte, antwortete er lachend:

»Ich denke besser von dir, Sohn Israels. Morgen sollst du die Pferde haben.«

In diesem Augenblick entstand am hinteren Eingange des Zeltes eine Bewegung.

»Das Mahl wird bereitet, und dort kommt mein Freund Balthasar, mit dem du bekannt werden sollst. Er hat eine Geschichte zu erzählen, die anzuhören ein Israelite niemals müde werden dürfte.«

Und zu den Dienern sprach er:

»Bringt die Register hinweg und führet meine Schätze an ihren Ort zurück.«

Sie taten, wie ihnen befohlen war.

Inzwischen wurde Balthasar zum Diwan geleitet, wo ihn Ilderim und Ben Hur stehend empfingen. Ein loses schwarzes Gewand umhüllte seine ganze Gestalt. Sein Schritt war unsicher, seine Bewegungen langsam und bedächtig, er konnte offenbar die Hilfe seines langen Stabes und den stützenden Arm eines Dieners nicht entbehren.

»Friede sei mit dir, mein Freund,« sprach Ilderim ehrfurchtsvoll, »Friede und Willkommen!«

Der Ägypter erhob das Haupt und antwortete: »Und mit dir, guter Scheik, mit dir und den Deinigen, Friede und Segen des einen Gottes – des wahren und lebendigen Gottes!«

Die Art seines Auftretens war edel und würdevoll und erfüllte Ben Hur mit Ehrfurcht. Zudem war der im Gruß enthaltene Segenswunsch zum Teil an ihn gerichtet gewesen und dabei hatte der greise Gast seine hohlen, aber leuchtenden Augen lange genug auf ihm ruhen lassen, um eine neue, geheimnisvolle, mächtige Bewegung in ihm hervorzurufen, so daß er während des Mahles immer wieder auf das faltige, bleiche Gesicht blicken mußte, um in dessen Zügen zu lesen. Aber es zeigte immer denselben milden, sanften, vertrauensvollen Ausdruck wie das Antlitz eines Kindes. Ein wenig später hatte er sich überzeugt, daß dieser Gesichtsausdruck ihm eigen war.

»Hier, Balthasar,« sprach der Scheik, seine Hand auf Ben Hurs Arm legend, »hier ist der Mann, der heute abend mit uns Brot brechen wird.«

Der Ägypter blickte lange und forschend auf den jungen Mann; er schien überrascht und im Zweifel. Dies bemerkend, fuhr der Scheik fort: »Ich habe ihm für morgen meine Pferde zu einem Versuche versprochen; wenn alles gut geht, wird er sie in den Zirkus führen.«

Balthasars Blick ruhte noch immer auf dem Jüngling. »Heute, edler Scheik, war mein Leben in Gefahr und wäre verloren gewesen, wenn nicht ein Jüngling, das vollkommene Ebenbild dieses hier – wenn er nicht derselbe ist – dazwischengetreten wäre und mich gerettet hätte.« Dann wandte er sich an Ben Hur selbst und fragte ihn: »Warst nicht du es?«

»Ich kann auf die Frage nur zum Teil antworten,« erwiderte Ben Hur mit rücksichtsvoller Bescheidenheit. »Ich war es, der die Pferde eines übermütigen Römers anhielt, als sie an der Quelle Kastalia auf dein Kamel losstürmten. Deine Tochter gab mir einen Becher.«

Er zog den Becher aus dem Busen seiner Tunika hervor und gab ihn Balthasar.

Das welke Antlitz des Ägypters färbte sich lebhafter.

»Der Herr sandte dich mir heute an der Quelle,« sprach er mit bebender Stimme und streckte seine Hand gegen Ben Hur aus, »und er sendet dich mir auch jetzt. Ihm danke ich; preise auch du ihn, denn seine Güte macht es mir möglich, dich reichlich zu belohnen, und ich werde es tun. Der Becher ist dein, behalte ihn.«

Ben Hur nahm das Geschenk zurück und Balthasar erzählte, den fragenden Ausdruck auf Ilderims Gesicht bemerkend, den Vorfall an der Quelle.

