Lewis Wallace
Ben Hur
Lewis Wallace

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Dreizehntes Kapitel

Mit einem Gefühl tiefer Enttäuschung hatte Ben Hur das Haus des Simonides verlassen. Es war, als sei ihm jetzt die letzte Hoffnung entschwunden, je wieder etwas von den Seinigen zu erfahren. Von dem Türhüter der Herberge ließ er sich den Weg nach dem Hain Daphnes zeigen und wanderte langsam durch die volksbelebten, Straßen dorthin.

Aber er hatte keine Augen, für die Schönheit dieses Ortes und keinen Sinn für den geheimnisvollen Kult, der dort betrieben wurde. Gleichgültig ging er an den Altären, den Tempeln und der Grotte vorüber und betrat schließlich einen Zypressenhain, dessen säulengleiche Stämme hoch und schlank nebeneinanderstanden.

»Wohin führt der Weg, der vor uns liegt?« fragte er einen alten Mann, der in seiner Nähe stand.

»Nach der Rennbahn,« sagte dieser in hebräischer Sprache.

»Bist du ein Jude?« fragte Ben Hur erstaunt.

»Ich wurde innerhalb eines Steinwurfs Weite vom Marktplatze in Jerusalem geboren,« antwortete der Mann mit verbindlichem Lächeln.

»Guter Freund,« sagte Ben Hur aufrichtig, »ich gestehe meine Unwissenheit in betreff des Haines, ich wäre daher dankbar, wenn du mein Führer sein wolltest.«

»Das wird mir eine Freude sein. Horch, ich höre das Rollen der Wagen. Sie fahren nach der Bahn.«

Ben Hur horchte einen Augenblick, dann legte er, um die Vorstellung zu beenden, seine Hand auf den Arm des Mannes und sprach:

»Ich bin der Sohn des Duumvirs Arrius, und du?«

»Ich bin Malluch, ein Kaufmann aus Antiochien.«

»Nun, guter Malluch, der Trompetenstoß, das Knirschen der Räder und die Aussicht auf Zerstreuung haben meine Sinne angeregt. Ich besitze einige Fertigkeit in dergleichen Übungen. In den Kampfschulen Roms bin ich nicht unbekannt. Laßt uns zur Bahn!«

Malluch zögerte noch, um schnell zu sagen: »Der Duumvir war ein Römer und seinen Sohn sehe ich im Gewande eines Juden.«

»Der edle Arrius war mein Adoptivvater,« antwortete Ben Hur.

»Ah, ich verstehe; entschuldige die Bemerkung.«

Den Saum des Waldes überschreitend, kamen sie an ein Feld, auf welchem eine Rennbahn angelegt war; sie glich an Gestalt und Umfang vollständig den römischen Stadien. Die eigentliche Bahn bestand aus feiner, festgewalzter Erde und war mit Wasser besprengt; sie wurde zu beiden Seiten durch Seile, die man lose über pfahlartig aufgestellte Wurfspieße gespannt hatte, abgeschlossen. Zur Bequemlichkeit der Zuschauer und solcher, die mehr als ein gewöhnliches Interesse an den Kampfspielen nahmen, waren verschiedene, mit starken Zelttüchern überdachte Räumlichkeiten mit aufsteigenden Sitzreihen angebracht. In einem dieser Räume fanden die beiden Neuangekommenen Platz. Ben Hur zählte die Wagen, als sie vorüberkamen, es waren im ganzen neun.

»Ich wünsche den Männern Glück,« sagte er wohlwollend.

»Ich dachte, hier im Osten würden sie sich mit zwei Pferden begnügen, aber sie haben Ehrgeiz und spielen mit dem königlichen Viergespann. Wir wollen sehen, was sie leisten.«

Acht der Viergespanne zogen vorüber, einige im Schritt, andere im Trab, alle vorzüglich gelenkt. Darauf kam das neunte im Galopp. Ben Hur konnte einen Ausruf des Erstaunens nicht unterdrücken.

»Ich war in den Marställen des Kaisers, Malluch, aber bei unserm Vater Abraham gesegneten Andenkens, solche Pferde habe ich noch nie gesehen!«

Das letzte Viergespann sauste eben vorüber. Auf einmal geriet es in Verwirrung. Im Zuschauerraum stieß jemand einen lauten Schrei aus. Ben Hur wandte sich um und erblickte an einem der oberen Sitzplätze einen Greis mit langem weißen Barte, der, halb aufgerichtet, mit geballten Fäusten und wild funkelnden Augen zitternd dastand. Einige der ihm zunächst sitzenden Zuschauer begannen zu lachen.

