Lewis Wallace
Ben Hur
Lewis Wallace

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Fünftes Kapitel.

Am selben Abend, ungefähr zu Beginn der ersten Nachtwache, fand im Palast auf dem Berge Zion eine Versammlung von ungefähr fünfzig Männern statt, die immer nur auf Befehl des Herodes abgehalten wurde, und zwar nur dann, wenn er über die eine oder andere schwierige Frage aus dem jüdischen Rechte oder der jüdischen Geschichte Auskunft begehrte. Es war eine Zusammenkunft der Gesetzeslehrer, der Hohenpriester und der durch Gelehrsamkeit ausgezeichneten Männer, der Führer der öffentlichen Meinung und der verschiedenen religiösen Anschauungen. Darunter befanden sich die Häupter der Sadduzäer, Pharisäer und Essäer.

Das Gemach, in dem die Sitzung stattfand, lag in einem der inneren Hofräume des Palastes und war sehr geräumig. Der Fußboden war mit Marmorplatten ausgelegt, die fensterlosen Wände schmückten Freskogemälde in safrangelben Feldern. In der Mitte des Saales befand sich ein mit hellgelben Kissen bedeckter Diwan in Hufeisenform mit der Öffnung dem Eingange zu, an der Krümmung des Diwans stand ein großer dreifüßiger Sessel, der seltsam mit Gold und Silber ausgelegt war. Über ihm hing von der Decke ein Kronleuchter mit sieben Armen herab, deren jeder eine brennende Lampe hielt.

Die Männer saßen nach Art der Morgenländer auf dem Diwan, ihre Kleidung hatte gleichen Schnitt, aber verschiedene Farben. Sie standen größtenteils in vorgerücktem Alter, lange Bärte umwallten ihre Gesichter. Die langen, gekrümmten Nasen und die großen, schwarzen Augen, die von dichten Brauen überschattet waren, verliehen ihnen ein eigenartiges Aussehen; ihr Benehmen war ernst, würdevoll, sozusagen patriarchalisch.

Am obersten Ende saß der Vorsitzende, eine ungewöhnliche, seltsame Erscheinung. Sein von Natur großer und starker Körper war schon gebeugt und wie zu einem Skelett zusammengeschrumpft; ein weißes Kleid hing in losen Falten von den Schultern herab. Die Hände, die von seidenen, rot und weiß gestreiften Ärmeln halb verdeckt waren, hielt er gefaltet auf dem Knie. Sein Haupt war kahl und nur von wenigen silberweißen Haaren umsäumt; den unteren Teil des Gesichtes bedeckte ein lang herabwallender Bart, der ihm ein ehrwürdiges Aussehen gab. Das war Hillel, der Babylonier. In einem Alter von hundertundsechs Jahren war er noch Vorsitzender des Hohen Rates.

Auf dem Tische vor ihm lag ausgebreitet eine Pergamentrolle, die mit hebräischen Schriftzeichen beschrieben war, hinter ihm stand in abwartender Haltung ein reichgekleideter Knabe. Diesen rief er vor.

»Geh und melde dem König, daß wir bereit sind, ihm Antwort zu geben.«

Der Knabe eilte hinweg.

Nach einer Weile traten zwei Soldaten ein und stellten sich rechts und links von der Tür auf. Ihnen folgte langsam eine auffallende Persönlichkeit, ein Greis in einem Purpurgewande, das mit Scharlach verbrämt war. Eine Binde aus fein getriebenem Golde, die schmiegsam war wie Leder, umgürtete den Leib, seine Schuhe funkelten von Edelsteinen, ein schmaler Kronreif aus Filigran schimmerte an seinem Haupte, das in einen auf die Schulter herabfallenden Tarbusch aus feinstem roten Samt gehüllt war. Anstatt eines Siegels hing ein Dolch an seinem Gürtel. Er hinkte im Gehen und stützte sich auf einen Stab. Ohne aufzublicken, trat er bis zum Diwan vor. Als ob er eben erst die Versammelten bemerkt hätte, richtete er sich nun auf und blickte stolz um sich, so finster, argwöhnisch, drohend war der Blick, den er auf die Anwesenden warf, daß man hätte meinen können, er suche einen Feind.

Es war Herodes der Große. Gebrochen am Leibe durch Krankheiten, belastet mit schweren Verbrechen, ausgestattet mit herrlichen Geistesgaben –ein würdiger Genosse der Cäsaren –, behauptete er noch jetzt in seinem siebenundsechzigsten Jahre seinen Thron mit wachsamer Eifersucht, despotischer Macht und unerbittlicher Grausamkeit.