»Wie!« rief der Scheik, zu Ben Hur gewandt. »Du sagtest mir nichts davon, da du doch keine bessere Empfehlung hättest bringen können! Bin ich nicht ein Araber und Scheik eines Stammes von Zehntausenden? Und ist er nicht mein Gast? Und verpflichtet mich nicht mein Gastrecht, das Gute oder Üble, das ihm zugefügt wird, als mir getan zu betrachten? Wo anders solltest du deine Belohnung empfangen, wenn nicht hier? Wessen Hand sollte sie reichen, wenn nicht die meinige?« Und zu Balthasar gewandt, fügte der Scheik hinzu: »Ah, bei der Herrlichkeit Gottes, ich sage dir nochmals: er ist kein Römer!« Hiermit kehrte er sich um und wandte sich den Dienern zu, die die Vorbereitungen für die Mahlzeit beinahe vollendet hatten. Ben Hur reichte Balthasar seinen Arm und führte ihn zum Tische, wo sie sich nach morgenländischer Art auf die Wolldecken niederließen. Es wurden die Waschschüsseln gebracht und sie wuschen und trockneten sich die Hände. Dann gab der Scheik ein Zeichen, die Diener standen still, und zitternd vor heiliger Ehrfurcht erklang die Stimme des Ägypters:

»O Gott, Vater aller! Was wir haben, ist von dir! Empfange unseren Dank und segne uns, daß wir auch ferner stets deinen Willen tun mögen!«

Der Tisch, dem sie jetzt ihre Aufmerksamkeit widmeten, bot, wie es sich leicht denken läßt, die nahrhaftesten und feinsten Gerichte des Morgenlandes in reichlicher Auswahl: Kuchen, heiß vom Ofen, Gemüse aus den Gärten, verschiedene Fleischgerichte, allein und mit Gemüse, Milch, Honig und Butter folgten nacheinander. Bei diesem ersten Teil der Mahlzeit wurde wenig gesprochen, denn sie waren hungrig; beim Nachtisch wurde es anders. Sie wuschen sich nochmals die Hände und schüttelten die Tücher, die sie auf dem Schoße liegen hatten, aus. Und nun, nachdem ihr erster Hunger gestillt und der Tisch aufs neue gedeckt war, lösten sich ihre Zungen zu einer lebhaften Unterhaltung.

Die Schatten, die bei Sonnenuntergang sich von den Bergen aus über den Palmenhain ausbreiteten, ließen jener wohltuenden Dämmerung mit dem veilchenblauen Himmel über der einschlummernden Erde, die sonst den Tag von der Nacht scheidet, keinen Raum. Die Nacht kam früh und plötzlich. Gegen das im Zelt einbrechende Dunkel brachten die Diener vier Leuchter aus Messing und stellten sie an den vier Ecken auf den Tisch. Jeder Leuchter hatte vier Arme und auf jedem Arme befand sich eine brennende Lampe aus Silber und ein Gefäß mit Vorrat an Olivenöl. Unter dem ausreichenden, ja hellen Lichte setzten die Tischgenossen ihre Unterhaltung fort. Sie sprachen die syrische Mundart, die allen Völkern in jenem Weltteil geläufig war.

Der Ägypter erzählte die Geschichte der Begegnung der drei Männer in der Wüste und pflichtete dem Scheik bei, daß es im Dezember siebenundzwanzig Jahre gewesen seien, seit er und seine Gefährten auf der Flucht vor Herodes in seinem Zelte Unterkunft gesucht hatten. Die Erzählung wurde mit gespannter Aufmerksamkeit angehört, und Ben Hur nahm sie wie eine Offenbarung auf, die von höchster Bedeutung für die ganze Menschheit und insbesondere für das Volk Israel war. In seinem Geiste begann, wie wir bald sehen werden, ein Gedanke greifbare Gestalt anzunehmen, der seine ganze Lebensbahn ändern, wenn nicht gar ihn ausschließlich in Anspruch nehmen sollte.