»Sie sollten wenigstens vor seinem Barte Ehrfurcht haben. Wer ist er?« fragte Ben Hur.

»Ein mächtiger Mann aus der Wüste, irgendwo hinter Moab her, und Besitzer ganzer Herden von Kamelen; seine Pferde, sagt man, stammen von den Rennern des ersten der Pharaonen ab. Scheik Ilderim ist sein Name und Titel,« lautete Malluchs Antwort.

Inzwischen bemühte sich der Lenker, sein Gespann zu beruhigen, aber vergebens. Jeder erfolglose Versuch regte den Scheik um so mehr auf.

»Verfluchter Römer!« schrie der Scheik und ballte seine Faust gegen den Lenker. »Hat er nicht geschworen, daß er sie zu lenken verstehe, geschworen, bei der ganzen Brut seiner lateinischen Götzen? – Nein, laßt mich, zurück, sag' ich! Schnell wie der Adler im Fluge und lenksam wie ein Lamm sollten sie dahinrennen, schwor er. Verflucht sei er –« Der Schluß des Satzes ging unter einem furchtbaren Zähneknirschen verloren. »O Tor, Tor, der ich war, einem Römer zu vertrauen!«

Ben Hur glaubte die Gefühle des Scheiks zu verstehen und achtete sie. Die Ursache seiner Erregung war nicht so sehr der verletzte Stolz des Eigentümers, nicht bloße Besorgnis wegen des Ungewissen Ausganges des Rennens, nach seiner Überzeugung entsprach es ganz der Denkart und den Anschauungen des Patriarchen vom Wert der Dinge, solche Tiere mit einer Zärtlichkeit zu lieben, die an Leidenschaft grenzte.

Noch ehe der Patriarch mit seinen Ausrufen zu Ende war, hatte ein Dutzend Hände nach den Zügeln der Pferde gegriffen und diese zur Ruhe gebracht. Um diese Zeit erschien noch ein Wagen auf der Rennbahn. Unähnlich den anderen, waren Lenker, Wagen und Pferde ganz so ausgeputzt, wie sie am Tage des Rennens selbst im Zirkus erscheinen sollten.

Die bisherigen Wettkämpfer waren mit Stillschweigen empfangen worden; der letzte Ankömmling war glücklicher. Während er sich dem Standplätze näherte, von dem aus Ben Hur die Szene beobachtete, wurde sein Ankommen durch laute Rufe, durch Händeklatschen und Beifallsgeschrei angekündigt, so daß die allgemeine Aufmerksamkeit ausschließlich auf ihn gelenkt wurde. Seine Jochpferde waren, wie man bemerken konnte, schwarz, die Strangpferde rein weiß. Alle Pferde waren, den strengen Regeln des römischen Geschmackes entsprechend, verstümmelt, das heißt, ihre Schweife waren gestutzt. Um die Barbarei voll zu machen, waren auch die Mähnen kurz geschnitten und durch grellrote und gelbe Bänder zu Büscheln gebunden.

Das Erscheinen des glänzenden Wagens mit den prächtigen Pferden veranlaßte Ben Hur, mit erhöhtem Interesse nach dem Lenker zu schauen. Wer war er?

Als Ben Hur sich diese Frage zuerst vorlegte, konnte er das Gesicht des Mannes wie überhaupt seine volle Gestalt nicht sehen; doch sein ganzes Gebaren und die Art des Auftretens schien ihm bekannt und erinnerte ihn lebhaft an längstvergangene Zeiten.

Er kam näher. Die Pferde gingen im Trabe. Die Beifallsrufe und der Glanz des Aufzuges ließen in ihm einen Günstling der Regierung oder einen berühmten Fürsten vermuten.

Ben Hur drängte sich nach unten bis nahe an die Brustwehre vor der untersten Sitzreihe des Zuschauerraumes. Sein Gesicht war ernst, sein ganzes Wesen verriet lebhafte Erregung. Jetzt wurde die ganze Gestalt des Lenkers für ihn sichtbar. Dieser stand aufrecht im Wagen und hatte die Leitseile mehrmals um den Leib geschlungen – eine schöne Gestalt, nur leicht mit einer blaßroten Tunika bekleidet. In der Rechten hatte er eine Peitsche, in der Linken, die er erhoben und etwas ausgestreckt hielt, die vier Leitseile. Mit der Ruhe einer Bildsäule nahm er das Beifallsjauchzen und Händeklatschen entgegen. Ben Hur stand wie angewurzelt. Seine Ahnung hatte ihn recht geführt, sein Gedächtnis sich treu erwiesen: der Lenker war Messala!