Eine allgemeine Bewegung ging durch die Versammelten; die älteren beugten sich zum Gruße vor. Andere, die Hofgunst mehr zu schätzen wußten, erhoben sich von ihren Sitzen, beugten das Knie und legten die Hände an den Bart oder auf die Brust. Nachdem Herodes Umschau gehalten hatte, schritt er bis zum Dreifuß gegenüber dem ehrwürdigen Hillel, der seinem kalten Blicke mit einer Verneigung des Hauptes und einer leichten Erhebung der Hände begegnete.

»Die Antwort!« sagte der König in gebieterischer Kürze, zu Hillel gewandt, und stützte sich dann mit beiden Händen auf den Stab. – »Die Antwort!«

Die Augen des ehrwürdigen Greises leuchteten in mildem Lichte. Er erhob sein Haupt, blickte dem König voll ins Gesicht und antwortete unter gespannter Aufmerksamkeit der Anwesenden: »Der Friede des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs sei mit dir, o König!« Seine Worte klangen feierlich wie ein Gebet; dann fuhr er in gewöhnlichem Tone fort: »Du hast von uns zu wissen verlangt, wo der Messias geboren werden, sollte.«

Der König nickte, während sein finsterer Blick fest auf Hillel gerichtet war.

»Nun denn, o König! In meinem Namen und im Namen meiner Brüder hier, die mit mir gleicher Meinung sind, sage ich dir: zu Bethlehem in Judäa.«

Hillel blickte aus die Pergamentrolle, die auf dem Dreifuße lag, zeigte mit zitterndem Finger auf eine Stelle hin und las: »Und du, Bethlehem im Lande Judäa, bist keineswegs die geringste unter den Fürstenstädten Judas; denn aus dir wird hervorgehn der Fürst, der mein Volk Israel regieren soll.«

Herodes war betroffen, nachdenklich ruhte sein Blick auf dem Pergament. Die Anwesenden wagten kaum zu atmen; sie schwiegen wie Herodes. Endlich wandte er sich um und verließ den Saal.

»Brüder,« sagte Hillel, »wir sind entlassen.«

Die Versammelten erhoben sich und gingen gruppenweise fort.

»Simeon!« sprach Hillel wieder.

Ein Mann im Alter von etwa fünfzig Jahren, aber in voller körperlicher Frische, antwortete auf den Ruf und trat zu Hillel.

»Nimm das heilige Pergament, mein Sohn, und rolle es mit gebührender Sorgfalt zusammen!«

Der Befehl wurde vollzogen.

»Nun reiche mir deinen Arm und führe mich zur Sänfte!«

So verließen der berühmte Lehrer und sein Sohn Simeon, welcher der Erbe seiner Weisheit, Gelehrsamkeit und seines Amtes sein sollte, den Sitzungssaal des Hohen Rates.

Am selben Abend, aber noch etwas später, legten sich die drei Weisen in einer Kammer der Herberge zur Ruhe nieder. Die Steine, welche ihnen als Kopfkissen dienten, gaben ihnen eine so hohe Lage, daß sie durch den offenen Eingang das Firmament erblicken konnten; und wie sie die blinkenden Sterne betrachteten, dachten sie daran, wann ihnen die nächste Offenbarung werden würde. Während sie mit diesen Gedanken beschäftigt dalagen, schritt ein Mann durch den Eingang. »Wachet auf!« rief er ihnen zu. »Ich bringe euch eine Botschaft, die kein Zögern duldet.«

»Von wem?« fragte der Ägypter.

»Vom König Herodes!«

»Bist du nicht der Wächter der Herberge?« fragte Balthasar.

»Ja, das bin ich.«

»Was wünscht der König von uns?«

»Sein Bote wartet draußen; er wird es euch sagen.«

»Saget ihm, er möge warten, wir werden sogleich kommen.«

Sie standen auf, legten die Sandalen an, warfen die Mäntel um und traten hinaus:

»Ich grüße euch und wünsche euch Frieden!« sagte der Bote. »Mein Gebieter, der König, hat mich gesandt, euch einzuladen, in den Palast zu kommen, wo er allein mit euch sprechen will.«

»Des Königs Wille ist unser Wille,« sprach Balthasar zum Boten; »wir werden dir folgen.«

Er trat dann zu dem Wächter der Herberge heran und sagte ihm leise: »Bereite, während wir fort sind, alles zu unserer Abreise vor, vielleicht ist es nötig, daß wir sofort aufbrechen.«

