Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel

Als Anatole am Abend bei Helene erschien, fand er sie in einfacher, weißer Mullrobe, die nur den schönen Armen freien Spielraum gewährte, ohne jeden Schmuck, das Haar wie damals lose aufgeheftet. Und dennoch war sie reizender als in großer Gesellschaftstoilette. In einer gewissen Befangenheit näherte Anatole sich ihr, als er von Zoe mit einer Miene eingelassen worden, die ihm sagte, daß sie jetzt vollständig in alles eingeweiht sei.

Helene war noch bleich, es lag noch ein letztes trübes Wölkchen auf ihrer Stirn, aber das lächelnde Aufblitzen ihres Auges verscheuchte es. Sich erhebend und ein Buch beiseite legend, in welchem sie schwerlich gelesen haben mochte, reichte sie ihm die Hand und legte die andere auf seinen Arm.

»Du darfst mir nicht zürnen, Anatole«, sagte sie mit himmlischer Ruhe im Ton. »Es war zuviel, was am Nachmittage über mich Ahnungslose kam, die ich harmlos wie ein Kind die Stunden zählte, bis du von deiner Geschäftsreise zurückkehrtest! Du kamst mit einer Wunde; um meinetwillen hattest du dein Leben aufs Spiel gesetzt! Dann kam die Marquise, diese Frau, die mich mit ihrer Freundschaft erdrückte. Unvorbereitet mußte ich von ihr hören, daß mein Name durch alle Zeitungen laufe und in Verbindung mit einer Affäre, die mir selbst fremd. Endlich ihr Fortstürzen ... Mißverstehe mich nicht, Anatole! Wie jede andere wollt' ich selbst das Recht haben, zu bestimmen; sie nahm mir dies über dem Kopfe fort und abermals geht mein Name von Zunge zu Zunge. All das, Schlag auf Schlag, verwirrte, betäubte mich, und da mag ich dir wohl ungereimt erschienen sein; ja, ich erscheine mir selber so bei ruhiger Überlegung.«

»Auch ich würde dieser Frau zürnen, Helene, wenn sie nicht in diesem Augenblick die Verkünderin meines Glückes wäre; also verzeih' auch du ihr!« Anatole legte den Arm um ihren Leib. Helenens Stirn hatte sich während ihrer Rede gefärbt; jetzt blickte sie wirklich verlegen vor sich nieder.

Willenlos nahm sie seine Liebkosungen hin; errötend lag sie in seinem Arm.

»Nicht wahr, du bleibst diesen Abend bei mir, Anatole?« fragte sie zärtlich. »Wir haben so viel miteinander zu besprechen, denn vielleicht zwingen uns beiderseits unsere Verhältnisse, doch nicht so ganz in die Überstürzung der Marquise einzugehen! ... Es ist doch so manches ...«

Anatole betrachtete sie lächelnd. Er zog sie auf den Diwan; er setzte sich nieder vor sie auf das Taburett und ließ eine der braunen Wellen, die sich aus den Fesseln gelöst, durch seine Hand gleiten.

»Ja, ja, die Marquise hätte ersticken müssen, wenn es ihr verboten worden wäre, gleich die interessante Nachricht hinauszutragen; aber was hindert uns, diese Proklamation anzuerkennen! Stelle dir vor, wie mir das Schicksal eben einen der launenhaftesten Streiche zu spielen beabsichtigt, der ihm jedoch nicht gelingen soll! Vor einer Stunde erhielt ich die Nachricht von dem Ableben meines Großoheims in Westindien, eines der größten Plantagenbesitzer, der einst als Freiwilliger mit Lafayette nach Amerika ging. Ich bin der einzige Erbe seiner zahlreichen Millionen, das Gesetz aber und seine letztwillige Verfügung fordern mich auf, behufs Antritt der ungeheuren Erbschaft mich sofort nach Westindien zu verfügen.«

Helene hatte ihm mit wachsender Aufmerksamkeit zugehört. Sie blickte jetzt starr vor sich hin; ihre Brust hob und senkte sich sehr erregt, als Anatole schwieg.

