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Neuntes Kapitel

Ankunft des Harmlosen in Versailles. Sein Empfang bei Hofe

Der Harmlose entsteigt dem Nachttopf Postwagen von Versailles nach Paris, der einem kleinen offenen Topf gleicht. im Küchenhofe. Er fragt die Sänftenträger, um wieviel Uhr der König zu sprechen sei. Die Träger lachen ihm ins Gesicht, genau wie es der englische Admiral getan hatte. Er behandelte sie wie jenen: er schlug sie. Sie wollten ihn wieder schlagen, und die Szene fing gerade an blutig zu werden, als ein Offizier der Leibgarde, ein bretonischer Edelmann, dazu kam, der die Bande verjagte. »Mein Herr,« sagte der Reisende zu ihm, »Sie scheinen ein braver Mann zu sein; ich bin der Neffe des Herrn Priors Unserer lieben Frau vom Berge; ich habe Engländer getötet, ich komme, um den König zu sprechen. Ich bitte Sie, mich in sein Zimmer zu führen.« Der Gardist war entzückt, einen Tapferen aus seiner Provinz zu finden. Da er die Hofgebräuche nicht zu kennen schien, belehrte er ihn, daß er auf diese Art nicht mit dem Könige sprechen könne und daß es nötig sei, durch Seine Gnaden den Herrn von Louvois ihm vorgestellt zu werden. »Nun gut, führen Sie mich also zu diesem Herrn von Louvois, der mich dann ohne Zweifel zu Seiner Majestät führen wird.« – »Es ist noch schwerer, mit Herrn von Louvois zu sprechen als mit Seiner Majestät; aber ich werde Sie zu Herrn Alexander führen, dem ersten Gehilfen des Kriegsministers; das ist als ob Sie den Minister selbst sprächen.« Sie gingen also zu Herrn Alexander, dem ersten Beamten, aber man ließ sie nicht vor. Er war gerade mit einer Hofdame beschäftigt und hatte Befehl gegeben, niemanden vorzulassen. »Nun,« sagte der Gardist, »damit ist noch nichts verloren; jetzt werden wir zu dem ersten Beamten des Herrn Alexander gehen, das ist genau so gut, als ob Sie mit Herrn Alexander selber sprächen.«

Maßlos erstaunt, folgt der Hurone ihm. Sie warten miteinander eine halbe Stunde in einem kleinen Vorzimmer. »Was soll denn dies alles bedeuten?« fragt der Harmlose; »ist denn jedermann unsichtbar in diesem Lande? Es scheint viel leichter, sich in der Niederbretagne mit den Engländern zu schlagen, als in Versailles die Leute anzutreffen, die man sprechen muß.« Er vertrieb sich die Langeweile, indem er seinem Landsmann seine Liebesgeschichte erzählte. Eine schlagende Uhr rief den Leibgardisten auf seinen Posten. Sie verabredeten, sich am nächsten Tag wiederzusehen; der Harmlose wartete noch eine halbe Stunde im Vorzimmer und träumte von Fräulein von Saint-Yves und der Schwierigkeit, mit Königen und ihren ersten Beamten zu sprechen.

Endlich erschien der Hausherr. »Mein Herr,« sagte der Harmlose, »wenn ich so lange hätte warten wollen, um die Engländer zu schlagen, wie Sie mich hier auf eine Audienz warten lassen, würden sie jetzt die Niederbretagne nach Belieben verwüsten.« Bei diesen Worten stutzte der Beamte. Er sagte zu dem Bretonen: »Was wünschen Sie?« – »Eine Belohnung,« erwiderte dieser, »hier sind meine Beglaubigungsschreiben.« Er breitete alle seine Zeugnisse aus. Der Beamte las und meinte, man werde ihm wahrscheinlich erlauben, sich ein Leutnantspatent zu kaufen. »Wie! ich soll noch Geld dafür geben, daß ich die Engländer geschlagen habe? Ich soll das Recht bezahlen, mich für Sie töten zu lassen, während Sie hier in aller Ruhe Audienzen erteilen? Ich glaube, Sie machen sich über mich lustig. Ich will eine Kavalleriekompagnie umsonst haben; ich will, daß der König das Fräulein von Saint-Yves aus dem Kloster nehme und sie mir zur Frau gebe; ich will mich beim Könige für fünfzigtausend Familien verwenden, die ich ihm zurückzugeben mich verpflichte; mit einem Wort, ich will mich nützlich machen: man verwende mich und lasse mich befördern.«