Die Straßen der heiligen Stadt waren damals ebenso eng wie heute; stumm folgten die drei Männer ihrem Führer, der sie endlich zu einem Tore führte. In dem Scheine zweier Kohlenfeuer, die vor dem Tore brannten, konnten sie die Umrisse eines Gebäudes sowie einige Wachtposten sehen, die regungslos auf ihre Waffen gestützt lehnten. Ohne angehalten zu werden, schritten sie durch das Tor. Und dann wurden sie durch ein ganzes Labyrinth von oft unbeleuchteten Gängen und Hallen, Hofräumen und Gemächern sowie über mehrere Treppen bis zu einem Turm von beträchtlicher Höhe geführt. Plötzlich blieb der Führer stehen, zeigte auf eine offene Tür und sprach zu ihnen: »Tretet ein! Hier ist der König.«

Der drückende Duft des Sandelholzes erfüllte das Gemach, in welches sie jetzt traten; die ganze Einrichtung zeugte von üppiger Prachtliebe. Ein schwerer Teppich war in der Mitte ausgebreitet und auf ihm stand ein Thron. Die Besucher hatten kaum Zeit, einen flüchtigen Blick auf den Raum und seine Einrichtung zu werfen, ihre ganze Aufmerksamkeit wurde von Herodes in Anspruch genommen, der in derselben Kleidung, die er in der Sitzung des Hohen Rates getragen hatte, auf dem Throne saß, um die Fremden zu empfangen.

Sie traten unaufgefordert bis zum Rande des Teppichs vor und verbeugten sich dann bis zum Boden. Der König klingelte. Ein Diener kam herein und stellte drei Stühle vor dem Throne auf.

»Setzet euch!« sagte huldvoll der Herrscher.

Als sie ihre Plätze eingenommen hatten, fuhr er fort: »Vom Nordtore her wurde mir heute nachmittag die Ankunft dreier Fremdlinge berichtet, die seltsam beritten und ausgerüstet waren und aussahen, als seien sie aus fernen Ländern gekommen. Seid ihr diese Männer?«

Auf einen Wink des Griechen und des Inders nahm der Ägypter das Wort und antwortete unter einer tiefen Verneigung:

»Wären wir andere als wir sind, so hätte uns der mächtige Herodes nicht hergerufen.«

»Wer seid ihr? Woher kommt ihr?« fragte Herodes weiter. Sie erstatteten ihm nun, einer nach dem andern, Bericht, indem sie einfach Ort und Land ihrer Geburt sowie den Weg, auf dem sie nach Jerusalem gekommen waren, angaben. Etwas enttäuscht, forschte sie Herodes genauer aus.

»Wie lautete die Frage, die ihr beim Tore an den wachehabenden Offizier stelltet?«

»Wir fragten ihn: Wo ist der neugeborne König der Juden?« »Ich begreife nun, warum das ganze Volk so in Bewegung kam. Ihr reget mich nicht minder auf. Gibt es denn noch einen andern König der Juden?«

Furchtlos antwortete der Ägypter:

»Ja, er wurde soeben geboren.«

Ein Zug des Schmerzes flog über das finstere Antlitz des Herrschers, wie wenn eine schreckliche Erinnerung seinen Geist folterte. »Nicht mir!« rief er aus, »nicht mir wurde er geboren!« Als er die Fassung wiedererlangt hatte, fragte er ruhig: »Wo ist der neugeborene König?«

»Das ist es eben, o König, wonach wir fragen!«

»Ihr setzt mich in Erstaunen! Ihr legt mir ein Rätsel vor, das schwieriger ist als jenes salomonische. Saget mir alles, was ihr über den Neugebornen wißt, und ich will euch helfen, ihn zu suchen. Und wenn wir ihn gefunden haben, will ich tun, was ihr nur wünschet. Ich will ihn nach Jerusalem bringen und ihn zum König erziehen, ich will meinen Einfluß beim Kaiser verwenden, um ihm hohe Stellungen und Ehren zu verschaffen. Eifersucht soll es nicht unter uns geben, das schwöre ich. Doch sagt mir zuerst, wie konntet ihr, die ihr doch durch Meere und Wüsten so weit voneinander getrennt waret, gleichzeitig von ihm hören?«

»Ich will es dir in Wahrheit sagen, o König!«

»Sprich!« gebot Herodes.

Balthasar richtete sich auf und sprach feierlich: »Es gibt einen allmächtigen Gott.«

Herodes erschrak sichtlich.

