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Sechstes Kapitel

Am Abend sah Anatole die Gräfin Sostaniew in ihrer Loge, umgeben von der Marquise und einigen ihm bekannten Damen der Gesellschaft. Eine Bewegung mit dem Fächer verkündete ihm, daß sie ihn bemerke. Wie unbefangen dieselbe auch war um der vielen Gläser willen, die stets auf sie gerichtet waren, Anatole verstand sie und trat im Zwischenakt in ihre Loge.

Helene klagte über die Hitze und wünschte in das Foyer geführt zu werden. Anatole sah, daß sie bleicher war als sonst; ihr Unwohlsein am Vormittag war also kein vorgeschütztes gewesen, wie er argwöhnte, da man sie am Nachmittag über die Boulevards hatte fahren sehen.

»Anatole, ich fühlte mich heute morgen sehr krank!« flüsterte sie auf dem Weg zum Foyer, ihre Lippen hinter dem Fächer bergend. »Sie zürnen mir nicht?«

Ein forschender Blick in das Antlitz des jungen Mannes begleitete die Worte. Sie fand Anatole sehr zerstreut. Das beunruhigte sie.

»Ich war weniger glücklich, als der Herzog von Vermont!« Anatole sprach das mit merkbarer Kälte und leichtem Beben der Stimme halb vor sich hin.

Helene schlug den Fächer zusammen, um das Zucken ihrer Hand zu verbergen.

»Ich verstehe Sie nicht!« antwortete sie ebenso kalt.

»Sie hatten mir vergönnt, Sie heute morgen sehen zu dürfen; ich kam, um von Ihnen zu erfahren, ob es wahr, daß man erst den jungen Herzog, dann Sie aus der Blumengalerie des Vermontschen Hotels kommen gesehen.«

»Ja!« Helene antwortete offen, mit Nachdruck. »Ich hatte Sie vergebens gesucht, da mich ein Unwohlsein befiel. Ich bat deshalb den jungen Herzog, der mir am nächsten stand, mir seinen Arm zu leihen und mich in die Kühle jener Galerie zu führen, wohin, wie er mir sagte, sich auch sein Vater eben zurückgezogen.«

Helene sagte die Unwahrheit. Und mit einer Unbefangenheit, die auf Übung deutete.

»Brechen wir ab, ich beschwöre Sie!« setzte sie hinzu, da sie eben das Foyer betraten. »Ich verlasse die Oper nach dem zweiten Akt; die Marquise weiß, daß ich nur mein Versprechen halten wollte, heute hier zu sein; es geschah aber, um Sie zu sehen ... Ich erwarte Sie!«

Damit trat sie in das Foyer, in welchem die Gruppen sich zurückzogen, um der schönen Frau Raum zu geben. Anatoles Stimmung war wie umgewandelt. Ein leuchtender Blick dankte ihr. Triumphierend schritt er an der Seite Helenens, die ihn offenbar nur hierher geführt, um ihm zu sagen, daß sie ihn erwarte.

Das plötzliche Herantreten des jungen Herzogs frappierte ihn vorübergehend; mit etwas spöttischem Lächeln begegnete er der schmächtigen Gestalt, auf deren weißem, bartlosem Gesicht bei Helenens Anblick eine dunkle Röte aufloderte. In dem Marmor von Helenens Antlitz ging nicht die geringste Veränderung vor. Der Herzog stutzte, als er, auch Anatole flüchtig grüßend, bei diesem kaum einen Dank dafür fand.

Helene sprach den Wunsch aus, in die Loge zurückgeführt zu werden. Beide jungen Männer begleiteten sie. Das Gedränge im Korridor machte zum Glück eine Unterhaltung unmöglich. Als sich die Tür hinter Helene geschlossen, machte der Herzog Anatole eine knapp abgemessene Verbeugung und wandte ihm den Rücken.

Anatole war so selig zerstreut, daß er das fast verletzende Benehmen des jungen Mannes nicht bemerkte. Er taumelte in das Foyer zurück, das sich inzwischen schon geleert hatte, warf sich in einen Fauteuil und dachte an das Glück, das ihm verheißen. Er betrat seine Loge nicht wieder, um nicht gleichzeitig mit Helene das Theater zu verlassen. Durch die Passage schlendernd, ohne irgend etwas um sich her zu erkennen, fand er sich auf dem Boulevard.