An der Auswahl der Pferde, der Pracht des Wagens, der Haltung und dem Auftreten, vor allem aber an den kalten, scharfen Adlerzügen mit jenem Ausdruck des Stolzen und Herrischen, der sich bei seinen Landsleuten infolge der langjährigen Weltherrschaft gebildet hatte, erkannte Ben Hur, daß Messala noch derselbe war, ebenso hochmütig, kühn und selbstbewußt wie jemals, daß sein Ehrgeiz, seine Menschenverachtung und spöttische Sorglosigkeit sich nicht geändert hatten.

Während Ben Hur die Stufen des Zuschauerraumes hinabstieg, erhob sich unten auf der letzten Stufe ein Araber und rief: »Hört, ihr Männer des Ostens und Westens! Der edle Scheik Ilderim sendet euch seinen Gruß. Mit vier Pferden, Abkömmlingen von Salomons des Weisen Lieblingspferden, kam er hierher, um mit ihnen gegen die besten Renner aufzutreten. Er bedarf vor allem eines geschickten Lenkers. Wer immer dieselben zu seiner Zufriedenheit lenken wird, diesen verspricht er auf immer reich zu machen. Verkündet dieses sein Anerbieten hier, dort, in der Stadt und auf der Rennbahn, wo immer sich tapfere Männer zu versammeln pflegen! So spricht mein Herr, Scheik Ilderim der Edle.«

Die Ankündigung verursachte unter den Anwesenden eine lebhafte Bewegung. Als Ben Hur sie hörte, blieb er stehen und blickte unschlüssig bald auf den Herold, bald auf den Scheik. Malluch glaubte, er sei im Begriffe, das Anerbieten anzunehmen, und fühlte sich erleichtert, als jener sich plötzlich an ihn mit der Frage wandte: »Wohin jetzt, guter Malluch?«

Der würdige Mann antwortete lächelnd:

»Willst du dem Beispiel andrer folgen, die den Hain zum ersten Male besuchen, dann mußt du dir zunächst deine Zukunft verkünden lassen.«

»Meine Zukunft, sagst du? Die Sache hat zwar etwas Heidnisches an sich, aber gehen wir immerhin zuerst zur Göttin.«

»Nein, Sohn des Arrius, diese Apollodiener haben eine bessere Methode als die bekannte. An Stelle eines Gespräches mit einer Pythia oder Sibylle verkaufen sie dir ein gewöhnliches, frisch vom Stengel gerissenes Papyrusblatt. Dieses mußt du in das Wasser einer gewissen Quelle tauchen, dann wird es dir einen Vers zeigen, in dem du deine Zukunft lesen kannst.«

»Wie heißt diese Quelle?« fragte Ben Hur.

»Kastalia.«

»O, sie ist in der ganzen Welt bekannt! Gehen wir hin!« Auf dem Wege dahin beobachtete Malluch seinen Gefährten und bemerkte, daß für den Augenblick wenigstens die gute Laune von ihm gewichen war. In Wirklichkeit war es das Wiedersehen Messalas, was ihn so nachdenklich stimmte. Es schien ihm kaum eine Stunde her, seit gewalttätige Hände ihn von der Seite seiner Mutter gerissen, kaum eine Stunde, seit die Römer Siegel an das Haus seines Vaters gelegt hatten. Er ging nochmals im Geiste durch, wie er während seines hoffnungslos elenden Lebens auf der Galeere – wenn es überhaupt Leben genannt werden konnte – neben seiner Arbeit wenig anderes zu tun hatte, als von Rache zu träumen, und Messala war der Mittelpunkt all dieser Träume. Immer wieder kam er zu demselben Schluß: Am Tage, da ich ihm begegne, hilf du mir, gütiger Gott meines Volkes, zu einer besonderen, angemessenen Rache!

Nach einer Weile bogen die beiden in eine belebte Eichenallee ein. Gruppen von Menschen gingen und kamen, hier Fußgänger und Reiter, dort Frauen, von Sklaven in Sänften getragen; dann und wann rollte ein Wagen donnernd vorbei. Am Ende der Allee führte eine Straße in sanfter Senkung in eine kleine Ebene hinab, die rechts von einer steilen Felswand aus grauem Gestein abgeschlossen wurde, während sich links das frische Grün einer Wiese ausbreitete. Bald konnten sie auch die berühmte Quelle Kastalia sehen.

