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Sechzehntes Kapitel

Sie holt Rat bei einem Jesuiten

Sobald die schöne, verzweifelte Saint-Yves bei ihrem guten Beichtvater war, vertraute sie ihm an, daß ein mächtiger und wollüstiger Herr ihr versprochen habe, den Mann, den sie rechtmäßig heiraten wolle, aus dem Gefängnis zu befreien. Doch verlange er einen großen Preis dafür. Furchtbarer Widerwille ergreife sie bei dem Gedanken an solche Untreue. Wenn es sich nur um ihr eigenes Leben handelte, würde sie es opfern, ehe sie nachgäbe!

»Das ist ein entsetzlicher Sünder!« sagte der Pater Tout-à-tous. »Sie müssen mir den Namen dieses schändlichen Menschen sagen; gewiß ist es ein Jansenist; ich werde ihn Seiner Hochwürden dem Pater de la Chaise anzeigen; der wird ihn in denselben Kerker werfen lassen, in welchem jetzt der Ihnen so teure Mann schmachtet.«

Nach langem Zögern und Schwanken nannte das arme Mädchen endlich Saint-Pouange.

»Der Herr von Saint-Pouange!« rief der Jesuit; »ach! meine Tochter, das ist etwas ganz anderes. Er ist der Vetter des größten Ministers, den wir je gehabt haben, ein angesehener Mann, Beschützer der guten Sache, guter Christ; er kann einen solchen Gedanken nicht gehabt haben; Sie haben sicher falsch gehört.« – »Ach, mein Vater, ich habe nur zu gut gehört; ich bin verloren, was ich auch tue; ich habe nur die Wahl zwischen Unglück und Schande: entweder bleibt mein Geliebter lebendig begraben, oder ich muß mich ehrlos fürs Leben machen. Ich kann ihn nicht untergehen lassen, und ich kann ihn nicht retten.«

Der Pater Tout-à-tous versuchte, sie mit folgenden Worten zu beruhigen:

»Vor allem, meine Tochter, sagen Sie den Ausdruck ›mein Geliebter‹ nicht mehr; es liegt etwas Weltliches darin, das Gott beleidigen könnte; sagen Sie lieber ›mein Gatte‹; denn wenn er es auch noch nicht ist, so betrachten Sie ihn doch als solchen; und nichts ist anständiger.

Zweitens ist er in Wirklichkeit noch nicht Ihr Gatte, obgleich er es in der Idee, im Hoffen ist: Sie würden also keinen Ehebruch begehen, eine ungeheure Sünde, die man so viel wie möglich vermeiden muß.

Drittens sind Handlungen frei von Schuld, wenn ihre Absicht rein ist; und keine kann reiner sein als die, Ihren Gatten zu befreien.

Viertens gibt es im heiligen Altertum Beispiele, die wunderbar auf Ihr Verhalten passen. Der heilige Augustin berichtet, daß im Jahre des Heiles 340, unter dem Prokonsulat des Septimius Acyndinus, ein armer Mann zum Tode verurteilt wurde, weil er dem Cäsar nicht geben konnte, was dem Cäsar gehörte. Es war dies gerecht trotz des Sprichwortes: Wo nichts ist, hat der Kaiser das Recht verloren. Es handelte sich um ein Pfund Gold; der Verurteilte hatte eine Frau, die Gott mit Schönheit und Klugheit geschmückt hatte. Ein reicher alter Kauz versprach der Dame ein Pfund Gold und mehr, wenn sie mit ihm die schmähliche Sünde begehen wolle. Die Dame glaubte nichts Übles zu tun, da sie ihren Gatten dadurch rettete. Der heilige Augustin lobt ihre edelmütige Aufopferung sehr. Es ist wahr, daß der alte Kauz sie betrog, und vielleicht sogar ist ihr Gatte nichtsdestoweniger gehängt worden: aber sie hatte getan, was in ihrer Macht stand, um ihn zu retten.

Seien Sie sicher, meine Tochter, wenn ein Jesuit den heiligen Augustin anführt, hat der Heilige immer recht. Ich rate Ihnen nichts, Sie sind klug, es ist zu bedenken, daß Sie Ihrem Gatten nützlich sein können. Herr von Saint-Pouange ist ein ehrlicher Mann, er wird Sie nicht betrügen: das ist alles, was ich Ihnen sagen kann. Ich werde für Sie zu Gott beten; ich hoffe, daß alles zu seinem größten Ruhme geschehen wird.«

Die schöne Saint-Yves kehrte verstört zu ihrer Freundin zurück; sie war nicht weniger außer sich über die Reden des Jesuiten als über die Vorschläge des Unterministers. Sie war in Versuchung, sich durch den Tod von diesem Grauen zu erlösen: entweder den Geliebten, den sie anbetete, in Gefangenschaft zu lassen oder ihn zu befreien um den Preis des Kostbarsten, das sie besaß, und das einzig diesem Unglücklichen gehören durfte.


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