Boshafte Verleumdung war's also, was man ihm gestern nacht ins Ohr gezischt. Auch er hatte zufällig den alten Herzog um jene Zeit aus der Galerie in die Salons zurücktreten gesehen, ohne eine Ahnung zu haben, daß Helene sich aus der Hitze in jene Galerie geflüchtet. Der junge Herzog umschwärmte allerdings Helene in einer allen auffallenden Weise, aber sie hatte ihm ja soeben gesagt, sie betrachte ihn wie einen noch unreifen Knaben. Und dennoch wußte Anatole, daß dieser junge Mann sich bereits in der Liebe die Sporen verdient und sein Vater ihn erst kürzlich aus einer heiklen Affäre herausgerissen.

Anatole schritt zerstreut den Boulevard entlang. Er sah und erkannte niemand. Einige Freunde, junge Boulevardiers, riefen ihn an; er hörte nicht. Und dennoch glaubte er, an den hell erleuchteten Kaffeehäusern vorüberstreifend, an einem der Fenster ein bekanntes Gesicht zu entdecken, das ihn seltsam überraschte. Trotz seiner Zerstreuung hafteten seine Gedanken an diesem Gesicht, als er schon vorüber war.

»Rostoff!« rief er plötzlich in heller Erinnerung. »Er hier in Paris!«

Dabei war's ihm, als müsse diese Erinnerung ihm eine fast unangenehme sein. Rostoff war ein Mann, mit dem man auf der Reise vorübergehend verkehren konnte, der aber persönlich wenig Liebenswürdiges hatte.

Anatole vergaß die Begegnung.

Eine Stunde später empfing Helene selbst den Glücklichen in ihrem Vorsalon. Zoe war unsichtbar. Schweigend führte sie ihn durch die matt beleuchteten Gemächer in ihr Boudoir, ein reizendes Plätzchen, durch eine kostbare marokkanische Ampel erhellt, die ihre Zauberstrahlen über die weichen Taburetts, Fauteuils und Diwans ergoß, in den Falten der seidenen Draperien und auf den koketten Nippsachen und Statuettchen spielend, die aus allen Ecken neugierig herauslugten.

Erst hier ward es Anatole vergönnt, Helenens Hand mit überschwenglichem Dank zu ergreifen und an seine Lippen zu pressen. Ein weicher Druck derselben deutete ihm, wie willkommen er sei. Hier auch gewahrte er erst mit entzücktem Auge, daß Helene bereits Zeit gefunden, ihre Gesellschaftstoilette mit einer leichten, hell silbergrau schillernden Hausrobe zu tauschen, die sich weich an ihre Gestalt schmiegte; daß sie die Blumen aus dem üppigen Haar entfernt, dessen dunkelbraune Farbe den Lichtstrahlen helle Blitze wiedergab, während es mit koketter Nachlässigkeit in dicken Wellen im Nacken aufgeheftet war.

Anatole behielt überglücklich die zarte Hand in der seinigen und schaute Helene wonnetrunken ins Auge. Sie ließ es geschehen; sie lächelte. Ermutigt wagte er es, den Arm um ihren Leib zu legen. Sie wehrte ihm nicht.

»Helene, wie danke ich Ihnen für eine Huld, nach der mein armes Herz so lange vergeblich sich gesehnt! Darf ich ...«

»Du darfst alles, Anatole!« unterbrach sie, ihm den Mund zum Kusse bietend und sich dennoch kokett wieder abwendend. »Es ist dies der erste Abend, wo ich dich ohne Gefahr empfangen konnte. Zoes Mutter liegt im Sterben; ich erlaubte ihr, die Nacht bei derselben zu verbringen. Du siehst, ich bin schutzlos, Anatole! Schone und schirme mich als Kavalier! ... Nicht so!« setzte sie hocherrötend hinzu, als er, kühn gemacht, sie an sich pressen wollte. »Vergiß nicht, was ich dir eben sagte. Komm, plaudern wir zusammen! Du darfst bis Mitternacht bleiben, denn der Abend ist günstig: der alte Baron über mir sieht heute Gesellschaft bei sich; der Concierge wird also glauben, du seiest bei ihm gewesen ... Komm, laß uns plaudern!«

