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Dreizehntes Kapitel

Die Reporter sämtlicher Journale waren am nächsten Morgen auf den Beinen. Sie stürmten das Haus, in welchem die Gräfin Sostaniew gewohnt, belagerten die Bureaus und Privatwohnungen der Gerichtsbeamten, denn es handelte sich um eine cause célèbre wie sie seit lange nicht dagewesen.

Die Morgenblätter brachten eine kurze Notiz von der Verhaftung des vornehmen Griechen, der aller Aufmerksamkeit im Bois erregt, und der Gräfin Sostaniew, die schon während der Wintersaison durch ihre Schönheit und Eleganz alles hingerissen und in dem Moment verhaftet worden sei, wo sie im Begriff gewesen, Paris zu verlassen. Fast unglaublich, erscheine es dennoch begründet, daß der im Grand Hôtel die glänzendsten Salons bewohnende Gregor Cantopulos in der Wohnung der schönen Sostaniew verhaftet worden sei, und zwar auf frischer Tat, wie er eben der Gräfin einen kostbaren Brillantschmuck entwendet. Die letztere selbst solle eines schweren Vergehens angeklagt sein. Das Nähere über diese eklatante Doppelverhaftung wurde im Abendblatt versprochen.

In allen Cafés sprach man von diesem Ereignis, die kurze Mitteilung der Morgenjournale verursachte natürlich verschiedene Ohnmachten, namentlich der Frau von Chambras, die eben beim kleinen Dejeuner saß und bewußtlos in ihr Schlafgemach getragen werden mußte.

Helene Sostaniew, dieses himmlisch schöne Weib, das von ihr in die Gesellschaft eingeführt und »lanciert« worden, Helene Sostaniew von Kriminalbeamten verhaftet und bei ihr, mit ihr jener wie ein Fürst aufgetretene junge Grieche, der dieser jungen Witwe ein Geschmeide entwendet! Die Welt mußte aus ihren Fugen gehen über ein so unerhörtes Ereignis! Und sie, die Marquise von Chambras, war der ganzen Gesellschaft gegenüber verantwortlich für die ihr durch Einführung dieser jungen Frau angetane Schmach!

Freilich war es die Gesellschaft, nicht sie gewesen, die diese Fremde mit ihrer Bewunderung so überschwenglich gefeiert, die sich so bereitwillig in der Schönheit derselben gesonnt; aber sie, die Marquise, trug die Schuld, daß dies geschehen konnte! Die Sostaniew, eine Fremde, hatte ihr keinerlei andere Garantien geboten für ihre Ehrbarkeit, ihre Unbescholtenheit, als ihre Schönheit, ihr distinguiertes Wesen, ihre Grazie und Eleganz und sie, die Marquise, hatte sich ein Verdienst daraus gemacht, diese Fremde von ihrer Scheu vor der Welt zu heilen, sie aus ihrer vielleicht wohlbegründeten Zurückgezogenheit nach Paris zu entführen, mit ihr in den ersten Zirkeln zu brillieren!

Nichts gab es zur Rechtfertigung der Marquise, wenn es sich nicht schnell aufklärte, daß die Behörden wieder einmal einen unverantwortlichen Mißgriff getan! Aber die Zeitungsnotiz trat so positiv, so zuversichtlich auf, sie sprach so kaltblütig von einer schweren Anklage, daß hierauf wenig Aussicht war.

Man mußte die Abendblätter abwarten, in denen Details versprochen wurden, und so lange durfte die Marquise für niemand sichtbar sein.

Denselben Effekt machte die Sache in all den Familien, in welchen Helene Sostaniew ein verwöhnter Liebling geworden. Man verwünschte die Marquise von Chambras, die es gewagt, eine Fremde, von deren Antezedentien sie sicher nichts gewußt, mit einer solchen Stirn in Salons einzuführen, deren Parkett nie ein Fuß betreten, der nicht die tadellosesten Bahnen gewandelt. Man verhöhnte Anatole Montague, der gestern so unbesonnen gewesen, diese fremde Abenteurerin noch in einer Equipage mit seinem Wappen, wahrscheinlich ihrem Brautgeschenk, öffentlich und siegestrunken zu begleiten, nachdem er sich mit dem jungen Vermont um ihretwillen geschlagen.

Als ein Glück betrachtete man es noch, daß die Wintersaison geschlossen, daß die Salons von solcher Infektion gereinigt worden, daß man eiligst und früher als sonst bei so günstigem Frühlingswetter aufs Land gehen konnte, um sich nicht von denen zur Rede stellen zu lassen, denen man diese Abenteurerin als Freundin des Hauses zu präsentieren gewagt hatte.

Aber die Abendblätter mußten erst abgewartet werden, um genau zu wissen, woran man sei.