Dem Scheik war die Erzählung nicht neu. Er hatte sie von den drei Weisen zusammen und unter Umständen gehört, die dem Zweifel keinen Raum ließen. Er hatte dementsprechend in ernster Lage gehandelt, denn es war gefährlich, einen Flüchtling vor dem Zorne des ersten Herodes in Schutz zu nehmen. Scheik Ilderim glaubte sicher die Erzählung, aber es lag in der Natur der Dinge, daß ihre bedeutungsvolle Haupttatsache ihn nicht mit derselben Macht und überwältigenden Wirkung traf wie Ben Hur. Er war ein Araber und nahm als solcher nur allgemeinen Anteil an den Folgen des Ereignisses, für Ben Hur aber, den Israeliten, war die Wahrheit der Tatsache von der höchsten Bedeutung. Er legte sich das Ereignis in rein jüdischem Sinne zurecht.

Von der Wiege an hatte er vom Messias gehört. In den Schulen hatte man ihn mit allem vertraut gemacht, was man von ihm, der Hoffnung wie der Furcht und dem besonderen Ruhme des auserwählten Volkes, wußte. Die Propheten, vom ersten bis zum letzten, hatten von ihm geweissagt, seine Ankunft war stets der Gegenstand endloser Erörterungen unter den Rabbinern gewesen und war es noch immer: in den Synagogen, in den Schulen, im Tempel, an Fast- und Festtagen, öffentlich und vor einzelnen Personen redeten die jüdischen Lehrer vom kommenden Messias, bis alle Kinder Abrahams, wohin immer ihr Los sie geführt haben mochte, die Erwartung des Erlösers im Herzen trugen und danach mit eiserner Strenge ihr Leben regelten.

Ben Hur zweifelte nun nicht, daß dieses Kind der Messias sei. Sein Herz schlug schneller, und alle seine Gefühle drängten sich in der einen Frage zusammen: Wo war das Kind jetzt? »Könnte ich dir antworten,« sagte Balthasar in seiner offenen ernsten Weise, »so wüßte ich nur, wo er ist, wie schnell würde ich zu ihm eilen! Weder Berge noch Meere sollten mich zurückhalten!«

»Du hast also versucht, ihn zu finden?« fragte Ben Hur. Ein Lächeln überflog das Gesicht des Ägypters. »Die erste Aufgabe, die ich mir stellte, nachdem ich die gastliche Zufluchtsstätte in der Wüste verlassen hatte,« – Balthasar warf Ilderim einen dankbaren Blick zu – »war, zu erfahren, was aus dem Kinde geworden ist. Ein Jahr war inzwischen verflossen und ich wagte nicht, mich persönlich nach Judäa zu begeben, denn noch hatte Herodes, blutdürstig wie immer, den Thron inne. Nach Ägypten zurückgekehrt, fand ich einige Freunde, die meiner Erzählung von den wunderbaren Dingen, die ich gesehen und gehört hatte, Glauben schenkten, einige wenige, die sich mit mir freuten, daß der Erlöser geboren sei, und nicht müde wurden, meine Erzählung anzuhören. Mehrere derselben machten sich auf, an meiner Statt nach dem Kinde zu forschen. Sie kamen zuerst nach Bethlehem und fanden dort die Herberge und die Höhle, aber der Wächter, der in der Nacht der Geburt und in der Nacht, da wir, dem Stern folgend, ankamen, am Eingang saß, war fort. Der König hatte ihn entfernen lassen und er wurde nicht mehr gesehen.« »Aber sie fanden gewiß Beweise?« sagte Ben Hur mit Eifer. »Ja, mit Blut geschriebene Beweise: eine Stadt in Trauer, Mütter, die noch um ihre Kleinen weinten. Herodes hatte nämlich, als er von unserer Flucht hörte, nach Bethlehem gesandt und alle jüngstgeborenen Kinder ermorden lassen. Keines entging seiner Grausamkeit. Meine Boten waren im Glauben bestärkt, aber sie kamen zu mir mit der Kunde zurück, daß das Kind tot, daß es mit den anderen Unschuldigen erschlagen worden sei.«

»Tot!« rief Ben Hur bestürzt aus. »Tot, sagst du?« »Nein, mein Sohn, so sagte ich nicht. Ich sagte nur, daß meine Boten mir berichteten, das Kind sei tot. Ich glaubte es damals nicht; ich glaube es auch jetzt nicht.«

