Lewis Wallace
Ben Hur
Lewis Wallace

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehntes Kapitel.

Malluch hatte sich im Augenblick der Gefahr in Sicherheit gebracht und aus einiger Entfernung den Mut und die Geschicklichkeit Ben Hurs bewundert. Jetzt näherte sich ihm dieser und legte ihm den Arm auf die Schulter.

»Guter Malluch,« sagte er, »du bist ein Jude, ich glaube, daß ich dir vertrauen kann. Jener Mann dort im Wagen ist schuld, daß meine Mutter und meine Schwester in irgendeinem unterirdischen Keller verschmachten und daß ich selbst als Galeerensklave fortgeschleppt wurde. Ich könnte ihn töten, aber er besitzt vielleicht das Geheimnis, wo meine Mutter und Schwester verborgen sind. Immerhin will ich versuchen, ihn jetzt schon zu bestrafen.«

Malluch, der bisher nur im Auftrage des Simonides diesem Fremdling gefolgt war, begann jetzt eine persönliche Teilnahme für ihn zu empfinden.

»Wann finden die Wettrennen statt?« fragte plötzlich Ben Hur.

»In sechs Tagen von heute!«

»Die Zeit ist kurz Malluch, aber sie reicht hin.« Die letzten Worte wurden in entschiedenem Tone gesprochen. »Bei den Propheten unseres alten Israel! Ich will wiederum zu den Zügeln greifen. Doch halt! Es handelt sich noch um eins: Ist es sicher, daß Messala als Bewerber auftreten wird?« Malluch begriff nun den Plan und die günstige Gelegenheit, die er bot, den Römer zu demütigen. Er wäre kein wahrer Nachkomme Jakobs gewesen, hätte er nicht bei seiner aufrichtigen Teilnahme für Ben Hur sofort auch die Aussichten des Gelingens in Rechnung gezogen. Seine Stimme zitterte merklich, als er sprach:

»Besitzest du die nötige Übung?«

»Fürchte nichts, mein Freund! Im Zirkus Maximus haben die Sieger in den letzten drei Jahren ihre Kränze nach meinem Belieben erhalten.«

Malluch nickte lächelnd: »Messala wird sicher fahren, sein Name steht auf allen Ankündigungen.«

»Dann habe ich nur noch eine Bitte,« sagte Ben Hur. »Zeige mir den Weg zu den Zelten des Scheichs.«

Malluch überlegte einen Augenblick.

»Am besten gehen wir geradewegs in das Dorf, das glücklicherweise in nächster Nähe liegt; können wir dort zwei schnelle Kamele mieten, so werden wir in einer Stunde auf dem Wege sein.«

»Tun wir es also!«

Das Dorf war eine Gruppe von Palästen inmitten schöner Gärten, da und dort von Khans fürstlicher Art unterbrochen. Sie konnten zum Glücke Dromedare beschaffen, und nun ging es auf ihnen dem Palmenhaine zu. Als sie das Dorf hinter sich hatten, kamen sie in eine wellenförmige, wohlbebaute Landschaft; es war in der Tat der Garten Antiochiens; kein Fuß Bodens blieb unbenutzt. Die steilen Abhänge der Hügel waren terrassenförmig abgestuft, selbst die Hecken boten einen freundlicheren Anblick durch die Weinreben, die sich an ihnen emporrankten.

Der Weg ging nun den Fluß entlang, der von Schiffen belebt war, bis sie an einen klaren See gelangten. Malluch wandte sich hier zur Linken und rief plötzlich aus: »Sieh, sieh! Der Palmenhain!« Dem erstaunten Blick von Ben Hur bot sich jetzt ein wundervoller Anblick. Zahllose Dattelpalmen erhoben sich wie Märchengebilde über einem üppigen Grasboden und ihr gefiedertes Laubwerk stand dunkel vor dem blaßblauen Himmel. Man kann einen vollkommenen Palmbaum nicht betrachten, ohne daß er wie mit geheimer Kraft seine Gegenwart fühlen läßt und den Beschauer zum Dichter macht. Hierin liegt die Erklärung für die Ehren, die demselben schon in ältester Zeit erwiesen wurden. Von ähnlichen Gefühlen beherrscht, sagte Ben Hur:

