Lewis Wallace
Ben Hur
Lewis Wallace

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Neuntes Kapitel.

Einige Meilen von Neapel liegt die Stadt Misenum mit dem gleichnamigen Vorgebirge, von dem aus man einen wundervollen Ausblick auf den Golf von Neapel hatte. Im Meer ankerte eine große römische Flotte, und die Segel blitzten in dem hellen Licht der Sonne.

Auf einem Wege, der von einem Tor der Stadtmauer nach einem breiten, sich mehrere Stadien weit in das Meer erstreckenden Damm führte, erschien an einem kühlen Septembermorgen eine Gesellschaft von zwanzig bis dreißig Personen. Die meisten waren Sklaven, während ihre Herren vorausgingen. Einer von ihnen, ein Mann von etwa fünfzig Jahren, der etwas kahlköpfig war, trug in seinem spärlichen Haar einen Lorbeerkranz. Er schien, da man ihm besondere Aufmerksamkeit erwies, der Mittelpunkt der Gesellschaft und der Gegenstand irgendeiner Feier zu sein. Alle waren mit weiten Togen aus weißem Wollenstoff bekleidet, die mit breitem Purpursaume besetzt waren.

»Nein, Quintus,« sagte einer zu dem Manne mit dem Kranze, »es ist nicht recht, daß Fortuna dich so schnell von uns hinwegnimmt. Erst gestern bist du vom Meere jenseits der Säulen des Herkules zurückgekehrt. Du hast dir ja nicht einmal den Landschritt wieder angewöhnt.« »Lästere Fortuna nicht,« meinte ein anderer, »sie ist weder blind noch launisch. Zu Antium, wo unser Arrius die Glücksgöttin befragt, antwortet sie ihm mit einem Nicken des Kopfes, und zur See weilt sie an seiner Seite und führt ihm das Ruder. Sie nimmt ihn aus unserer Mitte, aber bringt sie ihn nicht jedesmal mit neuen Siegen zurück?«

Mit solcher Unterhaltung trat die Gesellschaft auf den Damm hinaus und blickte über die Bucht, die im Lichte der Morgensonne herrlich vor ihnen lag. Dem alten Arrius klang das Plätschern der Wellen wie ein Willkommgruß. In tiefen Zügen holte er Atem, als ob der Duft des Wassers ihn lieblicher dünke als der Geruch der Narden, und hielt die Hand in die Luft.

»Seht, der Wind weht aus dem Westen,« rief er aus. »Und dort kommt meine Galeere. Welche Anmut! Welche Freiheit! ein Vogel kann nicht weniger sorglos sein gegen die schäumenden Wogen. Ja, meine Freunde, ich fahre jetzt nach dem Ägäischen Meere, und da meine Abreise so nahe bevorsteht, so will ich euch die Veranlassung nennen, nur behaltet alles für euch. Ich möchte nicht, daß ihr dem Duumvir Vorwürfe macht, wenn ihr in kurzem mit ihm zusammentrefft. Er ist mein Freund. Wie ihr wißt, ist der Handel zwischen Griechenland und Alexandrien kaum weniger bedeutend als der zwischen Alexandrien und Rom. Ihr habt vielleicht auch von den chersonesischen Seeräubern gehört, die am Euxinus sich festgesetzt haben, es gibt, beim Bacchus, keine verwegeneren Piraten. Gestern kam die Nachricht nach Rom, daß sie mit einer Flotte den Bosporus herabruderten, die Galeeren vor Byzanz und Chalcedon in den Grund bohrten, die Propontis durchstreiften und, noch immer beutegierig, in das Ägäische Meer einbrachen. Die Kornhändler, welche im östlichen Mittelmeere Schiffe unter Segel haben, sind voll Furcht und Sorge. Sie wandten sich an den Kaiser selbst, und von Ravenna segeln heute hundert Galeeren ab und von Misenum«

79 – er hielt inne, wie um die Neugierde seiner Freunde noch mehr zu erregen, und endigte den Satz, indem er mit besonderem Nachdrucke hinzufügte – »auch eine.«

»Glücklicher Quintus! Wir gratulieren dir!«

»Dieser Auszeichnung folgt die Beförderung. Wir begrüßen dich als Duumvir; nichts Geringeres wartet deiner.«

»Quintus Arrius, Duumvir, klingt besser als Quintus Arrius, Tribun.«

In solcher Weise überhäuften sie ihn mit Glückwünschen.

»Dank, vielen Dank!« antwortete Arrius, sich an alle wendend. Dann zog er aus den Falten seiner Toga eine Pergamentrolle hervor und reichte sie ihnen mit den Worten: »Dies erhielt ich gestern abend bei Tische von – Sejanus.«

»Sejanus!« riefen alle einstimmig und drängten sich hinzu, um zu lesen, was der allmächtige Minister geschrieben hatte. Das Schriftstück lautete:

»Sejanus an C. Cäcilius Rufus.