»Ich sehe, du hast besondere Nachrichten erhalten.«

»Ich habe keine besondere Nachricht,« versetzte Balthasar, die plötzliche Niedergeschlagenheit Ben Hurs bemerkend, »aber, mein Sohn, ich habe der Sache viel Nachdenken gewidmet, jahrelanges, vom Glauben beseeltes Nachdenken. Mein Glaube ist, ich versichere es dir, ja ich rufe Gott dafür zum Zeugen an, jetzt noch ebenso fest als zur Stunde, da ich am Ufer des Sees die rufende Stimme des Geistes hörte. Willst du mich anhören, so werde ich dir sagen, warum ich glaube, daß das Kind noch lebt.«

Beide, Ilderim und Ben Hur, gaben durch ihre Blicke ihre Zustimmung zu erkennen und schienen ihren ganzen Geist zu sammeln, um nicht bloß zu hören, sondern auch zu verstehen. Balthasar hatte in unbeschreiblich feierlichem Tone gesprochen und fuhr jetzt fort: »Die Stimme, es war Gottes Stimme, die am See zu mir sprach, sagte: »Selig bist du, Sohn Mizraims! Die Erlösung naht. Mit zwei anderen, die von den fernsten Ländern der Erde kommen, sollst du den Erlöser sehen.« Ich habe den Erlöser gesehen, aber die Erlösung, welche den zweiten Teil der Verheißung bildete, muß erst kommen. Begreifst du nun? Ist das Kind tot, wer soll dann die Erlösung vollbringen? Dann ist das Wort nichts und Gott – nein, ich wage nicht, es auszusprechen.« Er streckte wie abwehrend beide Hände empor.

»Die Erlösung ist das Werk, für welches das Kind geboren wurde, und so lange die Verheißung besteht, kann selbst der Tod es nicht von seinem Werke entbinden, bis es erfüllt oder wenigstens auf dem Wege der Erfüllung ist. Das ist ein Grund meines Glaubens. Nun höre mich weiter an!« Der gute Mann hielt inne.

»Willst du nicht den Wein verkosten? Sieh, er steht neben dir,« bat Ilderim ehrfurchtsvoll.

Balthasar trank und fuhr dann, augenscheinlich erfrischt, wieder fort:

»Der Erlöser, den ich sah, war vom Weibe geboren, der Natur nach uns gleich und allen Schwächen des menschlichen Leibes, selbst den Tod nicht ausgenommen, unterworfen. Das ist ein Umstand, den ihr beachten möget. Betrachtet sodann das Werk, das er vollbringen soll. Ist es nicht eine Aufgabe, die nur ein Mann lösen kann? Ein Mann, weise, fest und klug, ein Mann und nicht ein Kind? Um ein solcher zu werden, mußte das Kind wachsen wie wir. Bedenkt nur die Gefahren, denen sein Leben in der Zwischenzeit, in den langen Jahren zwischen der Kindheit und dem reifen Mannesalter, ausgesetzt war. Die herrschenden Mächte waren seine Feinde; Herodes und Rom waren seine Feinde. Konnte es da einen besseren Weg geben, sein Leben in der hilflosen Jugendzeit zu schützen, als ihn in der Verborgenheit zu halten? Deshalb sage ich mir und meinem unerschütterlichen Glauben, den das Sehnen der Liebe belebt: er ist nicht tot, sondern verborgen; da sein Werk noch nicht vollbracht ist, wird er wiederkommen. Da habt ihr die Gründe meines Glaubens. Sind sie nicht stichhaltig?«

Ilderims kleine Araberaugen leuchteten voll Verständnis. Auch Ben Hur hatte wieder seine Hoffnungsfreudigkeit gewonnen, und ein Gefühl von Ehrfurcht durchschauerte sein Herz.

»Wo glaubst du, daß er sich jetzt befindet?« fragte er mit leiser Stimme und zögernd wie einer, der auf seinen Lippen den Druck heiligen Stillschweigens fühlt.

