Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel

Anatoles Bemühungen, sich der Gräfin Sostaniew in Neapel zu nähern, blieben ebenso fruchtlos wie die aller übrigen Bewunderer. Selbst der junge Fürst gab seine Nachstellungen auf. Die schöne Russin erschien abends auf der Promenade wie ein Irrwisch und verschwand dann wieder in ihrem Hotel. Ihre Wohnung blieb jedem Fremden verschlossen; es schien sogar, als vermeide sie schon das Theater, denn man sah sie nur noch bei ganz besonders interessanten Vorstellungen und selbst dann lag sie in den Fond der Loge zurückgelehnt, um nicht bemerkt zu werden. Ihre stete Begleiterin war die alte Dame, der beizukommen ebenso schwierig war.

Gerüchtweise hörte man eines Tages, die letztere sei plötzlich gestorben. Man nahm an, sie sei eine Verwandte der schönen Frau gewesen. Von demselben Tage ab suchte man die Gräfin vergebens; sie war mit Hinterlassung großer Trinkgelder an die Bedienung des Hotels ganz plötzlich abgereist, ohne eine fernere Adresse zu hinterlassen, da sie keine Briefe zu empfangen pflegte.

Anatole erschien es unbegreiflich, wie er so lange in Neapel habe verweilen können, in einer Stadt, die, abgesehen von ihrer unbestreitbar schönen Lage, nicht das geringste Interesse für ihn mehr habe. Der Himmel und der Golf mit ihrer ewigen, unveränderlichen Bläue waren ihm monoton bis zur Unerträglichkeit; den Vesuv konnte er nach dem Gedächtnis aufs Papier zeichnen, die Promenade zum Posilipp zeigte ihm immer wieder dieselben Gesichter; Bajae, Kap Misene, die Inseln Ischia, Procida und Capri sahen heute so aus wie gestern und wie sie seit undenklichen Zeiten ausgesehen; sein Lieblingsplätzchen Sorrent mit den reizenden Zitronengärten, die ganze Riviera über Castellamare, Torre del Greco, del Annunciata, Resina und Portici – alles sah ihm so nüchtern aus; in den Theatern gähnte er und hatte keine Aufmerksamkeit weder für die Bühne noch für die Gesellschaft.

»Ich bin jetzt ein halbes Jahr von Paris entfernt«, reflektierte er. »Der Karneval beginnt eben dort; die Saison ist in ihrer höchsten Blüte; versuchen wir's einmal wieder in Paris, das mir im Grunde doch mehr Zerstreuung bietet, als das ewige ›Santa Lucia, Santa Lucia‹ der Mangia-Maccarone, das mir hier täglich in die Ohren klingt!«

Sein Freund Rostoff mußte des Klimas wegen in Neapel bleiben, sprach aber von Palermo. Dieser Russe hatte sich, seit die Gräfin Sostaniew verschwunden, ein Behagen daraus gemacht, Anatole bei jedem Zusammentreffen ein paar Brocken hinzuwerfen, nämlich kleine Neuigkeiten, die er hinterdrein noch über die schöne Gräfin gehört haben wollte. Immer waren diese Mitteilungen geeignet, die Flamme in Anatoles Herzen wieder zu schüren.

Unter anderem sollte ein Russe in Neapel angekommen sein, der die Sostaniew näher kennen gelernt, als sie noch nicht verheiratet war. Als Mädchen, hatte dieser erzählt, habe sie gar keinen Sinn für eine so glänzende Existenz geäußert, wie sie dieselbe später geführt, dagegen einen überaus leidenschaftlichen Charakter gezeigt. Als ihre Verwandte ihr den Grafen Sostaniew zugeführt, habe sie ihn entschieden zurückgewiesen, dieser aber habe sie so mit den glänzendsten Präsenten förmlich überschüttet, daß die Eva in ihr erwacht. Ganz plötzlich habe sie mit einer überraschenden Freudigkeit in die Heirat gewilligt, sei auch ebenso freudig bereit gewesen, ihrem Verlobten auf seine langweiligen Güter zu folgen, während alle, die das schöne Mädchen auf den Promenaden bewundert, vergeblich gehofft, sie in die Gesellschaft der Aristokratie eingeführt zu sehen. Sie hatten gemeint, der Himmel sei für alle, und da habe ihn der massive und ziemlich rohe Graf Sostaniew ganz allein für sich in Beschlag genommen. Ein schöneres, mit allen Reizen so verschwenderisch ausgestattetes Weib gebe es auf der Erde nicht, schloß Rostoff seinen Bericht; und sicher habe sie Rußland verlassen, um all den Anträgen zu entfliehen, die man nach dem so plötzlichen Tode des Gatten ihr zu Füßen gelegt. Daß sie diesen Menschen noch betraure, sei undenkbar, weil sie ihn in der Tat nie geliebt haben könne, aber ebenso undenkbar sei es, daß sich ein so leidenschaftliches Gemüt nicht nach den Freuden sehne, auf die ein schönes Weib die höchsten Anrechte habe.