»Aber beruhige dich«, setzte dieser hinzu, während er ihre Hand suchte. »Was gilt mir diese Erbschaft, wenn sie mich zwingen will, von deiner Seite zu gehen!«

Helene schwieg noch immer; es arbeitete in ihr fort. Anatole fühlte, wie ihre Hand die seinige ängstlich umklammerte. Plötzlich richtete sie sich halb auf, sie machte ihre Hand aus der seinigen los und blickte sinnend zu Boden.

»Nach Westindien!« hauchte sie vor sich hin. »Und du willst nicht?« setzte sie hinzu, ihr großes Auge mit angstvoller Frage auf ihn heftend.

»Wie du fragst! Während Frau von Chambras der Welt eben meine Verlobung mit der Gräfin Helene Sostaniew proklamiert! Was würde man sagen, wenn man hörte, ich sei nach Havre gereist, um mich als Verlobter nach Westindien zu begeben!«

Helene schwieg abermals. Ein ihr plötzlich eingegebener Gedanke schien in ihr fortzuarbeiten.

»Ist dir mein Wort nicht genug, Helene? Du bist wie ein furchtsames Kind, das ein leicht hingeworfenes Wort zum Weinen bringen kann!«

Helene schaute ihn voll, fast herausfordernd an. Sie schüttelte den Kopf.

»Wie wenig du mich noch verstehst, Anatole?« sagte sie mit bitterem Lächeln. »Glaubst du, Helene Sostaniew würde sich auch dem noch unterwerfen, daß man sie als verlassene Braut bemitleide? Würdest du es aber wie einen Beweis meiner Liebe betrachten, wenn ich als deine Gattin mit dir ginge?«

Dabei blickte sie wieder ihn fragend mit einer Entschlossenheit an, dem jungen Mann keinen Zweifel an der Aufrichtigkeit derselben lassend.

Anatole war unvorbereitet hierauf. Er erschrak. Der Gedanke, überhaupt diese Reise antreten zu wollen, war ihm selbst noch zu fern.

»Du weißt, ich klebe nicht an der Scholle«, fuhr Helene fort, seine Hand in die ihrige nehmend und in ihren Schoß legend, um ihn näher an sich zu ziehen. »Schon als ich mich wider meinen Willen in den gesellschaftlichen Wirbel hier hineingerissen fühlte, entstand in mir der Wunsch, mich ihm wieder zu entziehen. Ich wollte die erste Frühlingssonne erwarten, um Paris Lebewohl zu sagen, denn ich fühle, ich bin hier nur eine Treibhauspflanze. Da lernte ich dich lieben und, aufrichtig gesprochen, ich hätte längst eine Gelegenheit gefunden, mich aus der Vormundschaft der Frau von Chambras loszumachen, wenn sie dir nicht aufrichtig zugetan wäre und mir immer von dir gesprochen hätte ... Sag' mir: wie lange wird deine Anwesenheit drüben, jenseit des Ozeans, notwendig sein?«

»Man berechnet sie auf ein Jahr, vielleicht auch auf zwei Jahre.« Anatole wollte der Gedanke, der Helene so willkommen, noch immer nicht in den Kopf.

»Zwei Jahre!« wiederholte sie sinnend. »Und wenn du dich nicht an Ort und Stelle einfändest?«

»So würde die Erbschaft wahrscheinlich für mich verloren sein, denn wie man mir schreibt, sind Personen drüben, denen mein Großoheim durch illegitime Verhältnisse nahegetreten, und diese warten nur darauf, daß ich mich weigere zu kommen.«

»Du mußt! Du mußt!« rief Helene schnell und mit Nachdruck. »Meine Pflicht ist es, dich zur Reise anzutreiben! Muß es sein, wohlan, so werde ich auch die Kraft haben, dir um deines Glückes willen zu entsagen!«

»Helene, was sagst du!« Anatole entfärbte sich, »Noch soeben versprachst du ...«

»Mit dir zu gehen, ja!« Helene schüttelte traurig den Kopf. »Es war nur ein unüberlegter Gedanke! Wir verlassen gleichzeitig Paris! Ich gehe nach Rußland zurück und will dort geduldig deine Rückkehr erwarten.«

Anatole war vom Taburett vor ihr auf die Knie gesunken und bedeckte ihre Hände mit heißen Küssen.