Damit zog sie ihn fort in ihre Schmollecke, ein trauliches Plätzchen, zu welchem das Licht der Ampel nur gedämpft hindrang. Freudig lächelnd, mit einem gewissen Übermut, lehnte sie sich auf das weiche, seidene Ruhebett zurück, während Anatole sich vor ihr auf das Taburett setzte, ihre Hand in die seinige nahm und sein trunkenes Auge über die wundervollen Konturen ihrer Glieder bis hinab zu dem auf dem Schemel ruhenden graziösen Füßchen hinglitt.

Helene Sostaniew war heute dem Rat ihres noch so heißen, jungen Herzens gefolgt. Gewaltsam, durch einen schnellen Entschluß, den sie ebensoschnell zur Ausführung brachte, hatte sie die Gespenster aus ihrer Seele verjagt; nur im Genuß, in einem Taumel, der sie fortreißen sollte, glaubte sie Macht über diese Geister finden zu können. Unbefriedigt ließ sie ja die allgemeine Bewunderung, ermüdend war ihr das ruhelose Gesellschaftsleben; sie betrachtete sich wie ein Schaustück für andere, wie eine Sklavin der Welt, auf deren Wink sie erscheinen müsse, sie selber aber, ihr bedürftiges Herz, sollte entsagen, während sie Anatole liebte und in dem Herzog einen jungen Mann sah, der ihr seine Verehrung in so origineller Form darbrachte, daß sie Zerstreuung, ein Genüge für ihre Eitelkeit darin fand.

So viel abhängige und unabhängige Damen begegneten ihr in dieser bunten Gesellschaft, die sich aus einem zeitweisen Echauffement ihres Herzens kein Gewissen machten, von deren kleinen erotischen Zerstreuungen sie fortwährend hören mußte, und sie sollte verblühen im Kampf mit der düstern Stimmung, die so oft in ihrer Einsamkeit Gewalt über sie bekam! Was alles suchte man ihr schon anzudichten und was kam es also darauf an, wenn wirklich ein Fünkchen Wahrheit in all der Blague war, die man auf Kosten einer schönen, jungen Witwe verbreitet!

»Anatole soll mir willkommen sein!« Mit dem Entschluß fuhr sie heute, ihrem Versprechen gemäß, in die Oper, und ihre Gesellschaft beobachtete in der Loge eine krankhafte Aufregung an ihr, die Helenens frühes Entfernen rechtfertigte. Als sie die Loge verlassen, wandte sich die Marquise an ihre Freundinnen: »Die Ärmste! Sie ist wirklich heute sehr angegriffen«, sagte sie mit gleißnerischem Mitleid.

Was sie an diesem Abend erlebte, war die Erfüllung ihrer lichten Träume, welche die düsteren verjagen sollte. Mit ganzer Leidenschaftlichkeit überließ sie sich Anatoles Liebkosungen; glücklich lächelnd hörte sie seine Schwüre, um sie mit stumm verlangenden Lippen zu erwidern, bis die Mitternacht kam und sie allmählich aus ihrer Ekstase erwachte.

Tausenderlei hatten sie verabredet, was in Anatole unvergeßlich und unverbrüchlich, in ihrem Gehirn jedoch schnell verschwand, wie der Hauch vom Spiegel. Sie war sich nur bewußt, daß sie Anatole liebe, und was plaudert die Liebe nicht alles! Er bereitete sich zum Abschied, den Kopf noch voll von all den im höchsten Liebesrausch geschmiedeten Plänen, denen Helene lächelnd oder still vor sich niederblickend zugehört hatte.

Als Anatoles Gedanken sich der Außenwelt wieder zukehrten, rief ihm ein Aquarell der Villa Reale in Helenens Vorsalon die flüchtige Begegnung von heute abend ins Gedächtnis.

»Apropos,« sagte er, während Helene ihn zur Tür geleitete, »ich sah heute abend diesen Rostoff am Boulevard im Kaffeehaus sitzen. Du erinnerst dich ...«

Anatole bemerkte in dem Halbdunkel des Gemaches nicht, daß der Nachglanz der leidenschaftlichen Röte, welcher ihre Wangen noch färbte, einen plötzlichen Wechsel erlitt.