Balthasar sandte ihm einen freundlichen Blick und antwortete, noch immer halb in Gedanken:

»Das Kind muß heute siebenundzwanzig Jahre alt sein, die Zeit seines Auftretens ist bald gekommen. Wo anders sollte er aber erscheinen, wenn nicht in Judäa? In welcher Stadt sollte er sein Werk beginnen, wenn nicht in Jerusalem? Wer sollte zuerst seine Segnungen empfangen, wenn nicht die Kinder Abrahams, Isaaks und Jakobs? Würde mir der Auftrag gegeben, ihn zu suchen, so würde ich die Weiler und Dörfer an den Abhängen der Berge Judäas und Galiläas, die nach Osten zum Jordantale abfallen, durchforschen. Dort befindet er sich jetzt. Dort, unter einer Tür oder auf einem Bergesgipfel stehend, sah er wohl heute abend die Sonne untergehn und sagte sich, daß er wieder einen Tag näher der Zeit sei, da er selbst das Licht der Welt sein wird.«

Balthasar schwieg, und auch seine beiden Freunde am Tische blieben eine Weile in tiefes Nachdenken versunken. Endlich unterbrach Ben Hur die Stille.

»Ich sehe, guter Balthasar,« sprach er, »daß du viel und außerordentlich begnadet worden bist. Ebenso erkenne ich, daß du in Wahrheit ein weiser Mann bist. Ich bin nicht imstande, in Worten auszudrücken, wie dankbar ich dir dafür bin, was du mir erzählt hast. Ich bin auf den Eintritt großer Ereignisse vorbereitet und teile auch einigermaßen deinen Glauben. Du würdest mich noch mehr verpflichten, wenn du mir weiter von der Sendung dessen erzählen wolltest, den du erwartest und den auch ich von diesem Abend an erwarten werde, wie es einem gläubigen Sohne Judas geziemt. Er soll der Erlöser sein, sagtest du; wird er nicht auch König der Juden sein?«

»Mein Sohn,« entgegnete Balthasar in seiner gütigen Art, »die Sendung liegt noch im Ratschluß Gottes verborgen. Alles, was ich hierüber denke, entnehme ich den Worten der Stimme im Zusammenhang mit dem Gebete, dessen Antwort sie war. Sollen wir nochmals darauf zurückkommen?«

»Du bist der Lehrer.«

»Die Stimme, die mich in die Ferne rief,« sagte Balthasar, »sie sprach ausdrücklich: »Die Erlösung naht! Du wirst den Erlöser sehen!« – Nun, wem soll die Erlösung zuteil werden? Der ganzen Welt! Und wie soll sie geschehen? Stärke deinen Glauben, mein Sohn! Ich weiß, daß die Menschen sagen, es könne kein Glück geben, bis Rom nicht von seinen Hügeln verschwunden sei; das heißt, das Elend der Zeit habe seinen Grund nicht in der Unkenntnis Gottes, wie ich glaubte, sondern in der Mißregierung der Herrscher. Ist es notwendig, uns erst zu sagen, daß menschliche Regierungen niemals um der Religion willen bestehn? Von wie vielen Königen hast du gehört, daß sie besser waren als ihre Untertanen? O nein, nein! Die Erlösung kann nicht politische Zwecke haben, sie soll nicht Herrscher und Gewalthaber stürzen und ihre Plätze bloß deshalb erledigen, damit andere sie einnehmen. Wenn das der ganze Zweck wäre, würde die Weisheit Gottes aufhören, unendlich zu sein. Ich sage dir – und sei mein Wort auch nur das Wort eines Blinden zu einem Blinden – daß derjenige, der da kommen soll, ein Heiland der Seelen sein wird. Die Erlösung bedeutet, daß Gott wieder auf Erden weilen und Rechtschaffenheit unter den Menschen herrschen wird, damit ihm der Aufenthalt hienieden möglich werde.«

Enttäuschung malte sich auf Ben Hurs Gesicht. Er ließ den Kopf sinken. War er auch nicht überzeugt, so fühlte er sich doch für den Augenblick unfähig, die Ansicht des Ägypters zu widerlegen. Nicht so Ilderim.

»Bei der Herrlichkeit Gottes!« rief er leidenschaftlich, »diese Ansicht stößt alles Herkommen um. Die Bräuche der Welt stehn einmal fest und können nicht abgeändert werden. In jedem Gemeinwesen muß es einen Führer geben, der mit Macht ausgerüstet ist, sonst ist keine Umgestaltung möglich.« Balthasar nahm den Einwurf mit Ernst hin.