»Um Gottes willen, Helene, sei barmherzig!« rief er, das Antlitz bleich und flehend zu ihr aufrichtend und sie umklammernd. »Ich bin ja willenlos! Bestimme du, was geschehen soll! Wie unfaßbar mir auch der Gedanke gewesen wäre, mich von dir trennen, die Idee, an deiner Seite durch die Welt zu reisen, tritt verlockend vor mich hin, so verführerisch, daß ich noch diesen Abend dich mit mir fortziehen möchte! Helene, ich beschwöre dich, entscheide!«

Eine Pause trat ein, während welcher Anatoles Blick ängstlich an ihren Lippen hing. Er sah nicht, wie sich ihr Auge klärte, wie ein Zug der Genugtuung, heimlicher Freude sogar dies Auge leuchten machte.

»Helene, du sprichst nicht! Du folterst mich!«

»Wir werden noch heut abend überlegen, Anatole,« sagte sie freundlich lächelnd, während sie seine Schläfen in ihre Hände nahm und ihn auf die Stirn küßte. »Ich fürchte, Zoe kann uns jeden Augenblick stören, um uns zum Souper zu rufen!« setzte sie, ihn aufrichtend, hinzu. Und beruhigt ließ Anatole es geschehen, daß sie ihn zwang, sein Taburett wieder einzunehmen, während sie selbst sich auf den Diwan in halb ruhender Stellung zurücklehnte und schweigend vor sich hinblickte, als sei sie in tiefer Überlegung. Sie wußte, daß Anatole diese Ruhe benutzte, um die graziösen Konturen zu bewundern, in deren scheinbar absichtsloser Drapierung ihre Koketterie eine Meisterin war.

Zoe meldete das Souper, wie Helene rechtzeitig erwartet. Helene war bei demselben anfangs nachdenkend, fast traurig; sie ließ sich in ihrem Versinken durch Fragen überraschen, die sie aufschreckten. Endlich gelang ihr die Unbefangenheit, dann die Heiterkeit wieder. Sie setzte auf die ewige Ruhe des westindischen Großoheims scherzend das Glas an die Lippen.

»Ich sehe dich schon auf den hohen Wellen des Ozeans schwimmen, Anatole!« rief sie in übermütiger Laune.

»Und wen siehst du neben mir, Helene?« fragte er.

»Mich selbst sehe ich in dem Ozean der Tränen, die ich um den weinen werde, der mich verlassen konnte ...«

Anatole erhob sich und verschloß ihr den Mund mit seinen Lippen. Als das Souper beendet, waren beide nach langem Hin- und Herkapitulieren einig geworden: da Helene sich ohnehin von Paris fortsehnte und sie den Parisern mit ihrer Person nicht ferner Stoff geben wollte, ward beschlossen, in aller Stille von Paris nach Anatoles Landgut im südlichen Frankreich zu reisen. Dort sollte vor dem Maire des Dorfes der Bund geschlossen, derselbe in der Kirche gesegnet werden, und von dort wollten beide sich über Havre nach Westindien begeben.

Die Marquise und die Welt sollten dadurch um ein »Evenement« betrogen werden, doch gab Helene so weit nach, daß sie einwilligte, als Anatole es für unumgänglich hielt, sich wenigstens einmal und zwar morgen miteinander im Bois zu zeigen.


 << zurück weiter >>