»Als ich heute, guter Malluch, auf der Rennbahn den Scheik Ilderim zum ersten Male sah, schien er mir durchaus kein außergewöhnlicher Mann zu sein. Die Rabbiner Jerusalems würden, fürchte ich, auf ihn als einen Sohn des gehaßten Edom mit Verachtung blicken. Wie kam er in den Besitz des Haines? Und wie vermochte er ihn gegen die Habgier römischer Statthalter zu behaupten?«

»Wenn der Adel eines Geschlechtes durch das Alter bedingt ist, dann, Sohn des Arrius, ist Ilderim ein Mann von hohem Adel. Alle seine Vorfahren waren Scheiks. Einer von ihnen rettete einst einen König, den eine Schar bewaffneter Feinde verfolgte. Er stellte ihm, wie erzählt wird, tausend Reiter zur Verfügung, die die Pfade und Verstecke der Wildnis kannten, wie eben Hirten die kahlen Anhöhen kennen, die sie mit ihren Herden bewohnen. Diese führten ihn von Ort zu Ort, bis sich eine günstige Gelegenheit bot, die Feinde zu überfallen; sie erschlugen dieselben und setzten den König wieder auf seinen Thron. Und der König, sagt man, vergalt den ihm erwiesenen Dienst, brachte den Sohn der Wüste hierher und lud ihn ein, hier sein Zelt aufzuschlagen und mit seiner Familie und seinen Herden sich niederzulassen. Der See und die Bäume und alles Land vom Flusse bis zu den nächsten Bergen seien sein und seiner Kinder Eigentum für immer. Und sie wurden in ihrem Besitze niemals gestört. Die nachfolgenden Herrscher hielten es für klug, mit dem Stamme gute Beziehungen zu Pflegen, und selbst die Römer legen Wert darauf, mit ihm in guten Beziehungen zu bleiben.«

»Aber ich hörte doch,« sagte Ben Hur, »wie der Scheik sich selbst verwünschte, daß er einem Römer getraut habe. Er wird also kaum ihr Freund sein.«

»Dein Urteil ist zutreffend,« entgegnete Malluch lächelnd. »Ilderim ist kein Freund Roms, er hat eine Beschwerde. Vor drei Jahren erschienen die Parther auf der Straße von Bozra nach Damaskus und überfielen eine Karawane, welche unter anderm die in einem angrenzenden Bezirke eingehobenen Steuern mit sich führte. Sie machten jeden nieder, der in ihre Hände fiel, doch hätten dies die Beamten in Rom nachgesehen, wenn nur der kaiserliche Schatz geschont und abgeliefert worden wäre. Die Pächter der Steuern, die für den Verlust verantwortlich waren, führten Klage beim Kaiser. Der Kaiser hielt Herodes zur Zahlung an, dieser wiederum beschlagnahmte einen Teil von Ilderims Eigentum, den er der verräterischen Vernachlässigung seiner Pflicht beschuldigte. Der Scheik appellierte an den Kaiser und dieser gab ihm eine Antwort, wie sie etwa von der wachenden Sphinx erwartet werden konnte. Seit dieser Zeit nährt der Greis bitteren Groll in seinem Herzen. Aber sieh, des Scheiks Gastfreundschaft beginnt zeitig! Die Kinder reden dich an.«

Die Dromedare hielten und Ben Hur blickte auf einige kleine Mädchen in der Tracht des syrischen Landvolkes herab, die ihm ihre mit Datteln gefüllten Körbchen entgegenhielten. Die Frucht war frisch gepflückt und konnte nicht zurückgewiesen werden. Die Freunde dankten den Kindern und ließen die Tiere weiterschreiten, ohne sie indes zur Eile anzutreiben.