»Ich ... erinnere mich!« antwortete sie mit kurzem Atem ... »Du hast ihn gesprochen?« setzte sie hastig hinzu.

»Im Gegenteil, er war mir kein so sympathischer Mensch! Ich denke ihm sogar aus dem Wege zu gehen.«

Helene reichte ihm schweigend die Hand. Er preßte sie an die Lippen, schlang noch einmal an der Tür den Arm um ihren Nacken, um sie zu küssen, und verschwand dann im Dunkel des Korridors.

Langsam, mit zu Boden gesenktem Blick, durchschritt Helene den Salon, die übrigen Gemächer und stand, immer noch mit bedecktem Auge, sinnend, grübelnd in ihrem Boudoir. Endlich bewegten sich ihre Lippen, ihre herabhängenden Arme zuckten.

»Dieser verhaßte Mensch hier ... in Paris!« flüsterte sie vor sich hin. »Ist's doch, als folge er mir wie ein Schatten, der er wirklich nur noch ist; dieser Elende, der die Frechheit hatte, mir zu sagen, er wisse, daß seine Jahre, vielleicht seine Tage gezählt seien, er suche deshalb sein Grab in den Armen eines schönen Weibes! ... Er wird sich wieder an Anatole drängen; er wird aus Rache mich zu verleumden suchen, dieser Unverschämte, der mir als Drohung Worte zu sagen wagte ...«

Helene bedeckte die Augen mit beiden Händen und sank in den Fauteuil zurück.

»Gibt es keinen Schutz für ein armes Weib, das ruhelos umherirrt und selbst hier, wo es teilnehmende Freunde fand, wieder von seinen Feinden gehetzt werden soll!« jammerte es aus der Tiefe ihrer Brust herauf und heiße Tränen perlten durch ihre Finger. »Aber ich wußt' es ja,« fuhr sie fort, die Hand an die Stirn pressend, während ein finsterer, unversöhnlicher Blick aus ihrem dunklen Auge schoß, »ich wußte, daß es mir nicht vergönnt sein werde, ungestraft einen einzigen Moment reinen und wahren Glücks zu erleben. Es verfolgt mich von neuem; ich fühle, wie es mir den Boden unter den Füßen weggräbt; ich höre die leisen Schritte wieder, ich fühle ...«

Schaudernd fuhr sie, beide Hände vorstreckend und das herabgeneigte Antlitz unter dem dichten, über die Stirn sinkenden dunklen Haar bergend, in den Sessel zurück, und sekundenlang blieb sie regungslos in dieser Stellung.

»Es ist vorüber!« hauchte sie endlich, sich langsam, vorsichtig aufrichtend, die Wellen des Haares auf der Stirn teilend und leichenblaß, furchtsam ins Zimmer starrend. »Aber mir graut! Ich bin ganz allein! Ich werde die ganze Nacht allein verbringen müssen! Warum ging er? Ich hätte ihn zurückhalten sollen, nur zu meinem Schutz! Ich wage nicht, mich zu erheben; ich fürchte mich vor dem Geräusch meiner eigenen Schritte ...«

Abermals schrak sie zusammen. Sie hörte ein Geräusch draußen in ihrer Wohnung. Es mußte aus dem Korridor kommen. Sie sprang auf, stürzte zum Fenster und öffnete dies, um nach Hilfe zu rufen. Die Hand an dem Fensterschloß starrte sie ins Zimmer zurück. Draußen von dem Balkon konnte sie in die Straße hinabschreien.

Jetzt vernahm sie das Geräusch noch deutlicher. Sie hörte ganz hell eine Tür öffnen und schließen. Eisig durchzitterte es ihre Glieder. Sie stützte sich auf den Fensterriegel, klammerte sich an den Damastvorhang, um nicht zusammenzusinken.

»Wer ist da?« brachte sie endlich heraus, vor ihrer eigenen Stimme erschreckend.