Sich durch die dort versammelte Gruppe drängend, erblickte Ben Hur einen Wasserstrahl, der sich aus einem Felsen in ein Becken aus schwarzem Marmor ergoß, wo er nach vielem Zischen und Schäumen wie durch ein Abzugsrohr verschwand. Neben dem Becken saß in einer in die Felswand gehauenen Nische ein alter Priester mit langem Bart, faltigem Gesicht und einer Kapuze, das vollkommene Gesicht eines Einsiedlers. Aus dem Betragen der Anwesenden konnte man schwer ersehen, was größere Anziehungskraft ausübte, die immer sprudelnde Quelle, oder der Priester, der immer hier saß. Er hörte, sah, wurde gesehen, aber er sprach nie. Dann und wann hielt ihm ein Besucher die Hand mit einem Geldstück hin. Mit einem listigen Augenblinzeln nahm er das Geld und gab dafür ein Papyrusblatt.

Der Empfänger beeilte sich, den Papyrus in das Becken zu tauchen. Hielt er dann das triefende Blatt in das Sonnenlicht, so fand er darauf zum Lohne einen Spruch in Versen; nur selten litt der Ruhm der Quelle durch Armut und Wertlosigkeit der Poesie. Noch ehe Ben Hur das Orakel befragen konnte, sah er andere Besucher über die Wiese kommen und sich der Quelle nähern. Ihr Erscheinen erregte die Neugierde aller Anwesenden und Ben Hurs nicht minder.

Er sah zuerst ein großes weißes Kamel, das von einem Führer zu Pferde geleitet wurde. Auf dem Rücken des Tieres befand sich ein Zelt von ungewöhnlicher Größe, mit Karmin und Gold verziert. Dem Kamele folgten noch zwei Reiter mit langen Speeren in den Händen.

»Welch wunderschönes Kamel!« rief einer aus der Gruppe. »Ein Fürst aus fernen Landen!« vermutete ein anderer.

Indessen waren die Fremden herangekommen. Unter dem prächtigen Zelt saßen ein Mann und eine Frau, Der Mann, dessen eingefallener Kopf mit einem Turban geschmückt war, war offenbar sehr alt, die Frau aber war jung und von großer Schönheit. Ihre Kleidung zeigte eine auserlesene Kostbarkeit. Von ihrem hohen Sitz herab blickte sie unbefangen auf die sie anstaunende Menge.

Nach einer Weile wandte sich die schöne Dame an den Führer, einen Äthiopier von mächtiger Gestalt, beinahe bis an den Gürtel unbekleidet, und sprach einige Worte zu ihm. Dieser führte das Kamel näher an die Quelle heran und ließ es niederknien. Dann reichte sie ihm einen Becher, welchen er im Becken füllte. In diesem Augenblicke wurde das Schweigen, das ihre Schönheit den Anwesenden aufgelegt hatte, durch das Geräusch von Rädern und das Getrampel schnell hineilender Pferde unterbrochen. Mit lautem Geschrei eilten die Umstehenden nach allen Richtungen auseinander.

»Der Römer will uns überfahren, gib acht!« rief Malluch Ben Hur zu, mit einem schnellen Sprunge zur Seite weichend. Dieser sah nach der Richtung, aus welcher der Lärm kam, und erblickte Messala, der mit seinem Viergespanne gerade auf die Menge zujagte. Diesmal sah er ihn in der Nähe und deutlich. Durch das Auseinanderstieben der Menge blieb das Kamel ohne Deckung. Es mochte sonst wohl beweglicher sein als andre Tiere seiner Art. Aber jetzt waren ihm die Hufe der Pferde schon ganz nahe und es lag noch ruhig auf den Knien, sorglos wiederkäuend, mit jenem Sicherheitsgefühl, das ihm vielleicht durch langjährige Verzärtelung anerzogen war. Der Äthiopier rang erschreckt die Hände. Der Greis im Sattelzelte machte eine Bewegung, um abzuspringen; aber er war durch das hohe Alter gefesselt und konnte, selbst angesichts der Gefahr, die würdevolle Haltung, die ihm zur Gewohnheit geworden schien, nicht vergessen. Für die weibliche Gestalt war es zu spät, sich zu retten. Ben Hur stand ihnen zunächst und rief Messala zu:

»Halt! Schau, wohin du fährst! Zurück, zurück!« Der Patrizier lachte seelenvergnügt. Ben Hur, welcher sah, daß es nur eine Möglichkeit der Rettung gab, sprang entschlossen vor das Gespann und fiel dem linken Jochpferde und seinem Stangenpferde in den Zaum. »Hund von einem Römer! Gilt dir ein Menschenleben so wenig?« rief er und hielt mit dem Aufgebot seiner ganzen Kraft die Pferde auf. Diese bäumten sich und rissen auch die anderen mit. Dadurch kam der Wagen in Gefahr, umzustürzen. Messala konnte sich nur mit Mühe halten, während sein treuer Myrtilus wie ein Klotz rückwärts zur Erde fiel. Die Umstehenden brachen, als sie dies sahen und die Gefahr vorüber war, in ein lautes Hohngelächter aus.