»Deine Weisheit, guter Scheik, ist von der Welt; aber du vergissest, daß es eben die Gewohnheiten der Welt sind, von denen wir erlöst werden sollen. Menschen als Untertanen zu besitzen, ist der Ehrgeiz der Könige, die Seele des Menschen zu besitzen, um sie zu erlösen, ist das Verlangen Gottes.«

Ilderim schwieg zwar, schüttelte aber ungläubig den Kopf. Ben Hur nahm statt seiner die Entgegnung auf sich und sprach: »Vater – erlaube, daß ich dich so nenne –, nach wem solltest du an den Toren Jerusalems fragen?« Der Scheik warf ihm einen dankbaren Blick zu.

»Ich sollte«, entgegnete Balthasar ruhig, »die Leute fragen: Wo ist der neugeborene König der Juden?«

»Wenn du von Tatsachen redest, Vater, so heißt: dich hören – glauben,« sagte Ben Hur; »aber wenn es sich um Ansichten handelt, kann ich nicht verstehen, welcher Art König du aus dem Kinde machen willst – ich kann den Herrscher nicht von seinen Rechten und Pflichten trennen.«´

»Sohn,« versetzte Balthasar, »wir haben die Gewohnheit, die Dinge, die zufällig vor uns liegen, genau zu betrachten, während wir weit wichtigeren, die uns ferner liegen, kaum einen flüchtigen Blick widmen. Du siehst jetzt nur auf den Titel König der Juden; richtest du aber deine Augen auf das hinter demselben verborgene Geheimnis, so wird der Stein des Anstoßes verschwinden. Denke einmal an die Würde des Kindes und frage dich, was hat es schon nach den Ehrbegriffen der Menschen zu bedeuten, ein Nachfolger des Herodes zu sein? Hatte Gott nicht Besseres für seinen Auserwählten? Kannst du dir denken, daß der Allmächtige in Ermanglung eines passenden Titels auf die Erde herabsteigen werde, um sich eine Erfindung der Menschen zu erborgen? Warum wurde mir dann nicht der Auftrag, gleich nach einem Kaiser zu fragen? O, willst du in den Kern der Sache, von der wir sprechen, eindringen, dann blicke, bitte ich, höher! Frage vielmehr, was für ein Reich der verheißene König sein eigen nennen soll. Denn ich sage dir, mein Sohn, das ist der Schlüssel zum Geheimnis, und ohne diesen Schlüssel wird es kein Mensch verstehn.«

Balthasar blickte andachtsvoll zum Himmel.

»Es gibt ein Reich auf Erden, obschon es nicht von der Erde ist – ein Reich, ausgedehnter als die Erde, größer als das Meer und alle Länder, und wären sie gewalzt wie das feinste Gold und durch Hammerschläge ausgebreitet. Sein Dasein ist eine Tatsache, wie unsere Herzen eine Tatsache sind. Wir durchwandeln es von der Wiege bis zum Grabe, ohne es zu sehen, und kein Mensch wird es sehen, bis er nicht seine Seele erkannt hat, denn das Reich ist nicht für ihn, sondern für seine Seele. Und die Herrlichkeit dieses Reiches kann kein Menschengeist sich vorstellen, sie ist einzig, unvergleichbar, unübertrefflich.«

»Was du sagst, Vater, ist mir ein Rätsel,« sprach Ben Hur. »Von einem solchen habe ich noch nie gehört.«

»Ich auch nicht,« bestätigte Ilderim.

»Und mehr kann ich darüber nicht sagen,« fügte Balthasar hinzu, demütig, die Augen senkend. »Was es ist, zu welchem Zwecke es ist, wie man es erreichen kann, kann niemand wissen, bis das Kind kommt, um es als sein Eigentum in Besitz zu nehmen. Er bringt den Schlüssel zur unsichtbaren Pforte, die er für seine Auserwählten öffnen wird. Und zu diesen werden alle gehören, die ihn lieben, denn nur solche werden die Erlösten sein.«

Es trat eine lange Pause ein, die Balthasar als das Ende der Unterredung aufnahm.