»Du mußt wissen,« fuhr Malluch fort, dann und wann sich unterbrechend, um eine Dattel zu essen, »daß der Handelsherr Simonides mir sein Vertrauen schenkt und mich bisweilen sogar zu Rate zieht; und da ich ihn zu Hause bediene, wurde ich mit vielen seiner Freunde bekannt, die, meine Stellung im Hause kennend, in meiner Gegenwart offen mit ihm sprechen. Auf diese Weise wurde ich mit Scheik Ilderim einigermaßen befreundet. Vor einigen Wochen besuchte nun der greise Araber den Simonides und erzählte ihm eine Geschichte, die auch ich anhören durfte. Sie lautete kurzgefaßt folgendermaßen: Vor ziemlich vielen Jahren erschienen drei Männer vor Ilderims Zelte draußen in der Wüste. Sie waren Fremde, ein Indier, ein Grieche und ein Ägypter, und auf Kamelen gekommen, den größten, die ich je gesehen habe. Am nächsten Morgen erzählte der Ägypter, wer sie seien und woher sie gekommen waren. Ein jeder von ihnen hatte einen Stern gesehen und eine Stimme aus dem Sterne hatte ihnen aufgetragen, nach Jerusalem zu gehn und zu fragen: »Wo ist der neugeborene König der Juden?« Sie gehorchten. Von Jerusalem hatte sie der Stern nach Bethlehem geführt, wo sie in einer Höhle ein neugeborenes Kind fanden, vor dem sie anbetend in die Knie sanken. Nachdem sie es angebetet, ihre kostbaren Geschenke dargebracht und so für seine Würde Zeugnis abgelegt hatten, bestiegen sie wieder ihre Kamele und flohen ohne Unterbrechung zum Scheik, da Herodes sie sicherlich getötet hätte, wenn es ihm gelang, sie in seine Gewalt zu bringen. Seiner Gewohnheit treu, nahm sie der Scheik gastlich auf und hielt sie ein Jahr lang verborgen. Dann reisten sie, ihm wertvolle Geschenke zurücklassend, wieder ab und jeder ging einen andern Weg.«

»Das ist in der Tat eine höchst wunderbare Geschichte«, rief Ben Hur nach dieser Erzählung aus. »Weiß Ilderim über die drei Männer weiter nichts? Was wurde aus ihnen?«

»Ja, das eben war die Ursache seines Besuches bei Simonides an dem Tage, von dem ich soeben sprach. Erst am Abend vor jenem Tage erschien der Ägypter wieder bei ihm.«

»Wo?«

»Hier, am Eingange des Zeltes, zu dem wir gerade kommen. Und er ritt dasselbe große weiße Kamel und gab ihm denselben Namen an, Balthasar, der Ägypter.«

»Es ist ein Wunder des Herrn!« sagte Ben Hur tief bewegt.

»Das war ja der Name, den uns heute an der Quelle der fremde Greis angab.«

Bei dieser Erinnerung wurde auch Malluch erregt.

»Es ist wahr,« sagte er; »und das Kamel war dasselbe – und du hast dem Manne das Leben gerettet!«

»Und die Jungfrau«, sagte Ben Hur gleichsam zu sich selbst, »war seine Tochter.«

In diesem Augenblick wurde ein Geräusch vernehmbar, und bald konnten sie das Rollen von Rädern und den Hufschlag von Pferden unterscheiden. Einen Augenblick später erschien der Scheik Ilderim selbst zu Pferde, gefolgt von seinen Dienern und vier weinroten Araberpferden, die den Wagen zogen. Der Scheit hielt den vom langen weißen Barte umwallten Kopf tief auf die Brust gesenkt. Unsere Freunde waren ihm vorangekommen, bei ihrem Anblick erhob er den Kopf und sprach in freundlichem Tone:

»Der Friede sei mit euch! – Ah, mein Freund Malluch! Willkommen! Und sage nicht, daß du gehst, sondern erst kommst, und daß du mir Nachricht bringst vom guten Simonides – möge der Gott seiner Väter ihn noch viele Jahre am Leben erhalten! Nehmet die Zügel und folget mir beide! Ich habe Brot und Milch oder, wenn ihr dieses vorzieht, Reisbranntwein und zartes Fleisch von jungen Antilopen. Kommt!«

Sie folgten ihm zum Zelte. Als sie eingetreten waren, nahm Malluch den Scheik beiseite und redete leise mit ihm. Dann trat er zu Ben Hur und entschuldigte sich.

»Ich habe mit dem Scheik«, sagte er, »in deiner Angelegenheit gesprochen. Er wird dir morgen seine Pferde zur Verfügung stellen, daß du dich mit ihnen versuchen kannst. Er ist dein Freund. Nachdem ich für dich alles getan habe, was in meinen Kräften steht, mußt du das übrige tun und mir nun gestatten, nach Antiochien zurückzukehren. Ich habe dort jemandem versprochen, ihn heute abend zu treffen. Morgen komme ich wieder und werde dann, wenn inzwischen alles gut abläuft, an deiner Seite bleiben, bis die Rennen vorüber sind.«

Nachdem sie sich unter Segenswünschen verabschiedet hatten, trat Malluch den Rückweg an.


 << zurück weiter >>