Der Kaiser erhielt guten Bericht über den Tribun Quintus Arrius. Im besonderen hörte er von der Tapferkeit, die derselbe in den westlichen Gewässern bewiesen hatte. Daher ist es sein Wille, daß der besagte Quintus sofort nach dem Osten versetzt werde. Ferner ist es des Kaisers Wille, daß Du unverzüglich hundert Dreiruderer erster Klasse mit vollständiger Ausrüstung gegen die Seeräuber sendest, die im Ägäischen Meere aufgetaucht sind, und daß Quintus den Befehl über diese Flotte übernehme. Einzelheiten bleiben Dir, Cäcilius, überlassen. Der Fall ist dringend, wie Du aus den Berichten ersehen wirst, die zu Deiner und des Quintus Unterweisung beigeschlossen sind. Sejanus.«

Arrius schenkte dem Vorlesen des Schriftstückes wenig Aufmerksamkeit. Er sah nur das Schiff, und Begeisterung leuchtete aus seinen Augen. Endlich schwang er einen Zipfel seiner Toga in der Luft, und als Antwort wurde auf dem Schiffe eine purpurne Fahne entfaltet. Das Fahrzeug schoß nun mit voller Geschwindigkeit in der Richtung des Arrius und seiner Freunde dem Ufer zu. Dieser beobachtete den ganzen Vorgang mit sichtlichem Wohlgefallen. In der Schnelligkeit, womit das Schiff dem Ruder gehorchte, und in der Festigkeit, mit der es seinen Kurs einhielt, besaß es zwei besonders wertvolle Eigenschaften, auf die man sich in einem Gefechte verlassen konnte.

»Meine Freunde,« sagte Arrius nach einer Weile, »der Duumvir ist verschwiegen. Was ich tun soll und wo ich meine Flotte finden werde, das werde ich erst auf dem Schiffe erfahren, wo ein versiegeltes Paket meiner wartet. Wenn ihr indes heute auf irgendeinem Altare Gaben darbringen wollt, so bittet die Götter für einen Freund, der irgendwo in der Richtung nach Sizilien rudert und segelt. Aber da ist das Schiff! Es wird gleich anlegen,« sagte er, sich umwendend. »Seine Führer interessieren mich, denn mit ihnen muß ich segeln und an ihrer Seite kämpfen. Es ist keine leichte Aufgabe, an einem Ufer von der Beschaffenheit dieses zu landen. So wollen wir denn ihre Gewandtheit und Fertigkeit kennen lernen.«

Das Schiff gehörte zur Klasse der naves Liburnicae, es war lang und schmal, hatte einen bedeutenden Tiefgang und war daher für schnelle Fahrten und plötzliche Bewegungen berechnet. Der Bug war schön und kunstvoll gebaut. Ein Wasserstrahl schoß während der Fahrt an ihm zur Höhe und fiel als sanfter Sprühregen auf das anmutig gebogene Vorderteil nieder, das sich zu doppelter Manneshöhe über das Verdeck erhob, unterhalb das Buges ragte das rostrum oder der Schiffsschnabel im Wasser vor, so nannte man eine am Kiel befestigte Vorrichtung aus starkem, eisenbeschlagenem Holze, die, mit eisernen Spitzen versehen, im Gefechte als Ramme diente. Ein starkes Gesims zog sich vom Bug an den Seiten des Schiffes entlang und begrenzte die zinnengeschmückte Brustwehr. Unter dem Gesims befanden sich drei Reihen Öffnungen, in denen sich die Ruder, sechzig auf jeder Seite, bewegten; jede Öffnung war mit einem Schutzleder aus Ochsenhaut bedeckt. In der Mitte des Schiffes, doch mehr gegen das Vorderteil, stand ein Mast, der durch Vor- und Bakstage und Wanttaue gehalten wurde, die letzteren waren durch Ringe an der inneren Bordwand befestigt. Das übrige Tauwerk diente der Leitung und Befestigung des großen viereckigen Segels und der Raa, an welcher dasselbe hing.

Außer den Matrosen, welche das Segel gerefft hatten und sich noch auf der Raa befanden, konnte man vom Damme aus nur einen Mann sehen, dieser stand am Bug und trug Helm und Schild. Die hundertzwanzig eichenen Ruder, welche durch öfteres Reiben mit Bimsstein und durch die beständige Bewegung im Wasser glänzend weiß waren, hoben und senkten sich, als würden sie von einer einzigen Hand geführt. Daher schoß die Galeere mit einer Schnelligkeit vorwärts, die von unseren modernen Dampfern nicht viel übertroffen wird.

Aber auf einen Wink des Mannes, der am Bug stand, erhoben sich plötzlich die Ruder, schwebten einen Augenblick in der Luft und fielen dann senkrecht nieder. Die Galeere erzitterte in allen Fugen und stand wie erschreckt stille. Wieder eine Handbewegung, und jetzt begann sich unter einer neuen Bewegung der Ruder das Schiff zu drehen, bis es sich langsam mit der Breitseite an den Damm anlegte. Als die Ruder den Damm streiften, wurde vom Steuermannsdeck aus eine Brücke an das Ufer gelegt. Dann wandte sich der Tribun mit einem Ernst, den er bisher noch nicht gezeigt hatte, an seine Gesellschaft und sprach:

»Nun ruft die Pflicht, meine Freunde!«

Er nahm den Kranz von seinem Haupte und dann umarmte er der Reihe nach seine Freunde zum Abschiede.

»Die Götter mögen dich geleiten, Quintus!« sagten diese.

»Lebt wohl!« entgegnete er.

Den Sklaven, die ihre Fackeln schwangen, winkte er mit der Hand. Dann wandte er sich dem harrenden Schiffe zu, auf dem jetzt die Reihen der Soldaten mit den blitzenden Helmen, Schilden und Spießen einen herrlichen Anblick boten. Als er die Brücke betrat, schmetterten die Trompeten, und es entfaltete sich die purpurne Fahne, der Wimpel des Flottenkommandanten.


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