»Ich bin's ... Zoe!« antwortete eine feine Stimme. »Ich glaubte die Komtesse schon zur Ruhe gegangen.«

»Zoe!« flüsterte Helene, sich aufrichtend. »Gott sei Dank! Ich war kindisch in meiner Furcht! ... Welch ein Glück, daß sie Anatole nicht mehr begegnen konnte!«

Ihre letzten Kräfte zusammennehmend, schleppte sie sich mit schlotternden Knien zum Diwan und ließ sich auf denselben sinken.

»Komm herein!« rief sie, dennoch mit Mißtrauen die Tür beobachtend, bis die Kammerjungfer, noch in Hut und Mantel, eintrat ... »Ich darf dich nicht mehr fortlassen, Zoe! Ich bin ein furchtsames Geschöpf, war nie gewohnt, allein zu sein. Du weißt es! Man hat mich als Kind mit so viel unheimlichen Ammenmärchen genährt ... Du siehst, in welchem Zustande du mich findest! Um keine Welt wäre ich imstande gewesen, zu Bette zu gehen!«

Zoe stand erstaunt da und blickte das verstörte Antlitz ihrer Herrin an.

»Meine Mutter ist wieder zu sich gekommen,« stammelte sie, nicht ohne Verlegenheit, »und da ich weiß, daß die Komtesse furchtsam ist, eilte ich noch in der Nacht zurück ...«

»Ich danke dir, Zoe! ... Zünde die Lichter im Schlafzimmer an! Ich bin so ermattet ... Dein Kommen hat mich so erschreckt; ich fürchtete, von Dieben überfallen zu werden, als ich dein Geräusch hörte ... Du darfst mich nicht wieder so allein lassen!«

Helene warf sich mit einem Seufzer zurück und starrte zur Decke. Zoe tat wie ihr geheißen. Ironisch lächelte sie, durch den Hut geschützt, vor sich hin und warf aus dem Dunkel ungesehen noch einen Blick auf ihre Herrin zurück, als wolle sie in dem bleichen Antlitz derselben forschen.

An der Krankheit ihrer Mutter war nämlich kein wahres Wort. Auf den Wunsch der Frau von Chambras, die nicht mehr wußte, woran sie mit ihrer jungen Freundin war, sollte Zoe gerade am Abend nach jener Soiree einen dringlichen Urlaub unter irgendwelchem Vorwand fordern und dann auf dem Posten bleiben, um die Wohnung Helenens zu beobachten. Entweder Montague oder der Herzog mußte der Glückliche bei ihr sein. Sie wollte klar sehen.

Ahnungslos ging Helene in die Falle. Als sie Anatole in der Loge bat, sie in das Foyer zu begleiten, erriet die neben ihr sitzende Marquise den Zweck. Zoe hatte erst, nachdem sie die Theatertoilette ihrer Herrin beendet, die traurige Familiennachricht erhalten, Helene hatte also keine Zeit gehabt, vorher über diesen unbewachten Abend zu verfügen. Montague war der Glückliche, kein Zweifel! Montague betrat seine Loge nicht wieder, und es hatte auch seinen Grund.

Als Frau von Chambras von der Oper nach Hause zurückkehrte, erfuhr sie bereits, daß Anatole in Helenens Haus getreten. Als er dasselbe verlassen, verblieb Zoe noch einige Minuten auf ihrem Posten und kehrte dann sehr unbefangen zu ihrer Herrin zurück, einen Diensteifer zeigend, der ihr hoch angerechnet werden mußte.

Seltsam aber! Anstatt die Komtesse glücklich, wenigstens ruhig zu finden, verriet das Antlitz derselben eine innere Störung, so gewaltsam, daß sie nicht nur aus blasser Furcht vor Dieben entstanden sein konnte. Zoe hatte im Dienst bei anderen Damen von Welt schon Routine genug gesammelt, um klar zu sehen in solchen Dingen.

Auch das erfuhr Frau von Chambras. Ohne Zweifel war es zwischen der Sostaniew und Montague zu Auseinandersetzungen in betreff des Herzogs gekommen.

Lange währte es, ehe Helene in dieser Nacht die Ruhe finden konnte. Während Zoe schon im tiefsten Schlummer lag, wälzte sich die Gräfin auf ihrem Lager, gefoltert von Vorstellungen, die niederzukämpfen die unheimliche Stille der Nacht ihr unmöglich machte.


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