»Guter Scheik,« sprach er in seiner sanften Weise, »morgen oder am darauffolgenden Tage werde ich mich auf einige Zeit zur Stadt hinaufbegeben. Meine Tochter wünscht die Vorbereitungen zu den Spielen zu sehen. Über die Zeit unserer Abreise werde ich noch mit dir sprechen. Und dich, mein Sohn, hoffe ich wiederzusehen. Friede sei mit euch beiden! Gute Nacht!«

Alle erhoben sich. Der Scheik und Ben Hur blickten dem Ägypter nach, bis er aus dem Zelte geleitet war.

»Scheik Ilderim,« sprach dann Ben Hur, »ich habe heute abend sonderbare Dinge gehört. Ich bitte, erlaube mir, einige Zeit am Ufer des Sees zu wandeln, damit ich darüber nachdenke.«

»Geh, ich werde dir folgen.«

Sie wuschen sich nochmals die Hände; dann brachte auf ein Zeichen des Scheiks ein Diener Ben Hurs Schuhe, und dieser ging hinaus.

Etwas aufwärts vom Douar stand eine Gruppe Palmen, die ihren Schatten halb über das Wasser, halb über das Land warfen. Eine persische Nachtigall sang in den Zweigen ihr einladendes Lied. Ben Hur blieb stehn, um zu lauschen, während eine Fülle von Gedanken seinen Kopf durchstürmte.

Bisher hatte er, wenn er seinen Lebensplan erwog, um dessentwillen er Soldat geworden war, ganz selbstverständlich an einen Aufstand gegen die Römer gedacht. Aber nie war er zufrieden gewesen, wenn er an das Ziel dachte, für das er kämpfen wollte. Genügte der Gedanke nationaler Freiheit, um genügend Anhänger um sich zu scharen? War überhaupt Israel stark genug, allein gegen den mächtigen Feind zu kämpfen? Nur ein allgemeiner Völkerbund konnte diesen Aufstand wagen, und der war nur möglich, wenn ein gewaltiger Kriegsheld die Erde mit seinem Ruhme erfüllte und die Schwankenden um sich scharte. Nur der Messias, der König der Juden, konnte dieses Wunder bewirken.

Und nun hatte Balthasar von einem Reich der Seele gesprochen. Was sollte das für ein Reich sein?

»Das ist keine Sache für Menschen,« sagte er verzweifelnd. »Der König eines solchen Reiches bedarf auch nicht der Menschen, weder Arbeiter, noch Berater, noch Soldaten. Die Erde muß zugrunde gehn oder neugeschaffen werden, und für die Regierung der Menschen müssen neue Grundsätze gefunden werden; an die Stelle der Waffengewalt muß etwas treten. Aber was?«

Inmitten seiner Träumereien legte sich eine Hand auf seine Schulter.

»Ich habe ein Wort mit dir zu reden, Sohn des Arrius,« sprach Ilderim, an seiner Seite stehn bleibend; »nur ein Wort und dann muß ich zurückkehren, denn die Nacht schreitet vor.«

»Ich heiße dich willkommen, Scheik!«

»In Betreff der Dinge, die du eben gehört hast,« fuhr Ilderim schnell fort, »glaube alles mit Ausnahme dessen, was sich auf die Art des Reiches bezieht, welches das Kind aufrichten wird, wenn es kommt. Hierüber halte dein Urteil zurück, bis du den Handelsherrn Simonides, einen trefflichen Mann hier in Antiochien, mit dem ich dich bekannt machen werde, gesprochen hast. Der Ägypter bietet dir die Münze seiner Träume an, die für die Erde zu gut sind. Simonides ist weiser: er wird dir die Aussprüche eurer Propheten vorführen und Buch und Seite nennen, so daß du nicht leugnen kannst, daß das Kind in der Tat König der Juden sein wird, ja, bei der Herrlichkeit Gottes! ein mächtiger König. And dann werden wir die Süßigkeit der Rache auskosten. Ich habe gesprochen. Friede sei mit dir!«

Damit zog sich der Scheik Ilderim wieder zurück.


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