»Dieser befahl uns, hierher zu kommen und versprach uns, daß wir den Erlöser der Welt finden würden, daß wir ihn sehen

und anbeten und von seiner Ankunft Zeugnis geben sollten. Als Zeichen vom Himmel war einem jeden von uns beschieden, einen Stern zu schauen. Sein Geist war mit uns. O König, sein Geist ist jetzt mit uns!« Die drei Männer waren aufs tiefste bewegt; der Grieche vermochte mit Mühe einen Ausruf zurückzuhalten. Herodes' Blicke schossen von einem zum andern, er war noch unbefriedigter und noch mehr von Argwohn erfüllt als vorher.

»Ihr treibt mit mir Spott,« sagte er. »Und wenn nicht, so erzählt mir mehr. Was soll auf die Ankunft des neuen Königs folgen?«

»Die Erlösung der Menschen.«

»Wovon?«

»Von ihrer Sündhaftigkeit.«

»Wodurch?«

»Durch die Kraft Gottes; durch Glaube, Liebe und gute Werke.«

»Dann –« Herodes hielt inne, sein Blick ließ in keiner Weise die Gefühle erkennen, die seine Brust bewegten, als er fortfuhr: »Dann seid ihr die Verkündiger des Messias. Ist das alles?« Balthasar verbeugte sich tief: »Wir sind deine Diener, o König!«

Der König klingelte und der Diener erschien. »Bringe die Geschenke!« sagte der Herrscher.

Der Diener ging hinaus. In kurzer Zeit kehrte er zurück, kniete vor den Gästen nieder und reichte jedem einen Mantel in scharlachroter und blauer Farbe und einen golddurchwirkten Gürtel. Sie nahmen die Ehrengeschenke mit orientalisch unterwürfigen Dankesbezeugungen an.

»Noch ein Wort!« sagte Herodes, als die Förmlichkeiten beendet waren. »Ihr habt zum Offizier beim Tore und soeben zu mir von einem Stern gesprochen, den ihr im Morgenlande gesehen habt.«

»Ja,« sagte Balthasar, »es war sein Stern, der Stern des Neugeborenen.«

»Um welche Zeit erschien er?«

»Als uns befohlen wurde, hierher zu kommen.«

Herodes erhob sich, ein Zeichen, daß die Audienz zu Ende war. Er stieg vom Throne herunter, ging ihnen entgegen und sagte huldvollst: .

»Wenn ihr, erlauchte Männer, in der Tat die Verkündiger des neugeborenen Messias seid, wie ich nicht zweifle, so wisset, daß ich heute abend die weisesten der jüdischen Lehrer befragt habe, und sie sagen einstimmig, er solle zu Bethlehem in Judäa geboren werden. Ich sage euch also, geht dorthin; geht hin und forschet genau nach dem Kinde. Und wenn ihr es gefunden habt, so zeiget es mir an, damit auch ich komme, es anzubeten. Nichts soll euch auf dem Wege hinderlich sein. Friede sei mit euch!«

Und sich in seinen Mantel hüllend, verließ er das Gemach. Alsbald kam der Führer, geleitete sie hinab zur Straße und von da zur Herberge. Beim Tore angelangt, rief der Grieche bewegt:

»Laßt uns nach Bethlehem gehn, Brüder, wie der König uns geraten hat!«

»Ja,« rief der Inder, »der Geist drängt mich.«

»Es sei!« sprach Balthasar mit gleicher Wärme. »Die Kamele stehn bereit.«

Sie beschenkten den Torwächter, schwangen sich in die Sättel, ließen sich den Weg nach dem Joppe-Tore zeigen und ritten fort. Als sie auf die Ebene von Rephaim gelangten, erschien am Himmel ein Licht, zuerst unbestimmt und matt. Ihre Herzen pochten schneller. Das Licht nahm rasch an Stärke zu, und schließlich sahen sie wieder den Stern. Er stand ganz niedrig am Himmel und ging langsam vor ihnen her. Sie falteten die Hände und stießen im Übermaß der Freude einen Schrei aus.

»Gott ist mit uns! Gott ist mit uns!« jubelten sie und folgten dem Stern, bis er über einem abgelegenen Stalle in der Nähe von Bethlehem stille stand.

Eben begann die dritte Nachtwache. Im Osten dämmerte bereits über den Bergen der Morgen, aber so schwach, daß es im Tale noch Nacht war. Der Wächter auf dem Dache der Herberge lauschte, von Kälte durchschauert, sehnsüchtig den ersten vernehmbaren Lauten, womit das erwachende Leben den anbrechenden Tag begrüßt, als ein Licht den Berg heraufschimmerte und dem Hause sich näherte. Er hielt es erst für eine Fackel in der Hand eines nächtlichen Wanderers, dann meinte er, ein Meteor zu sehen. Der Glanz des Lichtes nahm aber immer zu, bis er sah, daß es ein Stern war. Aufs höchste erschreckt, schrie er auf und weckte dadurch alle Leute, die im Khan schliefen, sie eilten auf das Dach.