»Wie heißen Sie, mein Herr, der Sie so großartig sprechen?«

»Oh, oh,« versetzte der Harmlose, »Sie haben also meine Zeugnisse nicht gelesen? So geht man also hier damit um? Ich heiße Herkules von Kerkabon; ich bin getauft, ich wohne im Blauen Zifferblatt und werde mich beim König über Sie beschweren.« Der Beamte glaubte wie die Leute in Saumur, er sei nicht richtig im Kopfe, und legte der Sache keine weitere Bedeutung bei.

Am selben Tag hatte der hochwürdige Pater de la Chaise, der Beichtvater Ludwigs XIV., den Brief seines Spions erhalten, in dem dieser den Bretonen Kerkabon beschuldigte, in seinem Herzen die Hugenotten zu begünstigen und die Haltung der Jesuiten zu verurteilen. Herr von Louvois seinerseits hatte einen Brief des vielfragenden Amtmanns erhalten, der den Harmlosen als einen Taugenichts schilderte, der Klöster in Brand stecken und Mädchen entführen wolle.

Nachdem der Harmlose in den Gärten von Versailles, die ihn sehr langweilten, spazierengegangen war, nachdem er als Hurone und Niederbretone zu Abend gespeist hatte, hatte er sich in der süßen Hoffnung schlafengelegt, am nächsten Tag den König zu sprechen und von ihm Fräulein von Saint-Yves zur Frau zu erhalten, zum mindesten eine Kompagnie Kavallerie zu bekommen und der Verfolgung der Hugenotten Einhalt zu tun. Er wiegte sich in diesen angenehmen Ideen, als die Polizeiwachen in sein Zimmer traten. Sie bemächtigten sich zuerst seiner Doppelflinte und seines großen Säbels.

Sie zählten sein bares Geld und führten ihn in das Schloß, das der König Karl V., der Sohn Johannes II., neben der Straße Saint-Antoine, am Tor von Tournelles Die Bastille. hat erbauen lassen.

Wie groß war das Erstaunen des Harmlosen auf diesem Wege! Zuerst glaubte er, es sei ein Traum. Eine Zeitlang war er wie betäubt, bis er plötzlich von einer Wut ergriffen wurde, die seine Kräfte verdoppelte. Er packt zwei der Wächter, die mit ihm im Wagen saßen, bei der Gurgel, wirft sie zur Tür hinaus, stürzt hinter ihnen her und zieht den dritten, der ihn zurückhalten will, mit sich. Bei dieser Anstrengung fällt er hin, man fesselt ihn und bringt ihn in den Wagen zurück. »Das also«, rief er, »hat man davon, daß man die Engländer aus der Niederbretagne vertrieben hat! Was würdest du sagen, schöne Saint-Yves, wenn du mich in diesem Zustande sähest?«

Endlich kommt er in dem Nachtquartier an, das für ihn bestimmt war. Man trägt ihn in aller Stille in das Zimmer, wo er eingeschlossen werden sollte, wie einen Toten, den man auf den Kirchhof trägt. Dieses Zimmer war schon besetzt von einem alten Einsiedler von Port-Royal, namens Gordon, der hier seit zwei Jahren schmachtete. »Seht,« sagte der oberste der Häscher, »hier bringe ich Euch Gesellschaft.« Sofort wurden die ungeheuren Riegel der dicken, mit großen Eisenbarren beschlagenen Türe vorgeschoben. Die beiden Gefangenen waren von der ganzen Welt getrennt.


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