Der Abend kam. Die Journale brachten lange Artikel, einer dem andern in den Details widersprechend, einer den andern in Schilderung wahrer oder unwahrer Umstände überholend. Nur in einem stimmten sie alle überein: die reizende, in den ersten Salons so enthusiastisch aufgenommene und gefeierte Gräfin Sostaniew, um derentwillen sich vor kurzem erst zwei illustre Kavaliere im Duell gegenübergestanden, die man noch vorgestern in der Equipage und an der Seite eines derselben im Boulogner Gehölz bewundert, sei auf Requisition der russischen Behörden als des Gattenmordes mitschuldig oder dringend verdächtig aus ihrer Wohnung abgeführt worden. Mit ihr aber und sogar in dieser ihrer Wohnung sei eine andere Zelebrität von jungem Datum, der mit fürstlichem Glanz aufgetretene Grieche Gregor Cantopulos, ebenfalls russischer Untertan, verhaftet, zu dem die schöne Gräfin während ihrer Ehe in tadelnswerter Beziehung gestanden, der desselben Verbrechens angeklagt und in demselben Moment ergriffen worden sei, wo er der Gräfin vor ihren Augen ein kostbares Brillantgeschmeide gestohlen. Und all das konnte geschehen angesichts so vieler in Paris lebender aristokratischer russischer Familien, die diese Abenteurerin doch hätten entlarven können! O, die Russen, die Russen mit ihrer gesellschaftlichen Vorurteilslosigkeit!

Die Zeitungsberichte genügten, um am nächsten Morgen, einem warmen, klaren Frühlingsmorgen, ein sauve qui peut aller der Familien zu bewerkstelligen, welche ihre Salons durch Einladung »dieser Abenteurerin« kompromittiert hatten. Alle eilten aufs Land, voran der Marquis von Chambras, der ihr enthusiastischster Verehrer gewesen, und seine Gattin. Keiner wollte vor dem Herbst oder der Badesaison von dem anderen gesehen und zur Rede gestellt sein, und bis dahin mochte Gras über der unangenehmen Affäre gewachsen sein.

Nur einer nahm dieselbe von der leichten Seite – der junge Herzog von Vermont. Der, als man ihm, dessen Wunde noch brannte, die Nachricht brachte, erklärte lachend: »Anatole Montague, ein sonst so vollendeter Kavalier, ist ein sentimentaler Schwärmer geworden! Er nahm die Sache so ernst, während ich nur eine vorübergehende Zerstreuung suchte, die er mir allerdings vereitelt hat. Ich werde ihm einen meiner Freunde senden und ihm Versöhnung anbieten lassen! ...«

Inzwischen genügten den Zeitungen wenige Tage, um durch immer neue, meist erfundene Details, die sie sich sogar aus dem südlichen Rußland, dem Schauplatz des Verbrechens, telegraphisch verschafft haben wollten, die Schuld der beiden Verhafteten so evident darzustellen, daß niemand mehr an derselben zweifelte.

Nur auf Helene Sostaniew fiel ein etwas milderes Licht, das aber sie nicht rechtfertigen konnte. Gregor Cantopulos entpuppte sich als ein in der Wolle gefärbter Schurke, der wahrscheinlich durch sein bestrickendes Äußere das unglückliche junge Weib bis zu solcher Schuld hatte hinreißen können, und wann hätte man in Paris für Frauenschuld nicht Nachsicht gehabt! Die eine Zeitung behauptete, er sei bereits geständig, einen reichen Engländer, mit dessen Geld und Equipage er aufgetreten, in Alexandrien ermordet zu haben; die andere ließ dies wenigstens schon als zweifellos erscheinen. Eine dritte brachte endlich die Nachricht, daß auch der über und über mit Gold gestickte Kawasse des Griechen mit dem weißen Schaffell und dem roten, langschweifigen Tarbusch, den man im Bois angestaunt, auf der Flucht in Toulon verhaftet worden und man in ihm einen der Spießgesellen des Cantopulos und einer ganzen griechischen Banditengesellschaft erkannt habe, deren die ägyptische Polizei seit lange vergeblich habhaft zu werden gesucht.

* * *

Als der junge Herzog wirklich einen seiner Freunde in Montagues Hotel sandte, kehrte dieser mit der Nachricht zurück, Anatole sei auf sein Landgut im südlichen Frankreich gereist.

So war es, und dort verblieb Anatole monatelang, einem Schatten gleich in den Wäldern und auf den Feldern umherirrend, mit dem Schicksal hadernd, das ihm dieses einzige Weib entrissen, das er je geliebt, und, was auch die Welt glauben mochte, an der Überzeugung festhaltend, daß Helene in jugendlichem Leichtsinn wohl habe fehlen, nimmer aber zur Verbrecherin werden können.

So kam die Zeit, die hohe Sommerzeit, um welche ihm die Zeitungen die Nachricht brachten, daß Helene Sostaniew demnächst als Zeugin vor den Assisen erscheinen werde, um danach in ihre Heimat ausgeliefert zu werden.

Welch ein Gefühl für ihn, von derjenigen, an der er mit Banden hing, die noch immer nicht ganz zerreißen wollten, wie von einer Verbrecherin zu hören, der die Zeitungen im günstigsten Falle den Transport in die Bleiwerke von Sibirien voraussagten! Und lesen mußte er diese Journale. Er wartete darauf, er haschte danach; er durchflog sie alle mit einem gewissen Fieber, immer in der Hoffnung, endlich etwas zu ihren Gunsten zu finden – vergebens!

Helene Sostaniew war gerichtet, ehe noch ihr Urteil gesprochen war, und wer sie einst so hoch gepriesen, der verdammte sie jetzt um so tiefer.


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