Jetzt zeigte sich das beispiellose Selbstbewußtsein des Römers. Er löste die Leitseile von seinem Leibe und warf sie zur Seite; dann stieg er ab, ging um das Kamel herum, sah Ben Hur an und sprach, teilweise zum Greise, teilweise zur Dame: »Verzeihet, ich bitte euch beide! Ich bin Messala und, bei der alten Mutter Erde schwöre ich es, ich sah euch nicht, noch das Kamel. Was die guten Leute hier betrifft, so vertraute ich vielleicht zu sehr meiner Geschicklichkeit. Ich wollte über sie lachen: Das Lachen ist jetzt auf ihrer Seite. Wohl bekomm' es ihnen!«

Der gutmütige, gleichgültige Blick und die Gebärden, womit er diese Worte begleitete, paßten vortrefflich zu ihrem Inhalt. In der Erwartung, er werde noch mehr zu sagen haben, wurden die Anwesenden nach und nach still.

»Du stehst dem guten Manne hier nahe? Seine Verzeihung werde ich, wenn sie mir jetzt nicht gewährt wird, später mit um so größerem Eifer zu erlangen suchen. – Du bist wohl seine Tochter?«

Sie antwortete ihm nicht.

»Bei Pallas, du bist schön! Sei auf der Hut, daß Apollo dich nicht irrtümlich für seine verlorene Geliebte hält! Welches Land wohl sich einer solchen Tochter rühmen darf? Wende dich nicht ab, sondern höre mich an! Die Sonne Indiens leuchtet aus deinen Augen; in deine Mundwinkel hat Ägypten seine Liebeszeichen eingegraben. Beim Apollo! Wende dich nicht zu jenem Sklaven, schöne Gebieterin, bevor du dich mir gnädig gezeigt hast. Sag' mir wenigstens, daß du mir verziehen hast.«

Jetzt unterbrach sie ihn.

»Möchtest du nicht herkommen?« fragte sie lächelnd Ben Hur, indem sie anmutig den Kopf gegen ihn verneigte. »Ich bitte dich, nimm diesen Becher und fülle ihn,« setzte sie hinzu, »mein Vater ist durstig.«

»Ich bin dein ergebenster Diener!«

Mit diesen Worten wandte sich Ben Hur um, ihre Bitte zu erfüllen, und stand Aug' in Auge Messala gegenüber. Ihre Blicke trafen sich, jene des Juden waren herausfordernd trotzig, die des Römers strahlten vor heiterer Laune.

»O Fremde, du bist ebenso grausam als schön!« sagte Messala, ihr mit der Hand winkend. »«Wenn Apollo dich nicht holt, sollst du mich wiedersehen. Da ich dein Vaterland nicht kenne, kann ich keinen Gott nennen, dem ich dich empfehlen soll. So will ich dich, bei allen Göttern, mir selbst empfehlen!«

Da der Myrtilus inzwischen die Pferde wieder beruhigt und in Ordnung gebracht hatte, kehrte Messala zu seinem Wagen zurück. Die Dame blickte ihm nach, und was immer sonst noch in ihren Blicken lag, Mißfallen sprach nicht aus ihnen. Ben Hur reichte ihr jetzt das Wasser, ihr Vater trank. Dann führte sie den Becher an ihre Lippen und gab ihn, sich niederbeugend, mit einer überaus anmutigen Gebärde Ben Hur.

»Behalte ihn, wir bitten dich darum! Er ist voll Segenswünschen für dich.«

Auf einen Zuruf erhob sich das Kamel und wollte eben weiterschreiten, als der Greis ausrief: »Komm hierher!«

Ben Hur nahte sich ihm ehrfurchtsvoll.

»Du hast uns Fremden heute einen großen Dienst erwiesen. Es ist nur ein Gott, in seinem heiligen Namen danke ich dir. Ich bin Balthasar aus Ägypten. Im großen Palmenhain jenseits des Dorfes Daphne, im Schatten der Palmen, wohnt Scheik Ilderim der Edle in seinen Zelten, und wir sind seine Gäste. Suche uns dort auf und du wirst mit dem herzlichen Willkommgruß dankbarer Menschen aufgenommen werden.«

Voll Verwunderung über des Greises klare Stimme und ehrfurchtgebietendes Wesen blieb Ben Hur zurück. Wie er den beiden nachblickte, traf sein Auge Messala; dieser ging, wie er gekommen war, fröhlich, sorglos, spöttisch lächelnd.


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