Die Erscheinung kam immer näher. Die Felsen, die Bäume und die Straße waren hell erleuchtet, und das Licht wurde so blendend, daß man die Augen hinwegwenden mußte. Einige unter den Zuschauern fielen auf die Knie nieder, verhüllten ihr Angesicht und beteten. Wer nach dem Stern zu schauen wagte, sah ihn gerade über dem Hause vor der Höhle, wo das Kind geboren wurde, stillstehn.

Als das Licht am stärksten strahlte, langten die Weisen bei der Herberge an. Vor dem Tore stiegen sie von den Kamelen und begehrten laut Einlaß. Erst nach einiger Zeit hatte der Wächter sich so weit von seinem Schrecken erholt, daß er ihrem Rufe Folge leisten konnte, er stieg hinab, schob den Riegel zurück und öffnete ihnen. Die Kamele erschienen in dem wunderbaren Lichte wie geisterhaft; das Fremdländische an den drei Besuchern, ihr ungestümer Eifer und ihre Begeisterung, die sich auf ihren Gesichtern wie an ihrem ganzen Wesen zeigten, mußten die Furcht und die Phantasie des Wächters noch mehr erregen. Er taumelte zurück und konnte eine Zeitlang die an ihn gestellten Fragen nicht beantworten.

»Ist dies nicht Bethlehem in Judäa?«

Es traten auch andere hinzu und ihre Gegenwart gab ihm wieder Mut.

»Nein, dies ist nur die Herberge; die Stadt liegt weiter drüben.« »Befindet sich hier nicht ein neugebornes Kind?«

Die Nebenstehenden blickten einander verwundert an, einige aber antworteten: »Ja, ja!«

»Führt uns zu ihm!« rief Balthasar, »denn wir haben seinen Stern gesehen, den nämlichen, den ihr dort über dem Hause seht, und sind gekommen, ihn anzubeten.«

Die Leute auf dem Dache stiegen herab und folgten den Fremden, als sie jetzt über den Hof und in die Einfriedung hinausgeführt wurden. Als die Fremden sich dem Hause näherten, erhob sich der Stern, als sie an der Tür waren, schwebte er erblassend hoch über ihnen, und als sie eintraten, entschwand er vollends dem Gesichtskreis. Alle Zuschauer begriffen, daß zwischen dem Sterne und den Fremden ein innerer Zusammenhang waltete, der sich auch auf die Bewohner der Höhle erstreckte. Als die Tür geöffnet ward, drängten sie sich hinein.

Der Raum, den sie betraten, war so weit von einer Laterne erleuchtet, daß es den Fremden möglich war, die Mutter und das Kind, das wach in ihren Armen lag, zu sehen.

»Ist das dein Kind?« fragte Balthasar Maria.

Und sie, die alles, was irgendwie das Kind betraf, in ihrem Herzen bewahrte und erwog, hielt es gegen das Licht und sprach: »Dies ist mein Sohn!«

Und sie fielen nieder und beteten ihn an.

Wie sie sahen, glich das Kind anderen Kindern, sein Haupt schmückte weder ein Glorienschein noch eine irdische Krone. Seine Lippen öffneten sich nicht zur Rede, wenn es auch ihre Freudenrufe, ihre Lobpreisungen und Gebete hörte, es gab doch kein Zeichen davon, sondern blickte nach Kindesart länger nach dem Lichte als nach ihnen.

Nach einiger Zeit erhoben sie sich und gingen zu den Kamelen. Dann kamen sie wieder mit Geschenken, Gold, Weihrauch und Myrrhen, und legten sie unter ehrfurchtsvollen Reden und Gebeten dem Kinde zu Füßen. Dies war also der Erlöser, den zu suchen sie aus weiter Ferne gekommen waren! Und sie beteten ihn an ohne irgendwelchen Zweifel im Herzen.

Ihr Glaube gründete sich auf die Zeichen, die ihnen derjenige gesandt hatte, den auch wir als unsern Vater erkennen. Seine Verheißungen genügten ihnen so vollständig, daß sie nicht nach feinen Mitteln und Wegen fragten. Wenige waren es, welche die Zeichen gesehen und die Verheißungen gehört hatten: die Mutter und Josef, die Hirten und die drei Weisen, und sie alle glaubten in gleicher Weise.


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