Rostoff war offenbar ein heimtückischer, schadenfroher Mensch, denn nach und nach brachte er Anatole noch andere Neuigkeiten über die Frau von Sostaniew, angeblich immer aus dem Munde eines Russen, der den verstorbenen Grafen näher gekannt, und der außer sich vor Entzücken über die Schönheit und Liebenswürdigkeit der jungen Frau sei. Aus purer Schadenfreude – denn andere Gründe konnte er scheinbar nicht haben – nährte er die Leidenschaft Anatoles mit detailliierten Schilderungen von der Schönheit dieses Weibes, sämtlich aus dem Munde dieses Russen, und schloß immer wieder damit, es sei jammerschade, daß derselbe erst nach der Abreise der Sostaniew in Neapel eingetroffen, denn durch ihn hätte man unfehlbar ihr näherkommen können.

Anatole verließ eines Morgens Neapel, sich von Rostoff nur durch seine Karte verabschiedend. Der letztere gehörte zu den jungen Männern, denen die Gebrechlichkeit des Körpers den zerstörenden Genuß weltlicher Freuden nicht mehr gestattet, die also eine Genugtuung darin finden, andere, mehr Begünstigte vergeblich danach schmachten zu sehen.

»Ich wette darauf, er ist ihr nach!« lachte er vor sich hin, als er Anatoles Karte empfing. »Aber sie hat, wie sie es in Rußland getan, die Spuren hinter sich so gut verwischt, daß er viel Glück haben muß, sie zu finden, und dann läßt sie ihn vielleicht ebenso gründlich abfallen wie mich!«

* * *

Als Anatole Montague unerwartet in Paris wieder eintraf, empfingen ihn seine Freunde mit offenen Armen, er aber schien noch weniger Sinn für die Jockey-Debauche heimgebracht zu haben, als er mit auf die Reise genommen. Er war ernst, zerstreut, einsilbig; er besuchte trotzdem mit Hast und Unermüdlichkeit alle Soireen, alle Theater, und doch war's ersichtlich nicht die Zerstreuung, die er suchte.

In seinem Hotel blieb alles wie es war. Seine Pferde interessierten ihn weniger noch als sonst; seine Freunde sah er nur bei sich, so oft es die gesellschaftliche Rücksicht verlangte, und wenn sie gingen, war er froh, sie wieder los zu sein! Im Klub wettete er allerdings hohe Summen, jedoch ohne Interesse; im Bois roulierte er täglich, hatte aber für seine Freunde und namentlich Freundinnen, die alle Welt kennt, wenig Aufmerksamkeit. Bei der »Descente« musterte er, in der Avenue haltend, einen Wagen nach dem anderen, hatte nur knappe Worte für die, welche ihn, vorüberreitend oder -fahrend, anredeten, und war der letzte, der mit düsterer Miene nach Hause zurückkehrte.

»Anatole ist verliebt!« Zu dem Schluß gelangte in wenigen Wochen der lebenslustige Teil von Paris, der im Café Anglais und im Maison Dorée zu Hause zu sein pflegt, und selbst in den Garderoben der Aktricen en vogue war man einig, daß mit Anatole Montague nichts mehr anzufangen sei. Er sei unstreitig in ein eben aus der Pension entlassenes Kind oder in die Frau eines anderen verliebt; man müsse ihn seines Weges gehen lassen, bis er ausgeschwärmt habe.

Das Geheimnis von Anatoles Verstimmung sollte gerade in einer dieser Garderoben verraten werden.

Eine der ihrer Toilette und ihrer Abenteuer wegen gefeierten Aktricen roulierte am Nachmittag eines der letzten heiteren Wintertage im Bois, als Anatole auf seinem langschweifigen andalusischen Brandfuchs an ihr vorüberritt und nur einen gleichgültigen, stummen Gruß für sie hatte. Verdrießlich schaute sie ihm nach; sie sah plötzlich sein Pferd sich bäumen, daß die weiße Mähne im Winde flatterte, dann sich wieder auf seine Füße stellen und, von dem Reiter herumgerissen, einer Equipage folgen, in welcher die Aktrice eine bis dahin im Bois unbekannt gewesene Schönheit neben einer hübschen, stumpfnäsigen Zofe erblickte.

Die Dame war ohne Zweifel fremd, die Zofe jedoch mußte eine Pariserin sein, darauf ließ sich schwören. Die Dame mußte zum erstenmal im Bois auftreten, denn sie war so schön, daß sie alles schlug, und dergleichen kann im Bois nicht geschehen, ohne daß schon am Abend in allen Logen davon gesprochen würde. Das Merkwürdigste aber war, daß Anatole, bleich, mit wirrem, stierem Auge eiligst dieser Equipage folgte, an seinen intimsten Freunden vorüberjagte, ohne von ihnen Notiz zu nehmen.

