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Siebzehntes Kapitel

Sie unterliegt aus Tugend.

Sie bat ihre Freundin, sie zu töten; aber diese Frau war nicht weniger nachsichtig als der Jesuit und sprach noch deutlicher mit ihr. »Ach,« rief sie, »die Geschäfte werden einmal auf diese Art gemacht an diesem liebenswürdigen, galanten und berühmten Hofe. Die kleinsten und die höchsten Ämter sind sehr oft nur um den Preis, den man von Ihnen verlangt, vergeben worden. Hören Sie, Sie haben mir Freundschaft und Vertrauen eingeflößt; ich will Ihnen gestehen, daß mein Mann den kleinen Posten, von dem er lebt, nicht erhalten hätte, wenn ich so viel Umstände gemacht hätte wie Sie; er weiß es und ist weit entfernt davon, sich darüber aufzuregen; er sieht in mir seine Wohltäterin und betrachtet sich als mein Geschöpf. Denken Sie denn, daß alle, die an der Spitze von Provinzen oder sogar Armeen stehen, ihre Auszeichnungen und ihr Glück sich allein durch ihre Dienste verschafft haben? Es sind welche dabei, die alles ihren Gemahlinnen verdanken. Kriegswürden werden oft durch die Liebe erworben; die höchste Stelle wird dem Gemahl der Schönsten verliehen. Sie sind in einer viel interessanteren Lage: es handelt sich darum, Ihren Geliebten zu befreien, damit Sie ihn heiraten können; das ist eine heilige Pflicht, die Sie erfüllen müssen. Niemand hat die schönen und hohen Damen, von denen ich Ihnen sprach, getadelt; man wird Ihnen Beifall spenden, man wird sagen, daß Sie sich nur eine Schwachheit erlaubt haben aus übertriebener Tugend.«

»Ach! welche Tugend!« rief die schöne Saint-Yves; »welches Labyrinth von Ungeheuerlichkeiten! welches Land! wie ich die Menschen kennenlerne! Ein Pater de la Chaise und ein lächerlicher Amtmann lassen meinen Geliebten ins Gefängnis bringen, meine Familie verfolgt mich, man reicht mir in meinem Unglück nur die Hand, um mich zu entehren. Ein Jesuit hat einen tapferen Mann zugrunde gerichtet, ein anderer will dasselbe mit mir tun; ich bin nur von Fallen umgeben und im Begriff, ins Elend zu stürzen. Ich muß mich töten oder mit dem König sprechen. Ich werde mich ihm zu Füßen werfen, wenn er in die Messe oder in die Komödie geht.«

»Man wird Sie nicht in seine Nähe lassen,« sagte die gute Freundin; »und wenn Sie das Unglück hätten, ihn zu sprechen, könnte es geschehen, daß Herr von Louvois und der hochwürdige Pater de la Chaise Sie für den Rest Ihres Lebens in ein Kloster stecken.«

Während diese tüchtige Person so die Qualen der verzweifelten Seele vermehrte und den Dolch in ihr Herz trieb, kam ein Eilbote von Herrn von Saint-Pouange mit einem Brief und zwei prachtvollen Ohrgehängen. Die schöne Saint-Yves stieß alles unter Weinen zurück; aber die Freundin nahm sich der Sache an.

Sowie der Bote gegangen war, las die Vertraute den Brief, in dem den beiden Freundinnen ein kleines Souper für heute abend vorgeschlagen wurde. Saint-Yves schwört, daß sie auf keinen Fall hingehe. Die Fromme will die Brillantohrringe an ihr probieren. Dies kann die Saint-Yves nicht ertragen. Sie kämpfte den ganzen Tag mit sich. Endlich ließ sie sich, einzig an ihren Geliebten denkend, besiegt und bedrängt, zu dem verhängnisvollen Mahle führen. Nichts hatte sie vermocht, sich mit den Ohrgehängen zu schmücken; die Vertraute nahm sie mit und legte sie ihr gegen ihren Willen an, kurz bevor man zu Tisch ging. Saint-Yves war so verwirrt, so verstört, daß sie sich quälen ließ. Dem Gastgeber aber erschien es als ein sehr günstiges Zeichen. Gegen das Ende des Mahles zog sich die Vertraute feinfühlig zurück. Nun holte der Gastgeber einen Widerruf des Haftbefehls, eine Anweisung auf eine beträchtliche Belohnung und das Patent für eine Kompagnie hervor; er sparte keine Versprechungen. »Ach!« sagte die Saint-Yves, »wie würde ich Sie lieben, wenn Sie nicht zu sehr geliebt sein wollten!«

Endlich, nach langem Widerstand, nach Seufzern, Schreien, Tränen, vom Kampfe ermüdet, verwirrt, ermattet, war sie gezwungen, sich zu ergeben. Sie sah keinen Ausweg, als sich selber zu geloben, nur an den Harmlosen zu denken, während der Grausame ihre Notlage unbarmherzig ausnützte.


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