In der Tat hatte Anatole im Bois die Gräfin Sostaniew wiedergefunden und bei ihrem Anblick sein Pferd so stark pariert, daß dasselbe sich hoch aufbäumte. Er war ihr gefolgt mit Jubel im Herzen; er mußte ihr bemerkbar werden, denn schon die glänzende Farbe seines Tieres lenkte überall die Aufmerksamkeit auf den Reiter. Und sie sah ihn, wie er langsam an ihr vorüberritt, im ersten Moment gleichgültig, dann überrascht, als Anatole ihr höflich seinen Gruß sandte. Sie errötete sogar, und das brachte den jungen Mann in die seligste Verwirrung.

Wieder und wieder ritt er an ihr vorüber, als der Wagen der Gräfin um den See fuhr. – Da plötzlich entdeckte er einen Reiter, der neben dieser Equipage plaudernd und langsam daherritt, den Marquis Chambras, einen der bekanntesten Legitimisten. Der letztere kannte die schöne Fremde, er sprach mit ihr in gewisser Vertraulichkeit, wie sie einem älteren Herrn gestattet ist, und sie lächelte ihm entgegen mit einer unbefangenen Herzlichkeit, von der selbst einige Sonnenstrahlen in Anatoles so lang umdüstertes Herz fielen.

Der Marquis de Chambras kannte sie, und gerade die Salons dieses Mannes hatte Anatole seit seiner Rückkehr vernachlässigt!

Es war im Grunde für Anatole nichts verloren als – Zeit. Er ließ den Marquis nicht aus dem Auge und war an dessen Seite, als dieser sich von dem Wagen getrennt. Der Marquis fand nichts natürlicher, als die Frage nach der schönen Fremden, die er wohl einige hundertmal heute im Bois zu hören vorbereitet sein mußte.

»Wir lernten sie in Nizza kennen, meine Frau und ich!« antwortete er Anatole. »Eine charmante Person, die, mit uns in demselben Hotel wohnend, uns interessierte, weil sie sich so ganz der Gesellschaft entzog, während diese tausend Netze nach ihr auswarf. Sie ist erst seit acht Tagen hier und war gestern abend in unserer Soiree der Gegenstand der Bewunderung, des Entzückens ... Ah, lieber Montague, ein Weib wie dies gibt's nur einmal in der Welt! Sie ist gewachsen wie eine Palme, geformt wie eine Venus, dabei graziös und lebhaft wie eine Gazelle; sie hat ein Auge, das zum Verzweifeln bringen kann, wenn es ernst und ruhig, zum Wahnsinn treiben muß, wenn es einem andern lächelt, und diese Büste, diese Hände, dieses wunderbar kastanienfarbige Haar ...« Der Marquis küßte seine Fingerspitzen ... »Ach, lieber Montague,« setzte er hinzu, »der Himmel erweist eigentlich jedem Mann, der ein Herz im Leibe hat, eine Gnade, wenn er sie ihm nicht in den Weg führt, denn bei Gott, diese Frau übt scheinbar absichtslos und dennoch bewußt, bald frohherzig wie ein Kind, bald tief sinnend wie die Göttin des Rätsels, mit unerforschlich tiefem Auge, eine Gewalt über uns Männer, die uns zu allem fähig macht, nur nicht zur geringsten Herrschaft über uns selbst! Ich weiß das zu beurteilen, junger Freund, ich mit meinem grauen Haar, der ich mir bei ihrem Anblick sagen muß: Du hast deine schönsten Lebenskräfte an elende Kreaturen verschwendet und wärest imstande, wie Faust, deine Seele dem Teufel zu verschreiben, nur für eine Spanne Zeit, um ein Weib wie dieses ...«

»Zu ruinieren und dich mit ihr; wir kennen das!« fiel ein Reiter ein, der sich inzwischen zu ihnen gesellt, ohne von dem Marquis in seiner Ekstase, von Montague in seiner Andacht bemerkt zu sein. »Du sprichst von der schönen Fremden; das ganze Bois ist außer sich!«

Anatole hörte die letzten Worte nicht mehr. Es litt ihn nicht an der Seite des alten Herrn; ohne Adieu blieb er zurück, jagte noch einmal den ganzen sich langsam nach dem Triumphbogen zurückbewegenden Zug der Wagen entlang, suchte vergebens nach der Schönen und langte in einer Stimmung vor seinem Hotel an, die an eine gänzliche Geistesabwesenheit grenzte. Nur eines einzigen war er sich bewußt: des Gedankens an sie, an ihren Besitz, und diese letztere Vorstellung erschien ihm selbst toll und wahnwitzig, denn er hatte hierfür keine andere Berechtigung, als die einer ganz flüchtigen, zufälligen Bekanntschaft, die sie vergessen zu wollen nur allzu geneigt schien, denn selbst ihr Erröten, als er sie im Bois grüßte, war sicher nur eine Äußerung der Verlegenheit – sie mochte ihn nicht einmal wiedererkannt haben!


 << zurück weiter >>